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Bitte recht appetitlich!

 

© Roy Hsu/ Getty Images

Saftige Burger, cremiger Joghurt, dampfender Kakao: Auf Verpackungen sollen Nahrungsmittel köstlich aussehen. Das macht ein Foodstylist

Von Alexandra Frank

Wozu braucht der Mann nur all diese Cremedosen? Kochlöffel, Töpfe, frische Kräuter – klar, all das gehört in eine Küche. Aber wieso stapeln sich zwischen Herd und Spüle sechs große Dosen Handcreme?  „Ganz einfach“, sagt Patrice Brault und grinst. „Daraus mache ich gleich Joghurt.“ Joghurt aus Creme? Igitt!

Aber Patrice Brault, der mit hochgekrempelten Ärmeln in der Küche steht, will gar keine Feinschmecker überzeugen. Er will dafür sorgen, dass der Creme-Joghurt, der gleich serviert wird, schön aussieht. Die Fälschung  soll nämlich nicht verspeist, sondern fotografiert werden. Das Bild wird später eine Joghurtverpackung zieren. Und da muss die weiße Masse vor allem eins: appetitlich aussehen.

Deshalb ist Patrice gefragt. Er ist Foodstylist. „Die meisten wissen nicht einmal, dass es diesen Beruf gibt“, sagt er und sucht im Küchenschrank nach einem Mixer. Seine Arbeit ist ganz einfach zu erklären. „Food“ ist das englische Wort für Essen und ein „Stylist“ ist eine Person, die jemanden oder etwas herausputzt. Kaum ein menschliches Model würde sich vor die Kamera wagen, bevor es sorgfältig geschminkt, frisiert und schick angezogen wurde. Genauso werden auch Lebensmittel in Form gebracht, bevor ein Fotograf auf den Auslöser drücken kann.

„Essen ist vergänglich, es verdirbt“, sagt Patrice, „je länger man es liegen lässt, desto unansehnlicher wird es.“ Und so ein Fotoshooting kann lange dauern. Allein bis die richtige Beleuchtung steht, können schnell ein bis zwei Stunden vergehen. Das bekommt keinem Nahrungsmittel gut: Apfelstücke werden braun, Soßen bekommen eine Haut, Sahnehäubchen fallen in sich zusammen, Käse schwitzt. Das alles sieht dann nicht sehr appetitlich aus – und macht als Bild auf einer Verpackung wenig her. Wer würde schon ein Produkt kaufen, das eklig ausschaut? Deshalb greifen Foodstylisten zu Tricks, um ihre Essensmodelle hübsch und haltbar zu machen.

Patrice Brault löffelt die Creme aus den Dosen, füllt sie in ein Rührgefäß, gießt noch etwas Wasser und Lebensmittelfarbe hinzu und rührt alles mit dem Mixer um. Mit einem skeptischen Blick vergleicht er seine Mischung mit dem Originaljoghurt. Der steht schon eine Weile geöffnet da, und auf der Oberfläche hat sich etwas Wasser angesammelt. Die „Fälschung“ hingegen sieht wunderbar cremig aus.

„Nicht bei allen Nahrungsmitteln nehme ich ein künstliches Produkt, wie Creme statt Joghurt“, sagt Patrice, „aber die Vorbereitungen sind fast immer sehr aufwendig.“ Wenn der Foodstylist beispielsweise einen Hamburger kamerafit macht, bekommt er kistenweise Brötchen geliefert, aus denen er das schönste aussucht. Das Fleisch befestigt er mit Zahnstochern, damit nichts verrutscht. Einzelne Sesamkörnchen sortiert er mit einer Pinzette und klebt sie sorgfältig auf den Brötchendeckel. Die Salatblätter bekommen ein frisches Aussehen, in dem er darauf ein paar künstliche Wassertropfen anbringt.

Meistens sind es nur kleine Tricks, auf die Patrice bei seiner Arbeit zurückgreift, aber nachbessern muss er fast immer: In helle Bratensoßen gibt er löffelweise Zucker, damit sie glänzen und etwas dickflüssiger sind, etwa wie Sirup. An Äpfel klebt er Blätter, damit sie wie frisch vom Baum gepflückt aussehen. Sind gerade keine Apfelblätter zur Hand, schneidet er ein Blatt von einer anderen Pflanze zurecht. Und dann gibt es noch den „Riesen-Trick“. Dabei baut Patrice alles überdimensional groß nach. Denn wenn es groß ist, kann er es leichter verzieren und besser beleuchten. So macht er es zum Beispiel mit einer Eiskugel, die ein Kilogramm schwer ist, und was daneben wie ein Teelöffel aussieht, ist in Wirklichkeit so groß wie eine Suppenkelle. Oder er arbeitet mit einem tellergroßen Burger – allerdings ohne Sesamkörnchen darauf, denn sonst würde man ja die falschen Größenverhältnisse erkennen können.

Viele Bilder werden auch später am Computer nachbearbeitet. Dann wird das Rot einer Kirsche noch leuchtender eingefärbt oder ein Fleck auf einer Kaffeetasse entfernt. Das war nicht immer so. „Mit der Digitalfotografie hat sich vieles geändert“, sagt Patrice. Zum Beispiel kann der Dampf über einer angeblich heißen Tasse Kakao nachträglich per Computer in das Foto eingebaut werden. „Früher musste ich hinter der Tasse eine angebrannte Kartoffel verstecken, die wahnsinnig rauchte“, sagt der Foodstylist. „Das sah auf dem Foto aus wie Kakaodampf, aber es stank fürchterlich!“

Inzwischen füllt Patrice die Creme – Pardon: den Joghurt – in eine Spritztüte. Damit kann er die Mischung genau dosieren. Unten in der Schüssel versteckt er noch eine Gipsform. Darauf verteilt er eine dünne Schicht seiner Creme. So fließt sie besser und damit fürs Foto schöner. Dieses Werk kann er nun dem Fotografen präsentieren.

Während dieser den neuen „Star“ ins Rampenlicht setzt, geht Patrice zurück in die Küche und wirft die leeren Cremedosen in den Mülleimer. Nichts deutet mehr darauf hin, was sich wirklich in der Joghurtschüssel befindet.