Kilcullen über Afghanistan (und Pakistan)

David Kilcullen ist der intellektuelle Kopf hinter der „Surge“-Strategie im Irak. Der australische Offizier und Antiterror-Spezialist, der die „Counterinsurgency“-Planung (Bekämpfung von Aufständen) modernisiert hat, wird nun auch zum Fall Afghanistan gerne angehört. kürzlich hat er vor dem Auswärtigen Ausschuss des Senats ein Statement abgegeben, das nun vom „Small Wars Journal“ publiziert wurde. Hier die wichtigste Passage:

Afghanistan is on the brink of failure. Violence is up 40% on last year and 543% on 2005. Large parts of the country, perhaps 70% of Afghan territory, are no-go areas for security forces and government officials. Narcotics production has coalesced into enormous tracts of poppy in Taliban-controlled areas, heroin production has spiked, government legitimacy is collapsing, food and water are critically short, the insurgency is spreading and intensifying, and the Afghan Presidential elections – scheduled for 23rd August, at the end of what promises to be a fighting season of unprecedented intensity – will bring everything to a head.

Kilcullen im Irak

Whatever our long-term strategy, if we don’t now stabilize the situation, stop the rot and regain the initiative, there will be no long-term. Once the situation is stabilized there will be time for the new administration to work through its strategic choices in concert with allies and the Afghan government. If we fail to stabilize Afghanistan this year, there will be no future.

To stabilize Afghanistan, we need a surge of political effort, we need a surge of civilian expertise and financial resources, and we need to re-focus the military and police on a single critical task: protecting the population ahead of the elections. The strategic aim for 2009 should be to deliver an election result that restores the government’s legitimacy, and with it the credibility of the international effort. Which candidate gets elected matters less than ensuring the outcome meets international standards for transparency and fairness. This is a huge task. To do it we need to stop chasing the Taliban around, and focus instead on protecting Afghans where they live, partnering with the Afghan people in a close and genuine way that gives them a well-founded feeling of security, and ensuring fair elections that restore hope for a better future.

This is the critical task for 2009.

Hier ein Interview mit Kilcullen über Irak aus dem Winter 2007.

 

Pakistan: Das Militär als Komplize der Extremisten

David Kilcullen, der von mir hier bereits mehrfach erwähnte Soldat und Counterinsurgency-Vordenker, hat gestern vor dem Militärausschuss des amerikanischen Kongresses ausgesagt. Sein Thema war die Lage in Pakistan, wo die Taliban immer näher an Islamabad heranrücken.

David Kilcullen (links, mit Sonnenbrille) im Irak

Kilcullens Bilanz ist niederschmetternd. Für die 10 Milliarden Dollar Militärhilfe seit 2001 haben die USA nichts bekommen, was für eine Verbesserung der Sicherheitslage spricht.  Im Gegenteil. Mit Hilfe oder stillschweigendem Komplizentum des Militärs und des Geheimdienstes gewinnen die Radikalen immer mehr Boden – in Pakistan und Afghanistan.

Kilcullens Liste der Ereignisse in seiner Zeugenaussage ist höchst alarmierend. Er schlägt vor, das Militär nur noch unter strengen Auflagen zu fördern und sich vielmehr auf den Aufbau der Polizei zu konzentrieren, die wesentlich wichtiger im Kampf gegen die Terroristen sei. Und ausserdem sei die Polizei der einzige Akteur, der wirklich „als Institution Aktien darin hat, Recht und Gesetz aufrecht zu erhalten, den Staatskollaps zu verhindern und den Extremismus zu bekämpfen, statt sich (wie das Militär, JL) auf den Kampf gegen Indien vorzubereiten.“

Seine Konklusion lautet: „Statt weiter vorzugeben, dass Pakistan ein schwacher, aber williger Partner gegen den Extremismus sei, müssen wir erkennen, dass (…) wesentliche Teile des pakistanischen Sicherheits-Establishments Komplizen des Feindes sind, sei es durch ihre eigene Unfähigkeit, unter Einschüchterung oder aus böser Absicht. (…) Unsere Hilfe für die Polizei zu erhöhen – und damit die Polizei effektiv zur primären Kraft der Aufstandsbekämpfung zu machen – während wir alle Hilfe für das Militär durch zivile Autoritäten leiten und dadurch größere Verantwortlichkeit erreichen, dies ist der richtige Weg. Im Jahr 2009 ist es zu spät für Prävention. Wir müssen den Verfall stoppen und im kommenden Jahr die Lage stabilisieren, um dann in der Folge Extremismus und Militanz zurückdrängen zu können.“

 

Mit dem radikalen Islam verhandeln?

