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Das zähe Leben der Kalaschnikows

Der Anblick lässig über der Schulter hängender Sturmgewehre gehört zu jedem Besuch im Südsudan. Sie baumeln am Rücken junger Bauern, die in unsicherem Gelände zu ihren abgelegenen Feldern radeln. Sie gehören zur Ausrüstung von Dorfmilizen, die ihre Gemeinden gegen marodierende Rebellentrupps verteidigen. Der freundliche Herr auf dem Bild ist Angehöriger einer solchen Bürgerwehr, der „Arrow Boys“, seine Kalaschnikow wurde laut Seriennummer 1954 hergestellt (Man mag sich gar nicht ausmalen, wo dieses Stück schon überall eingesetzt wurde).

Außerdem gehört die AK-47 natürlich zur Standardausrüstung südsudanesischer Viehhirten. Zwischen denen kommt es immer wieder  zu bewaffneten Kämpfen mit meist verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung – zuletzt Anfang Januar bei einem Überfall von bewaffneten Angehörigen der Nuer auf die benachbarte Gruppe der Murle. Die Angreifer waren mit Sturmgewehren ausgerüstet. Die Murle sind es auch und verübten postwendend Vergeltungsüberfälle. Weiter„Das zähe Leben der Kalaschnikows“

 

Südsudan: Der Kampf um’s Öl (Teil 2)

„AMA – Assistance Mission for Africa“, steht an der Eingangstür zu einem kleinen Büroraum in Hai Tongpiny, einem Stadtteil von Südsudans Hauptstadt Juba. Tagsüber herrschen knusprige 40 Grad, es ist Trockenzeit, Sand legt sich über, auf und zwischen alles: Zähne, Brillengläser, Schuhe, Bürotische, Computer, Drucker. In den rötlich gepuderten Aktenordnern hat James Ninrew auf Hunderten von Seiten eine kleine Geschichte des Erdöls im Südsudan dokumentiert. Weiter„Südsudan: Der Kampf um’s Öl (Teil 2)“

 

Südsudan: ein blutiges Jahr eins

Man würde das neue Jahr gern mit Erfreulicherem beginnen als mit Schlagzeilen wie „Südsudan: Tausende Menschen sterben bei Stammeskämpfen“ oder „Die blutige Rache der Lou Nuer“.

Die ersten Meldungen liefen kurz nach Jahreswechsel über die Agenturen: In Jonglei, einem der Einzelstaaten des Südsudan, hat eine Miliz von rund 6.000 jugendlichen Angehöriger der Lou Nuer einen Angriff auf die Stadt Pibor verübt, die überwiegend von der Volksgruppe der Murle bewohnt wird. Beide Gruppen liefern sich seit Längerem einen Konflikt um Vieh und Weideland. Von 3.000 Toten war in den Medien die Rede. Es wäre eines der schlimmsten Massaker in der Geschichte des (Süd-)Sudans – und eines der schlimmsten weltweit in den vergangenen zehn Jahren.

Nach den vorliegenden Informationen lässt sich Folgendes sagen: Es gab zahlreiche Tote unter den Murle. Es gibt bislang keine verlässlichen Zahlen über die Anzahl der Toten. Die Angabe von rund 3.000 ermordeten Murle stammt vom Verwaltungschef des Landkreises Pibor, einem Murle, der den Vorwurf des Genozids erhoben hat. Nach ersten Recherchen der UN ergeben sich aber dafür (noch) keine Anhaltspunkte.

Die Lage, wie sie die Leiterin der UN-Mission im Südsudan, Hilde Johnson, beschreibt, ist auch so schlimm genug. Offensichtlich haben die Lou Nuer auch mehrere Tausend Häuser und Hütten geplündert und angezündet. Ein großer Teil der Zivilbevölkerung war kurz vor dem Angriff aus Pibor geflohen. Einheiten der UN-Blauhelme und der südsudanesischen Armee (SPLA) lieferten sich Feuergefechte mit den Angreifern.

