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Das Königreich des P.

 

Klein, aber ein kompletter Staat: Der Vatikan/ Illustration: Anton Hallmann sepia-online.com
Klein, aber ein kompletter Staat: Der Vatikan/ Illustration: Anton Hallmann sepia-online.com

Wenn der Papst zurücktritt, ist er auch nicht mehr Chef des Vatikans. Der Ministaat liegt mitten in Rom, und kaum jemand darf hinein. Was ist dort so geheimnisvoll?

Von Birgit Schönau

An diesem Donnerstag hat Papst Benedikt XVI. seinen letzten Arbeitstag als Chef der katholischen Kirche. Um 17 Uhr verlässt er seine Gemächer im Apostolischen Palast gleich neben der Peterskirche mitten in Rom. Er steigt in ein weißes Auto mit dem Kennzeichen SCV1. SCV ist die lateinische Abkürzung für Vatikanstadt. Der Papst war hier bislang die Nummer eins. Das ist er nur noch wenige Stunden.

Am Hubschrauberlandeplatz wartet schon ein weißer Hubschrauber auf Benedikt. Weiß ist die Farbe des Papstes. Er trägt immer ein weißes Gewand und dazu rote Schuhe und manchmal einen roten Schal – eine Stola. Der weiße Helikopter fliegt Benedikt aus dem Vatikan in Richtung Süden bis zum Ferienhaus des Papstes, das eigentlich ein richtiger Palast ist. Es liegt hoch über einem See in der Ortschaft Castel Gandolfo. Der Papst kommt hier an, steigt aus dem Hubschrauber und lässt sich in den Palast fahren. Dort wartet schon ein Koch mit dem Abendessen.

Mit Plakaten ird Papst Benedikt XVI veranbschiedet/ © Christopher Furlong/ Getty Images
Mit Plakaten wird Papst Benedikt XVI veranbschiedet/ © Christopher Furlong/ Getty Images

Um 20 Uhr ist der Papst dann kein Papst mehr. Er heißt auch nicht mehr Benedikt, sondern wie vor seiner Wahl zum Papst: Joseph Ratzinger. Im Vatikan wird bald ein neuer Papst gewählt. Bis dahin hat nicht nur die katholische Kirche keinen Chef mehr, sondern auch der kleinste Staat der Welt: der Vatikan – der Kirchenstaat.

Er liegt mitten in der Stadt Rom, umgeben von sehr hohen Mauern. Was hinter diesen Mauern geschieht, dürfen aber nur sehr wenige der weltweit 1,2 Milliarden Katholiken sehen. Die Gläubigen dürfen in den Vatikan nicht hinein, nur in die Peterskirche, auf den Petersplatz oder in die Vatikanischen Museen. Die Peterskirche ist riesig, und die Museen gehören auch zu den größten der Welt. Der kleine Staat aber bleibt für die meisten ein großes Geheimnis.

Was ist der Vatikan für ein Land? So viel ist bekannt: Er ist gerade mal 44 Hektar groß, das sind ungefähr 66 Fußballfelder. Noch nicht einmal 1000 Menschen leben hier, der Staat ist eigentlich ein Dorf. Und doch hat der Vatikan alles, was ein Staat braucht. Die Regierung besteht aus dem Papst und den Kardinälen. Man nennt die Regierung auch Kurie. Der Papst ist der oberste Chef, und wie ein König bleibt er das bis an sein Lebensende. Aber Benedikt XVI. wollte nicht länger regieren. Er wird bald 86 Jahre alt und fühlte sich zu müde. Deshalb ist er zurückgetreten. Und deshalb gibt es im Vatikan bald zwei Päpste.

Wenn der alte Papst als Joseph Ratzinger in den Vatikanstaat zurückkommt und in das Kloster Mater Ecclesiae mitten in den Vatikanischen Gärten zieht, ist es gut möglich, dass er dort beim Spazierengehen auch mal den neuen Papst trifft. Dass im Vatikan zwei Päpste leben, ein ehemaliger und ein regierender, das ist noch nie vorgekommen, dafür gibt es auch keine Regeln.

Für vieles andere schon: Überall im Vatikan herrscht für Autos Tempo 30, und die Einwohner trennen ihren Müll. Es gibt eine Nationalhymne und eine Fahne, gelb und weiß. Der Vatikan hat ein Postamt, das Vatikanbriefmarken verkauft, und er lässt eigene Euro-Münzen prägen, mit denen man zum Beispiel auch in Deutschland bezahlen kann. Es gibt ein Vatikan-Radio und eine Vatikan-Zeitung. Die heißt Osservatore Romano, zu Deutsch: »Römischer Beobachter« und erscheint in 20 Sprachen. Der Vatikan hat eine Sparkasse und ein Amt, bei dem man die Autos anmelden kann. Es gibt eine Fußballliga für Priester und eine für Nichtpriester. Nur eine Nationalmannschaft gibt es nicht.

Die Amtssprache ist Latein. Man kann beim Geldautomaten der Vatikan-Bank eine Latein-Taste drücken, und eine Sprachkommission kümmert sich darum, dass moderne Wörter wie Twitter oder Smartphone ins Lateinische übersetzt werden. Die lateinische Sprache ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass viele Menschen den winzigen Staat so geheimnisvoll finden.

Geheimnisvoll ist der Vatikan auch, weil er so gut bewacht wird: Die sogenannten Schweizergardisten sorgen dafür, dass niemand ohne Erlaubnis den Staat betritt. Sie kommen wirklich aus der Schweiz und sind die Soldaten des Vatikans. Mit 110 Mitgliedern ist das Heer ganz klein. Es trägt altertümliche Lanzen als Waffen und ebenso alte Uniformen. Im Winter sind die Uniformen blau und im Sommer bunt. Aber auch wenn die Schweizer darin etwas verkleidet aussehen, sind sie doch richtige Soldaten. Ihre Aufgabe ist es, den Papst zu schützen. Dazu sind sie immer im Vatikan und wohnen in einer Kaserne gleich neben der St.-Anna-Pforte, das ist der Haupteingang in den Vatikan.

Manche der Schweizergardisten leben dort mit ihren Familien. Deshalb gibt es im Vatikan auch Kinder! Zurzeit sind es etwa 20. Man muss jetzt aber nicht denken, dass sie hinter den hohen Mauern eingesperrt wären. Ein Schritt heraus aus der St.-Anna-Pforte, und schon sind die Vatikan-Kinder in Rom. Sie können auch spielend mit einem Fuß im Vatikan und mit dem anderen in Italien stehen.

Dorthin müssen sie, um den Kindergarten und die Schule zu besuchen. Dort treffen sie auch römische Kinder. Weil Kindergarten und Schule am anderen Ende der Stadt liegen, fährt aus dem Vatikan ein Schulbus dahin. Auf den römischen Straßen gibt es aber kein Tempo 30. Rom ist das Gegenteil vom Vatikan: groß, laut und chaotisch.

Besonders lustig ist das Leben für Kinder im Vatikanstaat aber vermutlich nicht. Es gibt in ihrem Land kein Schwimmbecken und keine Spielplätze. Haustiere zu halten ist schwierig. Der Fußballplatz liegt außerhalb der Mauern. Ballspielen und Joggen in den Vatikanischen Gärten sind verboten, weil es den Papst, Pardon: die beiden Päpste, beim Nachdenken stören könnte. Eines aber haben die Kinder im Vatikan den anderen voraus. Das große Geheimnis um den kleinen Staat ist für sie Alltag. Und vielleicht ist es ja dann gar kein Geheimnis mehr.