Westerwelle – ein Schadensbericht nach 5 Monaten

Diesen Artikel habe ich mit dem Kollegen Peter Dausend zusammen verfaßt. Aus der ZEIT Nr. 12 vom 18.3.2010, S. 4:

Er wirkt eigenartig erleichtert, endlich den edlen dunkelblauen Diplomatenpass gegen den gewöhnlichen roten eintauschen zu dürfen. Nach sieben Tagen Lateinamerika, nach sieben Tagen in Samthandschuhen, schaltet Guido Westerwelle auf Attacke um. Kaum auf dem Rollfeld in Berlin-Tegel angekommen, diktiert er sturmzerzaust in die Mikrofone: »So, jetzt bin ich wieder in Deutschland. Und mit Verlaub: Wer glaubt, er bekäme mit einer Verleumdungskampagne eine linke Mehrheit in Nordrhein-Westfalen zustande, unterschätzt die Wähler in Deutschland.« Der Chefdiplomat hat Feierabend, der Einpeitscher betritt die Bühne.
Knapp fünf Monate lang hat das Land Guido Westerwelle nun in dieser Doppelrolle erlebt. Kein Außenminister war je so unbeliebt. Seit Franz Josef Strauß hat kein Politiker mehr so polarisiert. Seine Dienstreisen in Begleitung von Freunden und Gönnern haben der FDP den Vorwurf eingebracht, ausgerechnet jene Partei, die in der Opposition den Staat noch abwickeln wollte, mache ihn sich, kaum in der Regierung, zur Beute. Und nun droht Schwarz-Gelb im wichtigsten Bundesland auch noch der Machtverlust. Westerwelle, der Triumphator vom 27. September 2009, hat Großes angekündigt – und dann Großes angerichtet. Zeit für eine Besichtigung des Flurschadens. In seiner Partei, im Außenamt, bei der deutschen Wirtschaft, in der Koalition – und bei ihm selbst. Weiter„Westerwelle – ein Schadensbericht nach 5 Monaten“

 

Nicht in kurzen Hosen – fast 100 Tage Außenminister Westerwelle

Mein Porträt aus der ZEIT dieser Woche, Nr. 4, S. 2:

Er hat wirklich vom Beten gesprochen. Nicht »Anteilnahme«, »Solidarität«, oder wie die ohnmächtigen Phrasen des Beileids sonst heißen. Nein: »Wir beten für die Verletzten in Haiti«, erklärt Guido Westerwelle in Tokio, auf der ersten Station seiner Asienreise.

Etwas grünlich-bleich schaut er in die Kameras – kein Wunder nach dem zermürbenden Nachtflug über die endlosen Permafrost-Weiten Sibiriens. Vielleicht ist ihm das fromme Wort im Meiji-Schrein eingefallen, dem Shinto-Heiligtum im Herzen des Hauptstadt. Aus Respekt vor den Göttern musste er dort ohne Mantel im dünnen Diplomatenanzug einen heiligen Tamaguschi-Zweig auf den Altar legen. Am Ende der Zeremonie war er dann so durchgefroren, dass auch der heilige Reiswein, den man hier trinkt, keine Wärme mehr brachte. Angesichts des Grauens von Port-au-Prince, über das Westerwelle von seinen Mitarbeitern ständig informiert wird, steht der Außenminister erstmals vor einer Katastrophe »biblischen Ausmaßes«, bei der auch ein geölter Apparat von fast 7000 Mitarbeitern zunächst einfach hilflos ist.

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Im Meiji-Schrein, Tokio Foto: JL

