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Islamistischer Kulturkampf in Ägypten?

Die Tatsache, dass das islamistische Lager bei den Wahlen in Ägypten einen Zweidrittelsieg davonzutragen scheint, ist für alle Beobachter (innen wie außen) frappierend. Mit einem so eindeutigen Ergebnis hatte kaum jemand gerechnet. Die Muslimbrüder würden sehr gut abschneiden, das war klar. Aber dass die Salafisten auch derartig abräumen würden, hatten die wenigsten auf der Rechnung.

Nun sind zwei wichtige Fragen zu klären: Gibt es ein islamistisches „Lager“ – und ist das Ergebnis tasächlich so eindeutig? Mit anderen Worten: Um welche Art von Mandat des Wählers handelt es sich? Beziehungsweise: Wie werden die siegreichen Parteien es auslegen?

Die Muslimbruderschaft steht vor einer Wahl, die sie sich so wohl auch nicht vorgestellt hatte. Man war darauf eingestellt, nun endlich den Lohn für Jahrzehnte der Untergrundarbeit einzuheimsen und den Sieg über die verhassten Säkularen einzufahren. Das ist zwar einerseits gelungen, aber die Freude ist getrübt durch das erfolgreiche Abschneiden der Salafisten, die die MB gesellschaftspolitisch locker in allen Belangen rechts überholen. Die MB wird also überhaupt keine Zeit haben, sich als konservativer Anker der islamischen ägyptischen Gesellschaft zu profilieren. Sie wird sich von Anfang an als Partei der Mitte profilieren müssen – analog zu den konservativen christlichen Parteien Europas.

Oder: Sie macht gemeinsame Sache mit den Salafisten und rückt entschieden nach extrem rechts. Das würde aber möglicherweise ihre Stellung als Partei der konservativen Aufsteiger gefährden (der Ärzte, Ingenieure und Studenten), die schon aus eigenem wirtschaftlichem Interesse keine Isolation Ägyptens im Zeichen der langen Bärte und Pumphosen wünschen.

Wie sich die MB entscheidet (und ob sie das tut), wird die eigentliche Zukunftsfrage Ägyptens werden. Das gute Abschneiden der Extremisten zu ihrer Rechten ist für die Muslimbrüder jedenfalls eine hoch ambivalente Angelegenheit. Einerseits bestätigt es das eigene Weltbild von Ägypten als einem zutiefst islamisch geprägten Land. Andererseits zwingt es die MB zur Präzisierung ihrer politischen Vorstellungen im Kontrast zum Salafismus – und nicht zu denen der säkularen Kräfte, wie man es gewohnt war. Das kann unangenehm werden, denn nichts scheut man unter islamistischen Brüdern so sehr wie eine offene Debatte über den rechten Weg.

Einen Vorgeschmack kommender Kulturkämpfe im islamistischen Lager liefern die Vorgänge um die selbst ernannte religiöse Sittenpolizei junger Salafisten. Diese Komitees, die sich an den saudischen Moralwächtern orientieren, haben begonnen, Inhaber von Geschäften zu terrorisieren. Natürlich geht es gegen den Verkauf von Alkohol, gegen Glücksspiel und dergleichen. Aber auch Schönheitssalons sind schon ins Visier der Bärtigen geraten. In der Stadt Benha im Nildelta ist eine Truppe von Sittenwächtern von den Frauen verprügelt worden, wie Bikyamasr berichtet:

„when they burst into a beauty salon in the Nile delta town of Benha this week and ordered the women inside to stop what they were doing or face physical punishment, the women struck back, whipping them with their own canes before kicking them out to the street in front of an astonished crowd of onlookers. (…)

In addition to invading shops, the ‚morality police‘ also smashed Christmas trees and decorations in front of stores and malls, declaring the celebration of Christmas ‚haram‘ or forbidden. Salafi sheiks have also banned the sending of Christmas greetings, prompting the more moderate Muslim Brotherhood to broadcast messages of Christmas cheer to their Christian brethren.“

Eine interessante Situation ergibt sich daraus auch für die Al-Azhar-Universität, die vom ägyptischen Staat kooptierte und kontrollierte, viel zitierte „höchste sunnitische Autorität“. Genau wie die MB muss sie nun eine Haltung zu den Salafisten finden, die sich anschicken, den reinen Islam nach ihrem Verständnis mit Straßenterror und Einschüchterung per Bambusrute durchzusetzen.

„Sunni sheiks from Cairo’s respected Al Azhar mosque and university called an emergency meeting January 4 to discuss the problem, and declared that the Salafi morality police had no legitimate or legal authority on the street, according to Ahramonline.

Two days later, Egyptian former mufti Nasr Farid who was once responsible for issuing religious edicts or fatwas based on Sharia law agreed, stating that the young vigilantes were usurping state authority and did not have the jurisdiction to impose their concept of religious law.

In response, the group pointed to the al Nour party’s recent election triumph in which they won nearly 30 percent of parliament seats, as giving them a mandate to enforce Sharia law. They claimed they not only had the backing of members of Al Nour’s leadership council, but that al Nour leadership had in fact provided the funding to mobilize young volunteers.

The Al Nour party’s Facebook page however denied financing the group.

In a desperate effort to gain control of their public message, Al Nour party officials have tried to control the actions of their followers and silence individual Salafi sheiks, like Abdel Moneim el Shahat in conservative Alexandria, who has suggested covering the “obscene” figures on Egypt’s ancient monuments with wax.

The young members of the morality police held their first meeting this week, according to a report in the Al Masry Al Youm newspaper, ‚to determine the tasks and geographical jurisdictions of the first volunteers, who would monitor people’s behavior in the street and assess whether they contradicted God’s laws. Volunteers would wear white cloaks and hold bamboo canes to beat violators and later would be provided with electric tasers‘.“

Wie auch immer der Machtkampf im islamischen Lager ausgeht, eines scheint fest zu stehen: Für Ägyptens Frauen, für religiöse Minderheiten und säkular gesinnte Bürger kommen harte Zeiten.

 

Boualem Sansal im Visier der Islamisten (und des algerischen Regimes)

Ich habe gestern den algerischen Schriftsteller Boualem Sansal kennengelernt. Er war Gast bei einem deutsch-französischen Symposium über Migration und Integration in Genshagen. Ich habe ein Panel moderiert, an dem er teilnahm. Vorher kamen wir ins Gespräch.

Ich gratulierte ihm zum Gewinn des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Es war zu spüren, wieviel ihm diese Anerkennung bedeutet. Sansal, ein erfahrener Wirtschaftsfachmann, ist vom algerischen Regime aus dem Beruf gedrängt worden, nachdem er angefangen hatte, seine kritischen Schriften zu veröffentlichen. Für seine Freunde in der Demokratiebewegung Algeriens, sagte er, sei der Preis eine Bestätigung, dass die Welt Algerien nicht vergessen hat. (Ich habe lieber nicht widersprochen, obwohl ich da meine Zweifel habe; wer will schon über noch ein nordafrikanisches Land mit noch einem Autokraten etwas wissen; hier wünschen sich ja manche schon die nächste Runde Diktatur herbei – nach dem Motto: die Araber brauchen nun mal den Stiefel im Gesicht).
Vielleicht ist so ein Preis auch ein Schutz, gab er zu verstehen. Das Regime habe kein Wort über seine Ehrung verloren. Aber dann hat er mir etwas erzählt, das mich sehr schockiert hat, und das ich deshalb auch hier weitergeben möchte: Nach der Preisverleihung bei der Buchmesse seien auf Websites der algerischen Islamisten Bilder aufgetaucht, die sein Porträt ihn mit Schläfenlocken ultraorthodoxer Juden zeigen. Er sei ein „Zionist“, werde über ihn verbreitet, und „verdiene nicht zu leben“.
Ich fragte ihn, ob er Angst habe. „Ich denke darüber nicht nach. Wenn ich damit anfange, kann ich nicht mehr arbeiten.“ Heute fliegt er nach Algerien zurück. Radikale Kritik muss von innen kommen, sonst wirkt sie nicht, glaubt er.

