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Die letzten Jünger

Eine schöne Weihnachtszeit und einen glücklichen Jahreswechsel wünsche ich allen Besuchern dieses Blogs!

Wer sich gefragt hat, was ich eigentlich die letzte Zeit gemacht habe, findet hier die Früchte einer wochenlangen Recherche in der Türkei, in Palästina und Ägypten.

Eine frohe Botschaft konnte ich allerdings nicht mitbringen. Den Christen geht es nicht gut in den Umbrüchen dieser Tage.

Gläubige werden verfolgt, Kirchen zerstört: Ist im Nahen Osten nach den arabischen Revolutionen noch Platz für die christliche Minderheit? Eine Reise zu Gläubigen in Ägypten, der Türkei und Palästina.


In der Einsamkeit: Mönch vor dem Aufgang zum Kloster Mor Augin in der TürkeiIn der Einsamkeit: Mönch vor dem Aufgang zum Kloster Mor Augin in der Türkei © Jörg Lau für die ZEIT

Nur ein paar Sekunden, und Fady wäre zum Märtyrer geworden. Hätte er in der Neujahrsnacht bloß ein paar Sekunden früher die Messe verlassen, wäre er heute eines jener 22 Bombenopfer, die von monumentalen Plakaten an der Markuskirche und der Petrikirche auf die Lebenden herunterlächeln. Mithilfe digitaler Bildbearbeitung hat man sie in weiße Kleider gehüllt und ihnen goldene Kronen aufgesetzt.

Die Bombe explodierte damals direkt vor der Kirche. Die Umgekommenen sind heute Heilige für die koptischen Christen Ägyptens. Ihre Überreste – Knochensplitter, Haare, blutbefleckte Kleidungsfetzen – werden in einer Kirche in der Nähe des Strandes von Alexandria ausgestellt. Pilger berühren die Reliquienschreine und beten. Sie kritzeln Wünsche auf kleine Zettel und stecken sie hinein. Fady tut das auch. Er ist 20 Jahre, trägt Jeans, ein schrilles T-Shirt. Ein ganz normaler Student der Betriebswirtschaft. Doch er kann sich nicht mehr richtig bewegen. Vor einem Jahr ist er mit dem Leben davongekommen, aber die Detonation zertrümmerte sein linkes Bein und verbrannte ihm die Hände.

Fady M., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung gedruckt haben möchte, ist ein verfolgter Christ. Dem aufgeklärten Kirchgänger des Westens dürfte schon der Begriff Christenverfolgung unangenehm sein. Aber es gibt tatsächlich wieder Christen, die ihres Glaubens wegen ihr Leben lassen. In Europa wird das Christentum selbstkritisch mit Macht, Reichtum, Imperialismus und Kolonialismus assoziiert. Doch im Nahen Osten, an den ältesten Stätten ihrer Religion, den historischen Orten der Urgemeinde, sind Christen heute unter Druck, verletzlich, schwach – und in Gefahr. Am Schicksal der christlichen Minderheiten in Ägypten, im Irak, in Syrien und anderswo wird sich zeigen, wie human und tolerant die demokratiehungrigen islamischen Gesellschaften sind.

In Kairo wurden vor einem Jahr koptische Demonstranten von Sicherheitskräften niedergewalzt. Sie hatten vor dem Gebäude des ägyptischen Fernsehens gegen die Drangsalierung einer Gemeinde im Süden des Landes protestiert. 28 Menschen starben, Hunderte wurden schwer verletzt. Täglich werden seither Christen entführt und Kirchen angegriffen. Das Neueste ist, dass koptische Intellektuelle wegen »Blasphemie« eingesperrt werden, wenn sie den Islam kritisieren.

Die Christen gehören zu den Verlieren der arabischen Revolutionen. Wer sie besucht, findet Menschen im Ausnahmezustand vor – schwankend zwischen Panik und trotzigem Gottvertrauen, hin- und hergerissen zwischen Angriffslust und Fluchtplänen.

Dass einer wie Fady seines Lebens nicht sicher sein kann, verdunkelt das Bild vom arabischen Völkerfrühling. Fady gehört selber zur Generation der Tahrir-Revolutionäre: Er ist auf Facebook aktiv, besitzt ein Smartphone und twittert. Seine Lebensträume unterscheiden sich in nichts von denen anderer 20-Jähriger. Aber für ihn werden sie sich in Ägypten nicht erfüllen. Er ist auf dem Absprung, wie viele andere junge Christen.