Nicht einmal hundert Tage ist der Ex-Oppositionsführer nun mit seiner Transformation in den Außenpolitiker Westerwelle beschäftigt. Und doch zeichnen sich schon erste Linien seiner Amtsführung ab. Überraschende Lockerungsübungen zum Türkeibeitritt, die Aufwertung des Nachbarn Polen auch auf Kosten der Vertriebenenfunktionärin Steinbach, ein mahnender Blitzbesuch im zerfallenden Staat Jemen, und schließlich der Versuch, unverklemmt die Interessen der deutschen Industrie und die Menschenrechte in China zu vertreten – das ist nicht nichts.
Jeder Asientrip ist dieser Tage eine Reise an die Grenze der Macht. Denn wie man mit dem jungen Riesen China umgehen soll, der selbst noch kein rechtes Gefühl für seine wachsende Kraft hat, weiß in Wahrheit niemand. Schmeicheln hilft derzeit so wenig wie drohen, locken so wenig wie mahnen – wie zuletzt selbst Obama und Google erfahren mussten, beides größere Gewichte im Ring als ein deutscher Außenminister (siehe auch Seite 9). Aber es hilft ja nichts, im Umgang mit China muss man sich kenntlich machen, nicht zuletzt fürs Publikum daheim. Es ist ein Klischee der Diplomatie, dass Asiaten so viel Wert darauf legen, »das Gesicht nicht zu verlieren«. Ein Peking-Besuch ist heute mehr ein Test der Würde des Gastes.
Westerwelle macht es so: Er fliegt demonstrativ über Japan dorthin und nimmt sich in Tokio mehr Zeit als nötig. Er isst ausführlich mit dem japanischen Amtskollegen zu abend und übernachtet in Tokio, obwohl es unpraktisch ist. Er preist die »Wertepartnerschaft« mit Japan, was im Umkehrschluss bedeutet, dass es eine solche mit China eben (noch) nicht gibt. Und in Peking, bei seiner Begegnung mit dem chinesischen Außenminister Yang Jiechi, der extra eine Afrikareise unterbrochen hat, um den Deutschen kennenzulernen, spricht er dann drei Mal vor der Presse von den »Meinungsunterschieden«, die man nicht unter den Teppich kehren wolle. Das ist – zumal bei einem Antrittsbesuch – hart an der Grenze zum Unfreundlichen.
China in Menschenrechtsfragen zu kritisieren und doch offensiv die Interessen der zahlreich mitreisenden deutschen Industrie zu vertreten, sei kein Widerspruch, meint Westerwelle. Er glaube an »Wandel durch Handel«. Der chinesische Kollege lächelt fein dazu. Mag sein, dass auch der nette Herr Yang daran glaubt. Nur wer hier am Ende wen wandelt, das ist für ihn womöglich noch nicht ausgemacht.
Mit dem Besuch in Peking ist Westerwelles weltweite Vorstellungsrunde abgeschlossen. Er wirkt noch ein wenig überrascht davon, dass er das ohne Fehltritt hinbekommen hat. Gerne streicht er heraus, er sei schließlich »nicht in einem Schloss aufgewachsen«, sondern in einem Bonner Altbau-Reihenhaus. Wenn er eifrig hinterherschiebt, zwischen dem Schlossbesitzer Guttenberg und Guido, dem Reihenhauskind, gebe es keine Konkurrenz in der Regierung, dementiert sich das von selbst. Am Ende des Monats müssen Guttenberg und Westerwelle in der wichtigsten außenpolitischen Frage dieses Landes eine gemeinsame Linie vertreten – bei der Londoner Afghanistankonferenz. Nachdem sich Liberale und Christlichsoziale seit Beginn der Regierung lustvoll beharkt haben, wäre das mal etwas Neues.
Westerwelle verdankt als Außenminister ironischer Weise nicht zuletzt der CSU sein frisches Profil. Es war seine Idee, sich bei seinem ersten Besuch in Warschau darauf festzulegen, Erika Steinbach dürfe nicht in den Beirat der Vertriebenenstiftung einrücken, weil sie der Versöhnung mit Polen im Wege stehe. Und wenige Wochen später preschte er auf eigene Rechnung in Istanbul vor, indem er Deutschlands Interesse an einem Beitritt der Türkei zur EU betonte. Verblüffte türkische Journalisten hakten nach, ob denn nun Westerwelles Wort oder das der Union von der »privilegierten Partnerschaft« gelte. Dieser konterte mit dem Bonmot, er sei nicht »als Tourist in kurzen Hosen« am Bosporus unterwegs: »Das, was ich sage, zählt.«
CSU-Generalsekretär Dobrindt adelte dann Westerwelles Nein zu Steinbach und sein Ja zur Türkei zu einem veritablen Politikwechsel: Der Außenminister solle in Istanbul keine »Geheimdiplomatie« mit den Türken betreiben, wie er es schon in Warschau mit den Polen getan habe, grummelte es aus Wildbad Kreuth. Der Gescholtene empörte sich, doch in Wahrheit kam ihm die Gelegenheit sehr zupass, in der Regierung kenntlich zu werden. Die Kanzlerin ließ ihn gewähren. Es kommt ihr gar nicht ungelegen, dass der Vize ihr den Grund liefert, Erika Steinbach aus dem deutsch-polnischen Spiel zu nehmen. Und auch als Gegengewicht zu den Populisten in der CSU, die den Türken gerne laut die Tür zur EU vor der Nase zuschlagen würden, ist Westerwelle für Merkel von Wert. Eine Art stille Arbeitsteilung.
Bei der Afghanistan-Konferenz kommende Woche in London sieht es anders aus. Wie Westerwelle bisher agiert hat, zeigt seine Schwäche: Mag sein, dass ihm als Außenminister hier ein innenpolitischer Reflex zum Verhängnis wird. Er ist der Versuchung erlegen, sich ganz die zivile Seite des Einsatzes zueigen zu machen – und den anderen die unpopuläre Frage der Truppenstärke zuzuschieben. Zum Jahreswechsel ließ Westerwelle sich aus dem Weihnachtsurlaub vernehmen, er werde nicht nach London anreisen, wenn es sich um eine »reine Truppenstellerkonferenz« handele. Man brauche vielmehr einen »breiten politischen Ansatz« und eine »Gesamtstrategie«.
Er tat, als stünde er wie ein einsamer Rufer für den zivilen Aufbau gegen eine Phalanx von militaristischen Ledernacken. Will Westerwelle als Vizekanzler selbst noch die Opposition friedensrhetorisch überholen? Er redet viel von Abrüstung und möchte gerne ein neuer Genscher werden. Vielleicht ist Westerwelles Genscherismus aber eine selbst gestellte Falle. Was Friedenspolitik in einer Welt der asymmetrischen Bedrohungen heißt, muss neu definiert werden. Nun aber liegt der Verdacht in der Luft, dass da einer Deutschland auf Kosten der Verbündeten als Friedensmacht profilieren will.
Dass der deutsche Außenminister eine Konferenz boykottieren könnte, die seine Kabinettschefin initiiert hat, war eine absurde Vorstellung, und darum korrigierte sich Westerwelle auch noch vor Silvester. Es war sein bisher einziger großer Fehler. In London sollte doch von Beginn an eben jener »breite Ansatz« verfolgt werden, den Westerwelle lauthals fordert: Korruptionsbekämpfung, gute Regierungsführung, Kampf dem Drogenhandel, Polizei- und Militäraufbau und die Förderung der Landwirtschaft. Angela Merkel ist schließlich auf die Idee mit der Konferenz nicht zuletzt verfallen, um sich aus der Debatte um den deutschen Angriff in Kundus und die »kriegsähnlichen Zustände« dort zu befreien.
Ob das gelingen kann, hängt nun vor allem an Westerwelle. Die Kanzlerin wird kommende Woche in einer Regierungserklärung noch einmal vor heimischem Publikum für das deutsche Engagement in Afghanistan werben. Aber in London steht dann Westerwelle für Deutschland – am Tag 92 seiner Amtszeit, der sein schwerster werden wird.
Es ist eine paradoxe Botschaft, die er dort vertreten muss. Wir müssen stärker reingehen, damit wir früher rausgehen können! Wir müssen mehr helfen, damit die Afghanen selbstständiger werden! Schafft er das – die Ernüchterung über das in Afghanistan Erreichbare darzustellen und doch zu einer (letzten) großen Anstrengung zu motivieren? Auf seiner Arabienreise zeigte er Geistesgegenwart, als er kurzfristig in den Jemen abzweigte und dort sehr herzhaft den Präsidenten aufforderte, den Kampf gegen den Terror nicht nur mit Bomben, sondern auch durch Entwicklung und Korruptionsbekämpfung zu führen.
Ach ja, noch etwas: Das Thema »erster schwuler Außenminister der Welt« ist durch. In der Türkei: Kein Kommentar. Saudi-Arabien: Nobles Schweigen des Königs. Auf der Asienreise war Westerwelles Lebenspartner Michael Mronz dann mit dabei. Die beiden kamen gemeinsam die Gangway herunter. Alle taten so, als sei das die normalste Sache der Welt. Und so war es dann auch, wenigstens für diesen einen Moment.

