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Der Krieg, den keiner sieht: Die Katastrophe in den Nuba-Bergen

Noch gut zwei Wochen bis zur großen Unabhängigkeitsfeier im Südsudan, der zukünftigen „Republik Südsudan“. Der Flughafen in der Hauptstadt Juba wird für den Anflug Dutzender Staatschefs ausgebaut, Bauarbeiter klatschen Mörtel auf den Rohbau der Ehrentribune, Putzkommandos säubern die Straßen und verweisen auf die jüngste Errungenschaft: Abfallkörbe, ökologisch korrekt nach Papier, Plastik und Glas getrennt. Nur wirken diese Szenen surreal, wenn man bedenkt, dass einige hundert Kilometer weiter nördlich der Krieg wieder ausgebrochen ist.

Was viele Beobachter seit langem befürchtet hatten, ist eingetreten: Während sich der Südsudan auf dem Sprung zur Nation mit beschränkter Lebensfähigkeit befindet, zerfällt der mühsam ausgehandelte Frieden zwischen Khartum und Juba an den Rändern des ehemaligen Kriegsgebietes. Also in jenen Gebieten an der Nord-Süd-Grenze, deren territoriale Zugehörigkeit und politische Zukunft entweder ungeklärt oder in der Bevölkerung umstritten ist: In der Grenzregion Abyei, und in den Einzelstaaten Blauer Nil und Südkordofan.

Für erstere war im Friedensabkommen 2005 zunächst eine Sonderverwaltung und dann ein eigenes Referendum über die Zugehörigkeit zum Norden oder Süden vorgesehen, das bis heute nicht stattgefunden hat. Letzteren war innerhalb des Nordsudan zumindest größere Autonomie in Aussicht gestellt worden, was sich ebenfalls als Illusion erwiesen hat.

In Abyei rollte Ende Mai Khartums Armee samt verbündeten Milizen ein. Ein nicht unwichtiges Detail: Dem Einmarsch war ein Hinterhalt der südsudanesischen Armee gegen abziehende nördliche Truppen voraus gegangen. Eine völlig irrsinnige Provokation, die Sudans Präsident Omar al-Bashir den Vorwand für eine verheerende Machtdemonstration lieferte. Die Folgen: Dutzende Tote, 100.000 Vertriebene, eine in Teilen verwüstete Stadt und bis auf die Knochen blamierte sambische UN-Blauhelme, die sich in ihrem Stützpunkt verbarrikadierten, statt die Zivilbevölkerung zu schützen. Die gute Nachricht: Khartum und Juba haben inzwischen vereinbart, das Gebiet zu demilitarisieren. Nun sollen etwas robustere Peacekeeper aus Äthiopien einrücken. Man darf gespannt sein, wann den Worten Taten folgen.

Die viel schlimmere Katastrophe entfaltet sich jenseits der zukünftigen Grenze zwischen Norden und Süden, in den Nuba-Bergen. Die Nuba hatten im Bürgerkrieg auf Seiten des Südens gekämpft, aber ihr Land ist Teil des Nordens geblieben. Ihre Kämpfer stehen weiter unter Waffen und tragen nach wie vor die Uniform der SPLA, der südsudanesischen Armee. Sämtliche Fristen zur Demobilisierung verstrichen. Und wieder hatte Khartum einen Vorwand, zuzuschlagen. Was das Bashir-Regime als legitimes Vorgehen gegen feindselige bewaffnete Kräfte bezeichnet, beschreiben Augenzeugen als Krieg gegen die Zivilbevölkerung der Nuba durch massive Luftangriffe und „ethnische Säuberungen“. Prominente Sudan-Aktivisten wie die Schauspielerin Mia Farrow warnen vor einem „neuen Darfur“. Der Ökomenische Rat Sudans spricht von „Menschen, die wie Tiere gejagt“ würden. Kirchenführer verlangen eine Flugverbotszone wie im Fall Libyens. US-Präsident Obama hat einen sofortigen Stopp der Kampfhandlungen gefordert, Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle, derzeit in Khartum und Juba unterwegs, zeigt sich „tief besorgt“.

Und die UN? Zeigt sich auch besorgt und muss unter anderem um ihre Blauhelme fürchten. Denn denen fallen in Südkordofan die Bomben aus sudanesischen Flugzeugen förmlich vor die Füße. Khartum hat außerdem angedroht, UN-Helikopter abzuschießen. Viele Nuba wiederum werfen den ägyptischen Peacekeepern vor, mit dem Bashir-Regime zu sympathisieren. In wenigen Tagen spielt das ohnehin keine Rolle mehr.

Am 9. Juli wird der Süden offiziell unabhängig, am selben Tag läuft auch das Mandat für UN-Mission im Sudan (UNMIS) aus. Im Süden (wo sie herzlich wenig Erfolge vorzuweisen hat) wird sie mit neuem Auftrag und vermutlich noch aufgeblähterem Apparat bleiben. Khartum aber hat bereits klargemacht, dass es keine neue Mission und schon gar keine Peacekeeper mehr dulden wird.  Weil auch die wenigen Hilfsorganisationen ihre ausländischen Mitarbeiter aus Südkordofan abziehen mussten (darunter auch Cap Anamur, das dort seit Jahren medizinische Hilfe geleistet hat), wird es in zwei Wochen dort keine ausländischen Zeugen mehr geben für Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung.

Bleibt die Frage: Was treibt Omar al-Bashir dazu, jetzt einen Flächenbrand nach dem anderen auszulösen, obwohl er nach dem südsudanesischen Referendum eine friedliche Sezession versprochen hatte? In Darfur fliegt die sudanesische Luftwaffe wieder verstärkt Bombenangriffe, in Abyei können die Menschen zum wiederholten Mal die Ruinen ihrer Häuser wegräumen, in Südkordofan droht ein anhaltender Krieg, denn die Nuba-Kombattanten verstehen viel von Guerilla-Strategie.

„Ein verwundeter Wasserbüffel“, so hat ihn ein südsudanesischer Regierungsvertreter genannt. Bashir ist innenpolitisch angeschlagen, der Verlust des Südens wirkt härter nach, als viele angenommen haben. Es sind offenbar vor allem Armeekreise, die um ihre Pfründe und ein System fürchten, in dem alle Macht und alle Ressourcen dem Zentrum gehören und so gut wie nichts den Menschen in der Peripherie des Landes. In Khartum machen wiederholt Putschgerüchte die Runde, in den Nachbarländern Libyen und Ägypten haben sich die Machtverhältnisse dramatisch geändert, sicher scheint für die herrschende Elite gar nichts mehr. Das könnte Khartums verheerende Reaktion auf die südsudanesische Provokation in Abyei erklären (noch ein Hieb gegen die UN-Mission: Sie hat es sträflich versäumt, den Süden dafür öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen).

