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Kairo in Kinshasa – Gespräche mit Alphonse (II)

Mein Freund Alphonse aus Kinshasa hat wieder angerufen. Seine Stimme klang aufgeregt.

„Glaubst Du, dass es auch bei uns klappen könnte?“

„Was?“ fragte ich.

„Na, ein Volksaufstand! Die Revolution! Der Sturz der Regierung!“

„Eher nicht“, sagte ich.

Journalisten sind notorische Skeptiker. Das ist eine Berufskrankheit. In diesem Moment hasste ich sie mehr als sonst, weil ich mir vor kam wie eine Spielverderberin. Pessimistische Ansichten kann Alphonse jeden Tag in Kinshasa selbst einsammeln. Dazu braucht er mich nicht.

„Ich glaub’s auch nicht wirklich“, sagte Alphonse. „Aber lass uns durchgehen, was dafür und was dagegen spricht. Was hat die Revolutionen in den arabischen Ländern ausgelöst?“

„Jahrzehntelange Korruption und schamlose Selbstbereicherung der Mächtigen“, sagte ich, „außerdem Armut, hohe Arbeitslosigkeit, staatliche Repression…“

„Haben wir im Kongo alles im Überfluss“, unterbrach Alphonse.

„Stimmt. Aber die Armut ist so groß, dass die Leute mehr mit dem täglichen Überleben beschäftigt sind als mit der Organisation von Revolutionen.“

„Falsch. 1992 sind in Kinshasa Hunderttausende gegen Mobutu auf die Straßen gegangen. Und damals gab’s noch kein Facebook. Nützt ja eh nichts, wenn’s keinen Strom gibt.“

„Aber Mobutu blieb an der Macht“, wandte ich ein.

„Weil der Westen ihn noch nicht ganz fallen lassen wollte“, schoss Alphonse zurück. „So wie anfangs bei Ben Ali, Mubarak und Gaddafi!“

Mobutus Langlebigkeit hatte auch inner-kongolesische Gründe, aber dem zweiten Teil von Alphonses Argument ließ sich schlecht widersprechen.  Wer denn bei uns in Europa gerade am Stürzen sei, fragte Alphonse. Ich konnte ihm immerhin den Rücktritt der französischen Außenministerin und Tunesien-Expertin, Michèle Alliot-Marie, melden.

„Außerdem“, sagte ich, „wackelt der deutsche Verteidigungsminister.“

„Hat er geputscht?“ fragte Alphonse (Aus kongolesischer Sicht liegt die Frage nahe: In Kinshasa sind am Wochenende sechs angebliche Putschisten nahe der Residenz des Präsidenten Joseph Kabila erschossen worden)

„Nein. Er hat bei seiner Doktorarbeit von anderen abgeschrieben.“

Alphonse schwieg. Seine Bereitschaft, sich in die Probleme der deutschen Innenpolitik hinein zu denken, kennt ebenso Grenzen wie meine Fähigkeit, den politischen Intrigen in Kinshasa zu folgen.

„Bei uns nennt man so etwas Diebstahl geistigen Eigentums. Oder: Betrug“, fügte ich hinzu.

„Bei uns auch“, sagt Alphonse hörbar beleidigt, weil ich mangelndes Unrechtsbewusstsein unterstellt hatte. „Aber bei uns würde sich ein Minister gar nicht erst die Mühe machen, selbst abzuschreiben. Er würde jemanden anders dafür bezahlen.“

„Bei uns nennt man so jemanden ghost writer„, erklärte ich.

„Bei uns auch“, sagte Alphonse. „Auf französisch heißt ghost writer nämlich nègre. Und wer will schon der nègre eines Ministers sein.“ Er gluckste vor Lachen. „Na, was sagst Du jetzt?“

Gar nichts. Ich hielt endlich mal die Klappe.

„Euer Minister“, sagte Alphonse, „sollte irgendetwas tun, um seine Ehre wieder herzustellen.“

„Zum Beispiel?“

„In Libyen eingreifen und die Menschen vor Gaddafi schützen.“

Ich stellte mir unseren Karl-Theodor auf der Titelseite der BILD-Zeitung vor, wie er in schneidigen Cargo-Hosen im Kampfhubschrauber sitzend die deutsche Bevölkerung auf den Einsatz in Libyen einstimmt. Es reicht! Unser Gutti jagt irren Diktator!

„Alphonse, sagte ich, „das wird nicht passieren. Die Revolution werden die Libyer allein erledigen müssen.“

„Und wir im Kongo auch…“ hörte ich ihn noch sagen, aber dann war die Leitung wieder mal unterbrochen.

Hinweis zur Lektüre der Reihe „Gespräche mit Alphonse“: Im Gegensatz zu allen anderen Personen, die in diesem Blog zu Wort kommen, handelt es sich bei Alphonse um eine fiktive Person. Die Dialoge basieren auf Gesprächen mit Kongolesen und Kongolesinnen, die aus guten Gründen nicht zitiert werden wollen – und auf meiner freien Bearbeitung, Verfremdung und Zuspitzung.Hey, it’s my blog!