 

Pakistanische Satire über Extremisten

Klasse! Pakistanische Rapper machen sich in Punjabi lustig über die Kultur der Paranoia, des Nationalismus und der religiösen Intoleranz, die ihr Land ergriffen hat.

 

 

 

Die New York Times erklärt:

The song rues the fact that killers and religious extremists are hailed as heroes in Pakistan, while someone like Abdus Salam, the nation’s only Nobel Prize-winning scientist, is often ignored because he belonged to the minority Ahmadi sect.

“Qadri is treated like a royal,” wonders the goofy-looking lead vocalist in the song, referring to Malik Mumtaz Qadri, the elite police guard who killed the governor of Punjab, Salman Taseer, in January after he challenged the blasphemy law.

Another line in the song, “where Ajmal Kasab is a hero,” makes a reference to the only surviving Pakistani gunman involved in the 2008 terrorist attacks in Mumbai, India. Still another line, “cleric tried to escape in a veil,” alludes to the head cleric of Islamabad’s Red Mosque — which was the target of a siege in 2007 by the Pakistani government against Islamic militants — who tried unsuccessfully to break the security cordon by wearing a veil.

The song even makes fun of the powerful army chief, Gen. Ashfaq Parvez Kayani, for extending his role for another three years. (…)

The popularity of the song on the Internet has made it a sensation across the border in India as well, surprising the band members, who have been incessantly asked whether they feel they have put their lives in danger by ridiculing the mighty.

There are certainly enough provocations to rile nationalists and conservatives. At one point in the music video, the lead singer holds a placard that reads, in English: “This video is sponsored by Zionists.”

 

Pakistans Kampf gegen den Terrorismus

Heute morgen gab es ein interessantes Hintergrundgespräch mit pakistanischen Militärs, Geheimdienstlern  und Politikern in Berlin. Es ging um die Sicherheitsinteressen des Landes, insbesondere im Bezug auf Afghanistan. Major General Ghayur Mahmood, der selber 2 Jahre lang eine Infanterie-Brigade in Nord Wasiristan kommandiert hat, führte das Wort. Für mich war es interessant zu hören, wie sehr sich die Pakistaner durch die zunehmende Kritik – vor allem aus Amerika – ins Unrecht gesetzt sehen.

Und die Zahlen des Generals waren in der Tat beeindruckend. 150.000 pakistanische Soldaten stehen an der Westgrenze zu Afghanistan. Aber auch sie können die über 2600 Kilometer gemeinsame Grenze mit Afghanistan nicht effektiv kontrollieren. Die Topographie sein ein „militärischer Alptraum“, sagte der General. Pakistan habe im Kampf gegen den Terrorismus 31.000 Tote zu beklagen, darunter 12.000 Soldaten. 290 Offiziere und 9 Generäle hätten bereits ihr Leben gelassen. Der ISI (Geheimdienst) hat 290 Tote zu verzeichnen, drei von 5 regionalen Hauptquartieren seien von den Terroristen angegriffen worden.

Der finanzielle Schaden des Kampfes gegen den Terrorismus für das Land wird mit 68 Milliarden US-Dollars beziffert. 1.7 Millionen Afghanen leben als Flüchtlinge in Pakistan, zeitweilig waren es bis zu 5 Millionen, und das in einem selbst bitterarmen Land. Der Krieg gegen die Terroristen bedeute eine besondere psychologische Belastung für die pakistanischen Soldaten, weil sie gegen die eigenen Landsleute (oder auch Stammesverwandten) kämpfen müssen.

Es sei sehr bedauerlich, dass die Rückeroberung des Swat-Tals durch die pakistanische Armee nicht gewürdigt worden sei: Die Region war bereits an die Taliban verloren, man habe diese entschlossen bekämpft und die Region von den Terroristen gesäubert. 2 Millionen innere Flüchtlinge hätten darum bereits zurückkehren können. Statt einer Anerkennung dieser Leistung unter großen Opfern gebe es nur Kritik und Verdächtigungen gegenüber Pakistans Armee, sie „spiele ein doppeltes Spiel“, während Pakistan in Wahrheit der Welt einen Dienst erweise.

Der General beklagte, dass die Drohnenangriffe zu viele Kollateralschäden hinterlassen und neuen Hass schüren, der sich auch gegen die Armee richte. Und man wundere sich schon sehr, dass zwar dauernd in Pakistan gebombt werde – wenn die Aufständischen sich aber über die unkontrollierbare Grenze zurückzögen, gebe es keine Drohnenangriffe auf sie. Die mangelnde Kontrolle auf afghanischer Seite sei ein großes Sicherheitsproblem für Pakistan. Bei einem Fall im April seien 500 bewaffnete Kämpfer nach Pakistan eingefallen, aus einem safe haven jenseits der Grenze.

Zur Frage des Abzugs aus Afghanistan bis 2014 war von verschiedenen Teilnehmern zu hören, man fürchte eine Wiederholung der Lage nach dem  sowjetischen Abzug: Bitte geht nicht ohne einen Plan und ohne das Vakuum zu füllen. Die afghanische Armee sei keineswegs in der Lage dazu. Sie sei auch ethnisch nicht genügend ausbalanciert, es gebe viel zu wenige Paschtunen darin. Die ANA gelte darum als anti-paschtunisch.

Ein anderer Kommandant zeigte zur Unterstreichung des guten Willens im Antiterrorkampf Bilder von einer Operation in den FATA-Gebieten. Man konnte eine Werkstatt zur Herstellung von IED’s sehen, erbeutete Waffen und tote Taliban. Der Helikopter, der die Operation von der Luft aus unterstützen sollte, musste notlanden. Er stammt aus dem Jahr 1986, als man die Pakistaner aufgerüstet hatte, damit sie den Mudschahedin gegen die Russen helfen konnten. Jetzt kämpfen sie gegen die Erben der Mudschahedin, aber immer noch mit den Waffen aus dem Kalten Krieg.

Selbst wenn man Abstriche macht – das Militär überall in der Welt pflegt über schlechte Ausstattung zu klagen – es ist etwas dran, dass die Welt einen schiefen Blick auf Pakistan wirft. Die Militärs fühlen sich von ihren Alliierten betrogen, weil ihr Land immer nur noch als Pulverfass und „gefährlichstes Land der Welt“ beschrieben wird.

Wir stehen an der Front eures Kampfes, den ihr nur noch von Langley aus mit dem Joystick führt. 300 Al-Kaida Führer und Kämpfer konnten dank der Informationen des ISI getötet worden. Unsere Soldaten sterben in diesem Kampf, sagte der General.

 

Die arabische Demokratie wird islam(ist)isch sein

Eine unvermeidliche Folge der arabischen Freiheitsbewegung wird die Islamisierung der Politik sein. Denn die repressive Säkularisierung (ja, ich weiß, ein problematischer Begriff, denn klar säkularistisch war keines dieser Regime, überall gab es die Einmischung des Staates in die Angelegenheiten der Religionen) durch autoritäre Herrschaft ist am Ende. Das heißt nicht, dass für alle Zeiten kein Säkularismus in der islamischen Welt möglich sein wird – der interessante Fall ist hier die Türkei. Aber zu einem Modell – oder zu Modellen – der Koexistenz von Staat und Religion wird man nur durch eine Phase der Renaissance des politischen Islams kommen.