 

„Was Frauen wollen? – Wen kümmert’s?“ Über die geniale TV-Serie „Mad Men“

Meine DVD-Empfehlung aus der Zeit von morgen:

Ein Reiz dieser Serie – der besten seit dem Ende der “Sopranos” – liegt in ihrer detailbesessenen historischen Korrektheit. Man schaut den Menschen im New York der frühen sechziger Jahre beim Leben zu und muss sich immer wieder wundern, wie fern uns diese Zeit schon gerückt ist.
Und dabei fing doch damals vieles an, was bis heute unseren Lebensstil im Westen bestimmt: Autos und Flugreisen für jedermann, Pop als kultureller Mainstream, zaghafte erste Versuche mit der sexuellen Befreiung. Und als treibender Motor: die Vermarktung und Stilisierung eines bis dahin ungekannten und offenbar grenzenlos wachsenden Wohlstandes für die Massen der westlichen Welt.
Matthew Weiner, der Erfinder, Autor und Produzent  von “Mad Men” hatte darum eine großartige Intuition, diese Geschichte im Milieu der Werbung anzusiedeln, unter jenen (vorwiegend) Männern der Madison Avenue, die damals den gesellschaftlichen Umbruch zu Geld machten. Und es war auch goldrichtig, die fiktive Agentur Sterling Cooper nicht in der absoluten Avantgarde der so genannten Kreativen anzusiedeln. Die Männer um den gutaussehenden, rätselhaften Don Draper (gespielt von Jon Hamm) müssen zwar damit umgehen, dass die Welt zu neuen Fronten aufbricht. Aber sie gehören ganz offensichtlich selber noch zur alten Mentalität. Sie sind geprägt durch die Härten von Wirtschaftskrise, Zweitem Weltkrieg und Kaltem Krieg. Nun aber bricht eine Zeit an, in der die weichen Werte von Individualismus, Selbstverwirklichung und Gleichberechtigung das kulturelle Klima verändern werden. So sind Don Draper und seine Jungs beauftragt, eine BH-Reklame für Playtex zu entwickeln, die einem neuen, selbstbewußten Frauentyp entspricht. Jede Frau, sagt Don, will Marylin oder Jackie (Kennedy) sein. Nur wenige Jahre später werden BHs öffentlich verbrannt werden. Wir wissen das, aber für Don und seine Kollegen ist undenkbar, dass es jenseits ihrer Projektionen noch andere Modelle von Weiblichkeit geben könnte.
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Don Draper (Jon Hamm, Mitte) in einer typischen Pose, neben ihm die zauberhafte January Jones in der Rolle von Betty Draper   Foto: AMC

Mad Men läßt uns unseren Vorsprung genießen. Wir sehen Schwangere, die bedenkenlos rauchen; weiße Mittelschicht-Männer, die ohne Reue sexistische Witze machen und stolz darauf sind, keine Vertreter irgendwelcher ethnischer Minderheiten in ihrer Mitte zu dulden. Eine Familie beim Sonntagsausflug mit dem neuen Cadillac – eine Idylle. Doch die Kamera ruht einen Moment auf dem Müllberg aus Einwegpackungen, den die Drapers am Ufer zurücklassen.  Matthew Weiner zelebriert die Ferne der frühen Sechziger. Aber er macht sich über niemanden lustig und dämonisiert nicht. Man erschrickt: Wahnsinn, so haben wir (oder unsere Eltern) damals gelebt. Und es schien doch völlig in Ordnung!
Weiner braucht  keine Finsterlinge, um sein Drama zu entfalten. Es gibt auch keinen reinen Sympathieträger. Viele der Charaktere haben eine dunkle, unerlöste Seite. Eben darum wachsen sie einem ans Herz. Sieben Jahre lang hat man Weiners Pilot-Skript abgelehnt, sogar beim Pioniersender HBO, der doch mit den Sopranos bewiesen hatte, dass auch die auf dem Papier denkbar unsympathischste Hauptfigur – der mordende und lügende Mafiaboss Tony – Millionen in seinen Bann ziehen konnte.
Während die Sopranos aber den neureichen Vulgärschick der Mobster von New Jersey zelebrierten, feiert Mad Men die letzte elegante Ära unserer Zeit. Die Männer tragen noch Hüte und Krawatten und kämmen ihre Haare mit Brillantine zurück. Die Frauen modellieren ihre Figuren noch nicht mittels Silikon, Botox und Fitness-Exzessen, sondern durch tadellos geschneiderte Kostüme und darunterliegende Korsagen aus Stoffen, die man offenbar im Mondprogramm erprobt hat. Die Dichte der authentischen Details der Ausstattung ist ein Fest für die Augen und wird manchem, besonders in der BluRay-Fassung, Grund zur Investition in einen besseren Flachbildschirm geben.

