Zeig Deine Kippa! Juden müssen sichtbar bleiben, auch wenn sie angegriffen werden

Mein Kurzkommentar aus der ZEIT von morgen:

Der Rabbiner Daniel Alter wurde letzte Woche in Berlin-Friedenau vor den Augen seiner Tochter von vermutlich arabischstämmigen Jugendlichen zusammengeschlagen. »Bist du Jude?«, hatten sie ihn gefragt, nachdem sie seine Kippa gesehen hatten. Es kann hierzulande gefährlich werden, als Jude erkennbar zu sein.

Das ist ein schrecklicher Satz. Aber er stimmt – trotz der Renaissance des Judentums in Deutschland, von der die neuen Synagogen in unseren Städten zeugen.

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin rät Eltern, ihre Kinder nicht mit Kippa in der Stadt herumlaufen zu lassen. Nicht nur vor dem einheimischen Hass der Neonazis, auch vor dem importierten islamisch eingefärbten Antisemitismus müssen sich Juden in manchen Quartieren in Acht nehmen. Die islamischen Verbände und die Moscheegemeinden müssen sich endlich damit auseinandersetzen, statt reflexhaft auf die verbreitete Islamfeindlichkeit zu verweisen, die auch schlimm sei. Manche muslimische Jugendliche wachsen in einer Monokultur auf, berieselt von judenfeindlicher Propaganda. Der Jude, den sie schlagen, ist vielleicht der erste, den sie je getroffen haben.

Solche Abschottung muss bekämpft werden, am besten von Juden, Christen, Muslimen und Atheisten gemeinsam. Denn auch die Mehrheit ringt schwer mit religiöser Differenz. Es entspricht nicht dem Selbstbild des liberalen Deutschland, doch unsere engherzigsten gesellschaftlichen Debatten kreisen ums Anderssein, das sich in Kopftüchern, Moscheebauten und Beschneidungen manifestiert. Eine religiös bunte Gesellschaft braucht aber ein entspanntes Verhältnis zur Sichtbarkeit des anderen.

Darum wäre es fatal, wenn Juden in Deutschland ihre Kippot nun unter Basecaps verstecken würden. Ein »Kippa-Flashmob« in Berlin, bei dem Hunderte – auch Nichtjuden – solidarisch mit Käppchen flanierten, war das richtige Zeichen.

Wenige Tage nach dem Angriff sagte Daniel Alter bei einer Demo – die Wange noch verbunden –, er habe zwar »das Jochbein gebrochen bekommen, aber meinen Willen, mich für den interreligiösen Dialog und die Verständigung von Völkern und Nationen einzusetzen, haben diese Typen nicht gebrochen«.

Daniel Alter ist ein Held. Er hat sich um ein besseres Deutschland verdient gemacht, in dem man ohne Angst verschieden sein kann.

 

Das vermeidbare Unglück der türkischen Jungs

Ich habe schon vor einiger Zeit ein Interview mit dem Pädagogen und Männlichkeitsforscher Ahmet Toprak geführt. Es sollte im Rahmen eines Schwerpunkts über den „türkischen Mann“ in der ZEIT erscheinen, der leider aus sekundären Gründen nicht zustande kam. Damit es nun nicht in den Abgründen meiner Festplatte verschimmelt, veröffentliche ich das Gespräch nun hier exklusiv:

DIE ZEIT: Herr Toprak, wer hat es schwerer bei der Integration in Deutschland? Jungen oder Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund?

Ahmet Toprak: Alle Zahlen sprechen dafür, dass Jungs sich schwerer tun – Schulabschluss, Berufserfolg, Sprachniveau. Da liegen Jungs eindeutig hinter den Mädchen.

ZEIT: Aber die Jungen sollen doch die Starken sein, die Vorbilder, die Hüter der Mädchen?

Toprak: Das ist ja auch der Kern des Problems, dass an die Jungs so hohe Erwartungen gestellt werden, dass viele dabei nur auf der Strecke bleiben können. Sie sollen dominant sein, sie sollen die Familie führen und ernähren. Von Mädchen wird viel weniger erwartet. Man freut sich, wenn sie Erfolg haben, aber sie können immer noch die Rolle der Hausfrau und Mutter übernehmen.

Ahmet Toprak Foto: FH Dortmund

ZEIT: Diese traditionellen Rollenvorstellungen geraten in Konflikt mit den Erwartungen, die die deutsche Gesellschaft an beide Geschlechter stellt?

