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Wie sagt man Nein zu Obama?

Im folgenden das Manuskript eines Vortrags, den ich so in St. Louis, Denver und Dallas gehalten habe:

One major achievement of George W. Bush that cannot be disputed: He has certainly created a renewed interest in the transatlantic relationship.

How did he do it? By bringing it down to the lowest levels since the end of the Cold War.

Just think of the crowds at Obama’s rallye in Berlin this July! 200.000 people turned up for a campaign event around the Siegessäule in the Tiergarten.

200.000 people, that is, 99 % of which would not have a voice in the election that the speaker was running in! That’s an astounding number.

Now Obama is a gifted speaker, for sure. But without George Bush, he could have never drawn such a crowd.

Why were Germans going crazy about the American election? The Bush government hat taught them the hard way that the transatlantic relations mattered.

The Bush era has left the Europeans with the feeling that they are affected by american policy making in an ever deeper way, while they have never felt so disregarded by an American president ever before.

To quote a famous Bostonian saying: It is a case of „taxation without representation“.

Let me quote a recent survey by the German Marshall Fund of the United States, conducted in the US and 12 European countries. Conducted, I should add, before the financial mess was full blown! So you may add some to the already astonishing numbers! Weiter„Wie sagt man Nein zu Obama?“

 

St.Louis, Denver, Dallas

St. Louis ist eine der Hochburgen der deutschen Immigration in die USA, weshalb die Stadt auch heute noch die Bierhochburg der Staaten ist (Anheuser-Busch).
Mein Freund Warren Rosenblum, der an der Webster University Geschichte unterrichtet, erzählt von der glorreichen deutschen Geschichte hier im „Tor zum Westen“. Unter anderem viele der ’48er Revolutionäre kamen nach St. Louis und Umgebung, nachdem der Aufstand in Deutschland niedergeschlagen worden war. Sie gründeten Zeitungen und Bildungsvereine und prägten die Stadt.
Die deutsche Blüte von St. Louis kam zu einem Ende im Ersten Weltkrieg, als einen massiven Backlash gegen die Deutschen gab, die zum Kaiser hielten. (Es gab pro-Kaiser-Demos in St. Louis!) Und übrigens wollten die Deutschen in Amerika ihre Sprache nicht aufgeben und bestanden auf Schulunterricht in deutscher Sprache. Als sich im Weltkrieg die Loyalitätsfrage stellte, war dies das Ende der deutschen Subkultur. (Interessante Parallele zu unserer heutigen Debatte mit unseren Migranten! Man sollte ihnen mal davon erzählen, denke ich…)

Ich habe beim dortigen Chapter des American Council on Germany einen kleinen Vortrag über die Frage gehalten, was nun aus dem deutsch-amerikanischen Verhältnis unter Obama wird. Ich sehe große Chancen für eine Verbesserung des Verhältnisses, aber der Clou meiner Ausführungen liegt eigentlich darin, auf die Spannungen hinzuweisen (ich stelle den Text bald hier zur Debatte).

Mehrheitlich kann man jedenfalls feststellen, dass eine Riesen-Erleichterung diejenigen ergriffen hat, die eine starke Verbindung zu Deutschland halten (weil ihre Ahnen daherkamen, weil sie einen deutschen Ehepartner haben oder weil sie Geschäfte mit Deutschland machen). Und das gilt auch für eher konservativ gepolte Menschen. Alle sind überrascht über Obamas Wahl seines Sicherheits-Teams, in dem es keinen einzigen echten „Linken“ gibt. Manche kritisieren das, weil sie sich mehr Wandel erhofft haben. Aber die meisten finden es eher beruhigend angesichts der Krise. Es ist klar, dass ein neuer Präsident heute ein Team braucht, das erfahren ist.

In Denver und erst Recht in Dallas waren mehr Republikaner im Publikum, und das war für mich genau der interessante Aspekt der Reise. Aber die Krise, die sich hier Tag für Tag weiter entfaltet, führt auch in diesen Kreisen zur Nachdenklichkeit.

