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Warum der Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen ist

Erstmals hat ein höherer amerikanischer Beamter in Afghanistan seinen Job hingeschmissen, weil er den Sinn des Krieges nicht mehr sieht. Matthew Hoh, ein ehemaliger Marine-Soldat, der den zivilen Aufbau in einer Provinz im Süden verantwortete, hat einen vierseitigen Brief an das State Department geschrieben, der sofort Aufsehen erregte. Richard Holbrooke, der Sonderbotschafter der amerikanischen Regierung für Afghanistan und Pakistan, versuchte Hoh zu halten, doch der blieb bei seiner Kündigung.

Sein zentrales Argument ist, dass die Vereinigten Staaten zu einer Partei in einem 35jährigen Bürgerkrieg geworden seien.

Aus der Washington Post:

„I’m not some peacenik, pot-smoking hippie who wants everyone to be in love,“ Hoh said. Although he said his time in Zabul was the „second-best job I’ve ever had,“ his dominant experience is from the Marines, where many of his closest friends still serve.

„There are plenty of dudes who need to be killed,“ he said of al-Qaeda and the Taliban. „I was never more happy than when our Iraq team whacked a bunch of guys.“

But many Afghans, he wrote in his resignation letter, are fighting the United States largely because its troops are there — a growing military presence in villages and valleys where outsiders, including other Afghans, are not welcome and where the corrupt, U.S.-backed national government is rejected. While the Taliban is a malign presence, and Pakistan-based al-Qaeda needs to be confronted, he said, the United States is asking its troops to die in Afghanistan for what is essentially a far-off civil war.

Hier ein Interview aus Al-Jazeera:

 

Etwas dreht sich in der Afghanistan-Debatte

Auch in den USA. Heute stolpere ich über dieses Zitat meines Lieblingsbloggers Andrew Sullivan, früher ein verlässlicher Unterstützer des Krieges gegen die Taliban:

„The Islamist world is a brutal, backward, bigoted miasma. The idea that we can change this with troops, or that its continuation is somehow America’s responsibility, is, tragically, misguided.“

Mancher bereitet den innerlichen Truppenabzug vor.

 

Sechs tote Italiener in Afghanistan

Bei einem Selbstmordattentat in Kabul sind heute sechs italienische Soldaten getötet worden.

Ein Attentäter hatte einen Konvoi mit einem Aut angegriffen, das offenbar voller Sprengstoff war.

Eine unbekannte Zahl von Zivilisten ist ebenfalls zu Tode gekommen. Mindestens 10, und es ist die Rede von 52 Verwundeten. Die Szene mitten in Kabul sieht nach ersten Berichten apokalyptisch aus.

Man wird auch in Berlin gespannt beobachten, ob dieses Grauen Einfluss auf die italienische Debatte hat. Berlusconi war bisher ein unerschütterlicher Verteidiger des Krieges. Sein Koalitionspartner, die rechtspopulistische Lega Nord, plädiert seit langem für einen Abzug.

 

Grüne Militanz

Der ARD-Deutschlandtrend hat erstaunlicher Ergebnisse zum Afghanistan-Engagement der Bundeswehr zu Tage gefördert. Die Zustimmung wächst erstmals wieder. Und sie ist am stärksten bei —- den Grünen!

Zitat aus ZEIT online:

„Am größten ist die Unterstützung für die weitere Stationierung unter den Anhängern der Grünen (50 Prozent dafür, 47 Prozent dagegen). Bei den Anhängern der Union halten sich Befürworter und Gegner eines längeren Einsatzes mit 46 beziehungsweise 47 Prozent annähernd die Waage. Bei der FDP sind 42 Prozent für ein längeres Engagement der Bundeswehr, bei der SPD 34 Prozent. Die geringste Zustimmung ist bei Anhängern der Linkspartei zu erkennen. Hier befürworten nur 22 Prozent eine weitere Stationierung der Bundeswehr.“

Über dieser Frage wird sich Schwarz-Grün also nicht zerlegen. Aber eine „rote Ampel“ sehr wohl (Rotrotgrün).

p.s. Sorry, der Artikel enthielt  falsche Zahlen für die SPD und die FDP. Ich habe sie korrigiert. Hier die Infografik zum Deutschlandtrend:

Bild 1

 

Karsai – so illegitim wie Ahmadinedschad?

Und noch einmal eine Frage, der wir uns in den kommenden Wochen  stellen müssen, wenn die afghanische Regierung gebildet wird.

Karsai hat nach der bisherigen Auszählung der Stimmen eine absolute Mehrheit in Aussicht. Zugleich ist massiver Wahlbetrug festzustellen, wie ihn  zuerst – chapeau! – mein Kollege Ulrich Ladurner in dieser Zeitung dargestellt hat.