Toprak: Türkische Jungs haben in ihren Familien sehr viel mehr Freiheiten als Mädchen. Ihnen wird eingeräumt, dass sie auch mal Fehler machen dürfen. Das Ansehen der Familie in der Öffentlichkeit hängt sehr viel mehr an den Mädchen. Die Brüder dürfen über die Stränge schlagen. Durch diese Einstellung wachsen die jungen Männer ohne Grenzen auf. Mädchen werden viel mehr reglementiert. Sie dürfen weniger in der Öffentlichkeit präsent sein, sie müssen pünktlich zuhauise sein. Das ist zwar kein angenehmes Leben, aber anders als die Jungen haben die Mädchen Grenzen. Jungen entwickeln so kein Problembewußtsein für ihr eigenes Verhalten. Es würde ihnen gut tun, wenn auch ihnen Grenzen gesetzt würden.

ZEIT: Aber die Jungen werden doch in der Regel ziemlich autoritär erzogen. Der Vater ist unantastbar als Bestimmer in der Familie. Warum gibt das keine Orientierung, keine Grenzsetzung?

Toprak: Es wird viel zu wenig erklärt. Man geht davon aus, dass der Junge durch Imitation des Vaters in seine Rolle hineinwächst. Manche schaffen das, aber diejenigen, die es nicht schaffen, werden dann verhaltensauffällig. Wenn die Eltern merken, dass etwas schiefläuft, wissen sie sich nicht anders zu helfen, als die Söhne zum Militärdienst zu schicken, damit dort ein richtiger Mann aus ihnen gemacht wird und sie Disziplin lernen. Wenn auch das nichts fruchtet, verheiratet man den Jungen, damit er lernt Verantwortung zu übernehmen. Und wenn auch das nicht funktioniert, hofft man dass er durchs Kinderkriegen zur Vernunft kommt und anständig wird. Aber man spricht mit dem Jungen nicht darüber, man geht davon aus, dass das ein naturwüchsiger Prozess ist.

ZEIT: Warum sprechen die Eltern nicht mehr mit den Jungen?

Toprak: Manche haben nicht die verbalen Fähigkeiten das zu tun, die meisten haben es selber so gelernt, und dann gibt es viele Tabus. Über manche intime Dinge mit seinen Eltern zu reden wäre eine Verletzung des Respekts, den man ihnen schuldet.

ZEIT: Wie wird einem türkischen Jungen Männlichkeit vermittelt?

Toprak: In den ersten Jahren sind die Söhne voll auf die Mutter orientiert. Sie begleitet ihn sehr innig, bis er im Grundschulalter von der Mutter abgelöst wird und sich auf sein eigenes Geschlecht, also auf den Vater orientieren soll. Mit der Beschneidung wird das symbolisch unterstrichen. Vorher konnte der Junge problemlos mit der Mutter ein Hamam besuchen. Nach der Beschneidung ist das nicht mehr gerne gesehen, der Sohn hat in dieser Frauenwelt nichts mehr zu suchen. Der Militärdienst ist für die Türken eine wichtige Stude der Mannwerdung. Es gibt keinen Ersatzdienst in der Türkei. Jeder muß da durch, der ein Mann sein will. Wenn ich in Kreisen traditioneller Einwanderer sage, dass ich weder den türkischen noch den deutschen Wehrdienst absolviert habe, gelte ich als schwacher Mann. Drittens und viertens gehört Heirat und Kinderkriegen zum Mannwerden. Erst dann wird das Wort eines Mannes in der Öffentlichkeit für voll genommen. Wer das nicht durchlaufen hat und etwa mit dreißig noch nicht verheiratet ist, gilt als Kind.

ZEIT: Welche Rolle spielt der Islam dabei?

Toprak: Sie wissen ja, dass Türken meist Sunniten oder Aleviten sind. Aleviten halten sich nicht an die Gebote des Islams, sie fasten nicht, pilgern nicht, gehen nicht in die Moschee, und die Frauen tragen in der Regel kein Kopftuch. Aber auch die alevitischen Männer sind beschnitten. Bei den Männlichkeitsvorstellungen ist Tradition und Religion schwer zu trennen. Es gibt religiöse Begründungen für die Beschneidung, aber in der Praxis ist das ein Männlichkeitsritual – weshalb es zum Beispiel auch wichtig ist, dass es ohne Narkose geschieht, denn der Schmerz gehört nach dieser Vorstellung zum Mannwerden dazu. Aleviten lehnen zwar die Geschlechtertrennung in den Moscheen ab, aber in den Männlichkeitsvorstellungen unterscheiden sie sich nicht sehr von den Sunniten.