„Die Leute haben kein Dach über dem Kopf“, sagte Johnson nach einem Besuch in Pibor, „ihr Vieh wurde geraubt und damit auch ihre Lebensgrundlage.“ Kurzum: ein humanitäres Desaster  – und zwar genau zum Jahrestag des gefeierten Referendums, mit dem die Südsudanesen im Januar 2011 die Sezession vom Norden beschlossen hatten.

So schlimm es klingt: Nichts davon ist überraschend. Das größte Problem für den jungen Staat ist längst nicht mehr der große Feind im Norden, das Regime in Khartum, sondern eine Gemenge-Lage von Konflikten im eigenen Land. Eine Vielzahl ethnischer Gruppen mit zum Teil archaischen Traditionen konkurriert um knappe Ressourcen in einer vom Unabhängigkeitskrieg zerrütteten Gesellschaft. Die tödlichste Zutat in diesem Gemisch ist die hohe Dichte an Schnellfeuerwaffen.

Auch der Krieg zwischen Luo Nuer und Murle hat sich aus einem scheinbar profanen Grund hochgeschaukelt: Viehdiebstahl. Die Mehrheit der Südsudanesen leben von Viehzucht, Rinder sind sowohl Zahlungsmittel als auch soziales Statussymbol und Brautpreis. Nur wer genügend Rinder aufbringt, kann eine Familie gründen. Viehdiebstahl mit anschließenden Racheaktionen der Bestohlenen haben folglich eine lange Tradition. Nur werden die Aktionen inzwischen nicht mehr mit Speeren und Messern ausgeführt, sondern mit Kalaschnikows – ein Erbe des jahrzehntelangen Bürgerkriegs gegen das Regime in Khartum.

Dessen Frontlinien sind auch in den anhaltenden Kleinkriegen in Jonglei auszumachen. Dass die christlichen Südsudanesen geschlossen gegen den muslimischen Norden gekämpft hätten, ist eine der Legenden der internationalen Berichterstattung und des Bedürfnisses nach klaren „Gut-gegen-Böse“-Verhältnissen. Tatsächlich waren die Fronten immer wieder verworren. Die von Dinka und Nuer dominierte Befreiungsarmee SPLA galt und gilt manchen anderen Bevölkerungsgruppen im Süden eher als Okkupationsmacht. Gruppen der Murle kämpften phasenweise auf Seiten der SPLA, andere auf Seiten Khartums. Letzteres hat sie bei der politisch-militärischen Elite des Landes nicht eben beliebt gemacht.

Für die Murle kommt besonders erschwerend hinzu, dass sie im südsudanesischen Vielvölkerstaat als rückständige Außenseiter gelten und oft als Sündenbock für Missernten und sonstige Unbill herhalten müssen. Was nicht heißt, dass sie nur Opfer wären: Ihre Jungmänner haben in den Gebieten der Luo Nuer ebenfalls geraubt, getötet und geplündert.

Bevor nun der übliche pawlowsche Reflex einsetzt und die UN des Versagens bezichtigt werden: Blauhelme können einen vereinbarten Waffenstillstand oder Frieden zwischen Kriegsparteien sichern, sie können inzwischen auch in vielen Fällen Zivilisten vor Rebellengruppen schützen. Aber sie können keine inner- oder intraethnischen Konflikte um Viehbestände, Stammesehre und Brautpreise eindämmen. Und man sollte es auch gar nicht erst von ihnen erwarten. (Es sei denn, man plädiert für eine hoch professionelle, bestens ausgerüstete Eingreiftruppe, die in diesem Fall 6.000 bewaffnete Männer in Pogrom-Stimmung hätte aufhalten müssen. Für eine solche Truppe bräuchte es dann aber auch Soldaten und Spezialisten aus den USA und Europa. Freiwillige vor!)