Bashir und seine Hardliner schlagen nun gnadenlos gegen jedes weitere Aufbegehren am Rand ihres geschrumpften Territoriums zurück. Und so, fürchten Beobachter, werden die Nuba-Berge zum neuen Süden in einem Nord-Süd-Krieg.

Hätte das verhindert werden können? Vielleicht. Sudan-Experten und NGOs haben schon länger die Alarmglocken schrillen lassen. Aber kein internationaler Akteur – und die Staatengemeinschaft hat mittlerweile enorm viel finanzielle und politische Ressourcen in dieses arabisch-afrikanische Krisenland investiert – widmete den drei „Randthemen“ Abyei, Südkordofan und Bleur Nil viel Aufmerksamkeit, die Medien (also auch die Autorin dieses Blogs) ebenso wenig.

Je düsterer die Perspektive, desto absurder erscheinen die wenigen Hoffnungsschimmer: Die chinesische Regierung hat Omar al-Bashir, wegen schwerster Verbrechen in Darfur vom Internationalen Strafgerichtshof mit Haftbefehl gesucht, nächste Woche nach Peking eingeladen. Streng betrachtet ist das ein Skandal und Affront gegen den Gerichtshof. Pragmatisch betrachtet ist es vielleicht die einzige Chance, auf einen „verwundeten Wasserbüffel“ einzuwirken. Washington hat inzwischen null Einfluss in Khartum, von der EU brauchen wir gar nicht zu reden. Einzig China kann vermutlich derzeit in den Khartumer Betonschädeln etwas bewegen. China hat Milliarden in den Sudan investiert. Es braucht Sudans Öl – und an den innersudanesischen Fronten möglichst Ruhe. Das wird die Regierung in Peking ihrem Gast wohl klarmachen.

So ganz sicher fühlt sich Bashir übrigens auch in Peking nicht mehr. Er hat sich vorab Zusicherungen geben lassen, dass er als Gast beim großen Freund nicht verhaftet und nach Den Haag ausgeliefert wird.

 

Sudan: eine Korrektur und ein virtueller Ausflug in die Nuba-Berge

Kurzer Nachtrag zum vorangegangenen (und inzwischen korrigierten) Eintrag zum Einmarsch nordsudanesischer Truppen in der Grenzregion Abyei: Eine aufmerksame und versierte Leserin hat darauf hingewiesen, dass im Unterschied zu Abyei die beiden anderen potenziell abspenstigen Regionen – Gebiete in den nördlichen Bundesstaaten Süd-Kordofan und Blauer Nil – kein Referendum über eine mögliche Unabhängigkeit oder Zugehörigkeit zum neuen Südsudan abhalten durften. Stattdessen hat man ihnen popular consultations zugestanden, also Befragungen, um ihre Meinung zur Umsetzung des Friedensabkommens von 2005 kundzutun.

In beiden Regionen zieht sich der Graben des Bürgerkriegs durch die Bevölkerung. Der eine Teil ist loyal gegenüber Khartum, der andere gegenüber dem Süden. Bewaffnete Einheiten gibt es auf beiden Seiten. Die SPLA, die südsudanesische Armee unterstützt nach wie vor mehrere zehntausend Kämpfer, die ihre Uniformen tragen, und die laut Friedensabkommen eigentlich demobilisiert werden müssten. Aktuell droht vor allem die Lage in den Nuba-Bergen zu eskalieren.

Die liegen mitten im Bundesstaat Südkordofan. An dessen Südgrenze befindet sich der aktuelle Kriegsschauplatz Abyei (und damit auch die Grenze zur demnächst unabhängigen Republik Südsudan). Im Westen stößt Südkordofan an die Krisenregion Darfur. Dieser kleine geografische Exkurs mag verwirrend sein, aber er macht deutlich, dass man sich eine unruhigere Nachbarschaft derzeit kaum vorstellen kann.

Die Bevölkerung der Nuba hatte in den 70er Jahren die zweifelhafte Ehre, von Leni Riefenstahl, einst Hitlers liebster Künstlerin, in mehreren Fotobänden zum Volk der edlen, muskulösen Wilden auserkoren zu werden. Das entbehrt nicht einer verdammt bitteren Ironie, denn Anfang der 90er startete Khartum während des zweiten Bürgerkriegs eine Kampagne der Vernichtung gegen die Nuba. Die hatten sich damals auf die Seite der südsudanesischen Rebellen geschlagen, worauf das Regime in Khartum einen speziellen Dschihad gegen die Nuba ausrief und selbst  jene muslimischen Glaubens zum Abschuss frei gab. Alex de Waal, einer der besten Sudan-Experten, spricht in diesem Zusammenhang vom „Vorsatz des Völkermords“. Entsprechend gering ist die Bereitschaft der Nuba, weiterhin unter der Kuratel Khartums zu stehen – zumal Sudans Präsident Omar al Bashir im Mai 2009 einen gewissen Ahmed Harun zum Gouverneur des Bundesstaates ernannt hat.

Manchen Lesern dürfte der Name vertraut sein: Harun wird wie sein Präsident wegen des Verdachts der Kriegsverbrechen und des Völkermords in Darfur vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag mit Haftbefehl gesucht. Die jüngsten Gouverneurswahlen Anfang Mai hat er angeblich mit einem Vorsprung von 6.000 Stimmen gewonnen, was die Lage in Süd-Kordofan nicht eben entspannt hat.

Die Nuba sind übrigens kein „Volk“, sondern eine Ansammlung verschiedener ethnischer Gruppen mit verschiedenen Sprachen und verschiedenen Religionen. Was sie eint, ist eine traumatische Geschichte sowie die Opposition gegen Khartum und dessen Versuche, nun, nach der Abspaltung des Südens, den Rest des Landes umso massiver unter seine absolute Kontrolle zu zwingen. Dagegen werden sich die Nuba-Kämpfer in den Uniformen der SPLA mit aller Macht wehren. Denn sie befinden sich in einer ausweglosen Lage: sie haben keine Rückzugsoption. Die Nuba-Berge sind ihre Heimat, im Süden sind sie trotz der alten Kriegsallianz Fremde. Die Nuba sitzen buchstäblich zwischen allen Stühlen.

Und Abyei? Sudans Präsident Omar al-Bashir setzt offenbar auf Eskalation und hat angekündigt, dass seine Truppen sich nach dem Einmarsch am Samstag nicht zurück ziehen würden. Abyei gehöre dem Norden. Die internationale Staatengemeinschaft ist für’s erste ratlos und verdattert, was man niemandem zum Vorwurf machen kann. Die USA hatten al-Bashir für seine Kooperation (vulgo: Stillhalten) bei der Sezession des Südens angeboten, dem Sudan Schulden in Milliardenhöhe zu erlassen sowie das Land von der Liste der „staatlichen Unterstützer des Terrorismus“ zu streichen. Darauf pfeift al-Bashir offenbar.
Für’s erste jedenfalls.