ZEIT: Warum ist die türkische Männlichkeitsvorstellung eigentlich problematisch? Man könnte ja auch sagen: Da gibt es wenigstens noch klare Unterscheidungen.

Toprak: Aber sehen Sie: Dieses Konzept wird gelebt in einem Land, in dem es nicht zeitgemäß ist. Es kann nicht funktionieren, weil der soziale Rahmen fehlt, der es hält, auch durch soziale Kontrolle. Übrigens kollidiert es nicht nur hier mit der Wirklichkeit, sondern auch in türkischen Großstädten, wo ebenfalls die Kontrolle durch die peer group wegfällt.

ZEIT: Stützen die Frauen dieses Männlichkeitsbild? Ohne Mütter und Frauen kann es ja nicht aufrechterhalten werden.

Toprak: Die Mütter machen mit, sie haben ja auch einen enormen Einfluss auf die Söhne bis zu einem bestimmten Alter. Aber bei den jungen Frauen sieht es anders aus. Viele von denen finden die in Deutschland aufgewachsenen Jungs einfach nur blöd. Die mögen deren Macho-Art nicht. Umgekehrt können viele von den Männern mit den selbstbewußten Frauen nicht umgehen und suchen sich darum eine einfachere Braut in der Türkei. Man hat Schwierigkeiten, sich wechselseitig attraktiv zu finden und weicht auf das Herkunftsland aus.

ZEIT: Können diese Männer eine partnerschaftliche Ehe führen?

Toprak: Sie dürfen das nach außen projizierte Bild nicht mit der Realität zuhause verwechseln. Viele Frauen haben zuhause erheblich Anteil an Entscheidungen. Die Männer geben sehr viel mehr nach und schließen mehr Kompromisse, als sie nach außen zugeben können. Oft wird, was auf die Frau zurückgeht, dann vom Mann nach außen als seine Entscheidung dargestellt.

ZEIT: Wie sollen deutsche Lehrer mit der türkischen Männlichkeitskultur umgehen, die sie im Klassenraum vorfinden?

Toprak: Ich mache oft Fortbildungen mit Lehrerinnen, die sagen, ich tue mich schwer mit diesen Jungs. Diese Jungen brauchen klare Ansagen, klare Regeln, die auch durchgesetzt werden. Die basisdemokratische Pädagogik des Aushandelns und der Diskussion empfinden sie als Schwäche. Die sehen das als Unsicherheit des Lehrers, wenn er oder sie zuviel fragt. Wenn man klar und deutlich sagt, was man möchte und wo die Grenzen sind, machen die auch mit. Ich habe das Konzept der konfrontativen Pädagogik mit gewalttätigen und straffälligen Jugendlichen erprobt. Es kommt darauf an, sich von Machosprüchen nicht verunsichern zu lassen. Diese Jungs probieren, ob man angesichts ihres dominanten Auftretens Schwäche zeigt. Die zeigen gerne ihr Testosteron, aber wenn man Regeln durchsetzt, werden sie auch schnell handzahm.

ZEIT: Wenn man Schüler zur Selbständigkeit erziehen will, kann man aber nicht immer Frontalunterricht machen?

Toprak: Das ist auch nicht gemeint mit konfrontativer Pädagogik. Es geht darum, einen fairen und transparenten Rahmen für das gemeinsame Handeln zu errichten. Die Jugendlichen sehen, wenn ich mich an die Regeln halte, bin ich angenommen und kann mich einbringen. Dann fällt auch das Totschlagsargument der Ausländerfeindlichkeit weg, dass diese Jugendlichen gerne bringen. Person und Fehlverhalten müssen klar getrennt werden.Wenn klar ist, du bist als Ali oder Mustafa willkommen, wenn du dich an die Regeln hältst, aber wenn nicht, hat es auch Konsequenzen, dann kommen die Jungs damit gut klar.

ZEIT: Woher kommt die höhere Gewaltakzeptanz bei türkischen Jungen?

