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Das tödliche Dreiländereck: Der Sudan, die LRA und ein Massaker im Kongo

 

Gesuchter Kriegsverbrecher: Joseph Kony, Anführer der Lord

Von Khartum, der Hauptstadt des Sudan sind es über tausend Kilometer bis zum Tatort des jüngsten Massakers im Nachbarland Kongo. Von Juba, Hauptstadt des autonomen Südsudan, sind es mehrere hundert Kilometer. Doch die drei Buchstaben, hinter denen sich die Mörder verbergen, sind auch im Sudan bekannt und gefürchtet: LRA.

Über zwei Monate hat es gedauert, bis Human Rights Watch und die BBC Gerüchte und Recherchen lokaler Menschenrechtsaktivisten in der kongolesischen Provinz Orientale prüfen und über den Horror berichten konnten: Zwischen dem 14. und 17. Dezember 2009 ermordeten Trupps der ugandischen „Lord’s Resistance Army“ (LRA) in mehreren völlig isolierten Dörfern im Nordosten des Kongo über 300 Zivilisten. Die meisten wurden mit Stöcken und Macheten erschlagen. Die Opfer sind vor allem Männer, aber auch mehrere Frauen und Kleinkinder, darunter ein dreijähriges Mädchen, das nach Berichten von Augenzeugen verbrannt wurde. Die Täter entführten mehrere hundert Jungen als Lastenschlepper und Mädchen als „Buschfrauen“ für ihre Kommandanten.

Es ist das schlimmste Massaker seit langem im Ostkongo, dessen Bewohner in den weiter südlich gelegenen Kivu-Provinzen von der aus Ruanda stammenden FDLR terrorisiert werden – und im Nordosten seit einigen Jahren von der ugandischen „Lord’s Resistance Army“.

Die „Widerstandsarmee des Herrn“ kämpft seit rund zwanzig Jahren unter Führung des selbsternannten Propheten Joseph Kony gegen die ugandische Regierung und für einen Gottesstaat auf Grundlage der zehn Gebote. Ursprünglich gab sie sich als Fürsprecher des verarmten ugandischen Nordens und der dort ansässigen Acholi aus. Doch mit massiven Zwangsrekrutierungen von Kindern der Acholi und brutalen Strafaktionen gegen vermeintlich illoyale Dörfer gebärdete sich Konys LRA im eigenen Gebiet wie eine Terrortruppe.

Der grausame Spuk wäre womöglich bald zu Ende gewesen, hätte Kony nicht einen mächtigen Sponsor im Sudan gefunden. Anfang der 90er Jahre war der Dauerkonflikt zwischen dem islamischen Regime in Khartum und dem christlich-animistischen Süden wieder vollends entbrannt. Bürgerkriege, egal in welchem Land, rufen die Nachbarstaaten auf den Plan – frei nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Weil Ugandas Staatschef Yoweri Museveni die SPLA-Rebellen im Südsudan unterstützte, versorgte das Regime in Khartum unter Führung von Präsident Omar al-Bashir Konys Truppe mit Waffen, Ausbildern und militärischer Aufklärung. Islamisten rüsteten christliche Fundamentalisten auf – das dürfte es nicht oft gegeben haben.

2005 endete der sudanesische Bürgerkrieg zwischen Norden und Süden. Die Allianz zwischen Kony und Khartum hatte schon vorher zu bröckeln begonnen. Die LRA, maßgeblich geschwächt, verstreute sich auf andere Nachbarländer: den Nordosten des Kongo und entlegene Gebiete in der Zentralafrikanischen Republik. Das einzige, was Kony und al-Bashir seither gemein haben, sind – so scheint es – Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag: Dort wird Kony zusammen mit einigen seiner Stellvertreter wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Uganda gesucht. Gegen Al-Bashir will das Gericht Anklage wegen der Gräueltaten in Darfur erheben.

Der ugandische Journalist Frank Nyakairu hat über Jahre die Verbrechen der LRA (aber auch die der ugandischen Armee gegenüber Acholi-Zivilisten) dokumentiert und LRA-Kämpfer mehrfach im Busch aufgesucht. Aus dem aufgeriebenen Haufen der vergangenen Jahre, so Nyakairu, sei in jüngster Zeit eine „multinationale Truppe“ geworden, die besser aufgerüstet und aufgestockt mit neuen Zwangsrekruten aus dem Kongo, dem Sudan und der Zentralafrikanischen Republik, „über mehrere Länder Zentralafrikas operiert.“

Eine Militäroperation gegen Konys Stützpunkte im Ostkongo – durchgeführt von ugandischen, südsudanesischen und kongolesischen Armeeeinheiten (mit amerikanischer Unterstützung) scheiterte 2009. Seitdem hat die LRA ihre brutalen Überfälle auf die Zivilbevölkerung verstärkt. Allein in der kongolesischen Provinz Orientale haben ihre Kämpfer nach Angaben der UN seit Dezember 2008 mehr als 1200 Zivilisten getötet. Im Südsudan hat die LRA mehrere zehntausend Menschen aus ihren Dörfern vertrieben und damit eine bereits bestehende Hungerkrise im Süden dramatisch verschärft.

Ob dies die Aktionen versprengter, aufgeriebener LRA-Trupps sind, ob die Täter einer von der LRA-Führung ausgegebenen Strategie folgen, oder ob womöglich einige Gräueltaten auf das Konto anderer Banden gehen – darüber gehen die Meinungen auseinander. Die ugandische Armee hat inzwischen die Täterschaft der LRA in Frage gestellt. Nach ihrer Darstellung verfügt die LRA allenfalls noch über 200 Kämpfer und sei gar nicht in der Lage, vier Tage lang mordend und plündernd durch Dörfer zu ziehen.

Bei Nyakairu liest sich das anders. Neu sind nach seinen Recherchen nicht nur Rekruten und Waffen der LRA. Neu sei auch die Kommandosprache. Befehle der LRA-Kommandanten würden, schreibt Nyakairu, nicht mehr nur auf Acholi sondern auch auf Arabisch erteilt. Manche Beobachter werten dies als Zeichen dafür, das Khartum wieder zum Sponsor der LRA geworden ist, um den Süden zu destabilisieren, der sich derzeit auf die landesweiten Wahlen Mitte April vorbereitet und im Januar 2011 per Referendum voraussichtlich seine Unabhängigkeit beschließen wird. Handfeste Beweise für eine Neuauflage der Allianz zwischen Kony und al-Bashir gibt es bislang allerdings nicht. Regierungsvertreter in Khartum bestreiten den Vorwurf vehement.

Was es gibt, sind neue Massengräber im Kongo, einen terroristischen Sektenführer, den niemand zu fassen bekommt. Und eine Akte in Den Haag beim Internationalen Strafgerichtshof, die nun wieder um einige Seiten länger werden dürfte.