 

Ein bißchen Krieg – zu den jüngsten Kämpfen im Sudan

Panzer rollen lassen, während eine Delegation des UN-Sicherheitsrats zu Besuch ist – so viel Dreistigkeit muss man erst einmal besitzen. Omar al Bashir hat sie offensichtlich. Für heute, Montag, hatte sich die UN-Delegation zu einem Besuch in der Grenzregion Abyei angesagt, dem brisantesten Streitpunkt zwischen Norden und Süden, deren endgültige Teilung in zwei Staaten ja unmittelbar bevorsteht. Seit Samstag aber stehen nach mehrtägigen Scharmützeln Khartums Panzer in Abyei, mehrere zehntausend Menschen sind auf der Flucht, die UN-Blauhelme vor Ort haben sich in ihrem Stützpunkt verschanzt, jüngsten Berichten zufolge haben Bewaffnete am Montag weiter Teile der Stadt Abyei ausgeplündert und in Brand gesteckt. Nach zwei Bürgerkriegen mit wahrscheinlich über zwei Millionen Toten, nach einem mühsam ausgehandelten Friedensabkommen 2005 und einer sich scheinbar friedlich anbahnenden Sezession ist das Gespenst des Krieges zwischen Norden und Süden wieder da.

Das „Jerusalem des Sudan“ – so nennt man Abyei. Der Landfleck hat zwar weder  imposante Tempel, Kirchen und sonstige Kulturschätze zu bieten, seine Sehenswürdigkeiten beschränken sich auf impsoante Rinderherden und Kalaschnikows. In Abyei verlaufen die Fronten zwischen den Bevölkerungsgruppen der Ngok Dinka und der Misseryia, und Verhandlungen über den Status der Region sind seit Jahren ähnlich vertrackt wie Verhandlungen über Jerusalem.

Was nun? In gut sechs Wochen will der Süden bekanntlich offiziell seine Unabhängigkeit und sich selbst als „Republik Südsudan“ ausrufen. Politische VIPs aus den USA, Europa und Afrika haben sich zu den Feierlichkeit angesagt. George Clooney, der den Kampf gegen (Nord)Sudans Präsidenten Omar al-Bashir und für den neuen Staat im Süden zur Chefsache Hollywoods gemacht hat, möchte vermutlich  ebenfalls mitfeiern. Stattdessen – so titeln die Medien – drohe nun ein „Krieg ums Öl in Abyei“.

„Krieg um Öl“ klingt immer gut, trifft in diesem Fall aber nicht zu. Abyei war einmal reich an Öl. 2004 –  während der Verhandlungen um  das Friedensabkommen, das dem Süden zwar noch keine Unabhängigkeit aber weit reichende Autonomie garantierte – wurde hier ein Viertel der  jährlichen Rohölproduktion des Sudans aus der Erde gepumpt. Kein Wunder also, dass sich Khartum und Juba nicht einigen wollten, zu wessen Gebiet Abyei in Zukunft gehören soll. Abyei bekam einen Sonderstatus. In einem eigenen Referendum sollten die Bewohner entscheiden, zu welcher Seite sie in Zukunft gehören wollten. Im Fall Abyei ist das bis heute nicht geschehen, weil sich Khartoum und Juba nicht darüber einigen können, ob außer den ansässigen (und Juba-loyalen) Dinka auch die Misseria mitabstimmen dürfen. Letztere sind Khartum-loyale nomadisierende Viehhirten, die in Abyei um ihre Weide-und Wasserrechte fürchten.

Abyeis Ölfluss ist jedoch nur noch ein Flüsschen. Erstens sind Sudans Quellen längst nicht so ergiebig wie saudische oder irakische. Zweitens wurde der Landteil, auf dem sich die zwei größten Ölfelder befinden, 2009 in einer Entscheidung des Ständigen Schiedshofs, einer internationalen Schlichtungsinstanz in Den Haag, dem Norden zugesprochen. Grundsätzlich sind Khartum und Juba also für Vermittlung offen. Bloß oftmals leider erst nach Blutvergießen. Bevor beide Seiten den Schiedshof anriefen, legten sie in tagelangen Kämpfen Abyei schon einmal in Schutt und Asche.

Die jüngste Eskalation allein al-Bashir in die Schuhe zu schieben, wäre zu einfach – auch wenn Khartums Besetzung Abyeis einen eklatanten Verstoß gegen bestehende Abkommen darstellt. Beide Seiten haben provoziert. In Khartum wie in Juba gibt es vernagelte Hardliner, denen die Pflege alter Feindbilder aus Bürgerkriegszeiten immer gelegen kommt und die mit einem kleinen Grenzkrieg gern eigene massive Probleme kaschieren wollen. In Bashirs regierender Nationaler Kongresspartei (NCP) geraten Moderate und Hardliner immer heftiger aneinander, wobei letztere ihr Heil in der harten Hand der Zentralisierung von Macht und Ressourcen suchen: keine Zugeständnisse an die Peripherie. Auch deshalb lässt Khartum Darfur derzeit wieder aus der Luft bombardieren, auch deshalb will es bei  Grenzfragen wie in Abyei kompromisslos erscheinen. Die Moderaten wiederum haben begriffen, dass diese Politik des Knüppels gegen die Peripherie dem Regime nicht mehr Macht, sondern mehr Zerfall bescheren wird.

Die Machthaber in der zukünftigen „Republik Südsudan“ haben ihrerseits seit dem Referendum für die Unabhängigkeit im Januar wenig Fortschritte in Sachen Staatwerdung zu vermelden. In den vergangenen Monaten ist der Süden von dem heim gesucht worden, was ich das „Kongo-Syndrom“ nenne. Ranghohe Offiziere, Kriegsherren und Regionalfürsten, die sich bei der Verteilung der Pfründe in Friedenszeiten nicht ausreichend berücksichtigt sehen, starten eine Meuterei, verüben ein Massaker, beschießen die südsudanesische Armee (SPLA) – und warten dann darauf, dass ihnen Juba ein Angebot macht. Die Zahl der Toten solcher Attacken geht seit Januar in die Hunderte. Die SPLA wiederum, dominiert von der mächtigsten Ethnie der Dinka, wird im Vielvölkerstaat Südsudan von den Bewohnern oft nicht als Schutzmacht, sondern als Bedrohung wahrgenommen.

Hinter den Rebellengruppen (derzeit sind es angeblich sieben) steckt allerdings nicht purer Eigennutz, sondern die berechtigte Angst, dass der neue Staat die Geißel des alten Sudans übernimmt: Alle Macht und Geld dem Zentrum, ein paar Krümmel für die Peripherie.