Was bleibt, sind einige ebenso bittere wie heilsam ernüchternde Einsichten: Das wird nicht der letzte „Rinderkrieg“ gewesen sein, denn die Republik Südsudan ist weit entfernt von einem staatlichen Gewaltmonopol und der damit einhergehenden Entwaffnung ihrer Bürger. Der junge Staat ist ebenso weit davon entfernt, solche Gräueltaten flächendeckend aufzuklären und vor Gericht zu ahnden. Aber bei aller Begrenztheit ihrer Mittel muss die Regierung in Juba jetzt klarmachen, dass solche Fehden nicht hinnehmbar sind. Und man kann nur hoffen, dass sie zu diesem Zweck nicht die eigene Armee zu einer Strafaktion losschickt, sondern zunächst zusammen mit Kirchen und lokalen Führern die Kampfparteien in einen Friedensprozess zwingt. Der beginnt zunächst einmal mit der gegenseitigen Freilassung von Entführten und der Rückgabe gestohlener Rinder.

Überhaupt werden in den nächsten Jahren Netzwerke von Kirchenvertretern, lokalen NGOs (darunter auch Frauengruppen), Ältestenräten und lokalen Verwaltungschefs immer wieder als präventive Feuerwehr einschreiten müssen. Die schlichten jetzt schon Landstreitigkeiten, verhandeln Weiderechte und Wasserversorgung und versuchen, junge Männer aus einem Teufelskreis von Rache und Ehre herauszuholen. All das ist fragil genug und soll wahrlich nicht als Loblied auf die Zauberkräfte der Zivilgesellschaft verstanden werden. Aber man darf davon ausgehen, dass auf diese Weise bereits einige Konflikte gelöst oder zumindest Schlimmes wie in Pibor verhindert worden ist.

Bis auf Weiteres fängt Konfliktprävention im Südsudan „ganz unten“ an – und sieht jedes Mal anders aus.

 

Wenn der Erzfeind zur Feier kommt – oder: Warum Omar Al-Bashir auf der Gästeliste des Südsudan steht

Der Countdown zur Unabhängigkeit läuft, und die Herrschaften im südsudanesischen Informationsministerium machen sich zunehmend Sorgen um das Protokoll und die Sitzordnung auf der Ehrentribüne. „Wir wissen immer noch nicht, wer Ägypten vertritt“, sagt der Herr im Ministerium. „Und was sollen wir tun, wenn Gaddafi kommt?“

„Verhaften“, sage ich. Seine Miene verrät, dass er das nicht für einen konstruktiven Vorschlag hält. Zumal ein anderer potenzieller Gast noch viel größeres Kopfzerbrechen bereitet: Omar Al-Bashir. „Irgendjemand aus Khartum“, sagt der Herr im Ministerium, “muss ja die alte Flagge des Sudan entgegennehmen, wenn wir unsere neue Fahne hissen. Das ist der wichtigste Teil der Zeremonie.“

Vor einigen Monaten schien dieser Punkt des Protokolls politisch noch Sinn zu machen. Bashir hatte nach dem Referendum der Südsudanesen für die Unabhängigkeit im Januar eine Trennung im gegenseitigen Einvernehmen signalisiert. Über anhaltende Streitpunkte wie die zukünftige Aufteilung der Öleinnahmen, Fragen der Währung und Staatsbürgerschaft schien eine Einigung vorstellbar.

Aber inzwischen stehen die Zeichen wieder auf Konfrontation. Tendenz: Eskalierend.

Bashir hat, nach südsudanesischer Provokation, die Grenzregion Abyei überrollen lassen und blockiert seit Wochen den Handelsverkehr zwischen Norden und Süden, was zu empfindlichen Versorgungsengpässen führt. Inzwischen droht er mit einer Sperrung der Pipeline, durch die das Öl aus dem Süden exportiert wird.

„Und dann“, sagt der Herr im Ministerium, „ist da noch das Problem mit dem Haftbefehl.“

Nicht, dass die südsudanesische Regierung ernsthaft erwägen würde, Bashir im Fall seiner Anreise in Handschellen zu legen (auch wenn viele Südsudanesen diesen Anblick sehr genießen würden). Das Problem ist: Die Regierung in Juba möchte möglichst viele, möglichst hochrangige Gäste begrüßen. Barack Obama wird nicht kommen, womöglich aber Hillary Clinton, vielleicht sogar Vize-Präsident Joe Biden. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon soll den 193. Staat der Vereinten Nationen mit aus der Taufe heben. Aber neben oder auch nur in Sichtweite eines Mannes sitzen, der vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Verdachts auf Völkermord gesucht wird? Das geht gar nicht.

