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Amerika braucht eine neue Politik im Mittleren Osten

Auf Andrew Bacevich bin ich 2008 aufmerksam geworden, als ich für einige Monate in Boston lebte. Der Wahlkampf McCain gegen Obama nahm Fahrt auf, die Immobilienkrise stürzte die USA in große Selbstzweifel, die Kriege im Mittleren Osten entwickelten sich zu einem einzigen, riesigen Treibsand.

Bacevich, damals Professor an der Bostin University, ist eine einmalige Erscheinung in der amerikanischen Debatte. Ex-Marine, West-Point-Absolvent, Konservativer (geprägt vom „christlichen Realisten“ Reinhold Niebuhr) – und dabei der schärfste und scharfsinnigste Kritiker der amerikanischen Außenpolitik. Sein Buch über die „Grenzen der amerikanischen Macht“ aus dem Jahr 2008 liest sich heute geradezu prophetisch. Ich sprach mit Bacevich Ende Dezember im Rahmen einer Recherche. Hier folgt das Interview in ganzer Länge.

ZEIT: Professor Bacevich, Sie haben in einem Buch die „Grenzen der amerikanischen Macht“ beschrieben. Es erschien schon vor acht Jahren, heute liest es sich prophetisch, denn diese Grenzen werden dieser Tage überall evident: im Umgang mit Russland und China, im Syrienkonflikt, in der Chaotisierung des Mittleren Ostens.

Andrew Bacevich: Drei Argumente dafür, dass wir heute eine Krise der amerikanischen Macht erleben, gelten heute sogar mehr noch als damals. Erstens gibt es eine Krise durch Verschwendung. Amerika lebt seit Jahrzehnten über seine Verhältnisse. Das wirkt sich kulturell, ökonomisch und geopolitisch aus. Der Kern ist ein falsches, konsumistisches Verständnis von Freiheit, das Amerika abhängig gemacht hat von billigem Öl und billigem Geld. Die zweite Krise ist politischer Art. Der Kongress ist dysfunktional geworden durch die politische Spaltung des Landes und durch den geradezu grotesken Einfluss der Sonderinteressen und Lobbies. Der Präsident hat im Zuge dessen immer weitgehendere Vollmachten erhalten und ist eine nahezu messianische Figur geworden, die unmöglich die auf sie gerichteten Erwartungen erfüllen kann. Wir haben eine „imperiale Präsidentschaft“. Die dritte Krise schließlich ist militärischen Charakters. Das amerikanische Militär ist zu einem Instrument geworden, mit dem wir überall unsere Interessen durchzusetzen versuchen und die Welt nach unserem Bilde formen. Die militärische Krise hängt mit den anderen beiden zusammen: Man erwartet von militärischer Macht Lösungen für Probleme, die aus den ersten beiden Krisen entstehen.

ZEIT: Barack Obama ist aber doch gerade für das Versprechen gewählt worden, die Kriege im Mittleren Osten zu beenden. Wie passt das zu ihrer Diagnose einer imperialen Präsidentschaft?

Bacevich: Ich glaube nicht, dass ihr Bild von Obama korrekt ist. Obama hat 2008 gewonnen, weil er zwischen dem ’notwendigen‘ Krieg in Afghanistan und dem ‚dummen‘ Krieg im Irak unterschied. Er war kein Antikriegskandidat, er war nur gegen den Irakkrieg. Jetzt, da wir das Ende seiner Amtszeit erreichen, muss man feststellen, dass er entgegen der allgemeinen Wahrnehmung den großen amerikanischen Krieg im Mittleren Osten ausgeweitet hat. Weiter„Amerika braucht eine neue Politik im Mittleren Osten“

 

Wohin Lau gehört

Wohin Sven Lau gehört

Schreck am Morgen bei der Zeitungslektüre.

