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KrimiZeit für Kinder: Action mit Tiefgang

 

Illustration: Ulf K. für DIE ZEIT/ www.ulf-k.blogspot.com

Andreas Steinhöfels Roman ist nicht nur eine Kriminalgeschichte mit »Boa ey!«-Effekt. Seine Protagonisten sind Außenseiter, die er als Helden feiert

Von Miriam Lau

Eigentlich sind Krimis für Kinder eine naheliegende Idee. Schließlich haben die Jahre zwischen 11 und 13 selber etwas von einem Thriller: Was gestern noch harmlos war, wird über Nacht zur bedrohlich-faszinierenden Herausforderung. Die eigenen Stimmungsschwankungen erzeugen täglich neue Dramen, deren Ausgang einem selbst die längste Zeit über rätselhaft bleibt. Die Eltern rücken in weite Ferne, Hormone greifen an, und es gibt sogar regelmäßig das vom Genre geforderte Opfer: Das Kind, das man war, bleibt am Ende der Reise auf der Strecke.

Andreas Steinhöfel schreibt seit 20 Jahren preisgekrönte Bücher für und über diese Lage. Seine Protagonisten sind oft unglücklich, arm oder sonst wie gehandicapt – aber nicht besiegt; jedenfalls nicht, solange es ihnen gelingt, zu anderen durchzudringen. Der Roman Beschützer der Diebe entstand 1994, drei Jahre nachdem der in Hessen aufgewachsene Autor nach Berlin umgezogen war. Es war genau die Stadt, vor der ihn sein Vater immer gewarnt hatte: ein uferloser Moloch mit gespenstisch verlassenen Untergrund-Bahnhöfen, Abrissruinen und vielen Gestrandeten. Das Schreiben des Krimis hat Steinhöfel sich sozusagen als therapeutische Maßnahme verordnet: raus aus der Bude, rein in die Einzelheiten.

Kein Wunder, dass in dieser Lage ausgerechnet die Museumsinsel mit dem Pergamonaltar zum Hauptschauplatz des Abenteuers wurde. Sie ist eine Art Fels in der Brandung; antike Skulpturen, Säulen und Fresken lieferten dem Neuberliner Steinhöfel die Kontinuität, die dem Rest der Stadt in den rasenden Wendejahren abging.

Drei Kinder – Dagmar, ein Mädchen mit verschiedenfarbigen Augen und einer Ratte namens Romeo, ihre schüchterne Cousine Gudrun und deren Zufallsbekanntschaft Olaf – spielen ein Spiel: Jeder von ihnen folgt einem beliebigen Erwachsenen, kundschaftet dessen Gewohnheiten aus und berichtet den anderen. Man ahnt es schon: Aus dem Spiel wird in kürzester Zeit atemberaubender Ernst. Ein Mann wird am helllichten Tag entführt. Bevor die Autotür hinter ihm zufällt, wirft er seiner Verfolgerin Gudrun, genannt Guddie, einen kryptischen Zettel mit einem geheimnisvollen Zeichen und einer Nummer zu. Dieser Zettel wiederum führt die Kinder zu einem noch viel größeren, hundsgemeinen Plan mit geradezu spielberghaften Dimensionen: Felsspalten öffnen sich unter der Stadt, Knochen brechen, Gewölbe geben geheime Gänge frei, und die Taschenlampe erleuchtet nur einen Bruchteil der Finsternis, die die drei sich da eingehandelt haben.

Aber Beschützer der Diebe wäre kein Steinhöfel, wenn es bei »Boa ey!«-Effekten bliebe (was es bei Spielberg auch nicht tut). Jedes seiner Bücher hat auf seine Weise Außenseiter gefeiert – zugegebenermaßen inzwischen geradezu eine Konvention. Seine Helden werden durch ihre eigene Notlage in den Fall hineingetrieben.

Gudrun ist mit ihrer Mutter aus der Provinz nach Berlin gezogen, weil der Vater die Familie sitzen ließ – nicht ohne ihr vorher durch einen Anwalt »wie ein Dieb« alles weggenommen zu haben. Der Mann im hellen Anzug, den sie verfolgte, das Entführungsopfer, an wen hat der sie wohl erinnert? Als Olaf Gudrun kennenlernt, hat er gerade etwas im Kaufhaus geklaut; er konnte nicht anders. Auch sein Vater ist abwesend, von der Arbeit aufgefressen; seine Mutter putzt und bewacht mit kalten Augen eine Sechszimmerwohnung für den Fall, dass der Mann einmal eine Kulisse für ein Geschäftsessen braucht. Olaf klaut zwanghaft, weil er auf »legalem« Wege halt nicht bekommt, was er braucht. Ähnlich wie Erich Kästner besteht auch Steinhöfel fast ärgerlich darauf, dass Vernachlässigung und Gefühlsrohheit kein Privileg der Unterschicht sind – was allerdings inzwischen ebenfalls längst eine Konvention ist, ohne deren Pflege Steinhöfels Romane noch überraschender und herrlicher wären.

Dagmar, genannt Dags, ist nicht so hübsch wie Guddie, dafür vergrübelt und naturwissenschaftlich bewandert. Der Gefühlsreigen zwischen den dreien kommt nur schleppend in Gang: Dags kann Guddie nicht leiden, Olaf mag Dags nicht, und Guddie und Olaf brauchen eine ganze Weile, bis sie die weichen Knie im Angesicht des andern als das erkennen, was sie sind. Dass die Kinder Freunde werden, gehört zu dem Quantum Trost, das gute Kinderromane in Steinhöfels Augen immer bereithalten müssen. Und wer wollte ihm da widersprechen.

Die Polizei glaubt den Kindern naturgemäß nicht, die Eltern kommen als Vertrauenspersonen gar nicht erst infrage. In dieser Lage ist die Bekanntschaft mit einem schwulen Paar am Ende lebensrettend. Und ein gewisser Bernd Wörlitzer entpuppt sich schließlich als ein Mann, der vor allem dem widerstrebenden Olaf durch unaufdringliches Verständnis zu innerer Freiheit verhilft.

Der spannende Krimi „Beschützer der Diebe“ von Andreas Steinhöfel ist der elfte Band der 15-teiligen neuen Krimiedition für Kinder von der ZEIT. Hier erfährst Du mehr darüber.