Heute ist er zur Kirche gekommen, um Anba Damian zu treffen, den Bischof der Kopten in Deutschland. Der hat Fady gleich nach dem Anschlag in eine Münchner Klinik fliegen lassen. Die Ärzte konnten das Bein retten, aber es ist jetzt steif und zu kurz. Fady muss humpeln. Er will noch einmal nach München, »damit sie es richtig machen«. Der Bischof hört Fady an. Aber es ist unwahrscheinlich, dass er noch einmal hilft. Es sind zu viele, die auf den Geistlichen aus Deutschland hoffen. Der Mittfünfziger mit der Kappe mit den zwölf aufgestickten Kreuzen wird förmlich umdrängt von Überlebenden des Anschlags. Alle strecken ihm ihre Krankenakten entgegen. Alle wollen nach Deutschland. Zur medizinischen Behandlung, und am liebsten für immer…

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Warum das Jüdische Museum (zu Recht) so erfolgreich ist

In meinem Text für die Jubiläumsausgabe der Zeitschrift des Jüdischen Museums in Berlin habe ich darüber nachgedacht, warum Deutschland das Jüdische Museum braucht, auch wenn die „Gedenkphase“ der deutschen Nachkriegsgeschichte vorbei ist:

Wer nach zehn Jahren Gründe sucht, warum Deutschland ein Jüdisches Museum braucht, muss nicht lange wühlen. Zwei jüngere Debatten haben bewiesen, dass sich hierzulande immer noch vieles nicht von selbst versteht, was die deutsch-jüdische Geschichte betrifft – und das gilt für die rechte wie die linke Seite des politische Spektrums.
Im letzten Herbst hatte der neue Bundespräsident Christian Wulff zum Tag der Deutschen Einheit festgestellt, dass „auch der Islam“ inzwischen zu Deutschland gehöre, so wie „zweifelsfrei“ das Christentum und das Judentum. Eine Banalität, möchte man meinen.
Doch es folgten Wochen heftiger Debatte. Noch nie ist ein Bundespräsident für eine solche Aussage von Vertretern seiner eigenen Partei derart angegriffen worden. Grund dafr war nicht die Aussage über das Judentum, sondern Wulffs lässige rhetorische Geste der Inklusion gegenüber dem Islam.
Und nun passierte etwas Interessantes: In den folgenden Tagen war viel die Rede von der „christlich-jüdischen“ Tradition, auf der „unser Verständnis von Menschenrechten und Aufklärung“ beruhe. Die Muslime hätten dazu nichts beigetragen und könnten darum auch nicht in gleicher Weise „zweifelsfrei“ dazugehören.
Hier wurde ein vermeintliches deutsches christlich-jüdisches Erbe in Anschlag gebracht, um Muslime auszugrenzen. Die Rede von der „christlich-jüdischen Kultur“ war historisch immer fragwürdig. Doch hatte sie nach dem Krieg auch einen guten Sinn. Nie wieder sollten Juden als das nicht integrierbare andere schlechthin definiert werden, wie es jahrhundertlang üblich war. Doch in der Kritik an Wulffs Aussage ging es vor allem um die Markierung einer Differenz zu den Muslimen.
Die Juden rhetorisch zu umarmen, um die Fremdheit des Islams herauszustreichen, ist Geschichtsklitterung. Die kaum versteckte Botschaft an die Muslime kam gleichwohl an: Ihr gehört hier nicht her, ihr habt nichts beizutragen, ihr werdet fremd bleiben.
Gut, dass sich Vertreter des deutschen Judentums sofort gegen dieses Spiel verwehrt haben. Wenn führende Politiker dieses Landes heute so reden, als habe 2000 Jahre lang das schönste christlich-jüdische Werte-Einverständnis geherrscht, als hätten Christen und Juden zusammen in herrlichster Harmonie Toleranz und Aufklärung entwickelt, als hätten erst die einwandernden Muslime die schöne deutsch-jüdische Symbiose zerstört – dann ist eine Mission des Jüdischen Museums offenbar auch nach zehn Jahren nicht erfüllt: die spannungsreiche Geschichte der Juden in deutschen Landen in all ihrer Komplexität, Ambivalenz, Größe und Tragik so zu erzählen, dass sich eine „christlich-jüdische“ Instrumentalisierung gegen andere Minderheiten verbietet.
Kann es sein, dass die Politiker, die heute so leichtfertig mit der Formel umgehen, nie im Museum waren? Oder ist es möglich, dass sich bei ihnen einfach die Phrase von den „2000 Jahren deutsch-jüdischer Geschichte“ festgesetzt hat, mit der das Museum anfangs überall beworben wurde?
Die zweite Debatte, die über den Stand der deutsch-jüdischen Dinge hierzulande erschaudern lassen kann, ist der Antisemitismus-Streit in der Linkspartei. Seit Jahren hat Gregor Gysi versucht, seine Partei zu einem Bekenntnis zum Existenzrecht Israels zu führen. In diesem Frühjahr häuften sich dann die Ereignisse, die auf einen tief sitzenden Antisemitismus bei manchen linken Funktionären – vor allem aus der Westlinken – zu deuten schienen, gipfelnd im Schal der Bundestagsabgeordneten Inge Höger, auf dem der Nahe Osten ohne Israel abgebildet war. Gysis Beschlussvorlage, in der die Linke-Fraktion sich zum Existenzrecht Israels bekennt und bei aller Kritik an Besatzung und Boykott von der Teilnahme an der Gaza-Flotille distanziert, löste wütende Reaktionen bei den „antizionistischen“ Kräften der Partei aus. Weiter„Warum das Jüdische Museum (zu Recht) so erfolgreich ist“