Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Schreibwettbewerb: Der Schatz des chinesischen Kaisers

 

© Sabine Wilharm
© Sabine Wilharm

Von Henny Nguyen

Ich bin Lin Yan und komme aus China. China ist meine Heimat. Hier gibt es sehr viele Geschichten, die von Kaisern und Königen erzählen. Ich habe keine Eltern, weil sie beide gestorben sind. Seit ich neun Jahre alt bin, lebe ich allein am Fluss. Ich führe mein Leben sehr einfach. Ich habe schwarze Haare und aus meinen Haaren mache ich immer einen Zopf. Das gefällt mir, obwohl die anderen sagen, dass es lustig ausschaut. Eine Zeit lang habe ich in einem Tempel gelebt und dort hat mir mein Meister das Kämpfen beigebracht. Nun kann ich mich sehr gut zur Wehr setzen. Ich wohne in einer kleinen Hütte und jeden Tag gehe ich an den Fluss, um Fische zu fangen, damit ich satt werde.An einem herrlichen Tag, als sich die Sonnenstrahlen über das Dorf erstrecken und die Vögel singen, gehe ich an den Fluss, weil ich für das Mittagsessen Fische fangen möchte. Als ich meine Sachen heraushole, sehe ich weit entfernt einen Koffer, der langsam von den Wellen näher zu mir getragen wird. Da ist bestimmt etwas zu essen drin, geht es mir durch den Kopf. Ich ziehe den Koffer aus dem Wasser heraus und will ihn aufmachen. Doch auf einmal kommt aus dem Innern des Koffers blauer Rauch heraus und Zack öffnet sich der Koffer von allein. Ich erschrecke vor dem Geräusch. Plötzlich springt ein Mädchen aus dem Koffer und fragt sehr laut: „Wo sind wir denn jetzt gelandet, Dudu? Wo sind wir?“ Sie schaut wie eine Indianerin aus und hat Federschmuck auf den Haaren. Sie hat schwarze Haare wie ich und viele Karten in der Hand. Als sie mich sieht, kommt sie näher zu mir und fragt: „Wer bist du? Was machst du hier?“ Ich gehe zu ihr und entgegne bestimmt: „Das muss ich euch fragen. Ich lebe hier, und wer seid ihr?“ Das Mädchen lächelt mich freundlich an und sagt:
„Wir sind eine Reisegruppe und wir haben erfahren, dass in China ein Schatz von einem Chinesischen Kaiser versteckt ist. Wir sind jetzt auf dem Weg, den Schatz zu finden. Willst du bei uns mitmachen? Weißt du was, wir sind zu viert und jeder von uns hat eine besondere Fähigkeit. Das hier ist zum Beispiel Tom. Er kommt aus Deutschland und kann besonders gut Bogenschießen. Korum kommt aus Amerika und er kennt sich mit Landkarten gut aus. Dann ist da noch Kuku, der eine besonders gute Nase hat und die Fährte des Schatzes aufnehmen und uns den Weg zeigen kann. Ich bin Dimi und ich muss nur drei Karten ziehen und kann aus ihnen die Zukunft voraussagen.“ Das Mädchen kommt näher zu mir, legt ihre Hand auf meine Schulter und fragt neugierig: „Und, willst du mit uns kommen?“
Ich schließe kurz die Augen und überlege. Wenn ich mitmache, dann werden wir bestimmt die reichsten Kinder der Welt. Dann muss ich sicherlich nie mehr hungrig sein. Also wende ich mich wieder dem Mädchen zu und sage: „Ich werde mit euch kommen, aber nur unter einer Bedingung, nämlich dass ich dreiviertel von dem Schatz bekomme.“ Da geht das Mädchen zu ihren Freunden und flüstert ihnen etwas zu. Allerdings weiß sie nicht, dass ich sie hören kann. Das Mädchen, das Dimi heißt, sagt zu Tom: „Was denkt er, wer er ist? Er will dreiviertel von dem Schatz für sich haben.