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Ein koptischer Bischof will Ägypten verändern

Die letzte Woche habe ich in Ägypten verbracht, in Begleitung des Koptisch-Orthodoxen Bischofs Anba Damian, der für die ägyptischen Christen in Deutschland zuständig ist. Bischof Damian war wegen der Papstwahl in seinem Heimatland, ich konnte die Synode am letzten Montag aus nächster Nähe erleben. Die Reise war Teil einer Langzeitrecherche über Christen im Nahen Osten. Ein Dossier zum Thema soll Ende November in der ZEIT erscheinen. Von meinen Eindrücken kann ich darum hier vieles leider nicht vorab teilen. 

Eine Begegnung aber, die durch Bischof Damian möglich wurde, hat mich sehr bewegt, und über sie will ich einiges mitteilen. Wir trafen Bischof Thomas, einen Freund von Anba Damian, in seinem Projekt namens „Anafora“ 120 Kilometer nördlich von Kairo. Dort hat er mir seine Geschichte erzählt und seinen Eindruck von der Lage der Kopten geschildert. Anders als viele eher vorsichtige und diplomatische Kirchenmänner ist Bischof Thomas ein Freund deutlicher Worte. 

Der Bischof sagt, Ägypten brauche „weniger Religion“. „Die Religion erstickt uns in diesem Land.“ Das ist nicht die einzige erstaunliche Aussage dieses freien Kopfes.

Bischof Thomas wurde 1957 in Kairo geboren, in einer der reichen koptischen Familien. Seine Großmutter war berühmt für ihre Mildtätigkeit. Im Haus der Familie richtete sie eine Suppenküche für die Armen ein. Jeden Tag wurden die Armen an einem besonderen Hintereingang gespeist. Als Thomas 9 Jahre alt war, kam er in Konflikt mit der Großmutter. Er wollte die Armen ins Haus lassen, um sie dort zu speisen. Als die Großmutter insistierte, dass sie nur in der Suppenküche essen durften, begann der Junge, demonstrativ und aus Protest mit den Armen zu essen. Dort traf er einen Mann, der über der traditionellen Jallabia ein teures, aber schmutziges Jackett trug. Er roch schlecht und war sehr schüchtern, er hatte einen weißen Bart. Der Junge kam mit dem Mann, der Gawardy hieß, ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass Gawardy ein sehr belesener Mann war. Er trug immer ein Buch unter seinem Jackett mit sich herum. „Du mußt mehr lernen“, sagt er dem Jungen. Der Junge drängte seine Familie, den weisen Mann zu treffen. Doch die Großmutter insistierte: „Wir geben ihm, was er braucht, aber er kommt mir nicht ins Haus.“ Gawardy führte den jungen Thomas zu den Antiquaren in der Nähe der Kairoer Oper und zeigte ihm die Welt der Bücher. Von seinem Taschengeld konnte er sich hier eine ganze Bibliothek zusammenkaufen. „Gawardy, dieser stinkende arme Schlucker, hat mir ein ganzes Universum erschlossen.“

Anba Thomas, Bischof der Koptischen Kirche in Oberägypten    Foto: J.Lau


Eines Tages kam Gawardy nicht mehr zur Armenspeisung. Eine Woche suchte der Junge nach ihm, zunehmend verzweifelt, bis er in einer Kirchengemeinde einen Priester fand, der sich einen Mann in Jellabia und Jackett erinnerte: „Er ist tot, wir haben ihn vor zwei Tagen beerdigt. Keiner hat nach ihm gefragt. Er hatte wohl niemanden.“
Bis heute, sagt Bischof Thomas, der damals 11 war, „suche ich nach Gawardy.“ Mit seiner Großmutter hat er sich eines Tages versöhnt, „nicht aber mit der ungerechten ägytpischen Gesellschaft“. Er ist Bischof geworden, um – bildlich gesprochen – die Gawardys ins Haus zu bringen.
Er hat als Bischof ein eigenes Haus geschaffen, um dies zu tun. Es heißt „Anafora“ und liegt 120 Kilometer nördlich von Kairo auf dem Weg nach Alexandria. Eigentlich ist es eine Farm, ein Konferenzzentrum, ein Hotel und ein Kloster zugleich.
Er wollte ursprünglich nicht in der Öffentlichkeit wirken. Das Mönchsleben  war seine Sehnsucht, als er in die Kirche eintrat. Der Papst aber schickte ihn als jungen Priester zur Mission nach Kenia. Immer wieder schickte er Bittbriefe an das Patriarchat, er wolle in sein Kloster zurückkehren. Dann, 1988, kam die Order, sofort nach Kairo zurückzukehren. Statt der erhofften Rückkehr ins Kloster eröffnete der Papst ihm seine Absicht, ihn zum Bischof zu weihen.

