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Wir gehen jetzt mal Kony jagen – eine Filmrezension

 

„Kony 2012“ – der neue Hit im Netz. Über 50 Millionen Mal ist der 30 Minuten Film der amerikanischen NGO „Invisible Children“ über einen ugandischen Rebellenführer inzwischen angesehen worden. Kony 2012 – so heisst auch ihre Kampagne. Deren Ziel: Die Festnahme Konys noch in diesem Jahr – und damit die Zerschlagung seiner Rebellengruppe, der „Lord’s Resistance Army“ (LRA). Kony und die LRA agieren seit über 25 Jahren in Zentralafrika und sind berüchtigt für ihre Praxis,  Kinder zu entführen und sie entweder zu „Ehefrauen“ oder zu „Kämpfern“ zu machen.

„Inivisible Children“ verleiht dem Mann nun eine mediale Prominenz, die in der Kategorie „das Böse dieser Welt“ zuletzt Osama Bin Laden zuteil geworden ist. In dem Video tauchen Hollywood Stars wie George Clooney tauchen auf, andere (zum Beispiel Rihanna und Sean ‚P Diddy“ Coombs) twittern inzwischen darüber, was das Zeug hält. Und die alten Medien sind sichtlich beeindruckt. „Die Netzwelt jagt den Kriegsverbrecher Joseph Kony“.  Oder: „Virales Video: Das Internet jagt einen Massenmörder“. So und ähnlich lauten die Schlagzeilen. Da ich selbst gerade zwei Wochen im Südsudan in einer von der LRA betroffenen Regionen verbracht habe, hier ein paar persönliche Gedanken zu „Invisible Children“, dem Video und zur LRA.

„Invisible Children“ arbeitet seit Jahren in Zentralafrika (Demokratische Republik Kongo, Südsudan, Uganda und Zentralafrikanische Republik) – und zwar mit durchaus effektiven und sinnvollen Projekten: Unter anderem hat die NGO Radiostationen und Funkgeräte finanziert und der lokalen Bevölkerung geholfen, ihr Frühwarnsystem gegen die LRA zu verbessern. Zusammen mit der ebenfalls sehr agilen NGO „Resolve“ hat „Invisible Children“ den „LRA Crisis Tracker“ entwickelt, eine Website, die Angriffe der LRA dokumentiert und auswertet .
Beide NGOs sind in erster Linie Lobbygruppen. Vergangenes Jahr sorgten sie mit anderen dafür, dass die LRA Thema im US-Kongress wurde und Präsident Obama im Oktober schließlich die Entsendung von 100 militärischen Beratern in die Region zustimmte, um Kony zu jagen.

Das Video: Von der Expertise, die die Arbeit von „Invisible Children“ vor Ort auszeichnet, ist in dem Film nicht mehr viel zu sehen. Das Video ist vor allem eine Rührstory, die sich ein wenig um Konys Opfer, vor allem aber um den kalifornischen Filmemacher und NGO-Mitbegründer Jason Russell und seinen kleinen Sohn dreht, dem er vom Kampf gegen den „bösen Kony“ erzählt. Dazu wird viel veraltetes Bildmaterial beigemischt, das suggeriert, Kony terrorisiere mit 30.000 zwangsrekrutierten Kindersoldaten Uganda. Irgendwann taucht auch noch ein Hitler-Bild auf, damit auch jeder kapiert, dass man es hier mit dem Schurken schlechthin zu tun hat. Den Part der „Guten“ übernehmen die ugandische Armee, die Kony seit einem Vierteljahrhundert erfolglos nachstellt, die US-Militärs – und natürlich die Unterstützer der Kampagne, die sich „Kony 2012“-T-Shirts, „Kony 2012“ -Armbänder, „Kony 2012“-Schlüsselanhänger und „Kony 2012“-Poster kaufen, möglichst laut und häufig Konys Verhaftung und mehr militärischen Druck auf die LRA fordern sollen.

Es ist ja durchaus sinnvoll, jetzt, da sich westliche Regierungen wieder verstärkt engagieren, den öffentlichen Druck aufrecht zu erhalten. Und natürlich muss man für mediale Massenkampagnen komplexe Probleme vereinfachen. Doch was „Invisible Children“ da fabriziert hat, ist eine Zumutung – nicht zuletzt für die unzähligen afrikanischen AktivistInnen in der Region, die seit Jahrzehnten gegen die LRA ankämpfen, aber auch gegen die politischen Ursachen, die ihr Entstehen erst möglich gemacht haben. Deren Arbeit und Argumente kommen nicht vor. „Kony 2012“, der Film, verfährt (wieder einmal) nach dem Motto: Die Afrikaner kriegen es allein nicht gebacken, jetzt muss der weiße Mann die schwarzen Kinder retten. Ich behaupte nicht, dass dies Russells Absicht war. Im Gegenteil: er will weltweit Solidarität mit einer vernachlässigten Region herstellen. Doch er ist sich offenbar überhaupt nicht seiner paternalistischen Bildsprache bewusst.
(Kleiner Lesetipp am Rande: wer wirklich Fundiertes über Joseph Kony lesen will, dem seien die Reportage und andere Publikationen von Mareike Schomerus, einer der international renommiertesten Kennerinnen der LRA empfohlen. Schomerus ist eine der wenigen JournalistInnen, die Kony getroffen haben.)