Was machen wir denn jetzt? Wir isolieren Ahmadinedschad, weil er durch eine manipulierte Wahl ins Amt gekommen ist und arbeiten mit der neuen Regierung Karsai einvernehmlich zusammen? Wir legen die Zukunft eines Landes, für das unsere Soldaten sterben (und töten) in die Hand eines Wahlbetrügers?

Wie gehen wir damit um, dass wir einen zweiten Iran (was die Legitimität der Wahlen betrifft) unter den Augen der Bundeswehr entstehen sehen?

Das ist das wahre Desaster in Afghanistan, über das gestern im Bundestag kein einziges Wort gefallen ist.

 

Warum wir in Afghanistan nicht gewinnen können

Mitblogger Zagreus gibt zu Bedenken:

Selbstverständlich kann man einen Guerillakrieg gewinnen – die Frage dabei ist im Grunde sehr einfach: welchen Preis ist man bereit zu zahlen dafür.
WIR können ihn nicht gewinnen, denn wir können den Preis nicht zahlen – und darum bin ich dafür, daß wir aus Afganistan raus gehen und halt die Taliban  dort wieder die Herrschaft ergreifen lassen.
Lau kann sich ja dann wieder über irgendwelche Hinrichtungen und Steinigungen in Sportarenen aufregen …
Wie gewinnt man solch einen Guerilla-Krieg: (…) indem man noch grausamer als die Taliban gegen all die vorgeht, die irgendwie den Taliban helfen.
Den Leuten muss bewußt werden, daß Hilfe für einen Taliban in irgeneiner Form einem Todesurteil für sich und seine Gemeinschaft gleichkommt. Hingegen muß es ein gutes Geschäft sein, sich gegen die Taliban zu stellen – und nicht wie jetzteinem Selbstmord gleichkommen.

Lau jammert in einem Kommentar weiter oben über die ‚verbrannten Leichen‘, und andere Journalisten sind geschockt darüber, daß ‚Zivilisten‘ umgekommen sind – nachts um ca. 2:30 bei einem Angriff
auf Tanklastwägen mehrere Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Zivilisten? Kinder? – Pech gehabt, oder: das waren mindestens Sympathisanten – Leute, die es als relativ ungefährlich eingeschätzt haben sich den Taliban dort zu nähern.

Eine entscheidende Frage gibt es aber trotzdem – und auf die wüßte ich gerne eine Antwort: was wollen wir dort erreichen langfristig bei diesen Menschen?
Das wir für uns wollen, daß Afganistan relativ stabil ist und von dort keine Unterstützung für Terroristen mehr ausgeht, ist eine Seite.


Aber was haben wir den Menschen dort zu bieten im Gegenzug?
Irgendwie sehe ich nicht, wie in Afganistan in absehbarer Zeit irgendeine breitflächigere wirtschaftliche Perspektive aufgebaut werden kann, die helfen kann, die dortigen arachaischen Strukturen, diese Stammes-, Clan- und Dorf-Feudalherrschaften zu einer Zivilgesellschaft umzuwandeln.
Ich will dabei kein Wunder erwarten – allein sollte schon ein Bauer z. b. die Möglichkeit haben vom Verdienst seiner Hände sich und seine Familie ernähren zu können und nicht auf Drogenanbau angewiesen sein.
Das Land muss zumindest intern genug erwirtschaften, um eine funktionierende Infrastruktur (…) aufrecht erhalten zu können – so daß z. b. irgendwann eine Entwaffnung der Bevölkerung eintreten kann.
Darauf habe ich irgendwie keine Antwort …

Auch sollte man nicht vegessen, was die Taliban geleistet haben.
Sie haben (…) die meisten Streitereien der sich untereinander bekämpfenden Stammesfürsten und Warlords beendet – zum Teil einfach dadurch, daß sie jeden umbrachten, der dagegen verstoßen hatte. Damit haben sie eine Sicherheit geschaffen –  Sicherheit, die aus Angst entspringt, aber Sicherheit. Die antiken Strafen des Gesetzgebers Drakon waren ebenfalls inhuman und doch ein Fortschritt gegenüber all dem, was vorher war – nämlich sich bekriegenden Adelsgeschlechtern. Man sollte im Auge behalten, daß schlimme Zustände besser sind als noch Schlimmeres.

 

Afghanistan: Die potemkinsche Wahl

Angesichts dieser Meldung wiederhole ich meine Frage von letzter Woche: Was eigentlich unterscheidet die afghanische Wahl noch – was ihre (Il)Legitimität angeht, von der iranischen?