Aber die eigentliche Stärke der Serie ist nicht die fast schon fetischistische Reproduktion der Sixties-Oberfläche, sondern die Tiefe der Figuren. Bis weit in die dritte Staffel hinein rätselt man Don Drapers Identität hinterher. Denn offenbar hat er den Namen eines toten Kameraden im Koreakrieg angenommen. Es scheint ein dunkles Geheimnis über seiner Herkunft zu liegen. Warum verheimlicht er seiner Frau Betty, gespielt von der geradezu unheimlich an Grace Kelly erinnernden January Jones, sein früheres Leben? Warum betrügt er sie gewohnheitsmäßig? Betty ihrerseits möchte gerne die perfekte Ehefrau und Mutter sein, aber wir ahnen schon, dass dies immer schwerer wird, je mehr sie über das heimliche Leben ihres Mannes erfährt. Sie will eigentlich nicht hinaus aus dieser Ehe, aber es zerren Kräfte an ihr und ihrem Mann, die stärker sind als das, was dieses Paar zusammenhält.
Wenn Don mit seinem Chef Roger Sterling zum Drei-Martini-Lunch (Steak, Sahnesosse, Pommesfrites) geht und die beiden dabei rauchend über das andere Geschlecht reden (“Was genau wollen Frauen denn nun?” – “Wen kümmerts?”), genießt man diese Orgie der Unkorrektheit. Aber Mad Men zeigt in seinen anrührendsten Momenten auch, wer damals den Preis für die scheinbar unschuldige, von keinem Selbstzweifel ergriffene Ordnung bezahlte. Salvatore Romano, der Grafiker, kann sich selbst und seinen Kollegen die Homosexualität nicht eingestehen. Es gibt ganz einfach kein lebbares Modell für einen bürgerlichen Schwulen wie ihn. Herzzerreißend, ihm und seiner nichtsahnenden Frau zuzusehen, wie sie nicht herauskönnen aus dem Arrangement, in das sie sich verstrickt haben. Peggy Olsen (Elizabeth Moss) schafft es zwar von der Sekretärin zur Texterin aufzusteigen, aber um von ihren Kollegen akzeptiert zu werden, muss sie sich entsexualisieren. Spät erst taucht in der Romanze mit einem älteren, furchtlosen Mann eine Möglichkeit für sie auf, smart und sexy zu sein. Diese beiden finden sich, während die meisten der Mäner und Frauen in Mad Men  erst auseinanderdriften müssen, bevor sich neue Formen des Zusammenlebens finden. Kann das gelingen in dieser Zwischenzeit, wie der Dichter Philip Larkin schrieb “Between the end of the Chatterley ban and the Beatles‘ first LP”?  Die Antwort steht aus, auch heute noch, und darum ist “Mad Men” bei aller historischen Akuratesse die Serie unserer Tage.

 

Es geht immer um Gewalt

Mitbloggerin Miriam berichtet folgendes von der Integrationsfront:

Ich habe gestern einen Workshop zum Thema Respekt durchgeführt mit einer ethnisch bunt gemischten Gruppe von Hauptschülern (14 J.), darunter Albaner, Iraker, Italiener, Russen, Polen und ein paar Deutsche. Die Wortführer waren Jungs albanischer, irakischer und italienischer Herkunft – keine Schlägertypen , aber gut informiert über “die Szene”. Für drei Stunden ging die Post ab. Ehre, Ficken, Jungfräulichkeit, Schlampen, Schlagen, Schwule, Opfer, Bozkurt, Black Jackets, Knast und “mein Vater will nicht, dass ich wie mein Bruder/Cousin werde”: Alles kam zur Sprache. Ich war total beeindruckt von ihrer entwaffnenden Ehrlichkeit und ihrer Fähigkeit, die normativen Erwartungen ihrer jeweiligen Kultur und die Gesetze der Straße zu artikulieren. Schwer beeindruckt hat mich ihre Bereitschaft, sich auf meinen Ansatz einzulassen, dass diese Regeln und Gesetze in Albanien, im Irak, in Anatolien oder Sizilien zwar funktional sein mögen, aber in Deutschland kontraproduktiv und GG- bzw gesetzeswidrig seien, und dass man hier andere Lösungsansätze braucht. Und auch dass die Überwindung der Tradition der Preis dafür sei, dass man in diesem Land leben darf.