Dementsprechend wütend reagierte die Opposition im Südsudan auf den Entwurf einer nationalen Verfassung,  die unmittelbar nach der Ausrufung der Unabhängigkeit in Kraft treten soll. Sie bereitet mitnichten den Weg für baldige Neuwahlen, sondern zementiert zunächst einmal die Macht der dominierenden „Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung“ (SPLM) und ihres Präsidenten Salva Kiir Mayardit.

Der muss, genau wie sein Counterpart Omar al Bashir, seine Position  auch durch das Verteilen von Posten und Geldern sichern. Und genau darin liegt, so paradox es klingt, die Wahrscheinlichkeit, dass der Konflikt in Abyei nicht weiter eskaliert. Beide Seiten können sich, schon um der eigenen Machtsicherung willen, eine dritte Kriegsrunde eigentlich nicht leisten. Denn in Abyei mag zwar nicht mehr viel Öl gefördert werden. Aber durch Abyei läuft die Pipeline, die das Rohöl aus südsudanesischen Quellen zu den Raffinerien im Norden transportiert – und dem Norden so einen Anteil am südsudanesischen Ölgeschäft sichert. Im Fall Abyei dürfte der Faktor Öl eher Konflikt mindernd als verschärfend wirken. Aber das ist eine Vermutung. Keine Vorhersage.

 

Die arabische Revolution: next stop Khartum?

Die Angst vor der Allmacht des Staates – sie ist verschwunden in Tunesien, sie verschwindet in Ägypten, in Jordanien, im Jemen. Und offensichtlich auch im Sudan. Wie wackelig ist das Regime von Omar al-Baschir in Khartum? Ist auch im Norden des Sudan eine „Jasmin-Revolution“ möglich? Wie werden Polizei und Militär reagieren? Was würde das für den Südsudan bedeuten?

Seit Montag weiß man immerhin so viel: Al-Baschir ist angreifbar – vielleicht so angreifbar wie noch nie in seiner Amtszeit. Und: die Sicherheitskräfte versuchen, jeden Aufruhr im Keim zu ersticken. Ihr erstes Todesopfer ist ein Student namens Mohammed Abdurrahman.

Am Sonntag hatten Oppositionsgruppen im Sudan, inspiriert von den Ereignissen im benachbarten Ägypten, über Facebook und Twitter landesweit zu Protesten gegen Omar al-Baschir aufgerufen – also just zu dem Zeitpunkt, da aus Juba, der Hauptstadt des Südsudan, ein vorläufiges Ergebnis des Referendums gemeldet wurde. 99 Prozent haben für die  Unabhängigkeit gestimmt. Dieses sozialistisch anmutende Votum ist zweifellos garniert mit kleinen Manipulationen, derer es aber gar nicht bedurft hätte. Die große Mehrheit im Süden will einen eigenen Staat. Der Süden braucht aber auch – so paradox es klingt – das Regime im Norden, um die zahlreichen Konfliktpunkte im Rahmen der Sezession zu regeln. Das letzte, was die Machthaber in Juba jetzt sehen wollen, sind tunesische Verhältnisse in Khartum.

Bloß trägt al-Bashir selbst dazu bei, solche Verhältnisse zu schaffen. Schon vor einigen Wochen hatte sein Regime drastische Preiserhöhungen mit der bevorstehenden Abspaltung des Südens begründet. Dass Bashir außerdem eine neue Welle der Islamisierung und damit einer Verschärfung der Scharia ankündigte, dürfte gerade unter jungen Städtern den Unmut zusätzlich gesteigert haben. Der wiederum wurzelt, so schreibt der sudanesische Blogger Magdi El Gizouli, in einer tiefen Unzufriedenheit über ein korruptes parteipolitisches Klientelsystem und eine erbärmliche parteipolitische Opposition.
„So wütend alle Demonstranten über die NCP sind, so frustriert sind sie auch von den Unzulänglichkeiten der Oppositionsparteien. Genau das drückt ihr Slogan shabab la ahzab aus. Jugend statt (politische) Parteien.“

Nicht, dass es am Sonntag in sudanesischen Städten Szenen wie in Kairo oder Tunis gegeben hätte. Aber in Khartum, im benachbarten Omdurman sowie in El Obeid und Kassala versammelten sich immer wieder Gruppen von mehreren Hundert junger Demonstranten. In Khartum setzte die Polizei Schlagstöcke ein, in Omdurman wurde offenbar geschossen.

Anders als die Ägypter oder die Tunesier haben die Sudanesen historische Erfahrung mit Volksaufständen: 1964 stürzten sie das Militärregime des damaligen Machthaber General Abboud, 1985 jagten sie, dieses Mal mit Unterstützung der Armee, den Diktator Jaafar Numeiri aus dem Amt. Keine schlechte Bilanz, nur führte leider keiner dieser Aufstände das Land dauerhaft in Richtung Frieden und Demokratie.

Und nun? Manches spricht dafür, dass al-Bashir auch diese Krise politisch überlebt. Seine „Nationale Kongresspartei“ (NCP) kontrolliert vom Wohnblockkomitee bis zur Armeeführung so ziemlich alle Machtstrukturen. Die oppositionellen Parteien sind sklerotisch und lassen sich nach Belieben gegeneinander ausspielen. Al-Bashir selbst genießt durchaus Rückhalt in einem großen Teil der Bevölkerung. Die internationale Gemeinschaft, derzeit vollauf mit dem fraglien Süden beschäftigt, hat derzeit kein Interesse an einem Machtwechsel oder einer größeren politischen Erschütterung in Khartum.

Bloß: All das hat man bis vor ein paar Tagen auch über Ägypten gesagt.

 

Strategien, Studien, Prognosen – kleine Leseliste zum Südsudan

Der Sudan und der Südsudan werden die Welt eine Weile beschäftigen – und damit auch die think tanks und Experten. Hier eine Auswahl lesenswerter aktueller Studien und Strategiepapiere:

Eine kompakte, aber umfassende Analyse der Probleme für den Südsudan nach der Sezession – von der umstrittenen Grenzziehung über Fragen der Staatsbürgerschaft, der Aufteilung der Öleinnahmen bis zum Umgang mit Auslandsschulden – liefert Sudan-Experte Wolfgang Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in seinem Paper „Auf dem Weg zur Unabhängigkeit des Südsudan“.

Wie die Nachbarn des neuen Staates (und des alten Sudan) auf die bevorstehende Sezession reagieren, behandelt unter dem Titel „Sudan:Regional Perspectives on the Prospect of Southern Independence“ eine ausführliche Studie der International Crisis Group: Welche Rolle hat Äthiopien in der Geschichte des sudanesischen Bürgerkriegs gespielt? Warum zählen Uganda und Kenia zu erklärten Unterstützern eines unabhängigen Südsudan? Warum fürchtet Ägypten die Sezession?

