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Warum ich (immer noch) gegen ein NPD-Verbot bin

… steht in diesem Artikel, der am 31. August 2000 unter dem Titel „Helm ab zum Verbot“ in der ZEIT erschien. Damals stand die Bundesregierung hinter dem Verbotsantrag. Die heutige Regierung hat aus dem Scheitern der damaligen gelernt. Die SPD offenbar aus ihrem eigenen Desaster von damals – nicht. Rösler hat recht, die Sache nicht zu unterstützen und für die FDP zu erklären, man stehe nicht dahinter. Seehofer ist ein politischer Opportunist übelsten Wassers, wenn er darum der FDP „Verharmlosung“ der Nazis vorwirft. Im Gegenteil verharmlost, wer die Sache durch Verbote regeln will.

Wie dem auch sei, an meinem Essay von vor fast 13 Jahren habe ich interessanter Weise nichts zurückzunehmen:

Rassistische Terrorakte erschüttern das Land. In ihrer Not erwägt die Regierung das Verbot von Demonstrationen und Parteien. Wird der Demokratie der Preis der Freiheit zu hoch?

Seit die Bundesregierung die Absicht erklärt hat, beim Bundesverfassungsgericht ein Verbot der NPD zu beantragen, falls ein solcher Antrag Aussicht auf Erfolg habe, sind allerlei praktische Bedenken laut geworden. Kein Einwand traf das prinzipielle Mittel des Verbots. Die Atmosphäre allgemeiner Beflissenheit im „Kampf gegen die Nazis“ scheint alle Erinnerung an einen früheren Kampf getilgt zu haben, der in der Bundesrepublik einmal von linksliberaler Seite gegen die unselige Praxis des Parteienverbots geführt wurde. Heute scheinen Opportunität und Umsetzbarkeit die einzigen Kriterien für die Wünschbarkeit eines Verbots zu sein. Es gebe wahrscheinlich, so ließ sich der nordrhein-westfälische Innenminister vernehmen, gar nicht genug belastendes Material zur Begründung eines Verbotsantrags. Würde der Antrag aber scheitern, so fürchten andere, dann dürfte sich nicht nur die NPD, sondern die gesamte rechte Szene gerechtfertigt fühlen. Bei einem erfolgreichen Verbot der NPD hingegen würden sich nur die beiden konkurrierenden Parteien – DVU und Republikaner – freuen, denen das gesamte Feld des legalen Rechtsradikalismus zufiele. Die illegale Szene werde abtauchen und sich der Beobachtung entziehen. In einem Verfassungsschutzbericht werden die Führer einer norddeutschen „Kameradschaft“ zitiert, die sich geradezu erleichtert über die Aussicht zeigen, dass sie mit einem NPD-Verbot auch die Staatsspitzel loswerden können, die bisher in allen Parteiveranstaltungen sitzen.

Es sei, gaben schließlich Kenner der Szene zu bedenken, ohnehin illusorisch, zu glauben, man könne mit einem Parteiverbot dem Terror Einhalt gebieten. Die rassistischen Gewalttaten seien nicht zentral gesteuert. Internet und Mobiltelefon haben in der rechten Szene hierarchische Kaderstrukturen obsolet gemacht und eine neue Form von Aktivismus hervorgebracht, den spontanen, selbst organisierten „Feierabendterrorismus“. Alle Einwände, kurz gesagt, laufen darauf hinaus, dass ein Verbot der NPD zur Lösung des akuten Problems kaum etwas beitragen kann. Auch die historische Legitimation für die Anwendung des Arsenals der „wehrhaften Demokratie“ wurde bestritten: Die Weimarer Republik, so legte der Historiker Hans Mommsen dar, sei nicht daran gescheitert, dass ihr die rechtlichen Mittel fehlten, sich ihrer Feinde zu erwehren – sie hatte solche Mittel und hat sie auch angewandt -, sondern am mangelnden Freiheitssinn ihrer Bürger.

