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Blase, Wind, blase!

 

Zwischen gestern und morgen: Neben dem Atomkraftwerk dreht sich ein Windrad/ © Getty Images

Die Atomkraftwerke in Deutschland werden abgeschaltet: Das finden viele Menschen. Doch woher kommt in Zukunft unser Strom? Es gibt eine Menge Ideen.

Von Magdalena Hamm

Die rote Sonne ist geduldig. Seit mehr als dreißig Jahren ist sie das Symbol der Atomkraftgegner. Die Frage »Atomkraft?« beantwortet sie stets höflich mit einem »Nein danke«. In letzter Zeit sah man die rote Sonne wieder häufig, auf Ansteckern, Aufklebern und Fahnen. Ihr langes Warten hat sich gelohnt. Unmittelbar vor der Sommerpause hat der Bundestag mit großer Mehrheit die »Energiewende« beschlossen: eine Reihe von Gesetzen, wonach es in Deutschland bereits in elf Jahren keinen Strom mehr aus Atomkraftwerken geben soll – vor allem, weil es sehr gefährlich werden kann, wenn in einem solchen Kraftwerk ein Unfall passiert.

Fast die Hälfte der 17 deutschen Atommeiler steht schon still, die letzten drei sollen 2022 in den Ruhestand gehen. Aber woher soll der Strom stattdessen kommen?

Als sich die 22-jährige Dänin Anna Lund 1975 an ihren Schreibtisch setzte und das Anti-Atom-Symbol mit der roten Sonne entwarf, hatte sie schon eine Vorstellung davon, wie man die Atomkraft ersetzen könnte: »Die Sonne spendet für alle reichlich und gratis Energie«, so sah es Anna Lund damals, als sie noch zur Uni ging und Wirtschaftswissenschaften studierte.

Strom sollte im besten Fall aus natürlichen Quellen stammen, die nicht aufgebraucht werden, aus »erneuerbaren« Energien. So wie eben die Sonne eine ist. Aus ihrem Licht lässt sich mithilfe von Solarzellen ja auch Strom gewinnen. Allerdings nicht genug, um 17 Atomkraftwerke aufzuwiegen. Dafür gibt es in Deutschland einfach zu wenig Sonnenschein. Außerdem können selbst modernste Solarzellen immer nur einen kleinen Teil der Lichtenergie in Strom umwandeln. In Zukunft brauchen wir daher eine bunte Mischung aus vielen Stromquellen. Neben den erneuerbaren Energien wie Solar- und Wasserkraft, Biogas und Erdwärme werden wir auf die nicht erneuerbaren Energien wie Kohle, Öl und Gas vorerst nicht verzichten können.

Der meiste Strom soll nach den Plänen der Regierung aber bald aus Windkraft stammen. An den Küsten in Norddeutschland weht der Wind stark genug, um Tausende Windräder anzutreiben. Sie erzeugen weder Abgase noch gefährliche Strahlung, außerdem ist Wind eine unerschöpfliche Quelle – klingt perfekt. Gäbe es nicht ein paar Haken. Zum Beispiel haben viele Menschen, die in Norddeutschland wohnen, etwas gegen Windräder. »Sie verspargeln die Landschaft«, sagen die Anwohner, außerdem seien sie laut und würfen flackernde Schatten. Um sich Ärger zu ersparen, wollen die Stromkonzerne aufs Meer ausweichen und ganze Felder von Windrädern in die Nord- und Ostsee pflanzen. »Offshore« sagt man dazu, das bedeutet weit weg von der Küste. Dort wohnt niemand, also kann sich auch keiner beschweren.

Ein Offshore-Windrad ist über hundert Meter hoch und tonnenschwer. Um es im Meer aufzubauen, braucht man jede Menge technisches Gerät, große Transportschiffe, Kräne und Bohrer. Diese Technik kostet sehr viel Geld. Ein Problem sind auch die Stromkabel. Sie müssen von den Windrädern durchs Meer an die Küsten gelegt werden – und danach noch durchs ganze Land. Denn der Windstrom aus dem Norden Deutschlands wird ja auch in Süddeutschland benötigt. Damit er dorthin fließen kann, muss das Leitungsnetz erneuert und ausgebaut werden.

Weil der Ausbau der Windenergie so teuer ist, haben viele Leute Angst, dass der Strom bald viel mehr Geld kostet. Die Regierung hat aber schon versprochen, den Stromkonzernen Geld zu geben, um Offshore-Windparks zu bauen. Dann müssen die sich nicht alles von ihren Stromkunden zurückholen.

Und was passiert, wenn der Wind mal nicht weht, fällt dann der Strom einfach aus? Das darf natürlich nicht passieren. Deshalb tüfteln Wissenschaftler an Batterien, die Energie speichern können, die bei starkem Wind zu viel produziert wurde. In Flautezeiten könnte man diese Batterien dann anzapfen.

Daneben werden noch eine Menge andere Energiequellen erforscht – und da kommt die Sonne wieder ins Spiel. Zum Beispiel arbeiten Physiker daran, nicht nur die Energie aus den Sonnenstrahlen zu nutzen. Sondern sie wollen den Prozess nachahmen, der auf der Sonne abläuft – und damit praktisch selbst Sonnenstrahlen erzeugen. »Kernfusion« sagen die Wissenschaftler dazu. In Frankreich entsteht eine riesige Testanlage, bisher benötigt die aber leider viel mehr Energie, als sie erzeugt.

Eine andere Idee ist, es den Pflanzen gleichzutun und das Sonnenlicht zu nutzen, um Wassermoleküle zu spalten. Daran arbeiten zum Beispiel Forscher in Rostock. Wenn man Wasser zerlegt, erhält man Sauerstoff und Wasserstoff. Wasserstoff wiederum ist nützlich, weil man damit Brennstoffzellen betreiben kann, die Strom erzeugen. Für die Wasserspaltung braucht man aber einen »Vermittler«, der die Sonnenenergie aufnimmt und auf die einzelnen Wassermoleküle überträgt. So ein Stoff ist noch nicht gefunden, und bis es so weit ist, können noch zwanzig Jahre vergehen. Bis wir uns ganz auf erneuerbare Energien verlassen können, ist also noch viel zu tun. Das Bundesumweltministerium schätzt, dass es erst in über vierzig Jahren so weit ist. Wir müssen geduldig sein, die rote Sonne hat es vorgemacht.