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Gecko (Vor-)lesegeschichte: Erdbeben im Wasserglas

 

Gecko ist ein tolles Magazin für Kinder. Ohne nervige Werbung, dafür mit schönen Kurzgeschichten und genau passenden Zeichnungen.
Fast wie ein Bilderbuch, nur, dass Gecko auch noch ein paar Bastelideen dabei hat. Diesmal haben wir für Euch eine ganz besondere Geschichte. Sie heißt „Erdbeben im Wasserglas“ und ist so gut, dass   Gabriele Matzantke, die sich die Geschichte ausgedacht hat, dafür mit dem Gecko Autorenpreis 2010 ausgezeichnet wurde. Ihre Geschichte über einen alten, an Alzheimer erkrankten Opa und seinen Enkel, war die beste aus über 100 Einsendungen! Im aktuellen Gecko und hier bei der KinderZEIT könnt Ihr sie nun lesen. Die Illustrationen sind von Nele Palmtag.

Erdbeben im Wasserglas

»Opa ist alt und nicht mehr gesund. Er braucht jetzt unsere Hilfe«, hat Mama gesagt, als Opa Peter bei ihnen einzog. Das Zusammenleben mit seinem Großvater hat Paul sich anders vorgestellt. Krank sieht er gar nicht aus, nur alt. Allerdings verhält er sich neuerdings irgendwie komisch. Opa vergisst ganz viele Dinge, den Paul zum Beispiel. Morgens am Frühstückstisch ruft er: »Guten Morgen. Mein Name ist Peter Weber. Und wer bist du?« Dabei steht Opa auf, macht eine Verbeugung und reicht Paul die Hand.

Ein Junge aus der Nachbarschaft denkt, dass Opa verrückt ist, weil er sich auch an ihn nicht erinnert. »Ist er nicht!«, schreit Paul wütend. Er mag nicht, wenn jemand so über Opa redet.

Dass Opa Peter einfach nur krank ist, ist schwer zu verstehen. Er sieht ja völlig normal aus, wie Opas eben aussehen. Früher haben er und Paul viel gemeinsam unternommen bis Opa seltsam wurde. Immer wenn er Paul sieht, lächelt er erfreut und fragt: »Wer bist denn du?« oder »Wie kommst du denn hierher?«

Es ist ganz schön anstrengend, alles immer zu wiederholen. Opa vergisst sogar, was es zu Mittag gab, und das obwohl Mama ihm sein Lieblingsgericht, Schweinebraten mit Klößen, gekocht hat.

Auf die Straße darf Opa nicht mehr alleine. Er findet den Heimweg nicht, weil er die Adresse vergisst. Manchmal merkt man gar nicht, dass er anders geworden ist. Beim Fußballspielen im Garten mit Paul zum Beispiel. Dann ist Opa wie früher. Er lacht und erzählt von all seinen Freunden, und dass er mal Fußballprofi werden wollte. Auch wie er sich zum ersten Mal verliebt hat, weiß er noch ganz genau. »Leni war das schönste Mädchen weit und breit.«

Dabei strahlt Opas Gesicht und er sieht glücklich aus. Das mag Paul. Er fragt Mama: »Warum erinnert er sich genau an damals, aber nicht mehr an mich oder heute Morgen?« »Setz dich zu mir. Ich versuche mal, dir das zu erklären.«

»Opa hat eine Krankheit, die man Alzheimer nennt. Diese Krankheit lässt ihn neue Erlebnisse vergessen. Ich zeig dir mal wie das funktioniert.«

Mama stellt ein Glas auf den Tisch und holt eine Flasche Wasser und einen Filzstift. Mit dem Stift malt sie drei Markierungen aufs Glas. Eine ist kurz über dem Boden, eine in der Mitte und eine ganz oben am Rand. »Stell dir vor, das Wasserglas ist Opas Kopf und das Wasser, das ich nun hineingieße, sind seine Erinnerungen.« Sie füllt das Glas bis zur unteren Markierung. »Das sind Opas Erinnerungen an seine Kindheit.« Dann schüttet sie bis zur zweiten Markierung nach. Das Glas ist jetzt halbvoll. »Das sind seine Erinnerungen an die Jugend, wie er zum Beispiel als junger Mann Oma Leni kennenlernte.« Jetzt schüttet sie das Glas randvoll bis zum oberen Strich. »Hier sind all seine anderen Erinnerungen, und ganz oben sind die von heute.«

»Was jetzt mit Opa passiert, ist wie ein Erdbeben im Wasserglas.« Mit der Hand umfasst Mama das Glas und bewegt es hin und her. Dabei kippt und wippt sie es ein wenig. Das Wasser schwappt aus dem Glas heraus. »Siehst du, was ich meine?« Paul nickt und hört weiter zu.

»Das Erdbeben im Wasserglas ist wie Opas Krankheit. Alles was oben ist und neu dazu kommt, wird fortgespült. Nur was weiter zurück liegt, seine Kindheit und Jugend ist da geblieben so wie das Wasser unten im Glas. Er weiß weder, dass er dein Opa ist, noch wer du bist. Weil er dich aber sehr gern hat, will er immer wieder aufs Neue mit dir befreundet sein.«
Paul schaut das Wasserglas nachdenklich an. Dann huscht ein Lachen über sein Gesicht. »Hab ich kapiert«, ruft er, klemmt seinen Fußball unter den Arm und flitzt zu Opa.

»Hallo, du bist doch der Peter Weber, nicht wahr? Ich bin Paul. Wollen wir Fußballspielen?« Lächelnd begrüßt ihn Opa. »Hallo Paul, freut mich dich kennen zu lernen. Wohnst du auch hier?«

Paul nimmt Opas Hand. Sie gehen gemeinsam raus und Paul antwortet zufrieden: »Ja. Ich wohne hier und ich heiße auch Weber, genau wie du. Wollen wir Freunde sein?«

Autorin Gabriele Matzantke lebt mit drei Söhnen, Kater »Schwabbel« und Katze »Sheila« in Köln. Mit elf Jahren beschloss sie: »Ich werde einmal
mit Schreiben Geld verdienen.« Inzwischen hat sie sich ihren Kindheitswunsch erfüllt und veröffentlicht regelmäßig. 2010 erschien ihr erstes Kinderbuch beim Lingen Verlag. Momentan arbeitet sie an einem Jugendroman. Weitere Infos: http://matzantke.blogspot.com

Nele Palmtag lebt mit ihrer Familie in Hamburg ganz in der Nähe des Hafens und kann manchmal beim Zeichnen die großen Schi≠e tuten
hören. Sie hat noch einen Opa, der ist schon fast 100 Jahre alt. Wenn sie ihn besuchen, freut er sich vor allem über seine Urenkel, auch wenn er sie oft nicht wiedererkennt und nicht mal mehr mit ihnen UNO spielen kann. www.nelepalmtag.de

Diese Geschichte und andere tolle Erzählungen kannst Du im neuen „Gecko“ nachlesen. Dazu auch eine super Bastelidee. In Gecko steht, wie Ihr mit einer Wassermelone und Baiser ein essbares Gruselgebiss herstellen könnt.

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Wir wünschen Euch viel Spaß beim Lesen!