Ich habe gegen den Raketenschild und gegen einen Nato-Beitritt für Ukraine und Russland argumentiert. Ich habe dafür geworben, dass wir uns neu auf Russland und China einlassen, ohne die Augen von Menschenrechtsfragen zu nehmen. Ich habe für einen neuen, harten, diplomatischen Kurs gegen Iran gesprochen. Und ich habe dargelegt, warum ich glaube, dass wir in Afghanistan zwar auch mehr Truppen, aber vor allem einen neuen gemeinsamen Ansatz brauchen, der auch Gespräche mit Stammesführern beinhaltet, die wir von den Taliban weg hin zu uns lotsen müssen.

Und siehe: Ich bin nicht ausgebuht worden, auch von den Konservativen nicht. Es gab Skepsis, aber ich bin auch nicht übermässig optimistisch, dass nun alles gut wird.

Durchhalteparolen habe ich von niemandem gehört. Es ist allen klar, dass der Westen auf vielen Gebieten nicht gut dasteht und wir einen „Reboot“ brauchen.

Ich habe auch Angela Merkels Zögerlichkeit bei der Frage Stimulus/ Konjunkturprogramm/ Steuererleichterung verteidigt. Merkwürdige Rolle: Gegenüber einem eher konservativen Publikum die Fahne des fiskalisch Konservativen hochzuhalten, während die Amerikaner alles darauf setzen, das Geld billig zuhalten und den Konsum anzukurbeln, ohne Rücksicht auf das Defizit.

Auf einmal bist Du der Konservative, dachte ich, und das in Dallas!

 

Oui, on peut

Er kennt einfach keine Scham. (Gefunden in Paris.)

p.s. Halt, Stop, ich nehme alles zurück: Es handelt sich offenbar um eine subversive Aktion gegen Sarko!

Danke an Gero von Randow, unseren neuen Paris-Korrespondenten, für diesen Hinweis.

Nur scheint die Aktion völlig nach hinten los zu gehen, weil sich niemand für die Kritik an Sarkozy interessiert und viele Passanten (wie ich auch!) es ihm wahrscheinlich sofort zutrauen, so für sich zu werben.

Und was wollen die kritischen Künstler eigentlich sagen? Dass er nicht so ist wie Obama? Boaah!

Dank an Andrew Sullivan.

 

Tod im Wal-Mart: Amerikanisches Krisentagebuch XI

Black Friday ist der Tag nach dem großen amerikanischen Familienfest Thanksgiving. Traditionell wird dieser Tag, an dem die meisten Menschen hier frei haben, als Beginn der Weihnachtseinkaufsaison betrachtet. Die großen Ketten locken die Kunden mit starken Rabatten. Mancherorts stehen die Leute schon vor 5 Uhr morgens an, um sich die wenigen Sonderangebote nicht entgehen zu lassen.

In einem Vorort New Yorks ist ein 34 jähriger Angestellter heute morgen von einer hysterisierten Masse von Schnäppchensuchern zu Tode getrampelt worden. Jdimypai Damour, aus Jamaica, Queens, war ein Zeitarbeiter in dem dortigen Wal-Mart. Um kurz vor 5 stand er mit anderen Angestellten im Eingangsbereich des Ladens, als die ca. 2000 wartenden Verbraucher gewaltsam die Türen eindrückten. Er wurde niedergerempelt, und Hunderte stürmten über ihn hinweg zu den Sonderangeboten. Die Polizei wurde sogar noch behindert, als sie lebensrettende Massnahmen einleitete. Um kurz nach 6 wurde Damour in einem lokalen Krankenhaus für tot erklärt.

Welch eine Barbarei. Und das in einem Land, das sich in der größten Kreditkrise seiner jüngeren Geschichte befindet, ausgelöst durch einen sinnlosen Konsumrausch auf Pump.

„People did not stop to help the employee as he lay on the ground, and they pushed against other Wal-Mart workers who were trying to aid Mr. Damour. The crowd kept running into the store even after the police arrived, jostling and pushing officers who were trying to perform CPR, the police said.