Toprak: Ich habe jahrelang Anti-Aggressivitätstraining mit auffälligen Jugendlichen gemacht. Das waren junge Männer, die dazu verurteilt worden waren, weil sie selbst gewalttätig geworden waren. Diese Jungs haben uns berichtet, sie haben in der Erziehung Gewalt erfahren – entweder in der Familie oder durch ihre Peergroup. Die sehen es als normalen Teil des Aufwachsens als Mann, dass man irgendwann Schläge bekommt. Vor allem untereinander in der Gruppe ist Gewalt etwas Alltägliches. Tragischerweise.

ZEIT: In der deutschen Gesellschaft ist Gewalt in den letzten Jahrzehnten zunehmend tabuisiert worden. Früher übliche Rüdenkämpfe auf Schulhöfen sind heute verpönt. Da passt die Gewalkultur türkischer Jungs nicht hinein.

Toprak: Ja, aber es wird teilweise überdramatisiert. Auch ganz normale Raufereien, die man früher als ‚typisch Jungs‘ abgetan hat, werden heute sofort therapiert. Das führt zu einer Überpädagogisierung, in der Jungs per se zum Problem werden. Das geht dann zu weit, nicht nur für türkische Jungs.

ZEIT: Warum ist „schwul“ das schlimmste Schimpfwort unter türkischen Jungs? Auch das steht ja im Gegensatz zu der gesamtgesellschaftlichen Enttabuisierung der Homosexualität?

Toprak: Vielleicht ist ja die Präsenz des schwulen Lebens in der Öffentlichkeit ein Mitgrund für diese Gegenreaktion. Im Antigewalttraining haben mir die Jungs klargemacht, es gibt zwei Tabus – man darf die Mama nicht angreifen und die Männlichhkeit, also jemanden schwul nennen. Aber es gab eine interessante Ambivalenz: Ein Junge, der mir gesagt hatte, er hasst Schwule, Homosexualität sei eine Sünde und Homosexuelle seien keine Menschen. Aber dann sah ich, er packte einen anderen an den Hintern. Als ich ihn zur Rede stellte, sagte er: Ich bin nicht schwul, er ist schwul. Ich habe dann erfahren, dass der aktive Partner als der unproblematisch Männliche gilt. Der Schwule ist der – verzeihen Sie das Wort – ‚der sich ficken lässt‘. Das war mir neu. Es gab da Jungen, die sehr homosexuellenfeindlich auftraten und doch zu irgendwelchen einschlägigen Treffs gingen, um ‚Schwule zu ficken‘. Nach dem Motto, wir zeigen denen mal was ein richtiger Mann ist. Homosexuelle werden als Opfer gesehen, und so gab es auch Fälle, bei denen mit den Männern geschlafen wurde, um diese dann anschließend zu verprügeln. Das zeigt die Ambivalenz. Der Mann darf sich auf keinen Fall in die Rolle der Frau begeben, darum sind die Jungs so gegen Schwule.

ZEIT: Das ist eine sehr anstrengende, stressige From von Männlichkeit, bei der es dauernd um die Ehre geht.

Toprak: In einem meiner Kurse habe ich es den Jungs verboten, über Ehre zu reden, weil sie diesen Begriff immer nur als Vorwand benutzt haben und nie mit Inhalt füllen konnten. Die mussten dann in die Bibliothek gehen und recherchieren, was Ehre sein kann. Sie haben angefangen, den Ehrbegriff zu problematisieren, den man ihnen aufgedrückt hat: Du musst deine Frau, deine Schwester beschützen. Die hatten noch nie über diesen zentralen Begriff nachgedacht. Aber dann haben sie angefangen, über ihre Gefühle zu reden, über die Angst zu versagen und dem Ehrbegriff nicht gerecht zu werden.

ZEIT: Ist der deutsche Mann in deren Wahnehmung unehrenhaft und unmännlich?

Toprak: So wird das gesehen. Aber ich muss ihnen sagen, das ist auch nur ein Schein. Viele würden gerne manche Verhaltensweisen vom deutschen Mann übernehmen, aber sie trauen sich nicht, weil sie dann als schwach gelten würden. Einige sehnen sich danach, aber der Druck ist zu groß.

ZEIT: Woher kann Veränderung kommen?

Toprak: Wir haben eine Entwicklung in zwei Richtungen: Die einen sagen, das tue ich mir nicht an und steigen aus. Aber die müssen dann auch in einem anderen Umfeld leben, in einem anderen Stadtteil. Aber diejenigen, die in Quartieren wohnen, wo der soziale Druck groß ist, tun sich schwer da rauszukommen. Bevor man an die Jungs rankommt, muss man zuerst an die Eltern ran. Die wissen oft gar nicht, dass es alternative Erziehungsstile gibt. Sie haben es selber so erfahren, und tragen es weiter.