Zunächst einmal ist das Ende der repressiven Säkularisierung für freiheitsliebende Menschen eine gute Nachricht. Die Unterdrückung der (politischen) Religion, mitsamt Folter, Entrechtung, Mord, ist vorbei. Eine Form der Religionsfreiheit – die Freiheit zur Religion im öffentlichen Leben – wird entsprechend Aufwind haben. Jedenfalls für die Mehrheitsreligion, den sunnitischen Islam. Aber: Das Schicksal der religiösen Minderheiten ist damit zugleich ungewisser geworden. Und wie es mit dem anderen Aspekt der Religionsfreiheit steht – der Freiheit von der Religion (von der Mehrheitsreligion, oder von jeglicher Religion im Fall von Atheisten) – das ist eine große Frage für alle Übergangsregime der arabischen Welt. Ausgang: offen.

Es gibt Anlässe zur Sorge: Wenn etwa der Vorsitzende des Übergangsrats in Libyen die Proklamation der Befreiung mit folgenden Sätzen krönt – „Männer, ihr könnt wieder vier Frauen heiraten! Denn so steht es im Koran, dem Buch Gottes. Ihr könnt beruhigt nach Hause gehen, denn ihr müsst nicht eure erste Frau fragen.“ Zinsen sollen übrigens auch verboten werden, weil sie unislamisch seien, so Mustafa Abdul Dschalil in Bengasi am letzten Wochenende. Oder wenn in Tunesien ein TV-Sender wegen der Ausstrahlung des Films „Persepolis“ angegriffen wird und der Senderchef um sein Leben fürchten muss angesichts eines aufgehetzten Mobs. Wenn in Kairo Dutzende Kopten massakriert werden und das Staatsfernsehen „ehrliche Ägypter“ auffordert, gegen Christen loszuschlagen. Wenn der Mörder der Kopten von Nag Hammadi, der für seine Bluttat zum Tode verurteilt wurde, als Held gefeiert wird: Was wird aus den religiösen (und anderen) Minderheiten in der befreiten arabischen Welt?

Trotzdem hilft alles nichts: Der politische Islam wird Teil des postrevolutionären politischen Spektrums in allen Ländern sein, die sich vom Joch befreien. Wie könnte es auch anders sein? Jahrzehntelang haben die Anhänger der islamistischen Bewegungen unfassliche Entrechtungen erlitten. (Man lese etwa die Romane von Ala Al-Aswani, der wahrlich keine Sympathien für den politischen Islam hat, aber dennoch die Märtyrer-Geschichten der Islamisten erzählt, die sich in Mubaraks Kerkern abspielten.) Wahr ist auch, dass sie machmal von den autoritären Regimen benutzt wurden: Man hat sie gewähren lassen, um die Linke und andere säkulare Kräfte zu schwächen. Man hat ihnen Spielraum gegeben, um sie dann immer wieder in Repressionswellen kleinzuhalten. Aber:  Sie haben unter schwierigsten Bedingungen überlebt, ihre Netzwerke aufrecht erhalten und sich in vielen Ländern um die Ärmsten gekümmert. Jetzt werden sie erst einmal als glaubwürdige Alternative dafür den Lohn einfahren.

Dass es auf Dauer ein Durchmarsch wird, ist nicht gesagt: Wo es andere Parteien gibt, ist das alte Spiel der Islamisten vorbei, sich als einzige Alternative zur autoritären Modernisierung von oben zu präsentieren. Und: Es ist nun nicht mehr mit Sprüchen wie „Der Islam ist die Lösung“ getan. Jetzt müssen Vorschläge vorgelegt werden, wie eine Wirtschaftspolitik, eine Sozialpolitik, eine Bildungspolitik aussehen würde, die die Länder aus dem Elend führt. Polygynie und Zinsverbot sind nicht die Antwort auf die Alltagsprobleme der Bürger, selbst der frommen.

Für die Beobachter in Europa stellt sich die Frage, wie sinnvoll der Begriff „Islamismus“ noch ist, wenn er Phänomene wie die türkische AKP, die tunesische Ennahda, die jemenitische Islah-Partei (mitsamt der Friedensnobelpreisträgerin), die ägyptischen Muslimbrüder ebenso wie die ihnen feindlich gesinnten Salafisten und möglicher Weise auch noch gewalttätige Dschihadisten von Hamas bis Al-Shabab bezeichnet. Zu erwarten sind noch weitere Differenzierungen im Laufe der kommenden Ereignisse. Der neue Parteienmonitor der Adenauer-Stiftung verzeichnet für die ägyptischen Wahlen alleine 13 (!) religiöse Parteien, und die Listen sind noch nicht geschlossen. (Sehr viel mehr säkulare und sozialistische, übrigens, was aber wieder nichts über die Wahlchancen der jeweiligen Lager aussagt.)

Ein instruktives Paper über die islamistischen Oppositionsbewegungen in Jordanien, Ägypten und Tunesien hat Karima El Ouazghari von der HSFK vorgelegt. Wie schwierig die Lage-Einschätzung selbst für Forscher ist, die vor Ort Gespräche führen, zeigt sich in dem Satz über die Ennahda-Partei. Weil sie in den Wochen des Umbruchs keine gewichtige Rolle gespielt habe, werde sie zwar versuchen, „ihren Platz im neuen Tunesien zu finden, doch wird sie dabei keine gewichtige Rolle spielen“. Das wurde offensichtlich schon vor Monaten geschrieben. Nach dem Wahlsonntag würde man das wohl kaum noch so sehen. Es kommt hier eine Täuschung zum Tragen, der viele Beobachter erlegen sind, und ich auch: Weil die Revolutionen nicht islamistisch geprägt waren, würden auch die Folgen dies nicht sein. So einfach ist das nicht. Islamisten werden eine wichtige Rolle spielen, und zwar wahrscheinlich in jedem Land eine andere. Eine Wiederholung des iranischen Falls ist wenig wahrscheinlich, wo die Islamisten schließlich alles übernahmen und die restliche Opposition terrorisierten, ermordeten und außer Landes drängten. Dies schon allein deshalb, weil der Iran als Modell so grandios gescheitert ist und die Parole vom Islam als Lösung diskreditiert hat.

Die interessanten Debatten der kommenden Zeit werden sich wahrscheinlich zwischen den verschiedenen Strängen des Islamismus – oder politischen Islams, oder islamisch geprägter Politik – abspielen, und nicht zwischen Islamisten und Säkularen (wie ich zunächst erwartet hatte). Soll es in Ägypten einen religiösen Rat der Ulema geben (eine Art religiösen Wächterrat der Politik), und wie weit sollen seine Kompetenzen gehen? Sollen tatsächlich Frauen von hohen Ämtern ausgeschlossen sein, wie es die konservativen Kräfte in der MB 2007 forderten? Oder passt das nicht mehr in die Post-Tahrir-Welt? Kann ein Kopte theoretisch Präsident von Ägypten werden?