Letzteres ist nun allerdings ein passendes Stichwort, unter dem sich die laufende Debatte betrachten lässt. Weiter„Warum ich (immer noch) gegen ein NPD-Verbot bin“

 

Der sinnlose Kampf gegen die Homo-Ehe

Heute musste ich, unter dem Eindruck der CDU-Debatte über die völlige rechtliche Gleichstellung für Homosexuelle, an den „Gesprächsleitfaden“ für Einbürgerungstests denken, den das Land Baden-Württemberg im Jahr 2006 erstellt hatte. Da gibt es diese beiden Punkte:

29. Stellen Sie sich vor, Ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell und möchte gerne mit einem anderen Mann zusammenleben. Wie reagieren Sie?

30. In Deutschland haben sich verschiedene Politiker öffentlich als Homosexuelle bekannt. Was halten Sie davon, dass in Deutschland Homosexuelle öffentliche Ämter bekleiden?

Volker Kauder, ein Politiker aus Baden-Württemberg, sagt heute im Spiegel: „Die Union will keine Homo-Ehe, und daran hat sich nichts geändert.“

Gegen die „Homo-Ehe“ zu sein bedeutet nicht notwendigerweise, homophob zu sein (wobei sich das natürlich oft überschneidet). Kauder möchte die Institution der Ehe schützen, die in seiner christlich geprägten Weltsicht einzig und allein für heterosexuelle Paare offen sein darf. So sehen das natürlich auch viele gläubige Muslime, um nicht zu sagen: so gut wie alle. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich meine nicht, dass nur der, der für volle rechtliche Gleichstellung Schwuler und Lesben hierzulande ist, auch das Recht hat, die himmelschreiende Ungerechtigkeit anzuprangern, die Menschen mit solcher Orientierung in islamisch geprägten Ländern (aber weiß Gott nicht nur da, siehe weite Teile Afrikas!) angetan wird. Ich vergleiche auch nicht die letzten Reserven konservativer Politiker hierzulande mit dem Schwulenhass in anderen Teilen der Welt. Das wäre bizarr und würde verkennen, wie weit sich dieses Land bewegt hat.

Aber es ist schon pikant: 2006 fand man es opportun, in einem christdemokratisch regierten Land die einbürgerungswilligen Moslems zu zwiebeln, indem man eine progressiv-liberale Einstellung zu Schwulen und Lesben zum Maß der Zugehörigkeit zur deutschen Wertegemeinschaft machte. Die Verdacht war natürlich, vielleicht auch die Hoffnung, dass viele wegen der endemischen Homophobie im Islam scheitern würden. (Ist nicht so gekommen. 98% bestehen den Einbürgerungstest.) Die Fragen über Homosexualität werden heute übrigens nicht mehr gestellt, und das ist auch gut so. Aber dies ist erst nach öffentlichem Protest so gekommen. Es war eine ziemliche Heuchelei, dass Toleranz gegenüber Homosexuellen zum Maßstab gemacht werden sollte.

Das zeigt die hilflose Unionsdebatte dieser Tage.

Um weitere Missverständnisse zu vermeiden: Ich bin sehr dafür, eine Debatte über islamisch begründete Homophobie zu führen (und habe das hier auch immer wieder getan). Wenn das aber aus durchsichtigen taktischen Gründen geschieht (weil man das Zurückgebliebene und Hinterwäldlerische am Islam herausarbeiten will, während einem die Schwulen und Lesben herzlich egal oder gar unsympathisch sind), wenn dann noch im Gegenzug das Nein zur „Homo-Ehe“ (welch ein Wort!) zum letzten Alleinstellungsmerkmal des Konservatismus gemacht wird, nachdem Atomkraft und Wehrpflicht futsch sind – dann wirkt das doch reichlich verlogen.