Es war eine total zivilisierte und respektvolle Debatte, die den Vergleich mit anderen Workshops, die ich für Sozialpädagogen, Lehrern oder Mentoren durchgeführt habe nicht zu scheuen braucht. Im Gegenteil: Es war mit das Spannendste, was ich je erlebt habe. Aber die ganze Zeit ging es letztlich um Gewalt: Gewalt als Mittel der Konfliktlösung, Gewalt als legitimes und notwendiges Erziehungsmittel, Gewalteinsatz, um die Ehre der Familie zu verteidigen, Gewalt gegen Töchter und Schwester, die sich wie Schlampen benehmen, Gewalt gegen deutsche “Opfer” (nicht gegen Nazis, denn die können sich wehren), Gewalt auf dem Fußballplatz.
Und dann beklagte sich ein junger, sehr sympathischer Italiener, dass er und sein Kumpel von zwei deutschen Jungs angemacht worden seien und sich gekloppt hätten, und dann sei die Polizei gekommen und hätten den Ausländern die Schuld gegeben. “Klar ist das unfair. Aber wundert dich das?”, habe ich ihn gefragt? Ich holte die Lokalzeitung vom Vortag aus meiner Tasche heraus und zitierte: 1. junger Frau das Handy geraubt; Täter vermutlich Südländer; 2. 49-Jähriger auf dem Fußgängerweg zwischen zwei am Rande der Stadt liegenden Dörfer von einer mit Messer und Pistole bewaffneten Gruppe junger Männer überfallen und ausgeraubt. Täter vermutlich Osteuropäer.” Und dann fragte ich ihn: “Und wer hat letztens den deutschen Jungen auf dem Sommerfest halb tot geschlagen?” “Die XY-Gang”. Und wer gehört dazu? “Kurden, Russen, Kroaten, Bosnier.”. “Und du wunderst dich, dass man annimmt, dass ihr angefangen habt?”. “Naja, eigentlich nicht.”

Ich habe die Jungs, die die Mitglieder der XY-Gang alle gut kennen, gefragt, warum diese Jungs (13 – 17 Jährige) sich trauten in ein anderes (eher bürgerliches) Viertel zu gehen und vor den Augen vieler deutscher Erwachsener sich einen deutschen Jungen zu schnappen und ihm so übel zuzurichten, dass jeder Knochen im Gesicht gebrochen wurde. Die einmütige Antwort lautete: ” Es war ein Skater, die sind alle Opfer. Und die XY-Gang hat die Black Jackets hinter sich.“

Zum Schluss mussten sie mir recht geben, dass man sich nicht wundern kann, wenn “die Deutschen” – und nicht nur die Skater mit den blöden Opferhosen – anfangen zu zittern, wenn eine Gruppe Jungmänner mit Migrationshintergrund auf sie zukommt, und dass die Polizei automatisch annimmt, die mit Migrationshintergrund seien schuld. Und dass die Deutschen aus ihrem Viertel ausziehen und nur Ausländer zurückbleiben. Und dass es keine deutschen Spieler mehr gibt in ihrem (ehemals) deutschen Fussballverein. Die Jungs haben sogar die Polizei in Schutz genommen und gemeint nicht alle Polizisten seien ausländerfeindlich oder so. Viele seien echt in Ordnung. Die Kids sind auch in Ordnung, und mit 14 “noch zu haben”. Und wenn die deutsche Gesellschaft sie nicht “holt”, dann werden es Typen wie die Black Jackets, die angeblich fleißig am Rekrutieren seien, es womöglich tun. Und dann wird es noch schwieriger, als Deutschtürke bei Sixt ein Auto zu mieten.

 

Lob des Internets

Ich verfüge dank dem Relaunch der ZEIT-Blogs über ein wunderbares Instrument namens Blog Stats, mit dem ich Euch, liebe Mitblogger, komplett durchleuchten kann. Ich sehe zum Beispiel, welche Suchbegriffe euch hierher geführt haben.

Und da ergibt sich heute diese Rangliste des gestrigen Tages, die mich denn doch  sehr zum Grübeln bringt. sarrazin, jörg lau, schwuler außenminister, auspeitschung, schwuler aussenminister, ausgepeitscht, vietnamesen + gewalt??? Wow.

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Westerwelles Erfolg: Gay Pride

Noch ist Guido Westwerwelle gar nicht Vizekanzler und Außenminister – da beneidet uns die Welt schon um ihn:

Mein Lieblingsblogger Andrew Sullivan, der konservativ-katholische, offen schwule Obama-Freund, hat aus nahe liegenden Gründen Freude am deutschen Wahlergebnis – und fragt sich, warum so etwas in Amerika nicht denkbar ist, dem Ursprungsland der Gay-Rights-Bewegung:

„Westerwelle is now the world’s leading non-leftist gay leader. His politics are eclectic: for example, he favors removing the last American nuclear weapons from Germany. He came out formally five years ago. The Germans paid no mind.

Meanwhile, in America, there are almost no openly gay politicians, and one major party seeks to marginalize and disenfranchise gay people, stripping them of all relationship rights, and running ad campaigns focused on the „threat“ that openly gay couples pose to schoolkids.“

Ich hatte letzte Woche eine Gruppe von amerikanischen Deutschlandkennern zu Gast, die mich auch neidisch fragten.

He’s openly gay, right? And this is a total non-issue?

Ja, isses, und das ist auch gut so.

 

Pathos des Eigensinns

Dieser Tage erscheint das Doppelheft des Merkur zum Thema „Heldengedenken“. Ich habe eine Aufsatz über „Heldentum und Zivilcourage“ geschrieben, der das Heft eröffnet. Es folgt ein Auszug: (Das Heft lohnt sich zu kaufen!)