Ein sprechender Moment der letzten Wochen war Erdogans Besuch in Kairo. Dort hat er für das türkische Modell eines säkularen Staates geworben. Die MB waren nicht sehr amüsiert. Das ist interessant: Der Vertreter eines modernen politischen Islams wirbt für die Trennung von Religion und Staat, und wird dafür von den Islamisten kritisiert, die sich sehr viel mehr Verschränkung von Religion und Staatlichkeit wünschen. Der im Westen als Islamist verdächtigte Erdogan findet sich plötzlich in der Rolle, von konservativeren Brüdern für seine paternalistische Einmischung kritisiert zu werden. Von den Türken will man sich kein Gesellschaftsmodell aufdrängen lassen. Zu westlich. Willkommen in unserer Welt, Bruder Recep! (Auch den äpyptischen Militärs, die anscheinend mit den MB schon hinter den Kulissen koalieren, ist das türkische Modell sicher nicht so sympathisch, seit Erdogan das Militär immer weiter zurückgedrängt hat.) Zur entscheidenden Rolle des türkischen Modells gibt es ein sehr aufschlußreiches Interview auf Qantara.de mit der Soziologin Nilüfer Göle. Darin  sagt sie:

Göle: Ich denke, dass das, was Erdoğan zuletzt in Kairo in Bezug auf den Säkularismus sagte, ein sehr wichtiges Signal ist. Ich kann die Frage, ob seine Aussagen aufrichtig oder Teil einer versteckten Agenda sind, nicht beantworten, weil das hieße, sich auf bloße Verdächtigungen zu stützen; ich glaube aber, dass es ein wichtiger Moment in dem Sinne war, dass es ihm darum ging, nicht zu einem populistischen Diskurs beizutragen.

Wenn Erdoğan sagt, dass wir den Säkularismus neu interpretieren und wir ihn als post-kemalistischen Säkularismus verstehen müssten, dann erscheint dieser Säkularismus viel offener und kann alle unterschiedlichen Glaubenssysteme umfassen. Eine solche Definition des säkularen Staates erfordert die gleiche Distanz des Staates zu allen Glaubenssystemen, mit der die religiöse Freiheit auch für Nicht-Muslime gesichert werden kann. In Erdoğans Kairoer Rede sehen wir seinen Versuch, mit den Mitteln des Säkularismus einen Rahmen für die Rechte der Nicht-Muslime in der arabischen Welt zu definieren. Und in diesem Sinne hat diese Definition des laizistischen Staates, der eben nicht nur eine Reproduktion des kemalistischen Laizismus ist, durchaus das Potenzial, die autoritären Züge, die ihm eigen sein können, zu überwinden und die Tür zu einem post-säkularen Verständnis der religiös-laizistischen Kluft zu öffnen.

 

Ebenfalls in Qantara.de schreibt Khaled Hroub über Erdogans Moment in Kairo:

Erdogan hat den Islamisten in Kairo mitgeteilt, dass der Staat sich nicht in die Religion der Menschen einzumischen habe und zu allen Religionen denselben Abstand halten solle. Er müsse säkular sein, wobei Säkularismus nicht Religionsfeindlichkeit bedeute, sondern der Garant für die freie Religionsausübung aller sei. Der Staat, den die arabischen Islamisten im Sinn haben, ist ein religiöser Staat, der jedem Individuum die Religion aufzwingt und natürlicherweise nur eine einzige Auslegung der Religion kennt.

Welcher der von den heutigen Muslimbrüdern oder Salafisten vorgeschlagenen islamischen Staaten würde denn die völlige Freiheit der anderen Religionen und Überzeugungen, wie Christentum, Judentum, Hinduismus oder Sikhismus akzeptieren? Welche dieser Staaten würden den islamischen Konfessionen, die den jeweils herrschenden Islamisten nicht passen, wie z.B. den diversen schiitischen Schulen, den Ismailiten, der Bahai-Religion, der Ahmadiyya-Bewegung usw., Freiheit und Sicherheit gewähren?

Ist es nicht eine Schande, dass im Westen unter den Bedingungen des Säkularismus die Muslime aller Konfessionen in Frieden und gegenseitiger Achtung miteinander leben, während sie in jedem ihrer islamischen Länder daran scheitern, sozialen Frieden zu schaffen und sich gegenseitig zu achten?

Der Vorsitzende der Ennahda in Tunesien, Rachid Ghanouchi, beruft sich immer wieder auf das türkische Modell. Seine Partei will er im Sinne der AKP als moderne, demokratische Partei verstanden wissen, die analog zu den Christdemokraten ihre Werte aus der Religion zieht, aber keine Theokratie und kein Kalifat anstrebt und den Pluralismus bejaht. Allerdings waren das bisher alles Bekenntnisse aus der Opposition heraus, unter der Notwendigkeit, sich gegen den Verdacht zur Wehr zu setzen, man habe eine versteckte Agenda, die sich erst nach Wahlen zeigen werde. One man, one vote, one time? Bald wissen wir mehr.

 

 

 

 

Gibt es eine Zukunft für Christen in Ägypten?

Den bisher detailliertesten Augenzeugenreport von dem Massaker an den Kopten in Kairo hat Yasmine El Rashidi in der New York Review of Books abgeliefert. Es ist ein erschütterndes Dokument, das leider meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt, dass Ägypten in Gefahr ist, sich unter dem Druck der Islamisten, der Ex-Mubarak-Kräfte und des wütenden Pöbels zur Hölle für Andersgläubige zu wandeln.

Around 7:30 PM, I received text and Twitter messages that an announcer for State TV had on air called for Egyptians to go down and “defend the soldiers who protected the Egyptian revolution” against “armed Copts” who had opened fire and were killing soldiers. Looking around me, I could see that many of those gathered in the tight area around the TV building seemed to have responded to the call. Rough-looking men were arriving in groups; people said they were neighborhood thugs. They held bludgeons, wooden planks, knives, and even swords, and walked boldly into the chaos of burning cars, flying bullets, and glass. “We’ll kill any Christian we get our hands on,” one of them shouted. Someone tweeted that he was in the middle of what looked like a militia, “men with clubs and antique pistols.” Nearby, a young girl was harassed, and a mob assaulted a young Coptic couple, beating them and ripping their clothes. One of the perpetrators emerged from the gang with blood on his hands. “Christian blood!” he boasted. (The couple survived—rushed away by ambulance to be treated for wounds and possible fractures.)

For the next few hours, the violence ebbed and flowed between riot police, soldiers, Copts, and mobs. I could see clashes up on the bridge and was told that the army was chasing protesters through the streets of downtown. I was chased myself at one point, up a ramp. Young boys were also flocking in—many of them teenagers, some as young as nine or ten. They picked up rocks and threw them, challenging anyone to fight back, shrieking insults about Christians, and chanting for an Islamic state. Many of them looked familiar—the same youth I had seen gather outside the Israeli embassy a few weeks before, and at other protests in recent months that had turned violent. Soldiers looked on, many of them leaving the rowdy crowds to battle, while others tried to break up the mobs. The sirens of ambulances rushing to and from the area could be heard in all directions.

 Vivian and Michael

By 10 p.m., as the crackdown continued and dozens of box-shaped olive-green Central Security Forces trucks rolled in as reinforcement, 23-year-old Michael, the young Copt I had met in Shubra that afternoon, had been confirmed dead. Images and footage from the morgue taken by friends show him covered in a white sheet while his fiancée Vivian sobbed by his side, holding his hand, saying she wouldn’t leave him. He had been crushed beneath a twelve-ton APC. His legs had been almost severed and internal organs ruptured. Police then beat him as he lay on the sidewalk, Vivian begging them to have mercy as he gasped his last breaths. “You infidel,” they had screamed back at her.