Dann Erleichterung. Es wurde wirklich Zeit, dass man ihm das Handwerk legt, diesem merkwürdigen Namensvetter Sven Lau (nicht verwandt!). Er wurde am Dienstag wegen Terrorverdachts verhaftet. Weiter„Wohin Lau gehört“

 

Er ist wieder da

Na gut. 5.000+ Kommentare unter einem nahezu zwei Jahre alten Blogpost, das gibt mir denn doch zu denken. Irgendwie geht es hier immer noch weiter, auch in meiner Abwesenheit. Selbst nachdem das Blog von den ZEIT Online-Kollegen längst schon wegen Inaktivität von der Website genommen wurde. Es gibt offenbar Redebedarf unter den Verbliebenen. Ich habe ihn eigentlich auch.

Ich will versuchen, die Aktivität hier wieder aufzunehmen, wenn auch sicher nicht in der Frequenz, die mir früher mal möglich war, bevor ich mich der Koordination unserer außenpolitischen Berichterstattung verschrieb. Ich habe gewusst, dass der Job hart werden würde, aber mit einer solchen Ballung von Krisen, die sich wechselseitig verstärken, war nicht zu rechnen. Weiter„Er ist wieder da“

 

In eigener Sache

Liebe Mitblogger und treue Kommentatoren!

Ich muss mich vielmals für die lange Abwesenheit entschuldigen! Ich bin in der letzten Zeit – durch die Bundestagswahl und die Vorbereitung auf neue Aufgaben – einfach nicht zum Bloggen gekommen, obwohl ich es mehrfach vorhatte. Themen gäbe es weiß Gott  genug. Weiter„In eigener Sache“

 

Der saudische Autor Turki Al-Hamad muss freigelassen werden!

Turki Al-Hamad ist schon seit vielen Jahren einer meiner Lieblingsautoren. Lange vor dem so genannten Arabischen Frühling hat der saudische Liberale – ja, sowas gibt es – fulminante Plädoyers für eine kulturelle, religiöse und politische Öffnung gehalten. Immer war die Notwendigkeit einer arabischen Selbstkritik sein Thema. Seine Romane über die Entwicklung des Helden Hisham Al-Abir gehören zu den aufregendsten der arabischen Gegenwartsliteratur. Leider konnte ich nur die ersten beiden aus seiner Trilogie lesen, die es auch auf Englisch gibt (der erste – „Adama“ ist sogar mal ins Deutsche übersetzt worden, eine Schande, dass die beiden anderen nicht folgten).

Turki

Ich habe vor Jahren auch einmal versucht, Kontakt aufzunehmen und Turki Al-Hamad als Autor zu gewinnen. Leider kam keine Reaktion. Ich schloss daraus, dass die Lage vielleicht zu heikel war. Es ist eines, die Situation in der arabischen Presse zu kritisieren, die ja vielfach auch aus saudischen Quellen finanziert wird. Und ein anderes, das in ausländischen Medien zu tun.

Nun ist Turki Al-Hamad verhaftet worden. Am 24.12.2012 haben die saudischen Behörden ihn festgenommen. Es gibt keine öffentliche Anklage. Aber man muss annehmen, dass eine Reihe von Tweets den Hintergrund der Verhaftung abgeben. Qantara.de berichtet:

Nicht zuletzt wandte sich al-Hamad in seinen Tweets gegen die in seiner Heimat dominierende, extrem strikte wahhabitische Doktrin: „Weil ich ein Muslim in der Nachfolge Mohammeds bin, lehne ich den Wahhabismus ab“, lautete eine seiner Botschaften, eine andere, noch wesentlich brisantere postulierte: „So wie unser geliebter Prophet einst gekommen ist, um den Glauben Abrahams wieder ins Lot zu bringen, ist nun die Zeit gekommen, da wir jemanden brauchen, der den Glauben Mohammeds wieder ins Lot bringt.“

Provokation und politische Herausforderung für das saudische Herrscherhaus: „Weil ich ein Muslim in der Nachfolge Mohammeds bin, lehne ich den Wahhabismus ab“, ließ Turki al-Hamad per Twitter verlautbaren. Anderweitig hatte al-Hamad sich scharf über den Aufstieg islamistischer Parteien in der arabischen Welt geäußert: „Ein neues Nazitum erhebt sein Gesicht über der arabischen Welt, und sein Name ist Islamismus. Aber die Zeit des Nazismus ist vorüber, und im Osten wird wieder die Sonne aufgehen.“

Die Bundesregierung ist dabei, dem saudischen Königshaus bei der Aufrüstung zu helfen. Sie sollte deutlich machen, dass solche Geschäfte der deutschen Öffentlichkeit schwer zu vermitteln sind, wenn das Land die Menschenrechte mit den Füßen tritt.