Für den erst 31jährigen Thomas war das ein Schock, denn der weg zurück ins Mönchsleben war damit verschlossen. Er wurde nach Oberägypten geschickt, wo die meisten Kopten als arme, ungebildete und unterdrückte Landbevölkerung leben: „Als Bischof wollte ich die stützende Hand sein, die die Menschen aufrichtet, nicht die hand, die von oben herab herrscht.“ In Oberägypten habe er schnell gelernt, dass die Menschen nicht nur Nahrung und Kleidung brauchen, sondern vor allem Bildung. Er begann mit der Gründung von Schulen und Kindergärten.

Nach einer Weile wurde ihm deutlich, dass man den Menschen eine Chance geben musste, aus ihrem Umfeld zu entkommen, damit sie sie sich nachhaltig verändern konnten. So kaufte er mit Spendengeldern das Land – ein Stück Wüste an der Autobahn nach Alexandria-, wo dann nach und nach „Anafora“ entstand. In Oliven- und Palmenhainen, Mango- und Kartoffelfeldern lernen die Schüler aus Oberägypten moderne landwirtschaftliche Methoden. In der Küche und im Gastbereich können sie Fähigkeiten für den Broterwerb jenseits der Landwirtschaft erlernen. Ebenso wichtig wie diese Fähigkeiten ist aber die Erfahrung einer würdigen Behandlung. Die „Gawardys“ treffen hier auf reiche Leute, die nach Anafora kommen um sich zu erholen.

Bischof Thomas in seinem Zentrum „Anafora“      Foto: J. Lau

 

Der Bischof lehrt sie, zu den Reichen nicht aufzuschauen, sondern sich als gleichwertige Menschen zu benehmen. „Wir lehren übrigens auch die Frauen hier, dass sie den Männern gleichgestellt sind.“ Wenn sie mit dieser Einstellung zurück auf die Dörfer gehen, wo sie weder ihren Vätern noch ihren Brüdern widersprechen dürfen, finden sie dort Mentoren vor, die ihnen helfen, sich nicht wieder einschüchtern zu lassen.

Die ägyptische Gesellschaft, sagt der Bischof, brauche drei Transformationen: von der Hierarchie zur Gemeinschaft, von der Geschlechterunterdrückung zur Gleichheit, von der religiösen Rigidität zur offenen Spiritualität. „Es ist vielleicht ungewöhnlich, wenn ich das als Bischof sage, aber ich wünsche mir weniger öffentliche Religion in unserem Land. Alles wird hier zur religiösen Angelegenheit, selbst die Luft die wir atmen und das Wasser das wir trinken. Auch das Geld ist zur religiösen Sache geworden. Die Religion legt sich über alles, so dass das Land darunter erstickt. Ich bin ein Bischof, aber ich lehne es ab, alles in religöse Schubalden einzusortieren.“
Bischof Thomas war anfangs begeistert von der Revolution. Er hat das Regime Mubaraks immer verachtet und auch offen kritisiert. Er hatte die Hoffnung, dass Ägypten sich mit der Revolte der jungen Leute wieder zur Welt öffnet, dass „Ägypten wieder kosmopolitisch wird, wie es Alexandria zu seinen besten Zeiten einmal war. Und das ist auch immer noch möglich.“ Die Menschen, sagt er, haben einen Moment der Freheit erlebt, ihre Stimme zählte plötzlich, die Verjagung Mubaraks war ein Augenblick der Würde. Die an der Revolte beteiligten Christen kamen den liberalen Muslimen sehr nah während dieser Zeit.