 

Frau El Rashidi beschreibt auch, dass es für den Mörder an den Christen in Nag Hammadi, der kürzlich hingerichtet wurde, eine nach tausenden zählende Trauerprozession gab:

On Tuesday, as Copts were mourning their loved ones, the funeral procession of the executed gunman, El-Kamouny, marched through the streets of the southern city where he opened fire on Copts as they were leaving church on Christmas eve, killing six. Thousands of Muslims marched through the streets with his coffin. They chanted “La Illaha IlaAllah, La Illaha IlaAllah, El-Kamouny shaheed Allah” (There is no God but Allah, There is no God but Allah, El-Kamouny is a martyr of Allah). People cheered them on. El-Kamouny, in their eyes, was a hero.

Schande.

 

Warum die arabische Demokratie einem Angst und Schrecken einjagen kann

Zwei Ereignisse der letzten Wochen haben mich aufgewühlt: das Massaker an den Kopten in Ägypten, dem zwei Dutzend Menschen zum Opfer fielen, und die wütende Mob-Attacke auf einen tunesischen Fernsehsender, der Marjane Satrapis Film „Persepolis“ ausgestrahlt hatte.

Über die Ereignisse in Ägypten ist viel berichtet worden, ich kann mir die Einzelheiten sparen. Das Staatsfernsehen, obwohl es selbst mit zur Aufstachelung beigetragen hat, machte „äußere Mächte“ mit verantwortlich für die Geschehnisse. Auch manche der jungen Revolutionäre wollte gerne daran glauben, dass es irgendwelche agents provocateurs waren, die die Sache ins Rollen brachten: Salafisten, von den Saudis bezahlt; Mubarak-Anhänger; Agenten des Militärs, das die Revolution in Blut ersticken möchte. Ausschließen läßt sich das alles nicht.
Doch die Frage, die die Ägypter sich stellen müssen, ist: ob die Demokratisierung in ihrem Land, wie im gesamten Nahen Osten, zu einer Herrschaft des Mobs führen wird. Und der Mob geht eben in Krisenzeiten auf Minderheiten los. Die Christen im Irak haben das erfahren, als Saddams Herrschaft beseitigt war. Die Kopten waren schon zum Ende des Mubarak-Regimes ein beliebter Blitzableiter geworden. Nun droht ihre Lage unterträglich zu werden.

Und damit bahnt sich ein fürchterliches Paradox an – dass die Demokratisierung im Nahen Osten das Ende der religiös-kulturellen Viefalt dieser Region bedeuten könnte. Schon die Entkolonialisierung hatte – zusammen mit der Gründung Israels – den Exodus der Juden aus der arabischen und weiteren muslimischen Welt vorangetrieben. Nun droht den Christen, darunter vielen der ältesten Gemeinden überhaupt, das gleiche Schicksal. Auch das steckt dahinter, wenn die syrischen Christen sich hinter Assad stellen: sie fürchten, dass es ihnen in einem Bürgerkrieg an den Kragen gehen wird, weil sich alle darauf einigen können, dass sie die fremdesten Fremden im Lande sind, und dass sie zum Opfer einer ethnischen Säuberung werden könnten.
Der tunesische Vorfall ist ebenso beunruhigend, er wurde in unseren Medien kaum aufgegriffen: der Sender Nessma TV hatte Satrapis „Persepolis“ ausgestrahlt – die im Comic-Stil erzählte autobiografische Geschichte eines jungen Mädchens im Iran (und eines der großen Filmkunstwerke der letzten Jahre). Darin gibt es eine Episode, in der die junge Marjane sich mit Gott unterhält. In vielen tunesischen Moscheen war gegen den Film gehetzt worden, so dass sich in der letzten Woche ein Mob in der Hauptstadt zusammenfand. Salafisten stürmten den Sender und das Haus des Senderchefs. Dessen Haus wurde gar mit Brandsätzen angegriffen.

Die kleine Marjane streitet mit Gott. Screenshot: JL (der ganze Film kann hier auf Deutsch gesehen werden, die bewusste Stelle etwa ab der 20. Minute)

Die Islamisten hatten offenbar verstanden, dass Satrapis Kritik an den Zuständen im Iran auch auf das bezogen werden konnte, was bei ihrer Machtergreifung droht. In gewisser Weise war daher ihre wütende Ablehnung des Films erhellend und verständlich. Dass sich hunderte junger Männer mobilisieren lassen für eine Terrorkampagne gegen die Meinungs- und Pressefreiheit, ist aber erschreckend: Senderchef Karoui hat sich mittlerweile für die Ausstrahlung des Films entschuldigt: eine Schande für das neue Tunesien, obwohl man den Mann weißgott verstehen kann. Die vermeintlich gemäßigten Islamisten der Partei Ennahda haben sich zwar von den gewaltsamen Protesten distanziert und behauptet, sie träten für Meinungsfreiheit ein, aber der Wiener Standard zitiert deren Sprecher: „Wenn das Volk solche Aussagen nicht für richtig hält, dann können sie auch nicht toleriert werden. Man darf nicht religiöse Gefühle verletzen. (…) Sie gehen ja auch nicht mit einem Bayern-Trikot in den gegnerischen Block.“
Wenn das die Vorstellung von Zivilgesellschaft ist – Hooliganblocks, die sich berechtigt fühlen, jeden umzunieten, der „das falsche Trikot“ trägt – dann sehe ich schwarz für Tunesien. Ennahda werden bei den Wahlen am kommenden Wochenende übrigens große Chancen zugerechnet, stärkste Partei zu werden.

 

Ein iranischer Anschlag in den USA – geplant von einem Messie?

Ich hoffe wirklich inständig, dass Juan Cole nicht Recht hat mit seiner Vermutung, dass der angebliche iranische Plot zur Ermordung eines saudischen Diplomaten in den USA ein Hoax ist.

Wenn der Iran aber wirklich auf solche Verschwörer angewiesen sein sollte, wenn die gefürchteten Quds-Brigaden also tatsächlich mit solchen Losern zusammen arbeiten müssten, wäre das allerdings irgendwie auch beruhigend.

Aber so vieles an dem Hauptverschwörer Arbabsiar erscheint unglaubwürdig, dass es wirklich haarsträubend ist zu denken, dass die Achse des Bösen auf so einen zurückgreifen sollte.

Juan Cole:

I personally do not understand how the corporate media in the US can report the following things about Manssor Arbabsiar and then go on to repeat with a straight face the US government charges that he was part of a high-level Iranian government assassination plot.

It seems pretty obvious that Arbabsiar is very possibly clinically insane.

Here are the top 10 reasons that he cannot be Iran’s answer to 007:

10. Arbabsiar was known in Corpus Christi, Texas, “for being almost comically absent-minded”

9. Possibly as a result of a knife attack in 1982, he suffered from bad short-term memory

8. He was always losing his cell phone

7. He was always misplacing his keys

6. He was always forgetting his briefcase and documents in stores

5. He “was just not organized,” a former business partner remarked

4. As part owner of a used car dealership, he was always losing title deeds to the vehicles

3. Arbabsiar, far from a fundamentalist Shiite Muslim, may have been an alcoholic; his nickname is “Jack” because of his fondness for Jack Daniels whiskey

2. Arbabsiar used to not only drink to excess, but also used pot and went with prostitutes. He once talked loudly in a restaurant about going back to Iran, where he could have an Iranian girl for only $50. He was rude and was thrown out of some establishments.

1. All of his businesses failed one after another

The downward trajectory of Arbabsiar’s life, with his recent loss of his mortgage, all his businesses, and his second wife, along with his obvious cognitive defect, suggests to me that he may have been descending into madness.