ZEIT: Stärkt die islamische Religion eigentlich immer nur die konservative Seite? Oder hat sie eine Rolle bei der Reform der Männlichkeit?

Toprak: Das ist nicht so eindeutig. Wir kennen sehr viele selbstbewusste religiöse Frauen mit Kopftuch, auch hier an der Hochschule. Die sind hoch modern und passen nicht zu schlichten Macho-Männern.

Die Fragen stellte Jörg Lau

 

Türken müssen sich für Juden stark machen

In einem sehr mutigen Editorial für die Jüdische Allgemeine segelt Bilkay Öney, SPD-Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus, hart am Wind:

„Die Regierungspartei AKP scheint zwei Dinge leider nicht voneinander trennen zu können: die außenpolitische Linie in ihrer Haltung zu Israel und die innenpolitischen Erfordernisse für die knapp drei Millionen Bürger türkischer Herkunft, die in der Bundesrepublik leben.

Die türkische Gemeinde bildet die größte Minderheitengruppe in Deutschland. Sie ist gleichzeitig diejenige, die im Mittelpunkt der Integrationsdebatte steht und sich am häufigsten gegen Vorurteile wehren muss. Für dieses Anliegen ist die Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinschaft unerlässlich. Bisher hat diese die türkische Minderheit stets verteidigt und in Schutz genommen: beim Kopftuchstreit, beim Moscheenstreit und als in Mölln (1992) und Solingen (1993) die Häuser von Türken brannten. Nun brennt es politisch wieder. Denn jemand zündelt. Aber wo ist die türkische Stimme in Deutschland, die sich für jüdische Belange starkmacht?

(…) Tatsächlich finden sich Ähnlichkeiten und Parallelen zwischen beiden Minderheiten – auch in religiösen Bräuchen; von der Beschneidung bis hin zum Gebot, kein Schweinefleisch zu essen. Immer, wenn türkische Jugendliche sich mit ihren palästinensischen Schulfreunden, ihren muslimischen Glaubensbrüdern, solidarisieren und judenfeindliche Äußerungen von sich geben, hilft es, sie auf diesen Vergleich hinzuweisen. Jugendliche kann man aufklären. Die Schule ist dafür ein geeigneter Ort und bietet auch genügend Anschauungsmaterial.

Noch erschreckender ist es, wenn judenfeindliche Äußerungen in intellektuellen Kreisen der deutsch-türkischen Community kursieren. Neulich etwa, als eine türkische Professorin monierte, die Juden würden nicht nur die Finanzwelt beherrschen, sondern auch die Wissenschaft. Alle Nobelpreisträger seien Juden, sagte sie, das könne doch kein Zufall sein. In solchen Momenten schnürt es mir die Kehle zu. Aufgewühlt stellte ich der Professorin Gegenfragen: Wie hätte wohl das türkische Militär reagiert, wenn sich israelische Friedensaktivisten gegen den Willen Ankaras auf den Weg in die kurdischen Gebiete gemacht hätten, um die PKK mit Hilfsladungen zu versorgen? Hätte das türkische Militär die Israelis passieren lassen?“

 

Geert Wilders und das Ende der Islamkritik für Dumme

Der Film „Fitna“ ist bislang ein Non-Event. Das ist gut so, und es zeigt, dass die Islamkritik an einem Scheidepunkt angekommen ist.
Wilders‘ Film beruht auf lauter altem Material, das weidlich bekannt ist.
Ohne das monatelange Vorab-Marketing hätte sich kaum jemand für dieses dürftige Werk interessiert.
Die dokumentierten Hasstiraden und die bekannten anstössigen Koran-Verse sind seit Jahren Thema, unter anderem auf Blogs wie diesem hier.

Und sie werden es auch sehr zu Recht so lange bleiben, bis die Muslime selbst sie widerlegt, kontextualisiert oder historisiert und damit entschärft haben. Das ist der einzige – allerdings gewichtige – valide Punkt in Wilders‘ Argumentation. (Wird hier freilich seit Jahren auch schon genau so gesagt.)