 

Aus der ZEIT von morgen:

Es ist schon atemberaubend, wem auf einmal alles Gespräche angeboten werden: Mit den »moderaten Taliban« will Obama reden. Ohne »pragmatische« Teile von Hamas könne es keinen Frieden geben, sagen 14 angesehene Ex-Diplomaten. Die Briten sprechen jetzt offiziell mit dem »politischen Flügel« Hisbollahs. Amerikanische Senatoren eruieren beim Autokraten Syriens die Möglichkeit eines Friedens mit Israel. Und dann hat sich der amerikanische Präsident in einer spektakulären Videobotschaft an Iran gewandt, jenes Land, in dem immer noch Kundgebungen mit dem Ruf »Tod Amerika« enden. 

Obama, der die Wähler und die Welt mit seinem Idealismus gewann, offenbart sich außenpolitisch als radikaler Realist. In kaum sechzig Tagen hat er die herrschende Maxime der amerikanischen Politik seit 9/11 gekippt: Keine Verhandlungen, keine Gespräche mit dem politischen Islam. Ihr seid entweder für uns oder für »die Terroristen«. Und die bekämpfen wir mit Bomben, nicht mit Worten. Doch nun sind (fast) alle, für die bislang Kontaktsperre galt, gesuchte Gesprächspartner.

Denn eine große Ernüchterung hat eingesetzt. Die Bestandsaufnahme ergibt folgendes Bild: Der radikale Islam ist bis auf Weiteres ein Machtfaktor vom Maghreb über den Nahen Osten bis Pakistan. Die Islamisten haben Macht über die politische Einbildungskraft der Muslime gewonnen. Unsere Interventionen haben ihren Einfluss nicht gebrochen. Eher im Gegenteil. Der Islamismus lässt sich nicht wegbomben – weder aus Afghanistan noch aus Gaza. Er verschwindet auch nicht durch Modernisierung und Säkularisierung. Und es macht sich der nagende Zweifel breit, ob dies gerade wegen unserer Präsenz im Herzen der islamischen Welt so ist. Was tun? Rückzug? Raus, bloß raus?

Es darf keine schwarzen
Löcher mehr geben

In der vernetzten, globalisierten Welt wäre das eine fatale Option, wie der Fall Afghanistan zeigt: Denn der 11. September ist ja gerade dadurch möglich geworden, dass wir die Afghanen mit den Taliban allein gelassen hatten, nachdem sie die Sowjetunion besiegt hatten. Dass so etwas nicht wieder passieren darf, dass es keine schwarzen Löcher der Staatlichkeit mehr geben darf, ist unterdessen der Minimalkonsens darüber, was der Westen in Afghanistan erreichen muss. Alle anderen leuchtenden Ziele in dem kriegsgeplagten Land – Demokratie, Menschenrechte, Bildung – werden längst immer weiter abgedimmt. Und wenn Barack Obama nun gar von Abzugsplänen zu reden beginnt, liegt ein Hauch von Defätismus in der Luft.  Weiter„Mit dem radikalen Islam verhandeln?“

 

Al-Kaidas lohnendes Investment

Interessantes Faktoid:

„Die 9/11-Komission hat geschätzt, dass die Anschläge vom 11. September Al-Kaida zwischen 400.000 und 500.000 $ gekostet haben, plus die Trainingskosten für die 19 Entführer in den U.S. vor den Angriffen. Dies bedeutet, dass die 9/11-Angriffe die teuerste Terroroperation der Geschichte wären. Aber wenn man berücksichtigt, dass sie den Vereinigten Staaten direkte Kosten von 27.2 Mrd. $ verursacht haben, und dass die folgenden Operationen des „Kriegs gegen den Terrorismus“ mit etwa 700 Mrd. $  zu Buche schlagen (bis Mitte 2008), dann wird deutlich, dass die Kosten für Amerika bei weitem die von Al-Kaida übertreffen…“

aus: „The Accidental Guerilla“ von David Kilcullen, dem Buch zur Stunde. (Übersetzung JL)

 

Lernen, mit dem radikalen Islam zu leben

Ich habe heute eine Reihe von Texten gelesen, die mich zum Grübeln bringen. So viele, dass ich nocht lange nicht mit dem Grübeln fertig bin. Doch das Gute an diesem Medium hier ist ja, dass man die Begrübelungsgrundlage verbreitern kann, indem man andere dazu einlädt, an de eigenen unfertigen Gedanken teilzuhaben und mitzudenken.

