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Blumenfeuer

 

Zu den großen Sommerfesten in Japan gehören unbedingt prächtige Feuerwerke! Unsere Autorin Alexandra Ivanova hat sich von Schülerinnen aus Osaka erzählen lassen, wie sie dort feiern

Feuerwerk
© Yoshikazu Tsuno/AFP/Getty Images

Wie sehr ich in diesem yukata schwitze! Wieso heißt das Ding Sommerkimono, wenn man es im Sommer vor Hitze fast nicht tragen kann? Ein Kimono ist ein Wickelkleid mit weiten Ärmeln, und diesen hier hat meine Oma für mich ausgesucht. Denn heute ist Sommerfest! An Sommerfesten tragen wir alle unsere traditionelle japanische Frauenkleidung. Wir, das sind meine Freundinnen Miki und Ai, die neben mir laufen, und ich – Saara. Am Anfang war ich etwas enttäuscht, denn mein yukata ist diesmal dunkelblau, und Ai sagte: »Rosa ist doch viel schöner!«. Aber meine Oma meinte, alle würden Rot und Rosa tragen, deshalb sei es doch toll, einmal etwas ganz anderes anzuhaben. Und das finde ich jetzt auch. Schließlich habe ich das schönste Muster von uns, mit tollen AsagaoBlumen. Asagao bedeutet »Morgengesicht«.

Es ist hier in der großen japanischen Stadt Osaka unglaublich heiß. Deshalb tragen wir Fächer mit uns, um wenigstens für ein wenig Erfrischung zu sorgen. »Wir sind fast da!«, ruft Miki. Wir nähern uns dem bunt geschmückten Stadtteil rund um den Tenman-Schrein. Hier ist das Zentrum des Geschehens. Schreine sind für uns wie Kirchen – wir verehren dort Gottheiten der Shinto-Religion. Die meisten Sommerfeste finden zu Ehren dieser Gottheiten statt. Dies ist das Fest, das Tenman Tenji, dem Schutzgott des Lernens und der Kunst, gewidmet wird.

Ich bin ziemlich aufgeregt, denn schon seit dem Vormittag laufen unsere Vorbereitungen. Zusammen mit Miki haben wir bei Ai die Kimonos angelegt und uns Frisuren ausgedacht. Wir dürfen uns heute nämlich ausnahmsweise herausputzen. Normalerweise sind unsere Eltern, besonders die Väter, ziemlich streng. In der Schule darf man nicht auffällig frisiert oder geschminkt herumlaufen, und das, obwohl wir in der Mittelschule und fünfzehn Jahre alt sind!

Dafür haben wir uns heute umso mehr Mühe gegeben. »Hier, ich mache dir Bronzepuder drauf«, habe ich zu Ai gesagt. Den Puder hatte ich von meiner großen Schwester Hanako geliehen. Mittags haben wir uns noch die Nägel lackiert und mit Haarschmuck unsere Frisuren verschönert. »Das sieht herrlich aus!«, schwärmte Ai, und Miki kicherte: »Wenn wir so auf Takeshi und Kenji treffen!« Das sind die Jungs aus der Parallelklasse, die meine Freundinnen toll finden.

Jetzt gilt es zunächst, in der Menge nicht totgetrampelt zu werden. Wie viele Leute unterwegs sind! Wir sind im Zentrum angekommen. Es ist laut, deshalb müssen wir einander fast in die Ohren schreien. Gerade brüllt uns Miki zu: »Seht mal, da ist der yakisoba-Stand!«

Mmmh, yakisoba! Darauf haben wir alle Lust. Die gebratenen Nudeln brutzeln in Riesenpfannen, Gemüse und Fleisch werden hineingegeben, und dann landet das Ganze in einem Plastikschälchen. Ein großer Spritzer Sauce, und schon hieve ich mir einen Happen mit den Wegwerfstäbchen in den Mund. Köstlich! Während wir weiter von Bude zu Bude schlendern, hören wir erste Klänge der großen Parade, die sich im hinteren Teil des Viertels mit Musik und Applaus ankündigt. Gleich werden fast dreitausend Menschen in Kostümen vorbeiziehen, die Tänze aufführen oder Instrumente spielen. Die meisten von ihnen tragen Kostüme aus der Zeit des japanischen Hofes, als der Adel aufwendige Kleiderschnitte, teure Stoffe und merkwürdige Schuhe liebte.

Mir gefallen die Tänzerinnen am besten. Sie tanzen, bewegen alle ihre Fächer im Takt und sind dabei sehr anmutig. »Ich wünschte, ich könnte das auch so gut«, seufze ich in Richtung meiner Freundinnen, aber die interessiert die Darbietung gar nicht. Wo schauen sie stattdessen hin? Oh, das sind ja die Jungs aus unserer Schule. Und dort drüben laufen welche aus der Oberstufe, paarweise und Händchen haltend, natürlich.

»Voll affig«, findet Ai. Aber ich finde das eigentlich schön. Bestimmt ist es toll, wenn dich ein Junge fragt, ob du mit ihm zum Sommerfest gehen willst. Dann würde er vielleicht an einer der Spielbuden einen Goldfisch für mich fangen. Es gibt nämlich außer Buden für Essen und Trinken auch Spielstände. Mein Lieblingsspiel ist das kingyosukui, das Goldfisch-Schöpfen. Man versucht dabei, aus einem Becken, in dem viele kleine Goldfische schwimmen, mit einer Schöpfkelle einen Fisch zu ergattern. Den Fisch gibt man dann in eine Schale mit Wasser. Das Schwierige daran ist aber, dass die Kelle aus einem Drahtgerüst besteht, in das ein leicht reißbares Papier eingespannt wird. Platzt es unter dem Gewicht des Fischleins durch, ist die Chance vertan. Ansonsten darf man den Fisch behalten und in einer Tüte mit Wasser mit nach Hause nehmen. Ich will gerade ein Los kaufen, aber nichts da: »Saara, komm mit, wir wollen mit den Jungen zusammen einen guten Platz fürs Feuerwerk suchen!«, ruft mir Miki zu.

Ach ja, das Feuerwerk, das habe ich ganz vergessen! Dabei ist das Feuerwerk der Höhepunkt des Festes. Auf Japanisch werden Feuerwerke »Blumenfeuer«, hanabi, genannt. Warum? Weil die Figuren, die die Lichter am Himmel bilden, oft wie große Blumen aussehen. Wir finden einen guten Platz. Und da geht es auch schon los! »Ah« und »Oh« machen wir, denn es ist unglaublich, was für tolle Figuren es in diesem Jahr wieder gibt. »Mickymaus!«, kreischt Ai. Und wirklich! Da ist Mickymaus am Himmel. Nach einer Stunde ist das Lichtspektakel vorbei. Leider müssen wir jetzt gehen, das haben wir unseren Eltern versprochen. Ich sehe, wie Takeshi und Miki bedeutungsvolle Blicke tauschen. Na, wenn da nichts im Gange ist!

Müde komme ich zu Hause an und bin richtig froh, den yukata ausziehen zu können. Mann, war das heiß! Bevor ich einschlafe, funkeln die Blumen des Feuerwerks noch mal vor meinen Augen.