“They were like a stampede,” said Nassau Det. Lt. Michael Fleming. “Hundreds of people walked past him, over him or around him.”

Es gibt für manche Leute keine Bremse mehr bei der Jagd nach dem besten Deal. Am Tag nach einem Fest, das an die beste amerikanische Tradition erinnert, an Gemeinschaftsgeist, Familienwerte, an das Teilen und das Danksagen (zueinander und zu Gott), geben sich Massen von Menschen einer gewissenlosen Gier hin.

Sind die gleichen Leute, die mit ihren ausgereizten Kreditkarten, auf Pump gekauften SUV’s und haltlos finanzierten Häusern sich selbst und die Welt in den Ruin gerissen haben,  am morgen nach Thanksgiving schon wieder im Kaufrausch?

Ein unterbezahlter Teilzeitarbeiter kommt ums Leben. Und trotzdem schleppt man weiter günstige Flachbildschirme nach Hause. Unbegreiflich.

Drei weitere Kunden wurden auch verletzt. Und eine 28jährige, die im achten Monat schwanger ist, mußte unter ärztliche Beobachtung.

Im übrigen liebe ich Amerika. Aber einfach ist das derzeit oft nicht.

 

Was der Bailout wirklich kostet

Einige hilfreiche Zahlen, damit man beurteilen kann, mit welch einer Art von Ereignis wir es hier zu tun haben.

Der „Bailout“ (Wort des Jahres) ist teurer als der Zweite Weltkrieg.

Er kostet mehr als der Marshall Plan, der Vietnamkrieg, das Mondprogramm, der Koreakrieg, der Irakkrieg, die NASA und der New Deal – zusammen!

If we add in the Citi bailout, the total cost now exceeds $4.6165 trillion dollars. People have a hard time conceptualizing very large numbers, so let’s give this some context. The current Credit Crisis bailout is now the largest outlay In American history.

Jim Bianco of Bianco Research crunched the inflation adjusted numbers. The bailout has cost more than all of these big budget government expenditures – combined:

• Marshall Plan: Cost: $12.7 billion, Inflation Adjusted Cost: $115.3 billion
• Louisiana Purchase: Cost: $15 million, Inflation Adjusted Cost: $217 billion
• Race to the Moon: Cost: $36.4 billion, Inflation Adjusted Cost: $237 billion
• S&L Crisis: Cost: $153 billion, Inflation Adjusted Cost: $256 billion
• Korean War: Cost: $54 billion, Inflation Adjusted Cost: $454 billion
• The New Deal: Cost: $32 billion (Est), Inflation Adjusted Cost: $500 billion (Est)
• Invasion of Iraq: Cost: $551b, Inflation Adjusted Cost: $597 billion
• Vietnam War: Cost: $111 billion, Inflation Adjusted Cost: $698 billion
• NASA: Cost: $416.7 billion, Inflation Adjusted Cost: $851.2 billion

TOTAL: $3.92 trillion

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That is $686 billion less than the cost of the credit crisis thus far.

The only single American event in history that even comes close to matching the cost of the credit crisis is World War II: Original Cost: $288 billion, Inflation Adjusted Cost: $3.6 trillion

The $4.6165 trillion dollars committed so far is about a trillion dollars ($979 billion dollars) greater than the entire cost of World War II borne by the United States: $3.6 trillion, adjusted for inflation (original cost was $288 billion).

 

Go figure: WWII was a relative bargain.

Quelle

 

Amerikanisches Krisentagebuch X

Jetzt fängt die Krise an, auch ganz oben weh zu tun. New York Magazine hat die Restaurantkritikerin Gael Greene herausgeschmissen, weil man sich die ca.  50.000 Dollar Autorenhonorar im Jahr nicht mehr leisten kann. Gael Greene hat über 40 Jahre für das Blatt gearbeitet und die moderne amerikanische Verehrung des „Chefs“ (Meisterkochs) begründet. Sie ist ein Original, das als Vorlage für die Heldinnen von Sex and the City hätte dienen können. Sie war nicht nur eine begnadete Schreiberin über Gaumenfreuden, sondern auch allen anderen sinnlichen Genüssen zugetan. Die beiden großen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts, hat sie einmal treffend beobachtet, sind „Küchenkunst und Klitoris“.

