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Die ZEIT Edition „Kinderfilme aus aller Welt“ – Teil 4: Ein Pferd, ein Pferd!

 

Wink y fühlt sich in der neuen Heimat einsam . Aber nicht lange!/ © FilmConfect Home Entertainment GmbH

Das Mädchen Winky zieht von China in die Niederlande. Ein Vierbeiner hilft ihr beim Eingewöhnen

Es gibt zwei Typen von Mädchen: Mädchen und Pferdemädchen. Letztere erkennt man daran, dass an ihren Ohren vergoldete Rösser im Sprung baumeln, dass sie sich in der großen Pause gegenseitig auf dem Rücken herumtragen und dabei Wiehergeräusche von sich geben und dass sie einfach keine anderen Themen kennen außer Schritt, Galopp und Trab – ätzend! Diese Einteilung stammt aus meiner Grundschulzeit, und es ist nicht schwer zu erraten: Ich war kein Pferdemädchen, und auch heute hege ich keine große Sympathien für den Reitsport. Dem Film Ein Pferd für Winky begegnete ich dementsprechend kritisch. Schon allein das Cover: Ein niedliches Mädchen mit Zöpfen reitet auf einem weißen Pferd. Und dazu der alberne Name Winky. Ich stellte mich darauf ein, meine langjährig gehegten Vorurteile gegenüber Pferdefreundinnen bestätigt zu finden – glücklicherweise war das nicht der Fall.

Denn das Spielfilmdebüt der Regisseurin Mischa Kamp handelt nicht in erster Linie von einer Pferdenärrin, sondern von einem chinesischen Einwanderermädchen – mit dem wirklich albernen Namen Winky Wong –, das sich in einer völlig neuen Kultur zurechtfinden muss. »Früher habe ich gedacht, dass China die ganze Welt ist«, sagt die Sechsjährige zu Beginn des Films. Doch dann sitzt sie plötzlich mit ihrer Mutter im Flugzeug nach Amsterdam. Dort angekommen, ist alles fremd: »Ich wusste gar nichts von Holland, nur dass mein Papa da ein Restaurant hat. Aber wie mein Papa aussieht, das hatte ich vergessen.«

Der Vater des Mädchens war schon drei Jahre zuvor ausgewandert, um sich in einem kleinen Küstenstädtchen eine neue Existenz aufzubauen. Wieder vereint, ist die Mutter vor allem damit beschäftigt, im Restaurant zu helfen und Holländisch zu üben. Winky lernt die Sprache mühelos nebenbei, und da gerade Sommerferien sind, hat sie viel Zeit, um ihre neue Umgebung zu erkunden. Leider verbringt sie die meisten Tage allein, denn außer dem Aushilfskellner Samir hat niemand so recht Zeit für sie.

Wie sehr freut sich Winky deshalb auf die Schule, endlich wird sie Kinder in ihrem Alter kennenlernen! Doch der erste Schultag verläuft entsetzlich. Mit ihren pechschwarzen Haaren und ihren mandelförmigen Augen fällt Winky zwischen all den Blondschöpfen auf. Jeder ihrer Schritte wird von den Mitschülern genau beobachtet. Über die Frühlingsrollen, die ihre Mutter ihr statt eines Pausenbrotes eingepackt hat, rümpfen die Kinder die Nase. In der Hofpause steht Winky verloren am Rand und schaut den anderen beim Spielen zu. Verzweifelt rennt sie ihrer Mutter entgegen, als diese sie abholt: »Nie wieder gehe ich in diese scheußliche Schule!« – »Aber Winky, morgen wird es bestimmt schon viel besser!« – »Nein!«, schreit die Kleine und läuft vor ihrer Mutter davon.

Und da steht es plötzlich, mitten auf der Straße: ein Pony, braun-weiß gefleckt und ebenso mutterseelenallein, wie Winky sich fühlt. Es muss ein magischer Moment für das Kind sein, denn das Pferd zeigt keinerlei Scheu, keine Ablehnung, es kommt auf Winky zu und lässt sich streicheln. »Willst du mein Freund sein?«, flüstert sie ihm ins Ohr. Natürlich ist das Tier nicht ohne Besitzer, atemlos stürzt eine Niederländerin heran, die nach dem Pony gesucht hat. Sie bedankt sich bei Winky und lädt sie ein, sie auf ihrem Hof zu besuchen.