Klingt naiv? Ich denke, der vermeintliche „Realismus“ der Stabilitätspolitik hat sich in den letzten Jahren als naiv erwiesen. Im Nahen Osten steht kein Stein mehr auf dem anderen, weil wir auf die falschen Stabilisatoren gesetzt haben.

Da diese Regierung das freiwillig natürlich nicht tun wird, muss die Öffentlichkeit ihr klar machen, dass es nicht gleichgültig ist, ob Autoren wie Turki Al-Hamad mundtot gemacht werden. Das ist eine Lektion zwei Jahre nach dem Beginn des Arabischen Frühlings: Man kann Bücher verbieten, Twitterer wegsperren und Dissidenten foltern. Am Ende nützt es nichts.

p.s. Wer sich über den Autor und seine öffentlichen Interventionen ein Bild machen will, guckt hier.

 

Church of Negativity: Ein Tag in Bethlehem

Im Bus vom Damaskus-Tor nach Bethlehem viele junge Frauen mit Kopftüchern, offensichtlich viele Studentinnen darunter. Auf den gegenüberliegenden Sitzen zwei Freundinnen, die sich kichernd unterhalten, eine mit, eine ohne Kopftuch. Beide haben zum Büffeln Lehrbücher in „Business Administration“ auf dem Schoß.

What Business? denke ich, froh, dass es niemand hören kann.

Am israelischen Checkpoint wird ein junger Mann aus dem palästinensischen Bus herausgeholt. Vermutlich hat er keine oder nicht die richtigen Papiere dabei. Wir fahren weiter.
In Bethlehem gehe ich vom Halt der Linie 21 aus stadteinwärts. Bethlehem ist ein langgezogener Schlauch von parallelen Altstadtgassen, die alle auf „Manger Square“ zulaufen, den Ort, an dem die Geburtskirche sich  erhebt. Der erste Kilometer von der Haltestelle ist voller Shops für den täglichen Gebrauch, um den Manger Square herum dominieren die Souvenirläden. Allerdings verirren sich kaum Touristen und Pilger hierher. Es werden pausenlos Kruzifixe – und vor allem (Bethlehem!) Krippen – aus Olivenholz gedrechselt, aber sie liegen auf Vorrat in den Auslagen. Die Pilger werden in Gruppen  durch die Geburtskirche geschleust – heute sind Russen und Spanier da, alle mit lustigen Kappen kenntlich gemacht. Danach schleppt der Tourguide sie zu einem vorher ausgemachten Laden, wo er Kommission kassiert. Bethlehem gilt seit der zweiten Intifada vielen immer noch als unsicher, sie meiden den schönen Soukh.  Für die örtliche Wirtschaft ein Desaster.
Yousef spricht mich an, sein Englisch ist sehr gut. Er ist Lehrer, arbeitet aber nachmittags als Taxifahrer, um seine Familie zu ernähren. Seine Frau ist auch Lehrerin, und so reicht es mit drei Einkommen so gerade zum Durchkommen. Nach 21 Jahren im Beruf, sagt Yousef, verdient er 2.500 Schekel als Lehrer (ca. 500 €). Er und seine Frau haben sieben Söhne, obwohl er schon nach dem Dritten abgewunken habe. Aber meine Frau, sagt er, wollte eben unbedingt ein Mädchen, und so haben wir weiter probiert. Einer seiner Söhne träumt davon, in Dortmund Medizin zu studieren. Der Sohn lernt bereits Deutsch in Hebron, um sich vorzubereiten. Yousef scheint ein bisschen Angst davor zu haben, dass der Traum wahr werden könnte: Die Lebenshaltungskosten in Deutschland sollen sehr hoch sein, sagt er fragend. Jerusalem ist nur 9 Kilometer entfernt, aber Yousef darf normaler Weise nicht hin. In den letzten zehn Jahren konnte er zwei Mal Sondergenehmigungen der Israelis bekommen.
Ich gehe in die „Church of Nativity“. Ich muss lachen. Nach dem Gespräch mit Yousef habe ich gelesen: Church of Negativity.

