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Forschen ist wie spielen

 

Planung auf Papier: Die Schüler überlegen zuerst, wie sie ihr Experiment aufbauen/ Fotos: www.lottalab.org

Schüler in Großbritannien haben das Verhalten von Hummeln untersucht. Die Ergebnisse ihres Experiments sind so gut wie die von erwachsenen Wissenschaftlern

Von Magdalena Hamm

Sportler sammeln Medaillen und Popstars Goldene Schallplatten. Wenn Menschen miteinander im Wettbewerb stehen, versuchen sie ihren Erfolg irgendwie zu messen. Wissenschaftler tun es mit Texten, die sie »Publikationen« nennen. Sie schreiben genau auf, was sie mit welchen Experimenten erforscht haben und zu welchen Ergebnissen sie gekommen sind. Für diese Texte gibt es spezielle Zeitschriften. Forscher messen ihren Erfolg an der Menge der Artikel, die sie schreiben, aber vor allem auch daran, welche Zeitschriften diese letztlich abdrucken.

Davon gibt es nämlich tausend verschiedene – welche für Medizin, Astronomie, Geschichte, Wirtschaft oder Biologie, aber nicht alle sind gleich wichtig. Die beiden berühmtesten Zeitschriften heißen Nature und Science. Viele Forscher arbeiten jahrelang daran, einen Artikel in den Magazinen zu veröffentlichen. Wenn es ihnen gelingt, ist das ungefähr so, als wenn ein Sportler eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen gewinnt – kein Kinderspiel.

Oder doch? In einem kleinen Dorf im Süden Englands leben 25 Grundschulkinder, die es tatsächlich geschafft haben, einen Artikel in der angesehen Zeitschrift Biology Letters zu veröffentlichen – das entspricht im Vergleich einer olympischen Silbermedaille. So eine Publikation hätte jeder Biologe gerne in seiner Sammlung. Erstaunlich, dass es Achtjährige geschafft haben. Die Kinder haben das getan, was auch Erwachsene Forscher tun: etwas herausfinden, was vorher noch kein Mensch wusste. »Wir haben entdeckt, dass Hummeln sich an Farben von Blumen und davon, wie sie im Raum angeordnet sind, orientieren, um zu entscheiden, welche Blüten sie anfliegen«, schreiben die Schüler in ihrem Artikel. »Zudem haben wir herausgefunden, dass Wissenschaft cool ist und Spaß macht, weil man Dinge tut, die vor einem noch kein anderer gemacht hat.«

Früher haben sich die Schüler allerdings wenig Gedanken über Wissenschaft gemacht. »Forschung war für mich keine große Sache«, sagt zum Beispiel Amy. »Ich hätte nie im Leben geglaubt, dass ein Kind überhaupt forschen kann.« Doch dann brachte ihr Klassenlehrer den Biologen Beau Lotto mit in den Unterricht. »Wissenschaft ist wie ein Spiel«, sagte er. »Deshalb habe ich als Forscher den besten Beruf auf der Welt. Ich darf den ganzen Tag lang spielen.«

Ein Schüler zeichnet den Versuchsaufbau

Damit war die Neugier der Kinder geweckt, und ihnen kamen lauter Fragen in den Sinn, die sie erforschen wollten. »Wie schaffen es Hummeln, sich zu merken, wo sie den besten Blütennektar bekommen?« Auf diese Forschungsfrage einigten sich die Schüler schließlich und überlegten sich dazu ein völlig neues Experiment. Damit gingen sie auch ein kleines Risiko ein. Denn bei Schulversuchen, die etwa in Sachkunde durchgeführt werden, weiß der Lehrer schon vorher, was passiert. In diesem Fall wussten weder die Schüler noch ihr Lehrer und auch nicht der Biologe Lotto, ob das Experiment gelingen würde.

Sie wagten es trotzdem. In einer alten Kirche in der Nähe der Schule richteten sie sich ein Labor ein und trainierten dort über Monate hinweg täglich ihre Hummeln. »Wir haben ihnen beigebracht, ein Rätsel zu lösen«, sagt Amy. Dazu bauten sie eine Arena aus Plexiglas, in der sich insgesamt 64 Kreise befanden, die in verschiedenen Farben leuchteten. Jeder Kreis enthielt ein Töpfchen, in das sie entweder Zuckerwasser als Belohnung oder Salzwasser zur Abschreckung füllten. Die Schüler wechselten in der Arena mal die Farben und mal die Anordnung der Kreise und beobachteten, wie sich die Hummeln verhielten.

Der handgemalte Hummel-Versuchsaufbau mit gelben und blauen Kreisen

Nach einiger Zeit hatten die Tiere zum Beispiel gelernt, dass eine Belohnung immer dort zu holen war, wo vier gelbe Kreise von zwölf blauen Kreisen umringt waren. Die Kinder sahen zudem, dass sich nicht alle Tiere gleich verhielten. Manche spezialisierten sich auf eine Farbe, manche eher auf die Anordnung. »Hummeln scheinen ähnlich zu denken wie wir Menschen, vielleicht haben sie sogar eine Persönlichkeit«, schrieben die jungen Forscher in ihrem Artikel.

Die Feinschmecker Hummel holt sich ihre Belohnung aus einem Gefäß mit Zuckerwasser

Obwohl das neue und spannende Erkenntnisse sind, war es nicht leicht für Beau Lotto, eine Zeitschrift zu überzeugen, den Text zu drucken. Da er von Kindern geschrieben wurde, unterscheidet er sich natürlich von Artikeln erwachsener Forscher. Die beiden wichtigen Magazine Nature und Science lehnten ihn ab. Erst nach über einem Jahrerkannten die Chefs der Zeitschrift Biology Letters, wie wertvoll das Experiment der Kinder für andere Biologen sein könnte. Jetzt, wo der Aufsatz gedruckt ist, kann jeder Forscher ihn lesen und davon lernen. Und auch der Biologe Beau Lotto hat etwas dazugelernt: »Wissenschaft ist kinderleicht.«

Eine Publikation zu bekommen, das ist dagegen wirklich kein Kinderspiel.