Erstens stach mir dieser Bericht von Press TV ins Auge, in dem behauptet wird, das State Department betrachte sie russische Zusammenarbeit mit den Iranern am Atomkraftwerk Bushehr als im Rahmen des Nichtverbreitungsregimes erlaubte zivile Aktivität. Es wird der Sprecher des Aussenminsiteriums Robert Wood zitiert (den ich noch aus seiner Zeit als Sprecher der Berliner US-Botschaft kenne): 

Robert Wood said during a Wednesday press briefing that the trial start-up of the Bushehr nuclear plant in southern Iran is in the realm of peaceful use of nuclear energy. 

Und dann wird geschlußfolgert: Wood’s remarks indicated that Washington’s apparent approval was because fuel arrangements for the nuclear facility were made with Russia. 

Was bedeuten würde, dass die russische Kooperation mit Iran positiv gesehen wird, weil sie als Argument dazu herhalten kann, dass die Iraner keine eigene Anreicherung brauchen (ausser für Waffenzwecke, was Iran ja zu verfolgen bestreitet).

Das ist doch eine erstaunliche neue Position zu dem ganzen Iran-Russland-Atom-Komplex!

Zweitens las ich einen leidenschaftlichen Text von Roger Cohen in der Herald Tribune, in dem dieser sich wegen eines Reihe von Reportagen aus Iran gegen die Vorwürfe verteidigt, er habe sich von Regime  einseifen lassen, was seine milde Sicht des Landes beweise.

Unmittelbarer Anlass für diese Selbstverteidigung: Cohens Äusserungen zur Lage der Juden im Iran, die dort nach seiner Schilderung besser leben als in den meisten arabischen Ländern. (Läßt sich wohl kaum bestreiten.)  Nun geht Cohen in die Vollen und wendet sich in seiner neuen Kolumne gegen die Dämonisierung des Iran. Vor allem die dauernden Vergleiche des Iran mit dem Nazi-Staat weist er zurück, und zwar sehr zu Recht:

I was based in Berlin for three years; Germany’s confrontation with the Holocaust inhabited me. Let’s be clear: Iran’s Islamic Republic is no Third Reich redux. Nor is it a totalitarian state.

Munich allowed Hitler’s annexation of the Sudetenland. Iran has not waged an expansionary war in more than two centuries.

Totalitarian regimes require the complete subservience of the individual to the state and tolerate only one party to which all institutions are subordinated. Iran is an un-free society with a keen, intermittently brutal apparatus of repression, but it’s far from meeting these criteria. Significant margins of liberty, even democracy, exist. Anything but mad, the mullahs have proved malleable.

Das ist wichtig, bei aller Kritik an der iranischen Unterdrückung von Regime-Gegnern, Andersgläubigen und Frauen im Sinn zu behalten.

Und drittens beeindruckt mich ein neuer Essay von Fareed Zakaria in Newsweek mit dem Titel „Learning to live with radical Islam“. Zakaria sagt, wir müßten unterscheiden zwischen Islamisten, deren Agenda für die Durchsetzung der Scharia in ihren Gesellschaften wir zwar ablehnen mögen, die unsere Sicherheitsinteressen aber nicht gefährden, und denen, die sich als Teil eines globalen Dschihad gegen den Westen sehen.

In den letzten Jahren haben wir eine Perspektive eingeübt, in der diese Unterscheidung nicht gemacht wurde. Ja, es wurde geradezu zum Dogma, dass es unmöglich sei, zwischen verschiedenen Formen und Graden des Islamismus zu unterscheiden. Am Ende laufe alles aufs Gleiche hinaus.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der radikale Islamismus nicht verschwinden wird und nicht besiegt werden kann, wenn wir alle Islamisten in einen Topf werfen.

Wir müssen neue Prioritäten setzen: Unsere Hauptaufgabe ist es, den Bin-Ladenismus zu besiegen. Und in diesem Kampf sind nicht die moderaten Muslime (oder Ex-Muslime) unsere wichtigsten Verbündeten, sondern diejenigen Radikalen und Fundamentalisten, die sich nicht dem Dschihad gegen uns verschworen haben. 