Was tun?

Hoffen, dass Al-Bashir in Khartum bleibt und seinen Außenminister nach Juba schickt, um die sudanesische Fahne abzuholen, die dort keiner mehr sehen will.

P.S.: Das Verfassen dieses Blogeintrags wurde unterbrochen durch ein ungeduldiges Klopfen an der Tür des Hotelzimmers. Razzia. Die Polizei war ausgeschwärmt, um Juba von Waffen zu „säubern“. Straßensperren überall, Durchsuchungen von Haus zu Haus. Ein großer, spindeldürrer Polizist schob mich beiseite und pflanzte sich hinter dem Bett auf. Sein Englisch war  rudimentär, mein Juba-Arabisch gleich Null. Der folgende Dialog verlief holpriger, als sich das in deutscher Übersetzung liest:

Er: „Waffe! Wo ist Waffe?“

Ich: „Wie bitte? Ich habe keine. Wieso sollte ich eine Waffe haben?“

Er: „Waffe hier?“ (Stochert mit einem Stock unter dem Bett herum.)

Ich: „Ich bin Journalistin. Ich habe keine Waffe.“

Er: „Sie geben Waffe. Wir wollen nur Waffe.“ (Hebt die Matratze hoch)

An dieser Stelle unterdrücke ich mühsam den deutschen Reflex, nach seiner Dienstnummer und einem Durchsuchungsbefehl zu fragen. Stattdessen öffne ich mit dem höflichsten Lächeln Schranktür und Tasche:

Ich: „Hier! Nix Waffen! Nur Wäsche! Okay?“

Er richtet sich auf, verheddert sich in meinem Moskitonetz und verliert offenbar das Gefühl, Herr der Lage zu sein. Ein Gesicht wahrender Ausweg muss her. Er deutet auf meine Cargohosen und meine Sandalen.

„Sie sehen aus wie Soldat. Soldat immer Waffe! Kein Problem.“

Spricht’s und verschwindet.

 

Multi-Kulti im Südsudan – Hoffnungen und Ängste der Minderheiten im neuen Staat

Jeden Morgen der gleiche melancholisch klagende Gesang. „Allahu Akbar!“ In Juba, Bor, Malakal, Yei – in fast jeder südsudanesischen Stadt erinnert der Muezzin fünf Mal am Tag, dass die klaren Fronten im Sudan zwischen Arabern und Afrikanern, zwischen Norden und Süden, Islam und Christentum so klar nicht ist. Den muslimischen Norden gibt es genauso wenig wie den christlichen Süden. Alle Grenzen sind fließend.

Die muslimische Minderheit im Südsudan ist klein, genaue Zahlen sind schwer zu bekommen. Jedenfalls gibt es in Juba einen „Südsudanesischen Rat der Muslime“. Und wer diesen auf der Seite Khartums vermutet, der irrt. „Abspaltung ist besser“, sagte Juma Said Ali, einer seiner Vertreter: „Der Norden hat auch uns wie Menschen dritter Klasse behandelt.“

Das war eine deutliche Absage an prominente islamische Kleriker aus Khartum und Kairo, die das Referendum zu einer Verschwörung des Westens und damit aus religiöser Sicht für „null und nichtig“ erklärt haben.

Bis 15. Januar sollen die Wahllokale noch geöffnet bleiben. Schon drei Tage nach Beginn des Referendums am vergangenen Sonntag hatten mehr als 60 Prozent der wahlberechtigten Südsudanesen ihre Stimme abgegeben – und damit eine wichtige Hürde genommen. Denn dieses Quorum ist Voraussetzung für die Anerkennung des Ergebnisses, das zweifellos auf Sezession hinauslaufen wird.

