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Wir sind ein Quartett

 

Geschwister im Uhrzeigersinn: Berfin, Lukas, Adrian, Max/ Foto: Silke Weinsheimer

Schon ein Geschwisterkind kann anstrengend sein. Wie lebt es sich da erst zu viert, wenn alle am gleichen Tag geboren sind?

Von Katrin Hörnlein

Auf dem Schulhof sind wir gefürchtet«, sagt Max. Wenn sich ein Mitschüler mit dem Jungen anlegt, dann hat der nicht nur Max, sondern gleich noch drei weitere Kinder gegen sich. Denn Max ist ein Vierling – und wenn es drauf ankommt, halten er und seine Geschwister fest zusammen. Am 10. November 1999 kamen sie zur Welt: drei Jungen und ein Mädchen. Zuerst Lukas, als Zweiter Maximilian, dann das Mädchen, Berfin, und zum Schluss Adrian.

Weil ihr Vater Türke ist und ihre Mutter Deutsche, haben alle Kinder einen deutschen und einen türkischen Vornamen: Alper Lukas, Karahan Maximilian und Agahan Adrian. Berfin ist einfach Berfin, hat sie entschieden. Das Mädchen trägt zwar auch noch einen zweiten Vornamen, den findet sie aber so schrecklich, dass sie ihn nicht in der Zeitung lesen möchte.

Besonders ähnlich sehen sich diese vier Kinder nicht. Alle haben zwar dunkle Haare, sind aber zum Beispiel unterschiedlich groß: Lukas, der Älteste, ist mit 1,65 Meter auch der Größte. Max ist der Zweitälteste, aber der Kleinste, er misst 1,52 Meter. Ihre große Gemeinsamkeit ist der Sport: Alle vier sind sehr gut darin, alle spielen Fußball, auch Berfin. Und alle wollen später Profikicker werden. Wenn das aber nicht klappt, findet jeder einen anderen Beruf spannend: Lukas will Polizist werden, Max träumt davon, zum Militär zu gehen, Berfin sagt, sie werde vielleicht Hundeführerin bei der Polizei, und Adrian will später Reisebürochef sein, oder Lehrer.

Wenn die vier sich gegenseitig beschreiben, stellen sie alle voraus: Er oder sie ist nett. Berfin sagt über den quirligen Max: »Er ist klein, aber giftig. Max legt sich immer mit anderen Kindern an.« Lukas, der Älteste, ist auch der Stillste – auf den ersten Blick. »Er macht zu viele Witze«, sagt Max über Lukas. »Er mag sich nicht gern streiten. Und er spielt mehr mit seinen Freunden als mit uns.« Adrian ist der Jüngste und der Coole, »Gangsterrapper« sagen die anderen manchmal zu ihm, weil er seine Hose so tief trägt. Lukas meint über den Bruder: »Adrian ist schlau, macht auch immer Witze und ist süchtig nach Lernen und Hausaufgaben.« Berfin wirkt ein bisschen wie der gute Geist dieser Rasselbande. Wenn die Eltern abends ausgehen, stellt sie ihnen zum Beispiel die Hausschuhe an die Tür, bevor sie selbst ins Bett geht. Adrian sagt über seine Schwester: »Sie ist schlau und gut in der Schule, sie ist kräftig und beweglich und schnell.« Und Max ergänzt: »Sie lässt sich nicht alles gefallen. Das find ich gut an ihr. Sie beschützt uns alle.« Max ist am häufigsten in Streitereien mit anderen verwickelt. »Aber nur, weil Max immer das ausbadet, was Adrian vorher angezettelt hat«, sagt Berfin und lacht.

Vierlinge sind sehr selten. 2008 bekamen in Deutschland fast 700 000 Frauen Kinder – nur vier von ihnen Vierlinge. (Zwischen 1999 und 2008 wurden 66 Mal Vierlinge geboren.) Wissenschaftler wissen nicht sehr viel über solche Geschwister. Manche vermuten, dass sie eine sehr enge Bindung haben, sich näher stehen als unterschiedlich alte Geschwister. Andere denken eher, dass Vierlinge sich stark miteinander vergleichen und anders sein wollen. Vier Gleichaltrige zu haben, das sei ganz schön anstrengend, sagt die Mutter. Als Berfin und ihre Brüder anfingen zu laufen, sind sie immer in unterschiedliche Richtungen ausgebüxt. Zwei Eltern gegen vier Babys. In einem Urlaub haben die Eltern aus Sonnenliegen einen Zaun gebaut, damit die Kinder nicht in den Pool fallen.

Alle brauchen zur gleichen Zeit ein Fahrrad, eine Schultasche, Geburtstagsgeschenke. Das ist teuer. Teilen und darauf achten, dass keiner zu kurz kommt, das machen die Kinder oft untereinander aus. Wer wann im Auto vorn sitzen darf zum Beispiel, oder wer sich mit wem ein Zimmer teilt. Denn es gibt im Haus drei Kinderzimmer für vier Kinder. Im Moment wohnen Lukas und Max zusammen.

Oft haben ihre Eltern das Gefühl, dass die Kinder sich verstehen, ohne miteinander zu reden. Wenn Lukas, Max, Adrian und Berfin sich untereinander streiten, regeln sie das selbst. Gibt es nie Neid? »Jeder hat sein eigenes Talent«, sagt Max diplomatisch. Aber manchmal vergleichen sie sich doch. Wenn es Zeugnisse gibt zum Beispiel. Die Jungen sind stolz auf ihre
schlaue Schwester, sie hat die besten Noten. Aber Adrian ist es wichtig, dass er nicht der Schlechteste ist. Richtig genervt sind sie selten voneinander. Berfin sagt: »Wir wollen Vierlinge sein, nur wenn Fotografen kommen, dann nicht.« An ihrem zehnten Geburtstag war es besonders schlimm. »Wir wollten feiern, stattdessen mussten wir ewig fürs Foto einer Zeitung auf der Treppe sitzen«, sagt Adrian.

Natürlich ist es auch toll, wenn man immer jemanden zum Spielen hat, der gleich alt ist. Besonders in dieser Familie, die viel umherreist. Die Mutter arbeitet im Diplomatischen Dienst, sie vertritt Deutschland in anderen Ländern. Als Babys haben Lukas,
Max, Adrian und Berfin in der Türkei gelebt. Dann ist die Familie nach Warschau in Polen gezogen. Zur Einschulung kamen sie nach Berlin. Sich von Freunden trennen und in ein neues Land ziehen, das ist nicht leicht. Den Vierlingen hat es geholfen, dass stets die Geschwister da waren. »Wir sind niemals allein«, sagt Lukas.

Getrennt waren sie noch nicht oft. Während der Unterrichtsstunden sitzen sie in verschiedenen Klassen, und sie treffen nachmittags auch mal allein Freunde. Aber längere Zeit ohne die anderen, das gibt es selten. Können sie sich vorstellen, später nicht mehr in einem Haus zu leben? Berfin möchte irgendwann eine eigene Wohnung haben. Ihre Geschwister würde sie dann einmal in der Woche anrufen. Max dagegen träumt von einem großen Haus, in dem er mit seinen Brüdern wohnt. »Berfin kann ja wenigstens unsere Nachbarin sein«, sagt er. Adrian will in Spanien leben, in einer Villa am Meer – mit oder ohne Geschwister. Und Lukas sagt: »Wenn ich erwachsen bin, werde ich Einzelgänger.«