Am 20.Dezember 2007 kehrt der pensionierte Realschulrektor Hubert N.
von einer Weihnachtsfeiermit seinen alten Kollegen heim. AmMax-Weber-Platz steigt er um in die U4 Richtung Arabellapark und nimmt im letzten Wagen Platz, in der letzten Sitzreihe, wie er es immer tut. Zwei angetrunkene junge Männer setzen sich ihm gegenüber, Serkan A. und Spyridon L. Die beiden zünden sich eine Zigarette an und blasen den Rauch in Richtung des Rentners. Der sagt irgendwann den Satz, der sich als fatal erweisen wird: »In der U-Bahn wird nicht geraucht.« Die beiden beschimpfen ihn daraufhin als »deutsches Arschloch« und »scheiß Deutscher«. Als er aussteigt, folgen sie ihm und stoßen ihn, wie sich auf Überwachungsvideos beobachten lässt, von rückwärts zu Boden. Dann traktieren sie ihn mit Tritten gegen Kopf und Bauch. »Sie spielten Fußball mit meinem Kopf«, erinnerte sich der Lehrer. Er erleidet einen dreifachen Schädelbruch.
Der Fall Hubert N. wurde sehr schnell zu einem Politikum. Bald ging es um »kriminelle Ausländer« und eine vermeintlich allzu lasche Justiz. Das Getöse der Parteien um den Vorfall hat es bald unmöglich gemacht, ihn als
eine Episode zu sehen aus dem ganz normalen Alltag unserer Städte, die von ethnisch motiviertem Hass, Feigheit und Zivilcourage handelt. Wenn Roland Koch den Vorfall nicht für seine populistische Wahlkampagne zu vereinnahmen versucht hätte, fiele es leichter zu erkennen, dass das Schicksal des Hubert N. symptomatisch für unseren merkwürdigen Diskurs über »Zivilcourage« hierzulande ist.
Lassen wir die ganze hochideologische Debatte über den Fall beiseite: Auf
dem Überwachungsvideo aus der U-Bahn-Station kann man deutlich erkennen, wie einer der beiden Täter Anlauf nimmt und mit voller Wucht gegen den Kopf des liegenden Sechsundsiebzigjährigen tritt. Die außergewöhnliche Aggressivität der beiden jungen Männer führte zu einer monatelangen, republikweiten Debatte. Weiter„Pathos des Eigensinns“

 

Die Rückseite von Woodstock

Ab und zu darf ich in meiner Zeitung auch über Dinge schreiben, die mir wirklich wichtig sind. Filme zum Beispiel. (Ich schaue fast jeden Tag einen Film, seit ich mit einer ehemaligen Filmkritikerin verheiratet bin.) Und manchmal darf ich dann meine Meinung dazu sagen, wie hier über Ang Lees (mein Lieblingsregisseur der letzten 15 Jahre) neuen Film „Taking Woodstock“. Aus der ZEIT von morgen:

Ang Lee hat sich schon wieder ein neues Milieu, ein neue Ära zu eigen gemacht – nun also Woodstock und die späten Sechziger. Man fragt sich bewundernd, ob es eigentlich irgendetwas gibt, das dieser Regisseur nicht kann. Und zugleich bleibt man doch ein kleines bisschen enttäuscht zurück, denn „Taking Woodstock“ ist sicher kein ganz großer Film unter den vielen, die wir Lee schon zu verdanken haben. Gegen den abgründigen Spionage-Thriller „Gefahr und Begierde“ etwa fällt die luftig-leichte Hippie-Komödie deutlich ab. Und von „Brokeback Mountain“, dem größten Melodrama der letzten Jahre, wollen wir mal gar nicht erst anfangen. Aber müssen sich Genies denn immer selbst übertreffen?
Ein Rätsel, wie jemand so vielfältig erzählen kann: Ang Lees Filmwelt spannt sich auf zwischen Taiwan und Montana, zwischen Jane Austen und Marvel-Comics, zwischen chinesischen Familiendramen im heutigen Hongkong und einer tragischen schwulen Erweckungsgeschichte im Cowboymilieu der Fünfziger. Lee ist der große Melodramatiker, der Gefühls- und Beziehungsregisseur unserer Tage – ein Douglas Sirk ohne Kitsch, der zu seiner und unserer Entspannung gelegentlich auch mal einen Actionfilm macht.
Oder eine leichte Komödie wie diese hier, seine erste seit fünfzehn Jahren, als er mit dem „Hochzeitsbankett“ und „Eat Drink Man Woman“ auf der Szene erschien. Doch diesmal hat Lee sich eine wahre Geschichte vorgenommen – eine Premiere in seinem Oeuvre. Es wird erzählt, wie es dazu kam, dass eine halbe Million Hippies in das Kaff Bethel bei Woodstock einfiel, tief im „Borscht-Belt“ der Catskills gelegen, wo sonst jüdisch-osteuropäische Einwanderer ihre Sommerfrische zu verbringen pflegen. Dass dieser Film kein ganz grosser geworden ist, mag durchaus damit zu tun haben, dass Lee das Material nicht vollkommen gehört. Offenbar braucht er für seine Höhenflüge die Freiheit des Fiktionalen. Diesmal aber bilden die Erinnerungen Eliot Teichbergs den Rahmen, eines eher obskuren, aber entscheidenden Hintermanns des Woodstock-Festivals.