DPA: Neue Vorwürfe über massiven Wahlbetrug in Afghanistan: Nach einem Bericht der «New York Times» haben Anhänger von Präsident Hamid Karsai bei der Abstimmung am 20. August bis zu 800 «Phantom-Wahllokale» eingerichtet, in denen in Wirklichkeit niemand seine Stimme abgab. Aus den fiktiven Wahllokalen seien aber jeweils tausende Stimmen für Karsai registriert worden, berichtete das Blatt am Montag unter Berufung auf Diplomaten. «Wir gehen davon aus, dass 15 Prozent der Wahllokale am Wahltag niemals geöffnet hatten», zitiert die Zeitung einen westlichen Diplomaten. «Dennoch meldeten sie tausende Stimmen für Karsai.» Bereits zuvor hatte es immer wieder Berichte über Wahlbetrug zugunsten Karsais gegeben, der nach offiziellen Auszählungen in Führung liegt.

Mehr hier.

 

Wahlbetrug in Afghanistan?

Wenn das hier stimmt, dann muss man sich langsam fragen, was eigentlich die Wahlen in Afghanistan noch von denen im Iran unterscheidet – jedenfalls, was die Frage der Legitimität angeht.

Sollten sich diese Berichte bewahrheiten, ist das ein herber Schlag auch für die ISAF und für die Obama-Regierung, die bis Ende nächsten Jahres in Afghanistan die Wende schaffen will.

Dexter Filkins berichtet in der NYT:

KABUL, Afghanistan — Just a week before this country’s presidential election, the leaders of a southern Afghan tribe called Bariz gathered to make a bold decision: they would abandon the incumbent and local favorite, Hamid Karzai, and endorse his challenger, Abdullah Abdullah.

Mr. Abdullah flew to the southern city of Kandahar to receive the tribe’s endorsement. The leaders of the tribe, who live in a district called Shorabak, prepared to deliver a local landslide.

But it never happened, the tribal leaders said.

Instead, aides to Mr. Karzai’s brother Ahmed Wali — the leader of the Kandahar provincial council and the most powerful man in southern Afghanistan — detained the governor of Shorabak, Delaga Bariz, and shut down all of the district’s 45 polling sites on election day. The ballot boxes were taken to Shorabak’s district headquarters, where, Mr. Bariz and other tribal leaders said, local police officers stuffed them with thousands of ballots.

At the end of the day, 23,900 ballots were shipped to Kabul, Mr. Bariz said, with every one marked for President Karzai.

“Not a single person in Shorabak District cast a ballot — not a single person,” Mr. Bariz said in an interview here in the capital, where he and a group of tribal elders came to file a complaint. “Mr. Karzai’s people stuffed all the ballot boxes.”

 

Die Taliban haben die Wahlen gewonnen

Meint Leslie H. Gelb im „Daily Beast“:

The only ones gloating over this presidential election seem to be the Taliban. They wanted to suppress the voter turnout to demonstrate their power, and they largely did. In southern provinces, the percentage going to the polls fell to under 10. This was a deep wound to Karzai because these areas are overwhelming Pashtun, and he’s a Pashtun who expected upward of 80 percent of that vote. The low participation also demonstrated that U.S. forces, as good as they are, could not afford the protection Afghans felt they needed to cast ballots in the face of Taliban threats. And to some of those who, nonetheless, sported the purple fingers advertising their voting bravery, the Taliban carried out its threat to cut off those fingers.

 

Korruption – Afghanistans politisches Gift

Dies ist eine bildliche Darstellung des „Korruptionswahrnehmungsindexes“, der jährlich von der Organisation Transparency International erstellt wird. Er ist äußerst erhellend über die Zustände in der Welt, was Verläßlichkeit und Rechtssicherheit angeht. Transparency mißt in diesem Index die von den Bürgern wahrgenommene Korruption – ein wesentlicher Faktor der Legitimität.

Afghanstan ist danach das fünft korrupteste Land der Welt – im Blick der eigenen Bürger!

Es sollte nicht vergessen werden, was eines der Hauptprobleme des Landes – und einen der Haupttrümpfe der Taliban – darstellt: Weltniveau erreicht das Land neben dem Opiumanbau nur bei der Korruption. Man darf natürlich annnehmen, dass beides zusammenhängt. Nur noch gefolgt werden von Haiti, Irak (!), Myanmar und Somalia – das ist für ein Land, das seit 8 Jahren im Fokus der internationalen Gemeinschaft steht und dessen Regierung vom Westen mit Milliarden gestützt wird, schon eine desaströse Bilanz.

Man darf gespannt sein, wie (ob) sich dies in der Wahl niederschlägt. Karsais Konkurrent Abdullah hatte seine Betonung genau auf diese Punkte gelegt: schlechte Regierungsführung, Inkompetenz und Korruption.

Ein Ergebnis wird in den nächsten Tagen erwartet.