In der Geburtskirche küssen die Spanier in Zweierreihen die Rosette, die den Ort der Geburt des Heilands markiert. Ich habe mich von der Ausgangsseite her eingeschlichen, ernte irritierte Blicke des orthodoxen Mönchs, der hier zuständig ist. Aber ich hatte ja nicht vor, mich zum Kuss der Geburtsstelle zwischen die alten Damen zu drängen, so komme ich glimpflich davon.
Am Platz gibt es eine Art offizielles Restaurant der PA, mit schöner Terrasse. Auch hier ist nichts los. Der Limonensaft mit Minze ist köstlich. Ahmed trinkt mit seinem Freund das Gleiche und spricht mich an. Er ist in einem Flüchtlingslager außerhalb der Stadt geboren, und er ist, so  stellt sich heraus: noch ein unterbeschäftigter Taxifahrer. Auch sein Englisch ist sehr gut. Die Besatzung sei „boring“, sagt er. „I hate this life. I want to get away.“ Wohin? Nach Californien, eine bessere Zukunft für sich, seine Frau und seine beiden Töchter. Er kann den Gedanken nicht ertragen, dass sie auch unter so beschränkten Umständen aufwachsen sollen. Sein ganzes Leben lang ist das schon so, er ist Jahrgang 1978.
Seine Frau ist seit sieben Monaten bei ihrer Familie in Gaza. Jahrelang war sie nicht dort gewesen. Dann hatte er endlich das Geld zusammen für die Reise: über Jordanien nach Ägypten, dann über Rafah nach Gaza. Umgerechnet 1000 € hat es ihn gekostet, ein Vermögen. An der Grenze nach Gaza mußte er sie zurücklassen. Er vermißt die Familie. Ob er nicht auch hinkönne, frage ich: Nein, ich bin in der Fatah, sagt er. Es wäre zu gefährlich.
Mir reicht es, sagt Ahmed, ich will reisen könne wie Sie, wie die ganze Welt. Mit welchem Recht bin ich hier eingesperrt?
Dann muss ich zurück zum Bus nach Jerusalem. Am Checkpoint nach Jerusalem steigen die Palästinenser aus und zeigen den israelischen Soldaten ihre Dokumente. Ich bleibe mit den paar anderen westlichen Besuchern im Bus sitzen, zwei Amerikanerinnen und ein Franzose. Für uns bemühen die Soldaten sich in den Bus. Sie gucken die Papiere gar nicht genau an, das Ganze ist ein Zeremoniell geworden. Dann steigen die Palästinenser wieder ein.

Das Mädchen mit Kopftuch neben mir holt ein Lehrbuch aus dem Rucksack: „Klinische Psychiatrie“ auf Englisch.

 

Entschuldigung!

Wochenlang nichts. Geht eigentlich gar nicht. Ich weiß! War aber auch nicht geplant.

Ich komme zur Zeit einfach nicht zum Posten.

Ein Interview mit Tony Blair kam dazwischen (vorletzte ZEIT). Dann ein Porträt des palästinensischen Botschafters (diese ZEIT).

Währenddessen bereite ich ein umfangreiches Dossier zum Thema Christen in Nahost vor (was passiert mit der wichtigsten Minderheit in den muslimischen Ländern nach dem Umbruch), für das ich drei Reisen unternehmen werde – eine nach Ägypten, eine in den Nordirak/die Südosttürkei, eine nach Israel/Palästina. Letztere nächste Woche, wodurch ich dann wieder ausfalle.