Eliot wollte eigentlich bloß seinen Eltern helfen, die Zwangsversteigerung ihres heruntergekommenen Motels abzuwenden. Dabei ist es kein Wunder, dass sie vor dem Ruin stehen: Seine dominante Mutter (wunderbar kratzbürstig: Imelda Staunton) und sein unterdrückter Vater (Henry Goodman) sind wohl die ungastlichsten Wirtsleute, die man sich denken kann – wortkarg, bitter, knauserig. Als Eliot, der eigentlich Innenausstatter in New York werden möchte, von einem Musikfestival hört, das in einem Nachbarort an den Vorbehalten der Bewohner gegen die Hippies zu scheitern droht, kommt er auf eine Idee mit Folgen: Sollen die Hippies doch nach Bethel kommen und auf der Wiese der Teichbergs ihr Festival abhalten! Am Ende wird es zwar die Wiese des Nachbarn Max Yasgur werden, weil die Teichberg-Farm in Wahrheit zu weiten Teilen ein Sumpfgebiet ist. Aber das kaputte Motel der Eltern wird tatsächlich zur Keimzelle des größten Ereignisses der Gegenkultur der 60er. Die Organisatoren haben hier ihr Büro, einige zentrale Bands steigen in dem Haus ab, und Hunderte kampieren am Ende auf dem Land der Teichbergs.
Doch das ist alles nur der Hintergrund für die Geschichte Eliots, seiner Familie und Freunde. Eliot, gespielt von dem sehr witzigen Comedian Demetri Martin in seiner ersten Rolle, wird zu unserem Führer durch die legendären Tage voller Frieden, Matsch und Musik. Er verliert seine Jungfräulichkeit mit einem der Bühnenarbeiter, er schmeißt seinen ersten Trip, und schließlich lernt er seine Eltern von einer neuen Seite kennen. (Wenn ich richtig gezählt habe, ist dies bereits das dritten schwule Coming Out in Lees Werk – ziemlich bemerkenswert für einen erklärtermaßen heterosexuellen Regisseur, der Vater zweier Söhne ist.) Die Teichbergs betrachten die langhaarigen jungen Leute mit den auffällig geweiteten Pupillen zunächst voller Verdacht, wie alle in der verschlafenen Gemeinde. Dann jedoch entdecken sie zahlreiche Möglichkeiten, ein gutes Geschäft mit ihnen zu machen, weil es viel zu wenig Schlafplätze und Verpflegung für die in Scharen anreisenden Freaks gibt. Und schließlich werden auch sie kurz vom Geist des Wassermannzeitalters erfasst – mit Hilfe einiger Kekse mit speziellen Zutaten. Eine der schönsten Szenen des Films zeigt die beiden alten Herrschaften vollkommen stoned und ausgelassen tanzend – vielleicht zum ersten Mal entspannt und befreit, seit die beiden Einwanderer das Shtetl in Weissrussland verlassen haben.
Dies ist kein Woodstock-Film. Wir sehen weder Hendrix, noch Joplin, noch die Who. Niemand imitiert Richie Havens. Manchmal wehen zwar einige Akkorde zum „El Monaco“-Motel herüber. Aber hier geht es im Grunde, wie so oft bei Ang Lee, um die Lebenswege einiger nicht ganz normaler Individuen, die vom Wind des Wandels erfaßt werden. Diesmal ist es kein Eissturm, der Menschen von ihrem Weg abbringt und ihre Beziehungen zertrümmert – wie in dem gleichnamigen Film. Es ist eine freundliche Brise: Eliot hat sein Coming out, seine Eltern schütteln die alte Einwandererangst ab, Eliots Freund Billy lernt mit seinem Vietnamtrauma zu leben, Max Yasgur lernt die Hippies als höfliche Menschen zu lieben. Und der muskulöse Transvestit und Ex-Marinesoldat Vilma findet seine Lebensaufgabe als Security-Dragqueen im rosa Fummel. Liev Schreiber ist in dieser Rolle der heimliche Held des Films, mit langen blonden Haaren, imposanten Oberarmen und einem Herz aus Gold.
Es macht Spaß, sich die Rückseite des berühmten Festivals von Ang Lee ausmalen zu lassen. Aber hier liegt auch ein Problem des Films: Im Vergleich zu Lees großen Melodramen wie „Eissturm“, „Brokeback Mountain“ oder „Gefahr und Begierde“ wirkt „Taking Woodstock“ irgendwie spannungslos. Und das ist ausgerechnet bei diesem Thema dann doch misslich.
Martin Scorcese war als junger Regisseur an der legendären Woodstock-Doku von Michael Wadleigh beteiligt, die unser Bild des Festivals geprägt hat. Im Rückblick hat Scorcese einmal gesagt: „Heute schauen viele Leute sentimental auf den Geist von Woodstock zurück. Aber ich glaube, er enthielt Elemente von etwas Bedrohlichem, die nie gezündet wurden.“ Schade, dass Ang Lee diese bedrohlich lauernden Elemente nicht wenigstens zeigt: Drogenwahn, Gewalt und Kommerz, die leider schon bald die Bewegung verschlingen sollten. Die Kostbarkeit des Moments unverhoffter Freiheit, den wir mit Eliot, seine Freunden und seinen Eltern erleben, hätte das noch gesteigert.

 

Obama knickt ein

Obama will die Fotos von Folterungen nicht veröffentlichen.
Ein Übersetzer für Arabisch wird aus dem Militär gefeuert, weil er offen schwul ist – und der Präsident tut nichts dagegen, obwohl er im Wahlkampf versprochen hat, eine tolerantere Politik gegenüber Homosexuellen in der Army einzuschlagen.

Und Jon Stewart beweist angesichts dieses erstaunlichen Einknickens, dass Obama vor Satire keineswegs sicher ist.

The Daily Show With Jon Stewart M – Th 11p / 10c
Moral Kombat
thedailyshow.com
Daily Show
Full Episodes
Economic Crisis Political Humor
 

Gerechtigkeit für Harvey Milk

Ab und zu darf ich in meiner Zeitung auch über die Dinge schreiben, die mir wirklich wichtig sind. Filme zum Beispiel. Ich sehe im Schnitt jährlich weit über 300 Filme. Idealerweise jeden Tag einen.

