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Dafür und Dagegen: Viele, viele Schulen

 

Illustration: Claudia Boldt

In Deutschland muss jedes Kind zur Schule gehen: Das nennt man Schulpflicht. Was aber zur Schule gehen bedeutet, ist sehr unterschiedlich. Jedes Bundesland macht eigene Gesetze. Ist das gut oder schlecht? Beides! Je nachdem, wen man fragt. Wir haben zwei ZEIT-Autoren gebeten, uns ihre Meinung aufzuschreiben.

DAFÜR:Thomas Kerstan ist dafür, dass Bildung in Deutschland so vielfältig ist. Ich finde es gut, dass es in Deutschlandeine bunte Vielfalt von Schulen gibt und keine bundesweite Einheitsschule mit den gleichen Schulbüchern für alle. Mir gefällt auch, dass nicht die Bundeskanzlerin und der Bundestag in Berlin bestimmen, was und wie die Kinder zu lernen haben, sondern dass das jedes Bundesland – zum Beispiel Baden-Württemberg, Sachsen und Schleswig-Holstein – selber bestimmen darf. Warum? Aus zwei Gründen. Erstens: Ein Blick in unser Nachbarland Frankreich zeigt, dass ein einheitliches Schulsystem keinen Vorteil bringt. Frankreich ist nicht in Bundesländer unterteilt, man nennt Frankreich deshalb einen Zentralstaat. Die Schulen werden zentral von der Regierung in Paris gelenkt. Und, sind die französischen Schulen besser als die deutschen? Nein, das sind sie nicht. Das haben Forscher mithilfe einer Studie herausgefunden. Dazu mussten 15-Jährige auf der ganzen Welt die gleichen Aufgaben lösen. Dabei zeigte sich: Im Lesen und in der Mathematik sind die deutschen und die französischen Schüler ungefähr gleich gut. In den Naturwissenschaften (Physik, Biologie und Chemie) sind die deutschen Schüler sogar besser. Das »Chaos« oder »Durcheinander «, das ängstliche Erwachsene an unseren Schulen beklagen, führt also nicht zu schlechteren Leistungen der Schüler. Zweitens: Die einzelnen Bundesländer sind viel beweglicher als Deutschland als Ganzes. Sie können leichter gute Ideen umsetzen, als wenn gleich alle Schulen in Deutschland mitmachen müssten. Hamburg und Bremen zum Beispiel haben die Hauptschulen abgeschafft, weil die Schüler dort zu wenig lernen, und haben sie mit Real- und Gesamtschulen zusammengelegt. In Bayern funktionieren die Hauptschulen viel besser, dort bleiben sie bestehen. Eine einheitliche Regelung für ganz Deutschland hätte also entweder in Hamburg und Bremen oder in Bayern Ärger gemacht, den Schulen jedoch nicht geholfen. Ein Problem ist aber wirklich, dass die Schüler zum Beispiel in Hamburg weniger lernen als in Bayern, und dass es die bayerischen Schüler schwerer haben, eine gute Note zu bekommen. Das haben auch die Politiker gemerkt, die für die Schulen verantwortlich sind. Die heißen Kultusminister und machen viele vernünftige Sachen, die man gar nicht so mitbekommt. Vor Kurzem haben die Kultusminister aller 16 Bundesländer festgelegt, was die Schüler in ganz Deutschland zum Beispiel in Deutsch und Mathematik am Ende der Grundschule und der Mittelschule können müssen. Ich finde, das passt gut zu einem freien Land: Alle müssen das Ziel erreichen, aber welchen Weg sie dabei gehen, bleibt ihrem Können und ihrer Fantasie überlassen.

DAGEGEN:Martin Spiewak ist dagegen und meint, es herrsche ein totales Schulchaos und in ganz Deutschland sollte es gleiche Regeln geben. Stell Dir vor, Du musst umziehen, etwa von Berlin nach Stuttgart. So ein Ortswechsel ist ziemlich anstrengend: Neues Zuhause, neuer Sportverein, neue Freunde. Das ist überall auf der Welt so. In Deutschland aber gibt es zusätzlichen Stress durch den Schulwechsel. Denn jedes der 16 Bundesländer hat ein anderes Bildungssystem, mit eigenen Namen für die Schulen, verschiedenen Unterrichtsplänen und einer eigenen Ausbildung für die Lehrer. In Berlin zum Beispiel dauert die Grundschule sechs Jahre, in Baden-Württemberg, dessen Hauptstadt Stuttgart ist, sind es nur vier. Dort lernt man schon in der ersten Klasse Englisch (oder Französisch), in Berlin erst in der dritten. Die Schulbücher kann man nach einem Umzug wegschmeißen, jedes Bundesland hat seine eigenen. Dabei leben wir doch alle in einem Staat. Wenn es aber um Schule geht, herrscht ein Durcheinander, das selbst Experten nicht überblicken. Mehr als 20 Schulformen gibt es und rund zweitausend verschiedene Lehrpläne. Das liegt daran, dass Deutschland ein Bundesstaat ist, der aus 16 Bundesländern besteht. Und jedes will mitbestimmen – zumindest was im eigenen Bundesland passiert. Besonders in den Schulen können sie schalten und walten, wie es ihnen passt. Das wäre nicht schlimm, wenn die Länder sich einig darüber wären, wie eine gute Schule auszusehen hat. Sind sie aber nicht. Zudem verschärfen sie das Chaos alle paar Jahre häufig dadurch, dass nach den Wahlen eine neue Regierung kommt, die wieder eine andere Schulpolitik gut findet. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat die alte Regierung aus CDU und FDP die Hauptschulen gestärkt. Nun wollen die SPD und die Grünen, die die Wahlen in diesem Jahr gewonnen haben, die Hauptschule abschaffen. Ein einheitliches Schulsystem für ganz Deutschland wäre einfacher zu verstehen und auch gerechter. Denn zum einen geben die Bundesländer unterschiedlich viel Geld pro Schüler aus. Zum anderen muss man sich – je nachdem wo die Schule steht – für dieselbe Note stärker anstrengen. Als Forscher im Pisa-Test die Leistungen der Schüler verglichen, stellten sie zum Beispiel fest, dass die bayerischen Schüler denen in Bremen in Lesen und Mathe um zwei Jahre voraus waren. Besonders unfair ist das, wenn man später an die Universität will. Obwohl ein bayerischer Schüler mehr kann, bekommt der Bremer vielleicht den Studienplatz, weil er einen besseren Zeugnisdurchschnitt hat. Auch in Baden-Württemberg gilt der Unterricht als anspruchsvoller als in Berlin. Vielleicht muss ein Kind, das mit seiner Familie von Berlin nach Stuttgart zieht, deshalb sogar eine Klasse wiederholen. Eine einheitliche Schule wäre da doch besser! Und was denkst Du? Welche Argumente haben Dich überzeugt? Schreib uns Deine Meinung: kinderzeit@zeit.de oder nutze direkt die Kommentarfunktion unter diesem Artikel.