Noch einmal: Ich unterstelle Volker Kauder keine Homophobie, und auch der Kanzlerin nicht, die jetzt ein „Machtwort“ in der Sache gesprochen haben soll. Volker Kauder hat einen ausgesprochenen Sinn für (andere) Minderheiten und ihre Rechte. Ich schätze Kauders Engagement für verfolgte Christen weltweit. Wo immer ich bei meinen Reisen im letzten Jahr hinkam – ob bei bedrängten Christen in der Türkei oder in Ägypten, Kauder war immer schon da gewesen. Das ist keine Kleinigkeit.

Aber er und Merkel führen die Christdemokraten soeben in eine sehr enge und dunkle Gasse, scheint mir. Das Verfassungsgericht wird die volle rechtliche Gleichstellung fordern, spätestens vor der Sommerpause, wenn das Urteil zum Ehegattensplitting erwartet wird. Es gibt einfach kein schlagendes Argument dagegen. Wer homosexuellen, verheirateten (verpartnerten) Menschen die gleichen Pflichten auferlegt wie denen in anderen Beziehungen, der kann ihnen auch die Rechte nicht verweigern, die den anderen zukommen.

Eine Regierung, die sich im Ausland durch einen verheirateten Homosexuellen vertreten lässt, macht sich lächerlich, wenn sie solchen Lebensgemeinschaften, wie sie Guido Westerwelle und Michael Mronz bilden, volle Rechte verwehrt. Kauders Basta-Spruch über die „Homo-Ehe“ ist für Westerwelle und Mronz ein Schlag ins Gesicht.

Offensichtlich geht es hier darum, noch einmal an einer Stelle „Flagge zu zeigen“, ganz egal ob das sinnvoll oder durchhaltbar ist. Das ist deshalb so sinnlos, und zeigt damit die inhaltliche Ausgehöhltheit des deutschen Konservatismus, weil hier ein konservativer Impuls bestraft wird: der Wunsch der Schwulen und Lesben, als Teil derselben Wertegemeinschaft anerkannt zu werden, für die Kauder zu stehen beansprucht. Wir sind genauso verantwortungsvoll, bindungs- und liebesfähig wie ihr. Ja, wir wollen so sein wie ihr, so leben wie ihr. Warum soll man das zurückweisen? I don’t get it.

Was ich nicht verstehe, ist die Blindheit der Union für diese konservative Wende in der Schwulenbewegung: Mit der Öffnung der Ehe für andere Lebensformen wird diese Institution ja nicht geschwächt, sondern bestärkt. Ehe ist offenbar so attraktiv, dass selbst Schwule und Lesben sie wollen. Das ist eigentlich ein urkonservativer Impuls, den die „kulturrevolutionäre“ Fraktion unter den Homo-Aktivisten auch deshalb immer abgelehnt hat. (Die glaubte immer, dass Homosexualität ein Weg aus „Zwangsheterosexualität“ der Gesellschaft ist, eine Art dritter Weg.)

Es gibt keine stichhaltigen Gründe, adoptionswillige schwule oder lesbische Paare anders zu behandeln als heterosexuelle. Selbstverständlich soll deren Zuverlässigkeit geprüft werden, wie es alle anderen auch über sich ergehen lassen müssen.

Es gibt keine Gründe, einer solchen Lebensgemeinschaft das Ehegattensplitting zu verweigern und sie also steuerlich schlechter zu stellen als „normale“ Ehen. Das Splitting sollte ohnehin abgeschafft werden, weil es nicht (oder nur mittelbar) den Kindern zugute kommt, an denen es Deutschland mangelt. Es ist eine überlebte Subvention der Hausfrauenehe, eine Prämie für Gehaltsungleichheit zwischen den Geschlechtern. Es könnte durch ein „Familiensplitting“ ersetzt werden, bei dem die Zahl der Kinder die steuerliche Begünstigung bestimmt.

Die Union hat die Chance verpasst, die wertkonservative Wende der Schwulen und Lesben für sich zu nutzen. Sie verteidigt eine sinnlose Position, von der sie heimlich weiß, dass sie bis zu den Sommerferien geräumt werden muss. Man wird ihr dann zu Recht vorwerfen, den Konservatismus weiter ausgehöhlt zu haben.