Ab morgen bin ich mit dem Außenminister in nordischen Ländern, u.a. am Freitag zur Urteilsverkündung gegen Breivik in Oslo. Da hoffe ich, mich melden zu können.

Bitte um Verständnis und Danke für die Treue!

 

Boaulem Sansal in Jerusalem: So fängt Frieden an

Boualem Sansal, der algerische Schriftsteller, der letztes Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gewann, hat etwas Einfaches und doch Außergewöhnliches getan: Er ist nach Jerusalem gereist, um dort  an einem Literaturfestival teilzunehmen. Für einen Algerier ist eine direkte Reise nicht möglich, also nahm er den Weg über Paris. Jenseits der praktischen Probleme einer solchen Reise bringt sie noch ganz andere mögliche Folgen mit sich: Wer sich einen israelischen Stempel in seinen algerischen Pass machen lässt, stempelt sich damit selbst zum Verräter in den Augen der Behörden, vor allem aber der radikalen Islamisten, ab.

Wie ich hier berichtet hatte, war Sansal letztes Jahr zur Zielscheibe einer widerlichen antisemtischen Kampagne geworden (ohne freilich selbst Jude zu sein, es reicht als „Judenfreund“ zu gelten). Die Antwort dieses Autors: Jetzt erst recht nach Jerusalem. Über seine Reise hat er einen ersten  Bericht geschrieben, den ich sehr beeindruckend finde. Mit solchen Gesten menschlicher Größe fängt der Frieden an.

„Haltet euch vor Augen, dass sie mich keiner geringeren Sache anklagen als des Hochverrats an der Arabischen Nation und der islamischen Welt im allgemeinen. … Das sind die Leute von der Hamas, gefährliche und berechnende Leute, die das ganze Volk von Gaza zur Geisel genommen haben und es Tag für Tag seit Jahren ausplündern, hinter verschlossenen Türen, wie es ihnen die israelische Blockade ermöglicht; und nun wollen sie uns diktieren, was wir zu denken, zu sagen und zu tun haben, uns, die wir uns mit allen Mitteln befreien wollen…“

Sansal beschreibt seine Erfahrung Jerusalems als Gründungsort aller dreier monotheistischer Religionen (ja, auch des Islams), er beschreibt, wie er die Grabeskirche, die Kotel und auch denTempelberg besucht. Ein Wächter des Waqf kontrolliert seinen Pass um festzustellen, ob er auch Muslim sei. Aus dem grünen algerischen Pass leitet er es folgerichtig ab. Er hat noch nie einen Algerier gesehen. Sansal rezitiert eine Koranstelle zum Erstaunen des Wächters:

„Das ist amüsant, wie mein kleiner Pass mir hier die Grenze zum heiligen Ort ffnet, während im Schengen-Raum der schlichte Anblick eines grünen Passes eher die Magengeschwüre des Zöllners öffnet.“

Während seiner fünf Tage und Nächte in Israel, schreibt Sansal, habe man nicht ein Mal vom Krieg gesprochen. Vielleicht weil es nicht möglich ist, zugleich vom Frieden und vom Krieg zu sprechen?  Es hat ihm leid getan, dass kein Palästinenser bei dem Festival dabei war, denn schließlich müsse der Frieden zwischen Isarelis und Palästinensern gemacht werden.

„Ich bin weder mit den einen noch mit den anderen im Krieg, und zwar weil ich sie beide liebe, auf die gleiche Art, wie Brüder seit Anbeginn der Welt. Ich wäre entzückt, eines Tages auch nach Ramallah eingeladen zu werden, zusammen mit israelischen Autoren, denn dies ist ein schöner Ort um vom Frieden zu sprechen und von dem berühmten ersten Schritt, der es erlaubt, ihn zu erreichen.“

 

 

Wieder da

Ich muss für wochenlanges unentschuldigtes Fehlen Abbitte leisten. Es war nicht geplant, sondern hat sich aus der Überlastung mit Arbeit für die Totholz-Version dieses Mediums mit anschließendem Kurzurlaub ergeben. Da die Hechte an der Müritz entgegenkommend waren, melde ich mich hiermit tief entspannt zurück und gelobe Besserung.