Mit der Angst vieler afrikanischer Regierungen vor einem Dominoeffekt, also weiteren Sezessionsbestrebungen auf dem Kontinent, befasst sich ein Paper des United States Institute for Peace (USIP) unter dem Titel „Secession and Precedent in Sudan and Africa“.

Der Small Arms Survey, ein renommiertes Forschungsprojekt über Kriegsgewalt und die Verbreitung von Kleinwaffen, hat im September 2010 eine Studie über den Zustand der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) ins Netz gestellt. Die Umwandlung der SPLA von einer Rebellentruppe, die sich im Verlauf des Bürgerkriegs selbst schwere Kriegsverbrechen hat zuschulden kommen lassen, in eine professionelle Armee ist eine zentralen Voraussetzungen für einen funktionierenden Staat.

Und schließlich noch zwei Buchtipps:

„What is the What“ von Dave Eggers, in den USA ein Bestseller, ist die Biografie von Valentino Achak Deng, einem der über 200.000 sogenannten Lost Boys. So bezeichnet man jene jungen Männer, die im Kindesalter vor dem Bürgerkrieg flohen, über Monate und hunderte von Kilometern in Flüchtlingslager nach Äthiopien oder Kenia marschierten. Durch Minenfelder, niedergebrannte Dörfer, gejagt von arabischen Reitermilizen.
Achak Deng überlebte diesen Trek und bekam schließlich ein Visum für die USA. Dass man sich auch dort sehr verloren fühlen kann, beschreibt das Buch auf wunderbar lakonische und ironische Weise.
Inzwischen betreibt Valentino Achak Deng im Südsudan eine Stiftung zum Bau von Schulen.

„Emma’s War“ von Deborah Scroggins ist ein Klassiker unter Sudan-Reisenden und Soli-Bewegten aller Art. Das Buch erzählt die Geschichte der britischen Entwicklungshelferin Emma McCune, die sich während des Bürgerkriegs in den Rebellenführer (und heutigen Vize-Präsidenten des Südsudan) Riek Machar verliebt und ihn heiratet. Klingt nach fürchterlichem Kitsch, ist tatsächlich aber eine sehr gut geschriebene Biografie einr Frau, deren naiver Idealismus und Überidentifikation mit vermeintlich „edlen Rebellen“ zu politischer Blindheit führte. Machar ist für einige der schlimmsten Kriegsverbrechen und blutigsten Fraktionskämpfe innerhalb der SPLA verantwortlich.
Nebenbei lernt man einiges über die Hintergründe des Bürgerkriegs. „Emma’s War“ soll in diesem Jahr als Hollywood-Film in die Kinos kommen.

 

Neubeginn auf dem Drahtseil – der Südsudan vor der Unabhängigkeit

Seit Sonntag Morgen wird abgestimmt – und alles deutet daraufhin, dass das Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudan friedlich ablaufen wird. Fast vier Millionen Südsudanesen haben sich für dieses historische Votum registrieren lassen. Die Prognosen lassen eigentlich nur ein Ergebnis zu: Sezession.
Sieben Tage lang bleiben die Wahllokale offen, die Auszählung dauert bis Anfang Februar. Im erwarteten Fall der Unabhängigkeit wird am 9. Juli 2011 ein neuer Staat aus der Taufe gehoben. Und dann?
Dann hat die internationale Staatengemeinschaft einen neuen Versorgungsfall am Tropf. So warnt ein ganzer Chor von Experten.

Lassen wir die Katastrophenszenarien einmal beiseite. Sie verdecken, was es unmittelbar zu würdigen und respektieren gilt: Den offensichtlichen Willen der Südsudanesen, nach Jahrzehnten des Krieges unabhängig zu werden. Kaum eine Bevölkerung in Afrika hat so viel Gewalt und Elend durchgemacht wie die südsudanesische – und das will auf diesem Kontinent etwas heißen. Bombardements durch die sudanesische Luftwaffe, Hungersnöte,  Belagerungen, monatelange Flüchtlingsmärsche, Reitermilizen, die im Auftrag Khartums plünderten, brandschatzten und Sklaven nahmen. All die Gräueltaten, die man heute mit Darfur verbindet, haben die Südsudanesen während des Bürgerkriegs ungleich länger und schlimmer erlitten. Das dürfte Erklärung genug sein, warum so viele Südsudanesen die Unabhängigkeit wie eine Erlösung herbeisehnen. Und warum sie für’s erste auch jene Kriegsverbrechen verdrängen, die von der eigenen Seite, der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM), verübt worden sind, die nun den neuen Staat regieren wird.

Womit man wieder bei der Frage angekommen ist: was kommt nach der großen Feier?
Zunächst einmal zähe Verhandlungen mit dem neuen Nachbarn, dem sudanesischen Regime in Khartum. Das Referendum markiert den Schlusspunkt des Comprehensive Peace Agreement (CPA), das 2005 den Bürgerkrieg beendet, ein System der Machtbeteiligung in Khartum, Teilautonomie für den Süden, beidseitige Programme zur Demobilisierung und andere Fragen geregelt hat.
Nun aber müssen zwei souveräne Staaten und ehemalige Kriegsgegner ihre prekäre Nachbarschaft neu bestimmen. Genauer gesagt: sie müssen schnell die gefährlichsten Konflikte entschärfen.

Die Grenze: Deren Verlauf ist noch unklar. Umstritten ist vor allem die Region Abyei, deren Bewohner eigentlich in einem eigenen Referendum darüber abstimmen sollen, ob sie zum Süden oder zum Norden gehören wollen. In Abyei befinden sich Ölvorkommen. Außerdem stehen sich hier Dinka und Misseriya gegenüber – erstere gehören traditionell zur Machtbasis der (SPLM), letztere stellten im Krieg Reitermilizen für den Norden. Dass beide Seiten weiterhin gut bewaffnet sind, macht die Sache nicht einfacher. Umstritten ist der Grenzverlauf auch weiter westlich, wo sich beide Seiten um Territorien mit möglichen Kupfer-und Uranvorkommen streiten.

Das Öl: Die Gier nach Erdöl gilt gemeinhin als Krieg fördernd. Im zukünftigen Verhältnis zwischen den beiden sudanesischen Staaten könnte sie jedoch befriedend wirken. Der Sudan förderte bislang 0,6 Prozent des weltweiten Erdölbedarfs. Klingt nicht sehr beeindruckend, doch für die Herrschenden in Khartum und  Juba sind die Einnahmen aus dem Ölexport lebenswichtig. Laut CPA müssen die Exporterlöse zwischen dem Norden und dem Süden je zur Hälfte aufgeteilt werden. Doch das CPA gilt demnächst nicht mehr.