Es geht nicht an, dass dieser anstößige Punkt gleich mit erledigt wird, indem man auf Wilders bekannte „rechtsgerichtete“ (tolles Wort!) oder „islamfeindliche“ Haltung verweist. Der UN-Generalsekretär, die niederländische Regierung oder die EU sollten sich hüten, in ihrer ängstlichen Kritik diese Baustelle zu schließen. Die anständigen Muslime müssen da heran, und sie müssen es sehr viel offensiver tun als bisher.

Bis hierher habe ich absolut kein Problem mit „Fitna“ – ausser dass der Film total schlecht gemacht und langweilig ist. Ich finde es nicht unangemessen, wenn Koranverse über die „Ungläubigen“ zitiert werden und dann die Flugzeuge gezeigt werden, die in die Towers fliegen. (Der Kollege Peter Körte in der FAS kritisiert dieses Montage-Verfahren.) Es ist aber nun einmal so, dass die Islamisten sich auf diese Weise ermächtigt sehen. Und es bleibt die Aufgabe der vernünftigen und friedliebenden Muslime, jenen die heilige Schrift aus der Hand zu schlagen.

Mein Problem mit Wilders beginnt da, wo er die muslimische Einwanderung nach Europa in dramtischen Balkendiagrammen ins Spiel bringt. Von ein paar Dutzend Muslimen am Anfang des letzten Jahrhunderts in Holland bis zu den angeblichen 54 Millionen, die heute in Europa leben, wachsen die Balken bedrohlich an. Und dann werden dazu die Horrorbilder über die Ermordung von Schwulen und die Mädchenbeschneidung montiert – mit der Frage, ob dies Europas Zukunft sein solle.
Das ist genau die Logik der Islamisten, die jeden Einwanderer – egal ob aus Marokko, der Türkei, aus Bosnien oder Iran – als einen Soldaten in ihrem Kampf sehen möchten. Für die radikalen Islamisten gibt es keine säkularen Muslime, keine lauen Gläubigen, keine Freitagsbeter, keine Kulturmuslime, keine Biertrinker und Speckesser unter den Ihrigen. Für sie – Wilders zeigt ja einige ihrer Prediger – sind Muslime in Europa entweder Vorhut der Islamisierung oder Verräter. Genauso denkt Wilders, denn anders käme er nicht auf seine bedrohlichen Zahlen.

Und hier ist übrigens die ästhetische Gestalt dieses Films äußerst verräterisch: Er bedient sich der gleichen Technik und der gleichen Bildsprache wie die islamistischen Propagandavideos: Die Pflicht der Muslime zur Tötung von Ungläubigen und Juden wird direkt aus dem Koran abgeleitet. Dem Vers folgt dann das Snuff-Video von der Hinrichtung. Wilders‘ Film sieht über weite Strecken aus wie von der Propagandaabteilung von Al-Qaida gemacht – ein ästhetisches Stockholm-Syndrom.
Daraus muss die Islamkritik sich befreien.

Wir müssen das Wahnbild der Islamisten entzaubern, statt es von „islamkritischer“ Seite zu bestätigen.

 

Ägyptischer Grossmufti: Rekonstruktion des Jungfernhäutchens ist islamisch erlaubt

Der ägyptische Grossmufti Ali Gomaa hat in der letzten Woche eine Fatwa zu einer in islamischen Ländern weit verbreiteten Praxis veröffentlicht: Der kosmetisch-chirurgischen Rekonstruktion des Hymens, mit der junge Frauen Jungfräulichkeit simulieren, wenn sie eine Ehe eingehen.

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Scheich Ali Gomaa, Grossmufti von Ägypten

Der Mufti ist die höchste islamische Autorität in Ägypten.

Gemäß dem Mufti sind diese Operationen halal, also religiös erlaubt. Das klingt auf den ersten Blick frauenfeindlich – denn die chirurgische Industrie verdient schließlich an dem verlogenen patriarchalischen Jungfrauenkult.

Das Gutachten des Muftis hat aber auch eine andere Pointe: Er erklärt damit die Jungfräulichkeit der Frauen für ihre Privatsache und gibt ihnen die Erlaubnis, Männern, die unbedingt einen Beweis haben wollen, etwas vorzumachen. Er spricht umgekehrt den Männern eigentlich das Recht ab, von ihren Bräuten in dieser Frage Aufrichtigkeit zu verlangen.