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Der neue ökonomische Chef-Berater des kommenden Präsidenten, Larry Summers, war bis vor zwei Jahren Präsident von Harvard. Dort mußte der seinen Hut nehmen, weil er etwas Inkorrektes über die mangelnde Häufigkeit von Frauen in den harten Wissenschaften gesagt hatte. Nun kommt er zurück, und zwar mit Macht: Er wird ein entscheidender Einflüsterer des Präsidenten sein, und zwar beim wichtigsten Thema. Summers galt als ein wirtschaftlich eher liberaler Demokrat. Er war an der Deregulierung unter Clinton in den 90ern beteiligt. Unterdessen ist er nach links gerückt und hat die Ungleichheit als das große Thema entdeckt. Um zu erläutern, wie sich die amerikanische Gesellschaft auseinanderentwickelt hat, erzählt er gerne folgendes Gedankenexperiment:

 To undo the rise in income inequality since the late ’70s, every household in the top 1 percent of the distribution, which makes $1.7 million on average, would need to write a check for $800,000. This money could then be pooled and used to send out a $10,000 check to every household in the bottom 80 percent of the distribution, those making less than $120,000. Only then would the country be as economically equal as it was three decades ago.

(Jeder Haushalt aus dem oberen 1 Prozent (durchschnittlich 1,7 Mio $ Jahreseinkommen) müßte einen Scheck über 800.000 $ schreiben. Dann könnten die unteren 80% der Bevölkerung je 10.000 $ davon bekommen. Und dann wäre man bei der selben Einkommenverteilung, die vor dreißig Jahren herrschte.)

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Harvard hat einen Einstellungsstopp in der Fakultät für Künste und Wissenschaften verkündet. Harvard finanziert sich zum wesentlichen Teil (ausser durch Gebühren von ca. 50.000 $ pro akademischem Jahr) durch seine Stiftung. Letztes Jahr betrug das Stiftungsvermögen 36,9 Mrd. $. Nun sind allerdings bei amerikanischen Universitäten bis zu 35 % des Stiftunsgvermögens in riskanten Investments angelegt – Hedge Fonds, Immobilienfonds, Risikokapitalanlagen und Aktien. Und diese Werte sind rapide gefallen. Die Universitäten versuchen, einige dieser Werte zu verkaufen, doch zur Zeit gibt es keinen Markt dafür. Das nächste Jahr wird hart, selbst für Harvard.

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Das Paradox der jetzigen Lage: Amerika hat sich selbst und die Welt durch einen Zusammenbruch von Verantwortlichkeit auf allen Ebenen des (Witschafts-)Lebens in die Krise gerissen: Menschen, die dazu niemals ausreichende Mittel hatten, haben Häuser gekauft; andere Menschen haben ihnen sehenden Auges Kredite gegeben, die niemals eine Chance hatten, zurückgezahlt zu werden; wieder andere Menschen haben diese Schulden in attraktive Obligationen verwandelt, mit denen wiederum andere Menschen weltweit Handel trieben; wieder andere Menschen haben diese Schrottpapiere bewertet als seien sie bombensicher, um damit Geld zu machen; und schließlich haben wieder andere diese Papiere gekauft und damit spekuliert, als käme es nicht darauf an, dass der ganzen Wertschöpfungskette kein einziger Wert zugrunde lag. Und nachdem dieses Pyramidenspiel der Unverantwortlichkeit aufgeflogen ist, erwartet Amerika erstens, dass die Welt den Schaden finanziert, indem sie weiter Dollars kauft. Und zweitens hat die neue Regierung keine Wahl, als zu versuchen, den Kredit wieder zum Laufen zu bringen – in anderen Worten: die Leute zum Leichtsinn zu verführen. Warum macht mich das nervös?