I hypothesized yesterday that Arbabsiar and his cousin Gholam Shakuri might have been part of an Iranian drug gang. But after these details have emerged about the former, I don’t think he could even have done that. Indeed, I have now come to view the entire story as a fantasy.

That a monumental screw-up like Arbabsiar could have thought he was a government secret agent is perfectly plausible. I’m sure he thought all kinds of things. But that he was actually one is simply not believable.

OK, Qasim Soleimani, the head of the Qods Brigade special operation forces of the Iranian Revolutionary Guard Corps, may not be a nice man. But he is such a competent man that US officials in Iraq widely believed that he repeatedly outmaneuvered and defeated them there.

The allegation that Soleimani was running a hard-drinking incompetent with no memory and no sense of organization like Arbabsiar on the most delicate and dangerous terrorist mission ever attempted by the Islamic Republic of Iran is falling down funny.

 

Al-Kaida ist sauer auf Iran

In dem Al-Kaida-Hochglanzmagazin „Inspire“ (das sich vor allem an englischsprachige Dschihadis im Westen richtet) setzt sich die Propagandatruppe des Terrornetzwerks mit den Verschwörungstheorien des iranischen Präsidenten über 9/11 auseinander.

So etwas kann sich kein Satiriker ausdenken: Al-Kaida ist verschnupft, dass Achmadinedschad dem Netzwerk die Autorschaft an den Attentaten abspricht. Machmud A. ist bekanntlich der Überzeugung, die auch viele Politparanoiker im Westen teilen, dass die Amerikaner selber die Türme gesprengt haben, um einen Vorwand für die folgenden Kriege zu haben.
Die Dschihadisten drehen nun den Spieß um und attestieren dem Iraner Neid auf den tätigen Antiamerikanismus der Al-Kaida. Ihr quatscht nur, aber wir handeln, und wir haben die „größte Spezialoperation aller Zeiten vollbracht“. Das könnt ihr Schiiten nicht aushalten. Im übrigen habt ihr (Schiiten) den Amerikanern im Nordirak gegen Saddam geholfen. Und jetzt kommt ihr mit Verschwörungstheorien, um uns unsere größte Leistung kaputtzumachen:

The Iranian government has professed on the tongue of its president Ahmadinejad that it does not believe that al Qaeda was behind 9/11 but rather, the U.S. govern- ment. So we may ask the question: why would Iran ascribe to such a ridiculous be- lief that stands in the face of all logic and evidence?
Since the start of the Iranian revolution, Iran wanted to project an image of anti- Americanism. This would serve as a rally- ing call for the millions of Muslims around the world who despise America for its aggression against them. Iran played this card very well and garnered a lot of support among the Muslims as being the country that is willing to stand up to America.
If Iran was genuine in its animosity towards the U.S., it would be pleased to see another entity striking a blow at the Great Satan but that’s not the case. For Iran, anti-Americanism is merely a game of politics. It is anti-America when it suits it and it is a collaborator with the U.S. when it suits it, as we have seen in the shameful assistance Iran gave to the U.S. in its invasion of Afghanistan and in the Shi`a of Iraq, backed by Iran, bringing the American forces into the country and wel- coming them with open arms.
Therefore with 9/11, the Iranians saw a great operation that had brought dam- age to the U.S. like nothing they had ever dreamed of causing during their two decades in power. For them, al Qaeda was a competitor for the hearts and minds of the disenfranchised Muslims around the world. Al Qaeda, an organization under fire, with no state, succeeded in what Iran couldn’t. Therefore it was necessary for the Iranians to discredit 9/11 and what better way to do so? Conspiracy theories.
Iran and the Shi`a in general do not want to give al Qaeda credit for the greatest and biggest operation ever committed against America because this would expose their lip-service jihad against the Great Satan.

Ich fürchte, dass auch diese Intervention unsere westlichen Crazies nicht überzeugen wird, dass es nicht doch die Amis oder der Mossad waren.

Jedenfalls: Mit diesem Al-Kaida-Beitrag hat die Wirklichkeit die Satire eingeholt. Onion hat vor Jahren dieses Video veröffentlicht:

 

Mein unbewältigter 11. September

Einige Begegnungen in einem Jahrzehnt der Angst und des Irrsinns.

Es kommt alles wieder hoch in diesen Tagen.

Am 11. September war ich in der Türkei im Urlaub. Im Supermarkt bemerkte ich, dass fremde Leute miteinander bedeutungsvoll tuschelten. Etwas war passiert, und das Entsetzen war groß. Die Türken fühlten sich mitgemeint und angegriffen von den Attentätern, es gab keinerlei Schadenfreude, niemand machte „den Westen“ selbst verantwortlich (wie es später manche westliche Intellektuelle taten). Es gab sogar die Hoffnung, dass die Westler nun besser verstehen würden, mit wem man es zu tun hatte bei den radikalen Islamisten. Dass sich hier ein Konflikt anbahnen würde, den manche bald schon im Muster eines Zivilisationskonflikts zwischen dem Islam und dem Westen sehen würden – das schien in den ersten Tagen in der Türkei undenkbar.

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Ein paar Wochen später war ich für eine Woche im Iran, in Teheran und Isfahan. Ich hatte lange verabredet, mit einem deutschen Künstler das Land zu bereisen, der dort die erste westliche Ausstellung seit der Revolution zeigen durfte, und zwar im Teheraner Museum für moderne Kunst, einer Errungenschaft der Schah-Zeit. Als ich in der Nacht des Sonntags, des 7. Oktober 2001, am Teheraner Flughafen in ein Taxi stieg, begrüßte mich der Fahrer mit den Worten: Sie haben gerade begonnen, Afghanistan zu bombardieren.
Es herrschte gefasste Ruhe in Teheran, viel mehr als im aufgeregten Berlin, wo gegen den Krieg demonstriert wurde. Die Chatami-Regierung hatte die Hoffnung, durch den Anti-Terror-Krieg aus der Isolation zu kommen. Das zerschlug sich schnell, als auch die vom Iran gesponserte Hisbollah auf die Liste der Organisationen geriet, die im Global War on Terror isoliert und besiegt werden sollten. Die Iraner sahen mit einer Genugtuung, die mich überraschte, die Vernichtung der Taliban kommen. „Wir hätten es irgendwann selber tun müssen„, sagte ein Teheraner zu meinem Erstaunen. „Wir leiden indirekt unter deren Regime, sehen Sie nur all die Flüchtlinge aus Afghanistan hier im Land – und all die Drogen, die hier eingeschmuggelt werden und die Jugend kaputt machen.
Damals schien es nicht denkbar, dass die Sache dazu führen würde, dass Iran einerseits viel mächtiger werden würde durch Amerikas Kriege, andererseits aber zu einem isolierten Paria-Staat wie später unter Ahmadineschad mit seinem Israel-Hass. Eine Frau in Teheran schockte mich mit diesem Kommentar zum Krieg in Afghanistan: „Ja, diese verdammten afghanischen Bauern sind amerikanische Bomben wert, aber für uns Iraner tut ihr nichts.“