Von nun wird alles besser, der Gedanke an das Pony, das übrigens Sartje heißt, lässt Winky die Tage in der Schule besser ertragen. Jeden Nachmittag fährt sie mit ihrem roten Fahrrad zur Koppel, um mit ihm zusammen zu sein: »Sartje ist mein bester Freund!«, sagt sie. Das Tier wird ihr zum Ersatz für menschliche Kontakte, es gibt ihr Halt. Leider dürfen ihre Eltern nichts davon erfahren, denn sie halten Pferde für gefährlich.

Endlich findet Winky auch in der Schule Anschluss, Meike (ein echtes Pferdemädchen!) will unbedingt Winkys Pony sehen. Doch als die beiden Mädchen zur Koppel kommen, ist Sartje verschwunden. Winky erfährt, dass das Pony sehr krank ist und eingeschläfert werden muss. Sie ist am Boden zerstört. Und weil sie mit ihren Eltern nicht darüber sprechen kann, bleibt sie mit ihrem Schmerz allein.

Erst als Meike ihr vom Nikolaus erzählt, einem Mann, der Kindern Geschenke bringt, schöpft Winky neuen Mut. Zwar sind ihr die Bräuche rund um das niederländische Nikolausfest völlig neu, und so recht versteht sie den Sinn dahinter auch nicht, dennoch hofft sie, ein eigenes Pony zu bekommen. Dafür lernt sie akribisch alle Nikolauslieder auswendig, bemüht sich, besonders artig zu sein, und stellt voller Hoffnung ihre bunten Turnschuhe vor den Kamin – mit einer Karotte für den schwarzen Piet, den Nikolaus-Begleiter, darin. Ihre Eltern sind ihr bei alldem keine große Hilfe. »Papa kapiert gar nichts«, beschwert sich Winky, obwohl er seit drei Jahren in Holland lebe, verwechsle er den Nikolaus immer noch mit dem Weihnachtsmann.

Als der große Tag gekommen ist und der Nikolaus die Schule besucht, um die Kinder zu beschenken, passiert das Unfassbare: Der Nikolaus besitzt die Frechheit, Winky mit einem lausigen Kuscheltier abzuspeisen! Das Mädchen verliert die Nerven, all die Anstrengungen sollen umsonst gewesen sein? »Du blöder Nikolaus!«, schreit sie dem bärtigen Mann ins Gesicht und fragt sich: »Ob der Nikolaus keine chinesischen Kinder mag?« – »Der Nikolaus mag alle Kinder«, kann Freundin Meike sie schließlich überzeugen.

Als Zuschauer kann man bei diesem Film gleich über zwei Kulturen Neues lernen, sofern man über die Nikolausbräuche in unserem Nachbarland so wenig weiß wie ich bisher. Das Charmante dabei: Kleinen Kindern wird er die Illusion vom Nikolaus nicht nehmen, Größeren liefert er ausreichend Indizien, um dessen wahre Identität zu enttarnen. Die letzte Filmszene ist unvermeidbar kitschig: Ein Mädchen mit Zöpfen reitet auf einem weißen Pferd – und allen Widerständen zum Trotz bin ich gerührt. KinderZEIT empfiehlt den Film ab 6 Jahren.

Die neue ZEIT Edition „Kinderfilme aus aller Welt“ umfasst zehn preisgekrönte Spielfilme, die zeigen, wie Kinder in verschiedenen Ländern leben, wovon sie träumen, wofür sie kämpfen. Für Mädchen und Jungen von 6 bis 12 Jahren. Alle Filmen zusammen kosten 89,95 Euro und können hier bestellt werden. Der Reinerlös geht an das Kinderhilfswerk terre des hommes.

1. Whale Rider
2. Tsatsiki – Tintenfisch und erste Küsse
3. Wintertochter
4. Ein Pferd für Winky
5. Die Stimme des Adlers
6. Billy Elliot – I will dance
7. Zaïna – Königin der Pferde
8. Soul Boy
9. Lippels Traum
10. Kinder des Himmels