Um so größer war der Schock darüber, dass die konservativen islamistischen Gruppen wie die Muslimbrüder und die Salafisten die Macht übernehmen konnten. Nun macht die Angst die Runde, dass die immer schon vorhandene versteckte Diskriminierung zu einer offenen Unterdrückung wird. Angst ist schlecht für die Demokratie, meint der Bischof, weil „die Hälfte der Demokratie daraus besteht, aus freien Stücken nein sagen zu können.“

Zweifellos werde das Land nun weiter islamisiert werden, und die Kopten gerieten dadurch in eine generelle Atmosphäre des Drucks. Für die Opfer der Anschläge von Nag Hammadi, Alexandria und Maspero hat es bis heute keine Anerkennung und keine Gerehtigkeit gegeben. Das nährt vor allem bei gut ausgebildeten und vernetzten Eliten das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und den Wunsch nach Auswanderung. „Unsere Elite verläßt das Land, wie sehr ich auch dagegen rede und dage, sie sollen hier bleiben und kämpfen.“ Die Revoluion war ein Vorgeschmack der Freiheit, aber die Demokratie muss noch errungen werden. „Demokratie ist nicht einfach die Herrschaft der Mehrheit. Eine Mehrheit, die der Minderheit keinen Raum lässt, sich frei zu entfalten, ist nicht demokratisch. Demokratie funktioniert nur, wenn jeder Mensch die Verantwortung akzeptiert, den anderen diesen Raum offen zu halten, den sie brauchen.“
Die Zukunft der Kopten sieht der Bischof nicht in Minderheitenrechten: „Wir müssen für allgemeine Rechte kämpfen. Ich bin zuerst Mensch und dann Kopte. Eine Minderheit kann nicht ohne die Mehrheit überleben. Manchem liberalen Moslem fühle ich mich näher als einem verbohrten Christen. Wir müssen mit den liberalen Gruppen zusammenarbeiten, um für einen säkularen Staat zu kämpfen, der Religionsfreiheit für alle garantiert – und das heißt auch Freiheit von der Religion für diejenigen, die nichts damit zu tun haben wollen. Es ist mir ein Ärgernis, dass in meinem ägyptischen Pass steht, dass ich Christ bin. Das hat dort nichts zu suchen. Wir wollen keinen religiösen Staat, nicht einmal einen christlichen. Alle religiösen Staaten der Geschichte sind gescheitert. Wenn es in die andere Richtung geht, und die Scharia mehr Einfluss auf die Gesetze bekommt, wird das zu noch mehr Segregation und weniger Gemeinsamkeit in Ägypten führen. Die fortschreitende Islamisierung und Arabisierung unserer Gesellschaft ist gefährlich. Ägypten muss eine säkulare Gesellschaft werden, weil das allen Bürgern erlaubt, zu wachsen und sich zu entwickeln, wenn sie wollen, auch spirituell.“
Im Jahr 2009 hatte der Bischof diese Vorstellungen in einem Vortrag in den USA bereits geäußert. Danach erschienen Dutzende Artikel, in denen er zum Verräter erklärt wurde. Man drohte ihm seine Staatsangehörigkeit zu entziehen, und er erhielt auch Todesdrohungen. Er ist aber immer noch da und nimmt kein Wort zurück. Er glaubt, dass für Ägyptens Christen harte Zeiten kommen, weil die Islamisten nun am Drücker sind. Aber den Moment der Freiheit und das Erlebnis der Würde kann man den Leuten nicht mehr nehmen: „Ich warte auf die zweite Phase der Revolution, in der die Menschen wirklich Besitz von ihrem eigenen Land ergreifen.“

 

 

Warum die arabische Demokratie einem Angst und Schrecken einjagen kann

Zwei Ereignisse der letzten Wochen haben mich aufgewühlt: das Massaker an den Kopten in Ägypten, dem zwei Dutzend Menschen zum Opfer fielen, und die wütende Mob-Attacke auf einen tunesischen Fernsehsender, der Marjane Satrapis Film „Persepolis“ ausgestrahlt hatte.