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Als ich aus dem Iran zurückgekehrt war, fragte mich unser Büroleiter Gunter Hofmann, der über sehr gute Verbindungen ins Schröder’sche Kanzleramt verfügte, ob ich mir vorstellen könnte, mal zu einer informellen Gesprächsrunde dorthin zu gehen. Es gehe um eine Art Brainstorming über das Thema des islamistischen Terrors, und schließlich hätte ich ja gerade auch Anschauung aus dem Iran und könnte vielleicht Interessantes über die Debatte dort beitragen. Ich sagte zu, wenn auch mit mulmigem Gefühl, war ich doch kein Experte. Ich stellte mir vor, dass da wahrscheinlich eine Reihe anderer Kollegen anwesend sein würden, die ebenfalls mehr Experten für die deutsche Öffentlichkeit als für den islamistischen Terror wären. Was sollte schon sein? Es wäre interessant zu sehen, wie das Kanzleramt nur Wochen nach den Anschlägen so tickte.
Steinmeiers Büroleiter Stephan Steinlein rief mich an, ob ich mal am Sonntagmorgen ins Kanzleramt kommen könnte – und übrigens, wen könnte man denn noch zum Thema Islamismus einladen?
Die Frage ließ mich stutzen, ich empfahl für den deutschen Kontext Werner Schiffauer wegen seiner Feldstudien über den „Kalifatstaat“ und Milli Görüs. Aha, interessant, bis Sonntag dann.
Sonntagmorgen im Kanzleramt wartete ich mit Professor Schiffauer darauf, dass man uns nach oben bringen würde. Außer uns war niemand da. Die anderen seien wohl sicher alle schon drinnen, vermuteten wir. Steinlein kam und führte uns in die oberste Etage, allerdings nicht in einen der üblichen Besprechungsräume, sondern in einen Bereich voller Beamter der Sicherheitsdienste. Ein U-förmiger Tisch war gedeckt, ihm gegenüber zwei Plätze, auf die Schiffauer und ich verwiesen wurden. Dann traten einige Herren aus einem anderen Raum hinzu, und mir wurde nun sehr mulmig: BND-Chef August Hanning, Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau, Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm und der Uwe-Karsten Heye, Schröders Sprecher, grüßten und setzten sich. Man warte noch auf Kanzleramtschef Steinmeier, dann könne das Hearing losgehen. Und da wurde mir klar: Es gab keine Kollegen, das hier war keine Hintergrundplauderrunde, es war ein Expertenhearing, und die Experten waren: Professor Schiffauer und ich. Zu dieser Zeit tagte regelmäßig die „Sicherheitslage“ der versammelten Dienste im Kanzleramt, weil man auch in Deutschland täglich mit Anschlägen rechnete.
Das hatten die Herren gerade hinter sich gebracht, nun sollte beim Lunch Experten-Input geliefert werden. Es kamen sehr gezielte Fragen zur radikal-islamischen Szene in Deutschland. Vor allem Steinmeier war sehr gut vorbereitet, wollte zum Beispiel wissen, wie sich die türkischen Islamisten von den arabischen Netzwerken unterscheiden, wo sie zusammenarbeiteten, wie militant sie jeweils seien, wo die ideologischen Unterschiede lägen etc. Hinter ihm an der Wand hing eine Karte Afghanistans mit zahlreichen Markierungen und Fähnchen drin.
Ich war dann doch recht froh, Professor Schiffauer an meiner Seite zu haben! Dennoch bin ich tausend Tode gestorben. Meine Eindrücke aus dem Iran konterte Hanning mit Sätzen, die so begannen: „Unser Mann in Isfahan berichtet aber, dass beim Freitagsgebet…“

Fromm saß die ganze Zeit mit mürrischem Blick dabei, rauchte eine nach der anderen und sagte nichts. Der hat dich durchschaut, dachte ich, der weiß, was das hier für ein Hochseilakt ist, der langweilt sich. Dann meldete er sich zu Wort: „Ich will jetzt mal bitte eines von den Herren wissen – sollen wir Milli Görüs weiter unter Druck setzen und verbieten oder nicht?“ Ich ließ Schiffauer den Vortritt. Er war für eine eher kooperative Linie, weil er die Gruppe nicht für gefährlich hielt. Ich plädierte für ein hartes Engagement, die Gruppe müsse sich nun entscheiden und klar von den politischen Zielen des Islamismus lossagen. Es wurde eine recht muntere Debatte, und ich habe nachher nie Klagen gehört. Aber als ich das Kanzleramt verließ, hatte ich ein taubes Gefühl, so wie ein Fußgänger, der beim Überschreiten der Straße knapp einem Lastwagen entgangen ist, der ihn nur um Zentimeter verfehlt hat.
Kann es sein, dass die im Kanzleramt so absolut keine Ahnung hatten, wen sie fragen sollten bei dem Thema? Dass die von selber nicht einmal auf den Professor Schiffauer gekommen wären?
Es war wohl damals so. Die Politik war ganz und gar geschockt und überrascht von dem Thema, und ich war mitten hinein geraten in einen der Orientierungsversuche. Immerhin, Schaden habe ich offenbar nicht angerichtet.
Das war mein kurzes Leben als Kanzlerberater.
Später hat das Kanzleramt einen eigenen Experten eingestellt, einen erstklassigen Kenner Saudi-Arabiens und des Al-Qaida-Terrorismus. Ich bin bis heute dankbar für den Einblick dieses Sonntagmorgens, und ich würde ihn allen Verschwörungstheoretikern gerne gönnen.

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Ende 2003 besuchte ich einige amerikanische Intellektuelle, um über die US-Debatte zum bevorstehenden Irakkrieg zu berichten. Mark Lilla, ein konservativer Kriegsskeptiker, den ich aus seinen Berliner Tagen kannte, machte mich auf seinen Freund Paul Berman aufmerksam, einen der führenden „linken Falken“. Paul verteidigte Bush gegen seine linken Freunde („Bush is not the enemy“) und er hatte gerade ein Buch geschrieben, in dem er erklärte, warum die Linke den Kampf gegen den Terrorismus der al-Qaida unterstützen musste – und warum sich hinter diesem Konflikt noch ein viel größerer verbarg.
Er leitete den neuen Totalitarismus der islamistischen Gefahr aus eindringlichen Analysen der Schriften von Sayid Qutb her, dem intellektuellen Vater der Muslimbruderschaft – und aus der Geschichte der Baath-Partei mit ihrem national-sozialistischen Programm zur Befreiung der Araber. Die Fusion dieser beiden Strömungen war in Pauls Sicht in Saddam Husseins Irak gegeben – Baathismus und Islamismus vereint im Kampf gegen den Westen. Gab es nicht Beweise für die Zusammenarbeit von Saddam und al-Qaida? Und selbst wenn nicht, stellten beide doch eine tödliche, islamofaschistische Gefahr dar, so schlimm wie im Kalten Krieg der Sowjetkommunismus.
Paul konnte den Beweis für diese Gefahr aus seinem Fenster in Brooklyn sehen, in Gestalt der Lücke, wo einst die Türme gewesen waren. Er war am 11. 9. zum Augenzeugen der Zerstörung des World Trade Center geworden. Wir trafen uns in einer Sushi-Bar in Manhattan und haben uns sofort gut verstanden. Paul erzählte von seinen kommunistischen Vorfahren, jüdische Einwanderer aus Russland, von seinem eigenen früheren Trotzkismus, von seiner allmählichen Gegnerschaft zur loony left, zur verzweifelten Michael-Moore-Linken. Ein linker, liberaler, anti-totalitärer Bush-Verächter und Kriegsbefürworter: Ich war begeistert. Auf dem Rückflug aus New York las ich sein druckfrisches Buch, das auch mich für den Irak-Krieg einnahm.