Im Fall der Sezession wird der Südsudan die volle Kontrolle über drei Viertel der Ölproduktion bekommen, was ihm allein wenig nützt, weil er auf die Pipeline in den Norden nach Port Sudan angewiesen ist. Soll heißen: der Süden hat den größten Teil des Rohstoffs, der Norden die Infrastruktur. Die Frage ist nun: wie und wie schnell finden beide Seiten einen Kompromiss in einem Klima anhaltenden gegenseitigen Misstrauens? Welche Rolle werden ausländische Nationen spielen ? (China, Japan und Malaysia – die Hauptinvestoren im sudanesischen Ölmarkt; Norwegen, der inoffizielle „Erdölberater“ des Südsudans; die Afrikanische Union, deren führende Nationen es gern sähen, dass der Süden in Zukunft weniger und der Norden mehr aus den Öleinnahmen erhält. Warum? Weil man in Afrika diese neue Staatsgründung mit einem möglichst hohen Preisschild für die Sezessionisten versehen will, um potenzielle Nachahmer in anderen Ländern abzuschrecken.

Darfur: Die Konfliktregion gehört weiterhin zum (Nord)Sudan und wird im Fall der Sezession des Südens einen Teil der Grenze bilden. Khartum hegt nicht zu Unrecht den Verdacht, dass darfurische Rebellen nun den neuen Nachbarstaat als Rückzugs-und Nachschubgebiet nutzen werden. Einige Rebellenführer aus Darfur logieren inzwischen in Juba. Die Sympathien der SPLM für deren Sache sind bekannt: Die Ausbeutung und Verelendung der Randprovinzen durch Khartums Politik war der Auslöser der Rebellion im Süden wie der in Darfur.

Die große Führungsfigur der SPLM, John Garang, träumte eigentlich von einem vereinten Sudan, in dem Verfassungs- und Staatsreformen schließlich zum Regimewechsel in Khartum und zu einer Teilhabe der Peripherie an der Macht im Zentrum führen würde. Garang starb kurz nach Verabschiedung des CPA bei einem Hubschrauber-Absturz, und mit ihm starb auch die Vision vom neuen Sudan. Mit seinem Nachfolger Salva Kiir Mayardit wurden die Weichen auf Sezession gestellt. In Khartum wächst nun die Angst, dass der Zerfall des Landes erst begonnen hat. Darfur und andere Unruheprovinzen könnten folgen. Womit man bei Problem Nummer vier wäre…

Omar-al Bashir und die im Norden herrschende National Congress Party (NCP): Dass die Sezession des Südens auch mit militärischen Mitteln nicht mehr zu verhindern ist, hat das Regime in Khartum begriffen. Womöglich reagiert es nun im verbleibenden Staatsgebiet mit religiöser Radikalisierung. Ende Dezember hatte al-Bashir in einer Fernsehansprache im Fall der Abspaltung des Südens die Scharia als Grundlage der Staatsform für den Norden angekündigt. Noch gilt für das ganze Land die Interimverfassung im Rahmen des CPA, die dem Sudan einen „multi-ethnischen, multi-religiösen“ Charakter zuschreibt.

Sollte es zu einer neuen Welle der Islamisierung kommen, hätte das womöglich dramatische Folgen für die moderate oder säkulare Opposition im Norden, für einen erheblichen Teil der Kulturszene, für progressive Frauengruppen, die seit langem gegen die Anwendung der Scharia kämpfen. Und es hätte Folgen für die Hunderttausenden Südsudanesen, die als Dauerflüchtlinge des Krieges immer noch im Norden leben und in diesem Fall fluchtartig die Rückkehr in ihren wackeligen neuen Staat antreten würden, der schon die vorhandene Bevölkerung kaum versorgen kann.

Das sind – in sehr groben Zügen – die Startschwierigkeiten des südsudanesischen Staates in spe. Der hat bereits eine Fahne und eine Nationalhymne, aber noch keinen offiziellen Namen. Against all odds wäre zumindest ein passender Spitzname.

 

Sudan: Es darf gezählt werden

Das Ergebnis der Wahlen im Sudan soll erst Dienstag bekannt gegeben werden. Aber mit dem Gestus des generösen Siegers bietet Omar al-Bashir seinen Gegnern jetzt schon ein Plätzchen in einer Koalitionsregierung an.

Fünf Tage haben die ersten Mehrparteienwahlen seit 24 Jahren gedauert – wegen logistischer Komplikationen zwei Tage länger als geplant. Und wegen eines Teilboykotts der Opposition um einige Präsidentschaftskandidaten weniger als ursprünglich vorgesehen. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben der EU-Beobachtermission bei etwa 60 Prozent.

Dass Amtsinhaber Omar al-Bashir wiedergewählt worden ist, gilt als sicher. Zum einen aufgrund seiner erheblichen Popularität im Norden des Sudan, wo die Bevölkerung durchaus vom Ölboom des Landes profitiert hat.
Zum anderen dank der Einschüchterung und eklatanten Benachteiligung der Opposition im Wahlkampf sowie wohl dosierter Manipulationen, die schon bei der Registrierung der Wähler begannen.

Entsprechend empört kündigten nun Vertreter von Oppositionsparteien an, das Ergebnis nicht anerkennen zu wollen. Wie ernst deren Wut zu nehmen ist, und wie schnell sie womöglich durch eine Teilhabe an der Regierung zu besänftigen sind, wird sich in den kommenden Tagen zeigen.

Allein die „Sudanesische Volksbefreiungsbewegung“ (SPLM), Hausmacht im autonomen Südsudan hält sich mit Kritik an al-Bashir und seiner „Nationalen Kongresspartei“ (NCP) zurück. Aus gutem Grund: Sie ist während des Wahlkampfs mit ähnlichen Methoden gegen ihre politischen Gegner im Süden vorgegangen.

Was aber sagen die in- und ausländischen Wahlbeobachter? Sudanesische und afrikanische Bürgerrechtsgruppen sprechen dem Ergebnis die nötige Legitimität ab.
Wahlbeobachter aus dem westlichen Ausland haben sich auf ein „ungenügend mit aufsteigender Tendenz“ geeinigt. Sowohl das „Carter Center“, die Stiftung des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, als auch die Europäische Union hatten Beobachtermissionen entsandt.
Carter befand in einer Pressekonferenz in Khartum am Samstag, die Wahlen hätten nicht internationalen Standards entsprochen, ein großer Teil der Weltgemeinschaft werde das Ergebnis aber trotzdem anerkennen.
Die Leiterin der EU-Mission, die Belgierin Véronique de Keyser, zählte zahlreiche Unregelmäßigkeiten auf, erklärte den Urnengang jedoch zu  einem „grossen Schritt dahin, der Demokratie im Sudan einen Raum zu eröffnen.“

Das kann man für eine nüchtern realistische Einschätzung oder für strategische Schönfärberei halten. Wahrscheinlich ist es beides. Al-Bashir und seine NCP mussten seit dem Abkommen zum Ende des Bürgerkriegs im Südsudan 2005 den Spielraum für die Opposition erweitern. Auch in der Zivilgesellschaft.
Andererseits hüten sich die internationalen Beobachter aus politisch-taktischen Gründen, diesen Wahlbetrug auch als solchen zu bezeichnen. Schließlich braucht man Omar al-Bashir noch, um im Januar 2011 das Referendum über die Bühne zu bringen, bei dem die Bevölkerung des Südsudan voraussichtlich ihre Unabhängigkeit beschließen wird.

