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Srebrenica: Lebenslänglich für Völkermord

 

Im Gerichtssaal wirkten sie oft wie eine gut gelaunte Seniorentruppe im Sonntagsanzug – allen voran die beiden Hauptangeklagten Ljubisa Beara und Vujodin Popovic. „Nicht schuldig“ erklärten sie selbstsicher vor drei Jahren bei der Eröffnung ihres Prozesses vor dem UN-Jugoslawien-Tribunal in Den Haag. „Schuldig“, antworteten an diesem Donnerstag die Richter und verhängten gegen die beiden lebenslang wegen Völkermords in Srebrenica und weiterer Verbrechen im Bosnienkrieg. Fünf weitere Angeklagte erhielten Haftstrafen zwischen 35 und fünf Jahren – unter anderem wegen Beihilfe zum Genozid.

Nachrichten aus dem Haager UN-Tribunal erhalten nicht mehr viel Aufmerksamkeit, wenn die Namen Karadzic und Mladic nicht darin vorkommen. Doch dieser Prozess markiert einen Meilenstein in der juristischen Aufarbeitung des Bosnien-Krieges. Sollte die Berufungskammer den Richterspruch bestätigen, wären Beara und Popovic die ersten Angeklagten des UN-Tribunals, die des Genozids überführt worden sind.

Die beiden, wie auch ihre Mitangeklagten, bildeten die zweite Reihe der Täter hinter Radovan Karadzic, dessen Prozess vor dem Tribunal im Oktober 2009 begonnen hat, und Ratko Mladic, dem Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Armee, der immer noch flüchtig ist.

Beara, den einstigen Sicherheitschef der bosnisch-serbischen Armee, bezeichneten die Richter in ihrer Urteilsbegründung als eine „treibende Kraft“ hinter dem Massaker von Srebrenica, bei dem im Juli 1995 rund 8000 muslimische Männer und Jungen ermordet wurden. Der heute 70- jährige ehemalige Oberst hatte Orte für die Massenexekutionen ausgesucht, Hinrichtungskommandos und das Ausheben von Massengräbern organisiert und war bei den Massakern teilweise anwesend.

Popovic, ehemals Oberstleutnant, war Sicherheitschef des Drina-Korps, das im März 1995 von Mladic den Auftrag erhalten hatte, in den UN-Schutzzonen Srebrenica und Zepa, „eine unerträgliche Situation der totalen Unsicherheit zu schaffen, ohne Hoffnung auf Überleben oder Leben für seine Bewohner“.

Das Urteil im bislang umfangreichsten Prozess erfolgt fast genau 15 Jahre nach dem Völkermord von Srebrenica. Spät, zu spät, finden viele – vor allem Überlebende und Angehörige der Opfer. „Wer könnte es ihnen verübeln“, schreibt die kroatische Publizistin Slavenka Drakulic, Autorin des preisgekrönten Buches „Keiner war dabei“ über die Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht. Genugtuung und Seelenfrieden für die Überlebenden zu schaffen, können solche Prozesse kaum leisten.

Aber – abgesehen von der Bestrafung der Täter – dokumentieren sie mühsam und langsam die Wahrheit über Menschheitsverbrechen. Im Verfahren gegen Beara und seine Mitangeklagten hieß das: 425 Verhandlungstage, 315 Zeugen, über 80.000 Seiten an Gerichtsakten.
Das sei die Leistung des Tribunals, schreibt Drakulic. „Es ist für die Serben nicht länger möglich, das Geschehene zu leugnen.“ Es wird zumindest schwerer.

Und Mladic? Neben dem kroatischen Serbenführer Goran Hadzic ist er der letzte flüchtige Angeklagte des UN-Tribunals und hält sich offenbar weiterhin in Serbien versteckt. Am Dienstag hatte die serbische Polizei Mladic’s Frau Bosiljka in Belgrad festgenommen. Anlass waren illegale Schusswaffen, die vor zwei Jahren bei einer Hausdurchsuchung gefunden worden waren. Die Polizeiaktion jetzt soll, so die optimistische Interpretation, offenbar den Druck auf Mladic erhöhen, sich zu stellen.

Die Kooperation Belgrads mit dem ICTY – und dazu gehört die Fahndung nach Mladic – ist bekanntlich eine Bedingung für die Integration Serbiens in die EU. An dieser Bedingung halten ernsthaft nur noch die Niederlande fest. Und die werden zunehmend von anderen EU-Mitgliedsstaaten bedrängt, den Weg für Serbien in die Union auch dann frei zu machen, wenn Mladic nicht gefasst ist.

Am Montag wird in Brüssel wieder über das EU-Stabilisierungs -und Assoziierungsabkommen (SAA) mit Serbien verhandelt. Zahlreiche Menschenrechtsaktivisten und Völkerrechtler, darunter der ehemalige Chefankläger des ICTY, Richard Goldstone, haben nun die EU-Mitgliedsländer aufgefordert, diesen politischen Druck auf Serbien aufrechtzuerhalten. Andernfalls würde sich Mladic Recht und Gerechtigkeit entziehen.

Mladic’s Familie hatte übrigens im Mai beantragt, den Serbengeneral offiziell für tot erklären zu lassen – um die Auszahlung seiner Pension zu ermöglichen.