Er gibt den Frauen das Recht, sich mit allen Mitteln gegen die patriarchalischen Zumutungen der ägyptischen Gesellschaft zu schützen. Der Mufti findet Unterstützung bei dem Al-Azhar-Scheich Khaled El-Gindy: Jeder Mann, der sich um die Jungfräulichkeit seiner Frau Sorgen mache, solle erst einmal selbst einen Beweis für seine eigene Reinheit bringen.
Gomaa geht sogar so weit zu sagen, eine verheiratete Frau, die ihren Mann betrogen habe, müsse diesem nicht die Wahrheit sagen. Im religiösen Sinn sei es ausreichend, dass sie ihr Verhalten bereue und Gott um Verzeihung bitte. Sie muss das Recht haben, durch das Verschweigen eines Fremdgehens ihr Leben und ihr Heim zu schützen.

„Ehrenmorde“ sind im ländlichen Ägypten keine Seltenheit – bei Ehebruch, aber auch bei Verlust der Jungfräulichkeit.

Die Fatwa hat in Ägypten eine kontroverse Debatte ausgelöst. Ali Gomaa hat sich kürzlich bereits in Fragen der Genitalbeschneidung sehr fortschrittlich geäußert.

Allerdings muss man den Begriff des Fortschritts hier doch sehr relativieren: Denn am Ende wird hier nicht die aufrichtige Liebe zwischen Gleichberechtigten vertreten, sondern die Doppelmoral sanktioniert – nur diesmal ein wenig mehr zum Nutzen der Frauen. Man ahnt, welches Unglück sich mit solchen Arrangements für beide Geschlechter verbindet.

 

Kairo: Islamische Gelehrte verdammen weibliche Genitalverstümmelung

Durchbruch für Frauenrechte im Islam – oder doch nicht?
Hoch angesehene muslimische Theologen aus dreizehn Ländern haben in Kairo die weibliche Genitalverstümmelung – oft als „Beschneidung“ verharmlost – als einen unislamischen Brauch verurteilt.

Das Treffen fand an der Al-Azhar Universität statt, der höchsten sunnitischen Autorität in Glaubensfragen. Der Scheich der Azhar, Mohammed Sayed Tantawi, war anwesend, ebenso der bekannte Prediger Jussuf Al-Karadawi und der ägyptische Grossmufti Ali Gomaa.

Die Initiative zu dem Treffen ging von dem deutschen Abenteurer und Menschenrechtler Rüdiger Nehberg aus.

Die Genitalverstümmelung verursacht grosses köperliches und seelisches Leid bei den betroffenen Frauen, stellen die Theologen fest – „und muss deshalb gestoppt werden, denn der Islam ist ganz und gar gegen die Verletzung unschuldiger Menschen.“

Eltern begründeten ihre Befürwortung der Klitoralektomie oft damit, heisst es im Pressekommuniqué, „dass damit promiskuitivem Verhalten ihrer Töchter vorgebeugt werden könne“.

Es gebe keinen Beleg für diese Praxis im Koran und in den Hadithen. Der Prophet habe seine vier Töchter nicht beschneiden lassen.

Ägyptische Frauenrechtsorganisationen feierten die Aussagen der Gelehrten als grossen Schritt für die Menschenrechte und verlangten eine Kriminalisierung der Genitalverstümmelung.
An der männlichen Beschneidung als religiöser Pflicht wird weiter festgehalten.

p.s. Merkwürdiger Weise hat Jussuf Al-Karadawi, der auch in Europa einflussreiche Prediger, am 23. November, also während des Kairoer Treffens, eine Fatwa veröffentlichen lassen, in der er wieder ein paar Schritte rückwärts macht.

Da heisst es, „die gemäßigte und wahrscheinlich korrekte Meinung spricht für den gemässigten islamischen Weg bei der Beschneidung, wie er in manchen Hadithen des Propheten angedeutet ist – obwohl diese Hadithe nicht als authentisch bestätigt sind: ‚Reduziere die Grösse der Klitoris, aber überschreite nicht die Grenze, denn das ist besser für ihre Gesundheit und wird von Ehemännern bevorzugt.‘ Der Hadith bedeutet, dass Beschneidung besser für die Gesundheit der Frau ist und ihre ehelichen Beziehungen mit ihren Mann verbessert… Wie auch immer, es ist keine Pflicht, doch wer auch immer glaubt, es diene den Interessen seiner Töchter, soll es tun, und ich persönlich unterstütze dies unter den gegenwärtigen Umständen in der modernen Welt. Wer sich entscheidet es nicht zu tun, hat keine Sünde getan, denn es dient hauptsächlich dem Zweck, die Würde der Frauen zu fördern, wie die Gelehrten sagen.“

Die Würde und Gesundheit der Frauen, die Interessen der Töchter? Weiss der Mann noch, wovon er redet?