Sollte es bei dieser Strategie des Westens bleiben, dann werden die betreffenden Regierungen, allen voran die Obama-Administration, in den kommenden  Tagen einige diplomatische Verrenkungen vorführen: Sie müssen den zweifellos unsauberen Wahlsieg eines Mannes anerkennen, gegen den der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag auf Initiative des UN-Sicherheitsrates wegen des Verdachts auf Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Darfur ermittelt. Und gegen den eben dieses Gericht einen Haftbefehl erlassen hat.

 

Sudan: Es darf gewählt werden

Seit einigen Stunden sind im Sudan die Wahllokale geöffnet. Es dürfte eine ziemlich verwirrende  Abstimmung werden. Drei Tage soll der Urnengang in Afrikas größtem Flächenstaat dauern. Die meisten der 16 Millionen registrierten WählerInnen wissen schlicht nicht, welcher Kandidat noch im Rennen ist und welcher nicht.

Vor rund zwei Wochen hatte die „Sudanesische Volksbefreiungsbewegung“ (SPLM) Land, Leute und sämtliche Oppositionsparteien mit der Nachricht verblüfft, ihren nationalen Präsidentschaftskandidaten Yasir Arman zurückzuziehen. Die SPLM, stärkste Kraft nach der National Congress Party des amtierenden Präsidenten Omar al-Bashir, begründete diesen Schritt vor allem damit, dass aufgrund der anhaltenden Repression in Darfur keine freien und fairen Wahlen möglich seien. Worauf sämtliche anderen Parteien (mit Ausnahme der NCP natürlich) sich ihrerseits in eine chaotische Boykott-Debatte stürzten.

Das folgende Debatten-Karussell ist nun pünktlich zum Wahltag stehen geblieben: Die SPLM zieht sich „nur“ aus dem Präsidentschaftsrennen zurück, nimmt aber an Parlaments-und Gouverneurswahlen weiterhin teil. Und an den regionalen Präsidentschaftswahlen, die für den autonomen Südsudan ausgerichtet werden, sowieso.
Die moderat-islamische Umma-Partei ist ganz ausgestiegen. Die Kommunisten ebenso. Die Islamisten der Popular Congress Party (PCP) unter Hassan al-Turabi, Sudans Vater der Scharia, machen weiter mit.

Sparen wir uns die weitere Aufzählung. Das Problem ist: die Stimmzettel waren, als das Chaos ausbrach, bereits gedruckt. Die WählerInnen dürfen sich nun in der Wahlkabine fragen, wo sie bei diesem Chaos ihre Kreuzchen machen sollen.

Die Sorge der SPLM um die Lage in Darfur, um die Repression durch al-Bashirs Militär-und Parteiapparat, ist durchaus begründet. Bloß spielt sich hier die falsche Partei zur Hüterin der Demokratie auf. Die SPLM stellt im Südsudan die quasi absolute Hausmacht, drangsaliert dort die Opposition, bedroht kritische Journalisten. Von politischem Pluralismus und freier Meinungsbildung hält sie genau so viel wie der Machthaber im Norden, Omar al-Bashir.

Vieles spricht dafür, dass hinter den Manövern der SPLM nicht die Sorge um Darfur, sondern der Deal mit Omar al-Bashir steht: al-Bashir, vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag  mit Haftbefehl gesucht, soll seine zweite Amtszeit kriegen. Im Gegenzug leistet Khartum keinen Widerstand gegen die Sezession. Die wird der Süden voraussichtlich Anfang 2011 in einem Referendum beschließen. Das Referendum ist ebenso wie die nun stattfindenden Wahlen Teil jenes Friedends-abkommens, das Khartum und der Süden 2005 nach jahrzehntelangem verheerendem Bürgerkrieg unterzeichnet haben.

Der da nicht so recht mitspielte, war Yasir Arman, Spitzenkandidat der SPLM, der plötzlich Spaß am Wahlkampf und an der Aussicht bekam, al-Bashir zu einem zweiten Wahlgang zu zwingen. Also zogen die SPLM-Granden rund um den südsudanesischen Präsidenten Salva Kiir die Notbremse und zerlegten damit auch das mühsam geschmiedete Parteienbündnis gegen die NCP und al-Bashir.

Am 18. April sollen die Ergebnisse verkündet werden. Was ist zu erwarten?

Zunächst zwei angeschlagene Kriegsfürsten in (Wahl)Siegerpose
Omar al-Bashir wird gewinnen (nicht nur dank Manipulation, sondern auch dank seiner Popularität im Norden) und seine Faust triumphierend Richtung Den Haag schütteln. Vielleicht ein letztes Mal, denn auch in der NCP halten ihn inzwischen einige für eine Belastung.

Salva Kiir wird sich in Juba, der Hauptstadt des Südsudan, als alter und neuer Präsident des zukünftigen unabhängigen Staates feiern lassen – und auf wachsenden Unmut an der Partei-Basis einstellen müssen.

Was werden wir noch sehen?
Womöglich interessante Ergebnisse bei den Gouverneurswahlen, die als Denkzettel an die NCP in Khartum zu verstehen sind.
Zahlreiche Klagen und Beschwerden von Kirchen und NGOs über Manipulationen – und mittendrin ein eher hilfloses Häufchen von EU-Wahlbeobachtern.
Eine anhaltende humanitäre Katastrophe in Darfur. In den nächsten Monaten vielleicht aber auch einen sachten Sinneswandel in Khartum. Dort müsste man langsam begriffen haben, dass sich die völlig verarmte Peripherie des Landes nicht mit Ausbeutung, Luftangriffen und marodierenden Reitermilizen beherrschen lässt.

Womöglich werden wir also Zeuge einer ziemlich unsauberen Wahl, die einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher im Amt bestätigt, ihm womöglich gleichzeitig einiges Wasser abgräbt und (hoffentlich) die friedliche Sezession eines völlig verarmten und zerstörten Teil des Landes ermöglicht.
Für die dortigen Verhältnisse wäre das durchaus ein positives Szenario.

 

Wahlen im Sudan: Boykottieren oder nicht boykottieren?