Während dieses Blog schlief, habe ich Dany Cohn-Bendit über die Frankreichwahl und Guido Westerwelle über die deutsche Europapolitik interviewt, eine Veranstaltung mit Ruprecht Polenz und Tariq Ramadan moderiert, Julia Timoschenkos Hungerstreik und die israelische Regierungsumbildung kommentiert und den Sprecher der israelischen Armee zum Döneressen im Wedding eingeladen (Porträt folgt).

Hier hätte es viel zu kommentieren gegeben: Powerplay vor den ägyptischen Wahlen, die Salafisten vs pro NRW, Todesdrohungen gegen einen iranischen Rapper…

Bald mehr!

 

Warum man die Zweistaatenlösung vergessen kann

Dieser Essay von Noam Sheizaf hat es in sich: Ein führender Vertreter der jungen israelischen Linken erklärt, warum der Status Quo  – also die dauerhafte Besatzung des so genannten „Westjordanlands“ (das irriger Weise immer noch so heißt, obwohl es sicher nie wieder zu Jordanien gehören wird) – für Israel die rationalste Wahl ist.

Noam Sheizaf, der Mitbegründer des linken Blogs „+972“ (nach Israels internationaler Vorwahl), bricht damit ein Tabu nicht nur der israelischen Linken, sondern auch der rechten Mitte, die offiziell an der so genannten Zweistaatenlösung festhält. Bisher, so Sheizaf, wurde die Alternative für die israelische Politik immer präsentiert als die Wahl zwischen Ein- und Zweistaatenlösung. Die Einstaatenlösung wäre dabei synonym mit dem Ende Israels als demokratischer und jüdischer Staat, weil die Demographie der arabischen Bevölkerung eine Mehrheit verleihen würde. Manche Verteidiger der Einstaatenlösung streben dieses Ziel ganz offen an, die meisten tun es etwas oberschlau heimlich, wohl wissend, was die Konsequenzen wären, wenn ihre Wünsche wahr würden. Das gilt für weite Teile der Boykott- und Sanktionsbewegung.

Die Zweistaatenlösung – Rückzug Isarels aus der Westbank, Abzug der meisten Siedler hinter die „Grüne Linie“, Austausch von Gebieten im Ausgleich für die verbleibenden Siedlungen, Entmilitarisierung des palästinenischen Staates, Teilung Jerusalems in zwei Hauptstädte für zwei Völker, Rückkehr einer symbolischen Zahl von Flüchtlingen und globale Entschädigung für den Rest; im Gegenzug dafür sofortige Anerkennung Israels durch 57 arabische und islamische Staaten wie in der arabischen Initiative festgelegt – gilt hingegen in der offiziellen Politik Israels und in der gesamten internationalen Community als einzige gangbare Möglichkeit, Israel langfristig als jüdischen und demokratischen Staat zu erhalten.

Es gibt andere Vorstellungen, die in Israel sehr wohl Teil des akzeptierten politischen Spektrums sind – „Transfer“ der Palästinenser; oder Annexion plus Zugeständnis weiterer ziviler Rechte an die Palästinenser, allerdings unter Ausschluss voller politischer Rechte (um den jüdischen Charakter des Staates zu wahren); schließlich die Hoffnung, dass viele Palästinenser von alleine gehen werden, wenn sie die Aussichtslosigkeit ihres Kampfes um Souveränität erkennen müssen. Der palästinensische Philosoph Sari Nusseibeh hat soeben einen Vorschlag gemacht, der sich aparter Weise mit den Vorstellungen von Teilen der israelischen Rechten deckt (wahrscheinlich in der paradoxen Hoffnung, eine Diskussion anzustoßen, die am Ende doch der Zweistaatenlösung vorhilft).