 

Ägyptischer Grossmufti: Genitalverstümmelung bringt „unsägliches Leid“ für Mädchen und Frauen

Der berühmte Abenteurer Rüdiger Nehberg ist kurz davor, einen sensationellen Durchbruch im Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung zu erzielten. Nehberg, bekannt durch seine vielen waghalsigen Reisen („Im Tretboot über den Atlantik“), ist seit vielen Jahren hauptsächlich als Menschenrechtler aktiv. Seine Organisation „Target“ widmet sich vor allem der Abschaffung der Praxis der so genannten Klitorisbeschneidung.

Auf Initiative von „Target“ treffen sich nächste Woche Mittwoch in Kairo hohe muslimische Theologen, um die Praxis zu ächten. Es werden Teilnehmer aus Ägypten, Somalia, dem Tschad, Mali, Mauretanien, Äthiopien, Eritrea, Qatar, Nigeria, Dschibuti, Marokko, der Türkei und Russland erwartet.

Die Sensation besteht darin, dass der ägyptische Grossmufti Dr. Ali Gomaa als Schirmherr gewonnen werden konnte. Rüdiger Nehberg sagte der ZEIT, er habe eigentlich vorgehabt, die Konferenz in Berlin abzuhalten:

„Doch der Grossmufti schlug vor, dass wir ins theologische Zentrum des sunnitischen Islams gehen, an die Al-Azhar-Universität. Der Grossscheich der Universität, Dr. Mohammed Sayed Tantawi, unterstützt die Konferenz ebenfalls. Auch der ägyptische Religionsminister steht dahnter. Und Jussuf Al-Karadawi, der populärste Prediger der sunnitischen welt, will auch kommen.“

Der Grossmufti findet in seiner Einladung deutliche Worte:

„Es geht um die düstere Wirklichkeit der Genitalverstümmelung an Frauen und die Haltung des Islam zur Unantastbarkeit des weiblichen Körpers. Und es geht um die Achtung der Würde und Ehre des Menschen sowie das Verbot von Aggressionen in jeglicher Form.“

Der letzte Satz lässt ahnen, dass der Mufti diese Initiative in einem weiteren Kontext islamischer Reform sieht. Geniatlverstümmelung ist zwar keine rein islamische Praxis. Auch unter Christen und Juden war und ist sie verbreitet. Doch heute ist die überwältigende Mehrzahl der Täter und Opfer islamisch. und der Koran wird fälschlicher Weise immer wieder als Legitimation hernagezogen.

Das Ziel des Grossmufti besteht offfenbar darin, im Gelehrtenkonsens die Frauenverstümmelung zur „Sünde“ zu erklären. Ein Bann der koranischen Legitimation einer menschenrechtsverletzenden Praxis wäre ein Druchbruch für Millionen Frauen. Und er wäre zugeich ein wichtiger Schritt der islamischen Selbstbesinnung. Die Stellung der Frau im Islam würde ganz neu zum Thema werden, wenn der Islam aus sich heraus die Kraft fände, den schlimmsten Exzess der Frauenfeindlichkeit als unislamisch zu brandmarken.

Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielt der deutsche „Zentralrat der Muslime“, der schon vor fünf Jahren mit Nehberg zusammen die Aussage erarbeitete:

„Weibliche Genitalverstümmelung ist mit dem Koran und der Ethik des Islam unvereinbar. Sie ist Gottesanmaßung und eine Diskriminierung des Islam.“

Täglich werden geschätzte 8000 Mädchen zum Opfer der archaischen Praxis. Weltweit leiden an die 150 Millionen Frauen unter den Folgen. Vor allem in den Ländern der Sahelzone ist der Brauch verbreitet. Klitorisbeschneidung ist eigentlich eine verharmlosende Bezeichnung für diese Praxis. Ohne Betäubung und oft von medizinischen Laien wird zumeist die Klitoris samt Schammlippen mit Rasiermessern entfernt.

Nicht nur der traumatische Raub der sexuellen Empfindungsfähigkeit ist die Folge, die Frauen leiden oft lebenslang unter Krankheiten und schmerzhaften Beschwerden.