“ Tom erklärt: „Er ist sehr klug, weil er uns eine Bedingung gestellt hat. Ich denke, wir können ihn sehr gut gebrauchen. Er soll bei uns mitmachen. Und Dimi, denke daran, dass wir den Schatz finden wollen.“ Nachdem alle einverstanden waren, mich aufzunehmen, kommt Tom zu mir uns sagt: „Okay, wir nehmen dich mit. Jetzt spring in den Koffer hinein.“ Doch das widerstrebt mir und ich schreie: „Was? In den Koffer hineinspringen? Seid ihr verrückt?“ Doch Tom klärt mich wie ein  Oberlehrer auf: „Der Koffer kann fliegen. Jetzt stell dich nicht so an, wir haben nicht mehr viel Zeit.“ Ich hole tief Lust und lande mit einem großen Satz neben Dimi. Plötzlich hebt sich der Koffer und fliegt in Richtung Süden davon. Ich fühle mich leicht wie ein Vogel. Nie hätte ich gedacht, dass ich irgendwann einmal fliegen kann. Das ist nicht mehr die reale Welt, sondern muss eine Märchenwelt sein, denke ich. Der Koffer fliegt durch die Reisfelder, über Wälder und sogar Berge.
Nach drei Tagen sind wir endlich da. Mit großen Augen sehe ich auf die riesige Chinesische Mauer hinab. Dudu holt seine Landkarte heraus und runzelt die Stirn: „Ich schätze, wir sind da. Aber es muss eine Tür geben, die zur Schatzkammer führt. Wirteilen uns am besten auf und suchen nach der Eingangstür. Nach dreißig Minuten entdeckt Tom endlich den Eingang. Er liegt unterhalb der Chinesischen Mauer neben vielen großen Steinen. Die Tür lässt sich nicht öffnen, doch dann sehe ich einen Schalter. Als ich mit aller Kraft auf den Schalter drücke, gibt die Tür langsam nach. Jeder von uns freut sich unheimlich, dass wir dem Schatz so nah sind. Plötzlich sehen wir ein großes Feuer. Oh nein! Hinter dem Feuer taucht ein gewaltiger, kräftiger Drache auf, der anfängt, Feuer aus dem Mund zu spucken. Sofort greift Tom zu seinem Bogen und schießt direkt in den Mund des Drachens. Der heftige Stoß lässt den Drachen am ganzen Körper erzittern. Doch er wird noch wütender und kommt bedrohlich näher. Da stelle ich mich dem Kampf mit dem Ungeheuer und stürze mich auf das Tier. Wir kämpfen lange miteinander, sodass mir der Schweiß aus allen Poren dringt. Langsam spüre ich, dass ich keine Kraft mehr habe. Da kommt mir auf einmal ein Gedanke: Warum muss ich reich werden? Wozu will ich viel Geld haben? Ich weiß, dass es mir nicht so gut geht wie den anderen Kindern, aber ich bin mit meinem Leben zufrieden. Gerne würde ich wieder am Fluss fischen gehen und weiterhin ein einfaches Leben führen.
Plötzlich reißt mich das Gebrüll des Drachen aus meinen Gedanken. Nein, ich kann nicht mehr kämpfen. Bahm, der Drache hat mich zu Boden geworfen. Da macht er sein Maul weit auf und will mich fressen. Oh nein, jetzt werde ich gleich sterben und in dem Bauch des Drachen sein. „Ich will kein Geld. Ich will nicht reich werden“, schreie ich vor Angst. Ich sehe auf einmal nichts mehr. Bin ich tot? Bin ich schon im Bauch des Drachen? Plötzlich spüre ich ein grelles Licht und mache meine Augen auf. Gott sei Dank. Das war nur ein Traum. Was für ein schrecklicher Traum!
Ich stehe auf und hole meine Sachen. Langsam gehe ich am Fluss entlang und genieße den Sonnenschein. Wieder beginnt ein neuer Tag.