Diese Konzepte sind aber international nicht politikfähig, weil das Dogma der Zweistaatenlösung aus verschiednesten Gründen – die nicht alle mit der Lage vor Ort zu tun haben – hochgehalten wird. Es ist dabei, zur Lebenslüge der internationalen Politik zu werden. Dazu ein andermal mehr.

Wenn es aber so ist, wie die Vertreter der Zweistaatenlösung behaupten, dass nur sie das Überleben eines demokratischen jüdischen Staates garantieren kann, dann muss man sich die Frage stellen, warum sie so halbherzig verfolgt wird. In Wahrheit geht die Entwicklung „am Boden“ immer mehr in die Richtung einer Einstaatenlösung. Seit dem Oslo-Prozess, der eigentlich das Ende der Siedlungstätigkeit einläuten und die palästinensische Souveränität vorbereiten sollte, ist die Population in den besetzten Gebieten um das Zweieinhalbfache gewachsen. Es wächst schon die dritte Generation heran, die als Besatzer geboren wurde. „Temporär“ ist anders.

Noam Sheizaf hat eine Erklärung, die jenseits der vermeintlichen Alternative Ein- oder Zweistaatenlösung liegt:

Israel, the saying goes, is faced with two options: A two-state solution and a one-state solution. The first option involves removing most of the settlements from the West Bank (but not necessarily most of the settlers); the second one starts with annexing the West Bank and changing the demographic balance between Jews and Palestinians living under full Israeli sovereignty. Israelis – both leaders and the public – seem to be rhetorically adopting the former while in practice moving towards the latter.

Advocates for the government would explain this paradox with security concerns and “Arab rejectionism.” According to this line, Israel has made up its mind to leave the West Bank and even engaged in several attempts to do so; only to be met with violence and hostility from the Palestinian side. Critics would claim that the Israeli policy objective is not maintaining a Jewish majority but rather colonizing as much land as possible, hence the settlements and the reluctance to leave the West Bank.

The most popular rationale is a blend of the two approaches: Israel wants to leave the West Bank, but it was taken hostage by a minority of rightwing nationalists and messianic settlers, mainly due to “Arab rejectionism” and the failure of the peace process. When Israelis will be made to understand the danger of the current political trend – and when the Arab side is ready – they will come to their senses and regroup behind the demographically-secure Green Line.

This rationale, however, doesn’t bring into account a third option before Israeli policy-makers, and before Israelis themselves: that of maintaining the status-quo.

Der Status Quo, so das Dogma der Zweistaatenlösung, sei nicht aufrechtzuerhalten. Außerdem sei er „ummoralisch“, weil er die de facto Herrschaft Israels über Millionen von Palästinensern bedeute, ohne dass diese demokratischen Einfluss auf diese Herrschaft haben.

Sheizaf ist zwar auch von letzterem überzeugt, aber was die angeblich mangelnde Nachhaltigkeit des Status Quo angeht, hat er seine Zweifel. Es geht ja erstens schon 44 Jahre lang so. Und zweitens sind die Kosten für Israel ganz offenbar bewältigbar. Der internationale Druck ist auszuhalten. Zur Not lässt man den Menschenrechtsrat der UNO eben nicht mehr ins Land, wenn er die Lage der Palästinenser unter den Siedlungen untersuchen will. Die materiellen Kosten für die Aufrechterhaltung der Besatzung auf Seiten der Palästinenser trägt direkt und indirekt die Weltgemeinschaft, die die PA und UNRWA subventioniert. Die Kontinuität der Besatzung wird zu großen Teilen mit Mitteln der EU, der USA und an dritter Stelle von arabischen Gebern möglich gemacht. Auch die Sorge um die palästinensischen Flüchtlinge durch UNRWA wird auf Kosten der internationalen Gemeinschaft betrieben. Die Welt hält somit paradoxer Weise sowohl die PA als auch die Flüchtlingsfrage mit Milliardenzuwendungen am Leben. Wäre die „Westbank“ annektiert, sähe die Rechnung anders aus.

