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Südsudan: Der Kampf um’s Öl (Teil 2)

 

„AMA – Assistance Mission for Africa“, steht an der Eingangstür zu einem kleinen Büroraum in Hai Tongpiny, einem Stadtteil von Südsudans Hauptstadt Juba. Tagsüber herrschen knusprige 40 Grad, es ist Trockenzeit, Sand legt sich über, auf und zwischen alles: Zähne, Brillengläser, Schuhe, Bürotische, Computer, Drucker. In den rötlich gepuderten Aktenordnern hat James Ninrew auf Hunderten von Seiten eine kleine Geschichte des Erdöls im Südsudan dokumentiert.

Ninrew, 52 Jahre alt, gehört der Volksgruppe der Nuer an und ist mit deren typischen Gardemaß von 1,90 Meter ausgestattet. Jeden Sonntag predigt er als evangelischer Pastor von der Kanzel einer Presbyterianer-Kirche. Unter der Woche sucht er zusammen mit 21 weiteren AMA-Mitgliedern nach Geldgebern und Firmen, die im tiefsten Hinterland Schulen bauen und ein Netz von Wasserpumpen errichten. „Schulen, weil wir eine Nachkriegsgeneration von Analphabeten sind.“ Im Südsudan können rund 15 Prozent der Bevölkerung lesen und schreiben. „Wasserpumpen, weil es, erstens, kaum welche gibt, und weil dort, wo es sie gibt, oft Kämpfe ausbrechen.Sie wissen schon: Ressourcenknappheit.“ In seiner Heimatregion weiter nördlich geraten deswegen ständig Angehörige der beiden größten Ethnien aneinander, der Dinka und der Nuer. „Also vermitteln wir auch bei Konflikten.“
Reden gegen Kalaschnikows?

„Genau. Und zuhören.“ Klagen der einen Seite über Viehdiebstahl, Wasserklau und Überfälle aufnehmen, dann die Klagen der anderen Seite über Viehdiebstahl, Wasserklau und Überfälle anhören. Die Landräte, Stammesältesten, Armeekommandanten, Polizeichefs dazu holen, falls es überhaupt welche gibt. Prüfen, wo die nächste Wasserstelle angelegt werden muss, ohne neuen Streit zu erzeugen. Außerdem von Dorf zu Dorf, Klan zu Klan fahren oder laufen, um nach Land für jene Südsudanesen zu suchen, die während des Bürgerkrieges nach Khartum geflohen waren und nun zurückkommen.
Zum Beispiel für die Dörfler aus Unity und Upper Nile, die in den 90er Jahren systematisch vertrieben wurden, weil man auf ihrem Land Öl gefunden hatte.

Für die Bevölkerung bedeutet die Entdeckung von Rohstoffvorkommen bis heute eher Fluch als Segen. Im Sudan richtete sie eine Verheerung an.

Als der amerikanische Ölmulti Chevron 1978 in Unity State Öl entdeckte, herrschte zwischen Norden und Süden gerade Frieden. Genauer gesagt: Kriegspause. Die war nun für die örtliche Bevölkerung vorbei. Die Regierung in Khartum setzte gezielt arabische Milizen ein, um das Gebiet für die Ölförderung zu räumen und die Bewohner zu vertreiben. Chevron konnte von den Ölfunden allerdings nicht lange profitieren. 1984 brach der zweite, sehr viel längere Bürgerkrieg zwischen Norden und Süden aus, die Firma zog sich aus dem Sudan zurück.

In den 90er Jahren traten andere an ihre Stelle: Der kanadische Konzern „Talisman“, der malayische Staatsbetrieb „Petronas“, die „Chinese National Petroleum Corporation“, Sudans „Sudapet“, Österreichs „OMV“, der schwedische Konzern Lundin – sie alle begannen mit der Ölförderung im nördlichen Teil des heutigen Südsudan, nachdem Khartum die Zivilbevölkerung verjagt hatte. „In vier Stufen“, sagt Ninrew. Erst mit Kampfbombern, dann mit Helikopterangriffen. Es folgten Bodentruppen, die plünderten und brandschatzten  – und schließlich Arbeiter mit schwerem Räumgerät. „300.000 Menschen“, sagt er, „sind so vertrieben worden.“

Firmen wie „Talisman“ und „Lundin“ haben sich aus dem Sudan-Geschäft inzwischen zurückgezogen. Aber die Anschuldigungen bleiben, von schwersten Menschenrechtsverletzungen profitiert zu haben. Ninrews AMA wie auch die „European Coalition on Oil in Sudan“ (ECOS), ein Netzwerk von Unterstützergruppen in Europa, haben die Morde und Vertreibungen ausführlich dokumentiert (zuletzt in einem Bericht 2010) und (zivil)rechtliche Konsequenzen gefordert. In Schweden sind inzwischen Vorermittlungen eingeleitet worden, was politisch hohe Wellen geschlagen hat: der amtierende Außenminister Carl Bildt war im betreffenden Zeitraum Mitglied des Aufsichtsrates von Lundin. Lundin streitet die Vorwürfe im übrigen ab. Das, sagt James Ninrew, sei schon mal ein Fortschritt. Die chinesischen und malayischen Konzerne hätten bislang überhaupt nicht reagiert.

Er will Schadensersatz für die Betroffenen – materiell wie symbolisch.
„Eine öffentliche Entschuldigung wäre ein guter Anfang. Dann Geld für Schulen, Hospitäler, Straßen und andere Infrastruktur für die Betroffenen. Und ein Mahnmal für jene, die damals getötet worden sind.“
Das wäre ein erstes Zeichen, dass internationale Konzerne in Afrika nicht tun und lassen können, was sie wollen. „Stellen Sie sich einmal vor“, sagt er zum Ende unseres Gesprächs, „Ölkonzerne hätten sich in einem europäischen Land so aufgeführt. Was wäre dann wohl passiert?“