Zurück zum Video: Ich kann absolut verstehen, dass man vor Wut und Hilflosigkeit kocht und SOFORT etwas tun will, wenn man Bilder von Konys Opfern gesehen hat: Männer, Frauen, Kinder mit verstümmelten Gesichtern; Kindersoldaten, die er gezwungen hat, zu töten (manchmal Mitglieder der eigenen Familie); Mädchen, die sexuell versklavt worden sind. ABER: je größer die Wut im Bauch, desto kühler der Kopf. Was hilft im Kampf gegen die LRA? Was schadet in diesem Kampf?

Die LRA: Anders als Russells Film suggeriert, operiert die LRA schon lange nicht mehr in Uganda. Sie besteht Schätzungen zu Folge aus wenigen hundert Kämpfern, samt (Zwangs) Familien, die sich in kleinen Trupps über das Dreiländereck Südsudan, Zentralafrikanische Republik und Kongo verteilt haben und dort immer wieder durch Plünderungen und Entführungen die Bevölkerung terrorisieren. Mit weitreichenden Folgen, denn ein halbes Dutzend Bewaffneter reicht aus, um ein halbes Dutzend Dörfer in Panik und Flucht zu versetzen und so zum Beispiel Landwirtschaft und Ernten für ein ganzes Jahr zu verhindern.

Die LRA hat schon lange keine politische Legitimation mehr. Ihr Überleben verdankt sie ihrer straffen, halb militärischen, halb sektenmäßigen Organisation und Konys strategischem Geschick, sich in den größeren Kriegen der vergangenen Jahren immer wieder mächtige Bündnispartner zu suchen (während des sudanesischen Bürgerkriegs verdingte er sich und seine LRA quasi als Söldnertruppe für das Regime in Khartum). Aber die Gruppe ging in den achtziger Jahren aus einem immer noch schwelenden Konflikt in Uganda hervor, der auf der massiven Unterdrückung der Volksgruppe der Acholis im Norden des Landes beruht. In dieser Zeit hat auch die ugandische Armee schwere Menschenrechtsverletzungen verübt, die allerdings nie Gegenstand einer juristischen Ermittlung geworden sind. Gegen Kony und vier weitere LRA-Kämpfer sind hingegen seit 2005 Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs in Kraft. Wie ernst es Ugandas Militär (UPDF) und seinem Staatschef Yoweri Museveni mit der Jagd auf Kony ist, wird kontrovers diskutiert. Die Existenz der LRA war immer auch willkommener Vorwand, die Repression im Norden zu verschärfen. Bis heute halten sich Spekulationen, dass Kony vor einem (von den USA unterstützten) Luftangriff im Jahr 2008 aus den Reihen der UPDF gewarnt worden ist. Aus Rache für diesen gescheiterten Militärschläg verübte die LRA in den folgenden Monaten Massaker mit mehreren hundert Toten in der kongolesischen Zivilbevölkerung.
Militärisches Vorgehen gegen Kony (wie auch gegen andere Rebelengruppen) hat also im Zweifelsfall einen verheerenden Preis. Es ist deswegen naiv bis gefährlich, zu suggerieren (und das tut „Kony 2012), man müsse nur genügend Elite-Soldaten losschicken, um Kony aus dem Busch zu „pflücken“. Für solche Operationen braucht es aufwendige und teure Begleitmaßnahmen: UN-Soldaten und halbwegs disziplinierte einheimische Militärs zum Schutz der Zivilbevölkerung; erfahrene Demobilisierungsexperten, die Rang niedere LRA-Kämpfer aus dem Busch locken können;  ständige Kommunikation mit den lokalen Gemeinden, etc….) Dafür benötigt man smarte Lobbyarbeit und einen verdammt langen Atem, keine Kony-Posterkampagne. Die bringt im Zweifelsfall vor allem eines: Genugtuung für Kony. Denn nichts ist ihm so wichtig, wie das Gefühl internationaler politischer Bedeutsamkeit. Und genau das stellt die Kampagne „Kony 2012“ her.