Über die Ereignisse in Ägypten ist viel berichtet worden, ich kann mir die Einzelheiten sparen. Das Staatsfernsehen, obwohl es selbst mit zur Aufstachelung beigetragen hat, machte „äußere Mächte“ mit verantwortlich für die Geschehnisse. Auch manche der jungen Revolutionäre wollte gerne daran glauben, dass es irgendwelche agents provocateurs waren, die die Sache ins Rollen brachten: Salafisten, von den Saudis bezahlt; Mubarak-Anhänger; Agenten des Militärs, das die Revolution in Blut ersticken möchte. Ausschließen läßt sich das alles nicht.
Doch die Frage, die die Ägypter sich stellen müssen, ist: ob die Demokratisierung in ihrem Land, wie im gesamten Nahen Osten, zu einer Herrschaft des Mobs führen wird. Und der Mob geht eben in Krisenzeiten auf Minderheiten los. Die Christen im Irak haben das erfahren, als Saddams Herrschaft beseitigt war. Die Kopten waren schon zum Ende des Mubarak-Regimes ein beliebter Blitzableiter geworden. Nun droht ihre Lage unterträglich zu werden.

Und damit bahnt sich ein fürchterliches Paradox an – dass die Demokratisierung im Nahen Osten das Ende der religiös-kulturellen Viefalt dieser Region bedeuten könnte. Schon die Entkolonialisierung hatte – zusammen mit der Gründung Israels – den Exodus der Juden aus der arabischen und weiteren muslimischen Welt vorangetrieben. Nun droht den Christen, darunter vielen der ältesten Gemeinden überhaupt, das gleiche Schicksal. Auch das steckt dahinter, wenn die syrischen Christen sich hinter Assad stellen: sie fürchten, dass es ihnen in einem Bürgerkrieg an den Kragen gehen wird, weil sich alle darauf einigen können, dass sie die fremdesten Fremden im Lande sind, und dass sie zum Opfer einer ethnischen Säuberung werden könnten.
Der tunesische Vorfall ist ebenso beunruhigend, er wurde in unseren Medien kaum aufgegriffen: der Sender Nessma TV hatte Satrapis „Persepolis“ ausgestrahlt – die im Comic-Stil erzählte autobiografische Geschichte eines jungen Mädchens im Iran (und eines der großen Filmkunstwerke der letzten Jahre). Darin gibt es eine Episode, in der die junge Marjane sich mit Gott unterhält. In vielen tunesischen Moscheen war gegen den Film gehetzt worden, so dass sich in der letzten Woche ein Mob in der Hauptstadt zusammenfand. Salafisten stürmten den Sender und das Haus des Senderchefs. Dessen Haus wurde gar mit Brandsätzen angegriffen.

Die kleine Marjane streitet mit Gott. Screenshot: JL (der ganze Film kann hier auf Deutsch gesehen werden, die bewusste Stelle etwa ab der 20. Minute)

Die Islamisten hatten offenbar verstanden, dass Satrapis Kritik an den Zuständen im Iran auch auf das bezogen werden konnte, was bei ihrer Machtergreifung droht. In gewisser Weise war daher ihre wütende Ablehnung des Films erhellend und verständlich. Dass sich hunderte junger Männer mobilisieren lassen für eine Terrorkampagne gegen die Meinungs- und Pressefreiheit, ist aber erschreckend: Senderchef Karoui hat sich mittlerweile für die Ausstrahlung des Films entschuldigt: eine Schande für das neue Tunesien, obwohl man den Mann weißgott verstehen kann. Die vermeintlich gemäßigten Islamisten der Partei Ennahda haben sich zwar von den gewaltsamen Protesten distanziert und behauptet, sie träten für Meinungsfreiheit ein, aber der Wiener Standard zitiert deren Sprecher: „Wenn das Volk solche Aussagen nicht für richtig hält, dann können sie auch nicht toleriert werden. Man darf nicht religiöse Gefühle verletzen. (…) Sie gehen ja auch nicht mit einem Bayern-Trikot in den gegnerischen Block.“
Wenn das die Vorstellung von Zivilgesellschaft ist – Hooliganblocks, die sich berechtigt fühlen, jeden umzunieten, der „das falsche Trikot“ trägt – dann sehe ich schwarz für Tunesien. Ennahda werden bei den Wahlen am kommenden Wochenende übrigens große Chancen zugerechnet, stärkste Partei zu werden.