Was geht ab in Khartum? Einiges. Zunächst der Paukenschlag: der stärkste Gegner von Omar al-Bashir im Rennen um die Präsidentschaft hat seine Kandidatur zurückgezogen.
Die anderen Oppositionsparteien ringen mit sich und der Frage, ob sie die Wahlen boykottieren soll.
Außerdem streiken die Ärzte wegen ausstehender Gehaltszahlungen. Und die Stadt macht immer häufiger Bekanntschaft mit Spontis.

Der Reihe nach: Yassir Arman, Spitzenkandidat der SPLM, der „Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung“ ist gestern aus dem Präsidentschaftsrennen ausgestiegen. Seine Begründung: der Ausnahmezustand in Darfur mache „freie und faire Wahlen“ unmöglich.

Dass diese Wahlen nicht wirklich frei und fair sein würden, wusste auch Arman von Anfang an. Seine Kandidatur hatte eher taktisch-formalen Charakter. Denn die SPLM, seit dem Friedensabkommen 2005 im autonom regierten Südsudan an der Macht, sieht diese Wahlen als Teil eines Deals mit Omar al-Bashir, der bekanntlich vom Internationalen Strafgerichtshof mit Haftbefehl gesucht wird. Der Deal besagt: ‚Du kriegst Deine zweite Amtszeit und damit einen kleinen Triumph über den Strafgerichtshof. Wir kriegen Anfang 2011 unser Referendum und werden unabhängig.’

Das Problem: Parteien sind berechenbar, einzelne Menschen nicht. Arman begann – offenbar auch zur Überraschung vieler in der SPLM – einen echten Wahlkampf zu führen. Dass er jetzt aussteigt oder aussteigen musste, verstört – so paradox es klingt – vor allem Amtsinhaber Omar al-Bashir. Denn sollten sich nun auch kleinere Oppositionsparteien zum Boykott entschließen, wäre die Präsidentschaftswahl tatsächlich nur Theater und der erwartete Wahlsieg für Bashir auch für ihn selbst wenig wert. Der droht nun, das Referendum über die Unabhängigkeit des Südens im Januar 2011 platzen zu lassen. Das wiederum lässt die Töne zwischen den einstigen Kriegsgegnern im Norden und im Süden schriller werden und erhöht die Alarmbereitschaft in Washington, Kairo, Pretoria und bei der Afrikanischen Union in Addis Abeba.

Seit Mittwoch Abend jedenfalls ist die Anspannung in Khartum um einiges gestiegen. Zumal die Machthaber auch andere Probleme nicht unter Kontrolle bekommen. Zum Beispiel die seit Wochen streikenden Ärzte, die sich öffentlich versammeln und die Regierung bloßstellen, weil sie ihre Angestellten nicht bezahlt. Und das mitten im Wahlkampf.

Informationen darüber bekommt man in den Zeitungen, von den Ärzten selbst, die hin und wieder in kleine Scharmützel mit der Polizei geraten. Und auf der Website von Girifna (leider mit nur wenigen englischen Einträgen). Womit wir bei den Spontis wären.

Girifna heißt – salopp übersetzt: „Wir haben die Schnauze voll.“ Girifna ist, wie der Name vermuten lässt, keine Partei, nicht mal eine feste Organisation, sondern ein Khartum’s zartes Pflänzchen einer Sponti-Bewegung. Girifna-Anhänger erkennt man auf den Straßen Khartums an ihren orange-farbenen Schals oder Transparenten. Sie tauchen auf belebten Plätzen oder bei den Versammlungen anderer Parteien auf, verteilen Flugblätter, fordern die Leute auf, ihre Stimme abzugeben und die herrschende National Congress Party von Präsident Omar al-Bashir abzuwählen.

Wie Girifna entstand, beschreiben die Gründer, die aus guten Gründen ungenannt bleiben, auf ihrer Website:

„Am Abend des 30. Oktober 2009 stellte eine Gruppe von Freunden in Khartum fest, dass sudanesische Bürger keine Informationen darüber hatten, wo und wie man sich für die Wahlen registrieren lassen musste. Weder von der Regierung noch der Zivilgesellschaft gab es eine Informationskampagne. Keine Registrierung aber bedeutete: kein Wahlrecht.“

Genauer gesagt: die NCP – mit Abstand die am besten organisierte Partei im Sudan – hatte sehr wohl eine Registrierungskampagne organisiert: für ihre Anhänger. Beobachter sind sich einig, dass die wohl dosierte Manipulation der Wahlen beim Registrierungsprozess begann. Die NCP stützte sich dabei vor allem auf die „Volkskomitees“, die kleinste Verwaltungseinheit, die in jedem Wohnbezirk über das Wohl der Partei wacht, den Blockwart spielt, aber auch Sozialversicherungskarten, Wahlausweise und Bezugsscheine für kostenlose Medikamente austeilt.
Girifna-Aktivisten gingen also zunächst von Tür zu Tür, um den Leuten zu erklären, wo und wie man sich registrieren lässt. In den vergangenen Wochen und Tagen sah man die jungen Sudanesen und Sudanesinnen in Orange bei kleinen spontanen Demos, die kurzfristig über Mobiltelefon oder Facebook verabredet wurden.

Das erinnert auf den ersten Blick an die iranische Oppositionsbewegung, die in Teheran mit Handy, Blogs, Twitter, YouTube und Demos seit vergangenem Sommer immer wieder gegen den offensichtlich unsauberen Wahlsieg von Mahmud Ahmadinedschad protestiert.

Aber Vorsicht! Von einer Cyber-Opposition kann im Sudan noch keine Rede sein. Anders als im Iran ist die Zahl der Bürger mit Internetzugang auch in Khartum  sehr klein. Und von der kritischen Masse, die für große Demonstrationen nötig wäre, ist man wohl noch weit entfernt.

Was nicht heißt, dass die Sicherheitsbehörden Girifna nicht ernst nähmen. Vor zwei Wochen wurde der 18 jährige Girifna-Aktivist Abdallah Mahadi Badawi von zwei bewaffneten Männern in Zivil während einer Demonstration abgeführt. Nach mehreren Stunden tauchte er mit schweren Prellungen und Blutergüssen auf dem Rücken wieder auf. Man habe ihn, sagte er, mehrere Stunden verhört, mit Rohren geschlagen und eine Pistole an seinen Kopf gehalten. Dann habe er schriftlich versichern müssen, an keinen weiteren politischen Aktionen teilzunehmen.

Angriff und öffentliche Aufmerksamkeit sind die beste Verteidigung, dachten sich Badawi und Girifna und veranstalteten postwendend eine Pressekonferenz, auf der der junge Mann seine Verhaftung und Misshandlung beschrieb und auch gegenüber Vertretern von Human Rights Watch zu Protokoll gab.

Wie Girifna nun mit dem möglichen Boykott der Wahlen durch die Opposition umgehen wird, wissen die Aktivisten wohl selbst noch nicht. Momentan verharrt jeder in Khartum in Spannung – auf das Beste hoffend und das Schlimmste befürchtend.