 

Amerikanisches Krisentagebuch VIIII

Mein Nachbar gesteht mir nach Wochen, in denen man ihn kaum zu Gesicht bekam, dass er gefeuert wurde. Er war vier Jahre lang bei einer grossen Firma angestellt, die vor allem für das Verteidigungsministerium arbeitet. Im Staat Massachusetts wird erwartet, dass bis 2010 weitere 150.000 Jobs verloren gehen. Mein Nachbar gibt sich optimistisch. Er habe schon verschiedene Angebote. Aber es ist klar, dass dies eher schlechter bezahlte und unsichere Jobs sein werden.
Joe der Klempner, das Wahlkampfmaskottchen von John McCain, hat hingegen einen Vertrag über ein Buch an Land gezogen. Man kann es hier vorbestellen.

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Am Harvard Square, dem Herzen von Cambridge, wird „Out of Town News“ geschlossen – ein wunderbarer Kiosk mit internationalen Medien. Der Kiosk war seit vielen Jahrzehnten  eine Institution des geistigen Lebens in Harvard, ein Symbol der Weltoffenheit. John Kenneth Galbraith kaufte hier einst täglich „Le Monde“. Hier konnte man einfach alles bekommen, von afrikanischen Tageszeitungen bis zu deutschen Monatszeitschriften. Der Umsatz war in den letzten Jahren immer mehr zurückgegangen. Und die aktuelle Krise gibt dem angekränkelten Unternehmen den Rest. Das Internet trägt eine gewisse Mitschuld. 

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In der Kennedy School spricht John Lewis, der legendäre Abgeordnete aus Georgia, der noch mit Martin Luther King marschiert ist. Man begrüßt ihn mit stehenden Ovationen. Ein „wahrer amerikanischer Held“. „Ich weiß, dies ist ein akademisches Umfeld. Ich will mich bemühen, ruhig und gesetzt zu sprechen. Aber versprechen will ich Ihnen lieber nichts.“ Und dann hält er eine begeisternde Rede – besser gesagt Predigt – über den historischen Schnitt, den die Wahl Obamas für ihn bedeutet. Er erzählt von den freedom rides, an denen er teilgenommen hat, und von den Märschen in Selma, Alabama. Damals ging es darum, das formale Recht der Schwarzen im Süden tatsächlich durchzusetzen, an Wahlen teilnehmen zu dürfen. Drei Mal marschierten die Bürgerrechtler gewaltlos in Selma, um die Diskriminierung schwarzer Wähler anzuprangern und ihr Recht auf Registrierung zu erreichen. Sie wurden brutal zusammengeknüppelt. Wenn John Lewis von diesen Taten erzählt, die schon vier Jahrzehnte zurückliegen, ist das plötzlich alles nicht mehr so weit weg. Seine Stimme überschlägt sich, wenn er sagt: „Those same hands that used to pick cotton and peanuts in the South have elected Barack Obama the president. If somebody had told me then that I would live to see the day that this country would lay down the burden of race…“

Die Bürde der Rasse ablegen – das ist ein sehr treffendes Bild dafür, was mit diesem Land gerade passiert.  Ein junger weisser Mann, erzählt John Lewis, habe ihn kürzlich in Alabama spontan umarmt: „Congressman, the Civil War is over!“

Lewis endet seinen Vortrag mit den Worten: „Weisse und Schwarze sind auf verschiedenen Schiffen in dieses Land gekommen, doch jetzt sitzen wir im selben Boot.“

Fotos von  oben: Lewis am Boden liegend nach der Polizeiattacke am Bloody Sunday 1965 in Selma. Lewis und der Bürgerrechtler James Zwerg, nachdem sie von einem weissen Mob in Montgomery zusammengeschlagen worden waren. Lewis wird in Montgomery von Polizisten abgeführt. Congressman John Lewis heute.