Der „Surge“ im Irak hat aufgrund solcher Teufelspakte funktioniert, und in Afghanistan wird man ähnliche Koalitionen schmieden müssen, auch hier mit Gruppen, die uns zuwider sind. Es geht darum, die lokalen Militanten von den globalen Dschihadis abzuspalten und sie einzubinden in eine Lösung der Probleme des Landes. Zakaria zitiert David Kilcullen, den ich hier vorgestellt habe: 

„I’ve had tribal leaders and Afghan government officials at the province and district level tell me that 90 percent of the people we call the Taliban are actually tribal fighters or Pashtun nationalists or people pursuing their own agendas. Less than 10 percent are ideologically aligned with the Quetta Shura [Mullah Omar’s leadership group] or Al Qaeda.“ These people are, in his view, „almost certainly reconcilable under some circumstances.“ Kilcullen adds, „That’s very much what we did in Iraq. We negotiated with 90 percent of the people we were fighting.“

Für unsere einheimische Debatte über Islam und Radikalismus hat das auch Folgen: Wir müssen aufhören, auf Kopftücher und Burkinis zu starren, als sei erst dann Hoffnung in Sicht, wenn diese Markierungen religiöser und kultureller Differenz verschwunden sind.

Es wird ganz einfach nicht passieren, ob es einem passt oder nicht. 

Und wir müssen darum auch jede Form der Thematisierung vermeiden, die suggeriert, es gebe ein Kontinuum zwischen Kopftuch und Sprengstoffgürtel. 

Zakaria endet mit diesen Worten, die ich nur unterschreiben kann: 

We can better pursue our values if we recognize the local and cultural context, and appreciate that people want to find their own balance between freedom and order, liberty and license. In the end, time is on our side. Bin Ladenism has already lost ground in almost every Muslim country. Radical Islam will follow the same path. Wherever it is tried—in Afghanistan, in Iraq, in parts of Nigeria and Pakistan—people weary of its charms very quickly. The truth is that all Islamists, violent or not, lack answers to the problems of the modern world. They do not have a world view that can satisfy the aspirations of modern men and women. We do. That’s the most powerful weapon of all.

 

Gordon Browns Strategiewechsel: Vom Krieg gegen den Terrorismus zum Kampf der Ideen

Ein Stück von Matthew d’Ancona im Guardian lässt mich hoffen. Der Reporter des (konservativen) Spectator war mit Brown bei Bush und glaubt, einen Strategiewechsel von Blair zu Brown beobachten zu können.

Bush_Brown1.jpg
Vom Pudel zurück zur guten alten britischen Bulldogge. Brown bei Bush. Foto: White House

Vor allem zuletzt die Attentate der islamistischen Doktoren in Glasgow hätten Brown zu der Überzeugung gebracht, dass es viel mehr um die ideologische Seite des Terrorismusproblems gehen müsse als nur um die militärisch-polizeiliche Bekämpfung.

Brown habe früher auch gerne ökonomische Erklärungen für den Terrorismus gesucht. Doch das Inferno am Glasgower Flughafen, so d’Ancona

sealed in his mind a shift of analysis: that twisted ideas, rather than poverty, were the true basis of the problem. In the PM’s eyes, it follows that the next phase of the struggle must be more subtle, much of it completely concealed.

Es müsse gezielt die kulturelle und ideologische Auseinandersetzung mit dem Dschihadismus gesucht werden, ganz ähnlich wie seinerzeit im Kalten Krieg mit dem Kommunismus:

… it does mean finding resources for moderate Muslims and cutting off funding to anyone else: Brown believes that the old left’s version of „multiculturalism“ led us to the insanity of financing groups precisely because they were extreme. Expect big changes.

Browns neue Doktrin

on winning „hearts and minds“ is based not on making local people feel affection for you, but on persuading them that you can protect them better than the enemy.

Meanwhile, young Muslims drawn to the flames of Islamism – in West Yorkshire as much as Basra – have to be targeted for „ideological conversion“, a process Kilcullen compares to the tactics used to keep young men out of street gangs. Easier said than done, of course. But this is the way Brown’s counter-terrorist thinking is heading: away from invasions, „crusades“, and „shock and awe“, and towards something that owes much more to a cold war theorist such as George Kennan than it does to Donald Rumsfeld or, indeed, to Tony Blair.

(Was mich zu einem Vorschlag verleitet: Wollen wir hier alle miteinander Kennans legendären Aufsatz über „Containment“ lesen und debattieren? Das Wort scheint mir, gerade auch im Bezug auf Iran und die neue Aufrüstungsinitiative der Amerikaner hoch aktuell.)