Sheizaf wagt nun einen neuen Blick auf diese Lage und fragt sich, ob sie – so unbefriedigend sie auch sein mag – für Israel nicht die plausibelste Option bleibt:

The status quo as a viable political option is never discussed enough. The common wisdom is that it is “unsustainable”; many (myself included) also see it as immoral. The result is a general blindness to the advantages of the status-quo from an Israeli decision-making perspective, and therefore, a failure to understand Israeli political behavior.

The Israeli decision maker – from left or right – is actually faced with three options: Annexing the West Bank; withdrawing from it, or maintaining the current situation (military occupation under which a privileged Jewish population is living alongside a Palestinian majority with no civil rights). Within this framework, and especially right now, maintaining the status quo is probably the most rational option for Israelis.

Rational choice theory claims that we all try to pay minimum costs and get maximum benefits. The definition of those costs and benefits is subjective, of course. Bearing this in mind, let’s look at the options an Israeli policy-maker has before him: a two-state solution is likely to bring a near civil-war moment within the Jewish public, as well as considerable security risks. It is worth noting that no Palestinian leadership would be able to really vouch for Israel’s security, since we never know what the next leadership will be like (I explained this point in more detail here). At the same time, annexing the West Bank will cause a severe international backlash, as well as major legal problems – and that’s only in the short run. It is even more risky, politically, than the two-state solution. The third option is maintaining the status quo, while trying to minimize its costs and maximize its benefits. From a rational-choice perspective, this is the optimal option.

Ich fasse zusammen: Weil es einen Bürgerkrieg in Israel heraufbeschwören würde, die Siedlungen zu räumen; weil Israel zur Zeit (vom Iran-Problem abgesehen) eine Phase der Sicherheit, Prosperität und Stabilität durchläuft; weil Israel seiner gesamten Umgebung (die derzeit eine unabsehbare Phase von Revolte und Umbruch durchmacht) so weithin überlegen ist wie noch nie zuvor (von Iran abgesehen, aber vielleicht auch in dieser Hinsicht); weil die diplomatischen Kosten der Besatzung noch nie so gering waren wie heute; weil die palästinensische Führung gespalten und geschwächt ist und das Thema „Palästina“ die Araber nicht mehr vordringlich beschäftigt; weil es in Israel aus allen diesen Gründen kein politikfähiges Friedenslager mehr gibt; weil die kontinuierliche Entwicklung der israelischen Gesellschaft hin zu einer konservativeren und religiöseren politischen Identität die Institutionen bis ins Militär hinein verändert hat – aus all diesen Gründen ist der Status Quo (keine schöne, aber) die optimale Option für das Land. Die überragende Popularität von Netanjahu ist der Ausdruck dieser Lage.

Sheizafs Fazit lautet:

In other words, the major problem right now is that an inherently immoral order represents the most desirable political option for Israelis. All the left’s effort to demonstrate the problems the occupation creates – like the burden on the state budget – won’t help, since political choices are made based on alternative options, and right now the alternatives are more expensive, more painful, and more dangerous.

It should be noted that the status quo will remain the best option regardless of developments on the Palestinian side. Even if the Palestinians in the occupied territories recognize Israel as a Jewish state or vote Hamas out of office – even if they all join the Likud – from an Israeli cost/benefit perspective, keeping things as they are will remain preferable to the alternatives of either pulling out of the West Bank or to annexing it.

Der Vorteil dieser ernüchternden Analyse ist, dass sie ganz ohne die Unterstellung finsterer Motive auskommt. Ich glauben, dass Sheizaf Recht hat. Aufgrund seines Paradigmas lässt sich die israelische Politik verstehen.

Das Problem ist, dass die internationale Politik dieses Paradigma nicht akzeptieren kann. Allein schon aus horror vacui wird man sich nicht von dem Mantra der Zweistaatenlösung trennen, auch wenn immer weniger daran glauben.

Das Paradox ist: Gerade das Festhalten an einer illusorischen Zweistaatenlösung macht die Perpetuierung des Status Quo möglich, der sie im Gegenzug immer unwahrscheinlicher werden lässt.