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Ich begann, mich für die irakische Diaspora zu interessieren. Ich las Kanan Makiyas Buch über Saddams Irak, Republic of Fear. Es schien Paul Bermans Sich zu bestätigen. Ich nahm zu Makiya Kontakt auf, der damals an der Brandeis University lehrte. Wir machten ein Interview über den geplanten Krieg, in dem ich kritische Fragen stellte, während er die Gründe für eine Intervention stark machte.
Er erwischte mich kalt mit dem Punkt, dass auch die Deutschen durch eine Invasion mit anschließendem nationbuilding in die Welt der zivilisierten Völker zurückgeholt worden waren. Ich fühlte mich mit meinen Bedenken gegenüber der Modernetauglichkeit der Iraker ein wenig rassistisch. Heute erscheint mir dieses Argument ein ziemlich billiger Trick.
Kanan Makiya ging später nach Bagdad zurück, nachdem die schlimmsten Zustände nach der Invasion dort vorbei waren. Doch nach den Plünderungen kamen die ethnischen Säuberungen und der religiöse Bürgerkrieg. Es wurde die Enttäuschung seines Lebens für den säkularen Schiiten aus der irakischen Elite. Dass diese Gesellschaft so kaputt war, hatte er aus seinem Exil nicht sehen wollen – oder können.
Er war in einer Gruppe tätig gewesen, die für das State Department an Nachkriegsplänen gearbeitet hatte. Er schickte mir Materialien aus diesen Sessions, damit ich einen Artikel darüber schreiben könnte. Ich habe das nicht getan, weil anderen Redakteuren mulmig dabei zumute war, dass man hier möglicher Weise einer Propagandainitiative der Bushies aufsitzen würde.
Heute bin ich froh darüber, denn bald erzählte mir Kanan Makiya, dass die ganze Arbeit dieser Gruppe für die Katz war, weil das Pentagon nichts von nationbuilding hören wollte. Es passte einfach nicht zu Rumsfelds Idee von einem „schlanken Krieg“ aus der Luft.
Kanan ist eine tragische Figur, wie so viele Exilanten, die davon träumen, ihr Land zurück zu bekommen und dann feststellen müssen, dass es dieses Land gar nicht mehr gibt. Man nimmt den bösen Führer weg, und zum Vorschein kommt eine zerstörte Gesellschaft. Das werden wir auch hier und da in den arabischen Revolutionen sicher wieder erleben, wenn auch – hoffentlich – nicht so extrem wie im Irak.

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Ende 2004 wurde ich von Jeffrey Gedmin, dem Direktor des Aspen-Institus in Berlin, zu einer Tagung über Iran auf einen Landsitz nahe Avignon eingeladen. Ich kam mit Jeffrey gut klar, weil ich damals die Positionen der „linken Falken“ teilte, die den Krieg im Irak unterstützten. Der wohl vernetzte Neocon Gedmin sah meinesgleichen wahrscheinlich als nützliche Idioten der Bush-Politik. Und er hatte nicht ganz unrecht damit. Gedmin hatte einige seiner Washingtoner Freunde nach Frankreich eingeflogen, zum Beispiel den EX-CIA- Mann Reuel Gerecht, einen Iran-Experten, der zuverlässig für einen harten Kurs gegenüber Teheran stand. Und harter Kurs, das hieß nun Krieg.
Stargast des Tages war John Bolton, der damals Staatssekretär für Rüstungskontrolle war. Er wurde eigens mit dem Hubschrauber eingeflogen. Schnell wurde mit deutlich, dass hier gar nicht mehr über die eventuelle Notwendigkeit eines Krieges gegen den Iran debattiert werden sollte. Es ging eigentlich nur noch darum, die Europäer an den ohnehin geplanten Krieg heranzuführen. Ich war einigermaßen geschockt zu bemerken, dass unsere Freunde schon fest entschlossen waren, nach dem Irak nun das nächste Glied der Achse des Bösen zu bombardieren. Nackter Irrsinn. Eine Hybris, die man durch keine Einwände mehr erreichen konnte. Zweifel wurden weggewischt. Einwände, die Machbarkeit betreffend – mit zwei bereits laufenden Kriegen in Afghanistan und Irak, und jeweils unmenschlichen Aufgaben, was das nationbuilding betraf – wurden schnöde abgewiesen durch Kommentare wie: „We have lots of planes to bomb them to hell.“ (Reuel Gerecht) Auf die erschrockene Frage meiner Frau, die für die Welt an dem Treffen teilnahm, wie man denn zugleich einen neuen Krieg nebst Stabilisierung in Afghanistan und Wiederaufbau im Irak bewältigen wolle, sagte Bolton: „We don’t do nationbuilding. It was a mistake to start it in the first place.
Was hätte man denn sonst im Irak machen sollen? Bolton: „You go in. You hit them hard. You leave. And then it’s: Good bye and Good luck with your country!“

Wir verließen Avignon mit dem Gefühl einer drohenden Katastrophe. Und so ist es dann ja auch gekommen. Im Jahr darauf ging der Aufstand im Irak los. Iran hatte sich damit als Ziel vorerst erledigt. Alle Energie wurde nun für den Surge gebraucht. Tausende amerikanischer Soldaten haben mit dem Leben dafür bezahlt, und sicher auch Zehntausende Iraker.

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Im August 2006 traf ich Hazem Saghieh in London zum Interview. Er verantwortete damals die Meinungsseiten bei der liberalen panarabischen Tageszeitung Al Hayat und galt als einer der führenden arabischen Liberalen. Hazem war ein ursprünglich libanesischer Linker, der mit Entsetzen seit den Siebzigern den Aufstieg des Fundamentalismus in der arabischen Welt beobachtet hatte – und zugleich einer der schärfsten Kritiker von Autokraten wie Saddam Hussein oder Assad, die sich die Wut der arabischen Straße zunutze gemacht hatten.

Ich traf ihn kurz nachdem in London Pläne für große Attentate aufgedeckt worden waren, und wir sprachen über die ohnmächtige Wut der arabischen Jugend.
Hazem erzählte mir, dass er vor dem Irakkrieg zu einem Expertenhearing in einem regierungsnahen Thinktank eingeladen worden war. Man wollte dort über den Irakkrieg reden und sondieren, wie er wohl in der arabischen Welt aufgenommen werden würde.
Hazem warnte vor dem Krieg, obwohl seine Ablehnung von Saddams Terrorherrschaft außer Frage stand. Die Amerikaner, sagte er mir, erklärten sich damals die Lage in den arabischen Ländern analog zu der in Osteuropa im Kalten Krieg. Sie dachten, sie mussten nur die böse Herrschaft der Diktatoren loswerden, damit die gute, unterdrückte Gesellschaft sich endlich frei und demokratisch entfalten könnte.

„Aber so läuft es in unseren Gesellschaften in Nahen Osten nicht. Es gibt keine Zivilgesellschaft im Irak, die an die Stelle des bösen Herrschers treten kann. Osteuropa war lange während des Kalten Krieges in einer Art unglücklicher Liebe dem Westen und seinen Idealen verbunden. Bei uns ist das nicht so. Wir werden von der Tyrannei in den Bürgerkrieg übergehen.“
„Die haben mir zugehört da in Washington„, sagte Hazem, „höflich, aber ein wenig peinlich berührt. Ich wurde nie wieder eingeladen.“

Heute frage ich mich manchmal, was Hazem wohl über Tunesien, Ägypten und Libyen denkt, wo es nicht so finster zu kommen scheint, wie er zu Recht für den Irak befürchtet hatte.
Aber dort sind es ja auch Kräfte von innen, die die Tyrannen stürzen, wenn auch in Libyen mit äußerer Hilfe.
Was wohl Hazem zu alledem denkt? Er ist vor Jahren aus London zurück nach Beirut gegangen. Ich muss ihn mal wieder anrufen.