 

 

Obamas erster Minister

…wird Tom Daschle im Fach Gesundheit. Das wird ein Schlüsselressort, denn Obama hat ja versprochen, weitgehende Krankenversicherung für alle einzuführen.

Ich hatte Senator Daschle im April in Berlin exklusiv für dieses Blog interviewt – über Obamas aussenpolitische Agenda.

Senator Tom Daschle und der „President elect“

 

Gründe für den Niedergang der Republikaner

Curt Anderson, ein republikanischer Stratege, der den neuen Hoffnungsträger Bobby Jindal berät, hat eine Analyse der Wahlmotive der Republikaner gemacht.

Anderson ist sichtbar sauer, als er an der Kennedy School of Government zu seinem Vortrag ansetzt: „Ich lese Ihnen mal eine Mail vor, die ich vom Vorsitzenden des Nationalen Komitees der Republikaner bekommen habe: ‚Liebe Freunde, während sich unsere Partei nach unserer knappen Niederlage…‘ Knappe Niederlage? Nein, so nicht!“ Anderson wirft seinen Blackberry verächtlich vor sich auf den Tisch: „Diese Leute haben nicht kapiert, was hier vor sich geht!“ 

Etwa ein Drittel der Wähler McCains, hat Anderson herausgefunden, hat ihn gewählt, um Obama zu verhindern. Nur zwei Drittel, in anderen Worten, waren von dem Kandidaten McCain oder seinem Programm selbst überzeugt.

Ein Drittel der republikanischen Wähler hatte den Eindruck, dass die Republikaner in Washington „ihre Werte“ verraten und Teil der Maschine geworden seien.

62 Prozent der republikanischen Wähler sagen, die Republikaner hätten ihre Macht im Kongress nicht genutzt, Korruption und Lobbyismus zu bekämpfen, wie sie es seit 1994 versprochen hatten.

Zwei Drittel der republikanischen Wähler sagten, die Partei sei nicht mehr die Partei des „small government“ und der Ausgabenbegrenzung.

Anderson meint aber seinen Ergebnissen ablesen zu können, dass das Land sich politisch-ideologisch nicht plötzlich nach links bewegt habe, auch wenn Obamas Sieg das suggeriere.

Was die Grundwerte der Mehrheit angeht, sei immer noch eine solide Basis für eine Beschränkung der Bundesregierung (i.e. Steuersenkungen), für starke Militärausgaben und für sozial konservative Meinungen (gegen „Drogen, Pornographie, Homoehe etc.“) vorhanden. Die Republikaner hätten hauptsächlich ein Glaubwürdigkeitsproblem, und es gebe keinen Grund, in Zukunft weniger konservativ zu sein und in der Mitte um Obamas Wähler zu konkurrieren.

Wenn das mal stimmt!

 

Amerikanisches Krisentagebuch VIII

Spam macht ein Comeback. Nicht im Sinne des Email-Mülls – nein, der Fleischersatz, der den belästigenden Emails seinen Namen gab, ist zurück auf amerikanischen Tellern. Die Büchsen der Marke „Crazy Tasty“ kosten $2.40 (bei 340 Gramm Inhalt). Spam ist eine glibberige, rosige, fleischartige Masse („Something posing as meat“, wie es der Volksmund verhöhnt) aus Schinken, zerkochtem Schweinefleisch, Gelatine und Gewürzen. Es wurde während der Great Depression erfunden. Bei Hormel, dem Haupthersteller in Minnesota, werden seit dem Sommer Doppelschichten gefahren. Einen solchen Boom wie jetzt hat man dort seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt.

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Der Bostoner Investment-Riese Fidelity Investments – größte Fondsmanagement-Firma der Welt –  wird bis zum nächsten Frühjahr 3.000 Angestellte entlassen. Das sind 7 Prozent der Belegschaft. Die Firma hat in den letzten Wochen einen 13-prozentigen Wertverlust der von ihr verwalteten Vermögenswerte hinnehmen müssen.