Und dies hier ist mein Kommentar zur diesjährigen Oscar-Saison aus der morgigen ZEIT:

 

Eine Nachricht an die Damenwelt vorweg: Dieser Oscar-Jahrgang ist ein Triumph der Kerle. Lange gab es nicht mehr so viele interessante Männerrollen. Zwei alte Bekannte – Sean Penn und Mickey Rourke – feiern großartige Comebacks, als schwuler Bürgerrechtler der eine, als abgehalfterter Profi-Wrestler der andere. Zwei Kämpfe um männliche Würde: Dem einen wird sie von der Mehrheitsgesellschaft abgesprochen, dem anderen droht sie beim Abstieg im Alter zu entgleiten. Wenn es mit rechten Dingen zugeht, muss Sean Penn als Harvey Milk, der erste offen schwule Politiker Amerikas, den Oscar bekommen. Und Gus Van Sant für seine historisch genaue und politisch mitreißende Regie gleich noch die Trophäe für den besten Film dazu. 

Milk, der jetzt in unsere Kinos kommt, ist mit Abstand der bedeutendste amerikanische Film des Jahres. Und der einzige, der seine Nominierung wirklich verdient. Wahrscheinlich werden Slumdog Millionaire und Benjamin Button das Rennen machen – zwei Märchen für Erwachsene, die bedeutsam tun, gerade weil sie eher schlicht gestrickt sind. Doch an Milk wird man sich noch lange erinnern. Und Sean Penn ist sein Kraftzentrum: Er hätte den Märtyrer Harvey Milk – erschossen von einem konservativen -Expolitiker – als heiligen Sebastian der Schwulenbewegung spielen können. Das Thema hat einen enormen Sog zum Kitsch, weil Milk längst kein Mensch mehr ist, sondern eine Ikone der schwulen und lesbischen Bürgerrechtsbewegung. Doch Penn zeigt uns den Liebenden, den Empörten, den Mitfühlenden, der das Recht aufs Anderssein erkämpft und doch über die Min-derheitenpolitik hinauswill. Nicht normal sein müssen und doch das Anderssein nicht feti-schisieren: Ohne Angst anders sein, darum
geht es. Das ist kein Minderheiten-, sondern ein Menschheitsthema. 

Mickey Rourke als Wrestler – das klingt nach einer geballten Ladung Camp. Doch in dem ledrig-maskenhaften Fleischklops von einem Mann zuckt ein empfindsames Herz, das durch einen Infarkt sein Recht verlangt. Früher hätte Rourke diesen Typen mit einer Überdosis Pathos und Selbstmitleid gespielt – Marlon Brando auf Anabolika. Irgendetwas ist mit Rourke in der langen Zeit seiner Leinwandabstinenz passiert. Im altern-den Körper des Testosteronmonsters regt sich See-lenhaftes. Ein echter Mann darf keine Angst vor den eigenen Gefühlen haben. Wer Paul Mazurskys The Wrestler (Kinostart: 26. Februar) sieht, wird schmerzlich daran erinnert, dass die weiße Unterschicht aus dem amerikanischen Kino nahezu vollständig verbannt ist. Dass sie ausgerechnet in diesem Krisenjahr mit Rourke zurückkehrt, könnte man für Vorsehung halten.

Noch drei große Männerrollen sind zu erwähnen: Heath Ledger wird zu Recht postum für seinen abgründigen Joker geehrt werden, der im guten Batman das Schlimmste hervorbringt. Frank Langella weiß aus Richard Nixon (Frost/Nixon) einen fast sympathischen, unglücklichen Aufsteiger herauszupräparieren. Und Richard Jenkins, bekannt aus Six Feet Under, hat endlich eine Hauptrolle (The Visitor) als verstockter Professor aus Neuengland, der durch ein Pärchen illegaler Einwanderer seine lange verschüttete Menschlichkeit wiederfindet. 

Um die Frauen muss man sich in diesem Jahr Sorgen machen. Und dafür steht leider der Erfolg Kate Winslets, die auf dem besten Weg ist, sich selbst auf die Verkörperung des attraktiven Opfers festzulegen. Sie ist gleich mit zwei Studien- über zu kurz gekommene Weiblichkeit auf dem Markt: In Revolutionary Road gibt sie eine Ehefrau, die an den engen fünfziger Jahren zuschanden geht, und selbst die NS-Täterin Hannah im Vorleser (Kinostart 26. Februar) gerät ihr zur Studie über zu spät erblühte Weiblichkeit. Das sollte bei einer klugen und schönen Frau, die auch anders kann, den Kitsch-Alarm auslösen.

Debra Winger in den achtziger Jahren

Ob die Akademie den Mumm hat, statt Wins-let die junge Anne Hathaway für ihre Bravourleistung in Rachels Hochzeit zu belohnen? Seit Brokeback Mountain weiß man, dass Hathaway mehr kann als betörend mit ihren Rehaugen funkeln. Sie spielt die Exjunkie-Schwester, die Schuld auf sich geladen hat und nun in Selbsthass und -mitleid zu versinken droht, mit befreiender Energie. Jonathan Demme ist mit diesem Film endlich wieder da. Und er hat die große Debra Winger für eine Nebenrolle mitgebracht (wo war sie bloß?). Das ist kein geringer Trost in diesem eher schwachen Oscar-Jahr. 

… und heute, mit 52 Jahren