Die Verkausfszahlen für Damendüfte sind in den letzten vier Wochen (verglichen mit dem Vorjahr) um 39 % gefallen. Gefrorenes Gemüse (billiger als frisches) verkaufte sich hingegen um 48 % besser.

Die reichsten Bosse in den USA (die jeweils als Gründer der Firmen große Anteile an den Aktien halten), haben bis zum 27. Oktober 2008 folgende Verluste hinnehmen müssen: Warren Buffett 16 Milliarden Dollar, Larry Ellison (Oracle) 8 Milliarden, Steven Ballmer (Microsoft) 2,5 Milliarden, Jeff Bezos (Amazon) 4,3 Milliarden, Eric Schmidt (Google) 3,4 Milliarden, Rupert Murdoch (News Corp.) 2,5 Milliarden.

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Die LA Times, bei der ich mich wegen einer Archivrecherche angemeldet habe, bietet mit per Mail „großartige Gelegenheiten“ auf dem Immobilienmarkt in Nordkalifornien an. „Neue Enteignungen“ werden auf einer zentralen Auktion angeboten, die man online mitverfolgen kann. Häuser mit einem Listenpreis von 120.000 Dollar werden ab 40.000 Dollar angeboten. (Ich würde mein Auge auf dieses Haus in den Oakland Hills werfen, nahe dem Sequoia Country Club,  das ursprünglich 460.000 kosten sollte und jetzt ab 160.000 zu haben wäre.) Die Krise ist eine gigantische Umverteilungsmaschine. Wer jetzt noch Geld hat, kann Schnäppchen machen.

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Jeder will jetzt ran an den Bail-out-Fund des Henry Paulson. General Motors steht ja schon seit langem Schlange. Die Städte Philadelphia, Phoenix und Atlanta wollen 50 Milliarden Dollar aus dem Fond haben. Philadelphie wird Büchereien und Schwimmbäder schliessen und 2220 städtische Angestellte entlassen, um zu sparen. Aber es reicht hinten und vorne nicht. Die Times meint heute beobachten zu können, dass die Chancen für den größten Autohersteller der Welt sinken, dass er mit Steuergeld aus Paulsons Fond am Leben erhalten werden wird. Die Republikaner wollen die Firma offenbar sterben (Bankrott gehen) lassen. Bei manchen scheint dahinter der Glaube an kapitalistische Prinzipien zu stehen. Schlechte Management-Entscheidung müssen auch vom Markt bestraft werden. Schöpferische Zerstörung ist das A und O eines freien Marktes, etc. Nebenbei hätte die Sache noch den schönen Effekt, dass dem neuen Präsidenten Obama eine nationale Katastrophe in den Schoß fiele, gegen die der 11. September ein Klacks wäre.

Überhaupt interessant in diesen Tagen: Die Selbstzerstörungskräfte unseres Systems sind heutzutage offenbar viel größer als die äußeren Gefahren. Was wir uns durch eine falsche Risikokultur, schlechtes Management und durchgeknallten Konsumismus antun können, kann niemand überbieten, der in einer afghanischen Höhle sitzt.

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Im zweiten Quartal 2008 sind die Benutzerzahlen für öffentliche Verkehrsmittel um 5,2 % angestiegen (wegen der hohen Spritpreise). Bei Straßenbahnen sogar um 12,3 Prozent. Mehrer amerikanische Städte versuchen vom autozentrierten Verkehr umzusteuern auf die Öffentlichen, die meist in den 50er und 60er Jahren aus den Innenstädten eliminiert wurden (teilweise aufgrund von Lobbyarbeit der Autoindustrie). Die Tram, eine amerikanische Erfindung, ist die billigste Möglichkeit, neue Infrastruktur aufzubauen. Allerdings gibt es keine amerikanischen Trambauer mehr. Und darum kommen nun die Europäer zum Zuge, die weltweit Marktführer sind. Siemens hat in diesem Jahr zwei Megaprojekte in USA an Land gezogen: einen $277 Mio Vertrag in Utah, und einen für $184 Mio in Denver.