Nun werden Südsudans Muslime keineswegs geschlossen den neuen Staat bejubeln. Viele wollen, ebenso wie die Migranten, erst einmal vorsichtig abwarten, wie stabil der innere Frieden im neuen Südsudan sein wird.

Die Gesellschaft des zukünftigen Staates sieht etwas so aus: rund 200 ethnische Gruppen mit verschiedenen Sprachen, Dialekten, Glaubensformen, flexiblen Loyalitäten und vielen alten wie neuen Konflikten. In der Politik wie auch im Militär dominieren die Dinka, was immer wieder für Ressentiments in anderen Volksgruppen sorgt.

Dazu gesellen sich somalische Muslime, die seit vier Generationen hier leben. Arabische Händler, die seit Jahrzehnten zwischen Norden und Süden pendeln. Libanesische oder indische businessmen, die aus Wohncontainern ein florierendes Hotel zusammen gebaut haben, in denen junge Kenianerinnen mit Hochschuldiplom die Bücher führen, während Südsudanesinnen ohne jede Schulbildung den britischen, norwegischen, japanischen, deutschen oder dänischen Entwicklungshelfern die Zimmer putzen. Außerdem Äthiopier und Eritreer, die hier mit kleineren und größeren Geschäften ihr Glück versuchen. Und schließlich Migranten aus den Nachbarländern – vor allem aus Uganda und Kenia. Und wie läuft das so im Alltag?

Multikulti im Südsudan (I)
„Immer schön Augen und Ohren offen halten“, sagt Matthew Oguttu, Hotelfachmann aus Nairobi, dort arbeitslos, jetzt schleppt er Wasser und Zement auf einer Baustelle in Bor, rund 300 Kilometer nördlich von Juba. Abends besser im eigenen Quartier bleiben. Nach Feierabend sind kenianische oder ugandische Arbeiter in manchen Kneipen so gern gesehen wie türkische Immigranten in einer sächsischen Dorfgaststube.
Wir treffen Oguttu am Flusshafen neben der Wasserpumpe, um ihn herum ein Gewusel von Rückkehrern aus Khartum, die ihre alte Heimat nicht wieder erkennen, ugandischen Händlern, die Trainingsanzüge made in China anbieten, und Dorfchefs verschiedener Volksgruppen, die ihre Heimgekehrten einsammeln.

Einige von Oguttus Landsleuten sind vor dem Referendum aus Angst vor Unruhen nach Hause gefahren. Er ist geblieben.
„Wahlen und Abstimmungen sind nicht das Problem in Afrika“, sagt Oguttu, „das Ergebnis ist das Problem.“ Die Elfenbeinküste taumelt nach den jüngsten Wahlen am Rand eines  neuen Bürgerkrieg entlang, in Oguttus Heimat, Kenia, löste der letzte Urnengang einen ethnischen Mini-Bürgerkrieg aus.
Und hier?
„…sieht es bislang gut aus “, sagt er und lächelt. Also bleibt er.
„Weil man mit sudanesischen Pfund mehr Geld verdient als mit kenianischen Schilling.“

Multikulti im Südsudan (II)
Bor am Abend, zehn Dollar kostet die Nacht im Dindit-Hotel, in dessen Wellblechverschläge sich leider nicht Fuchs und Hase, sondern Fledermaus und Ratte gute Nacht sagen. Der Besitzer ist Samuel, ein kleiner, charmanter Eritreer.  Wie fast jeden Abend fallen einige bereits  alkoholisierte Dinka auf ihren Pick-Up-Trucks bei ihm ein – Sicherheitsleute und ehemalige Soldaten, Krieger ohne Krieg, deren Gebaren keinen Zweifel daran lassen soll, wer hier Herr im Hause ist. Samuel spricht weder arabisch, noch juba-arabisch, noch einen der Dialekte der Dinka. Macht nichts. Zwei Stunden lang füllt er den Jungmännertrupp scherzend und schmeichelnd mit Bier ab, bis deren Glieder und Zungen zu schwer geworden sind für größere Aggressionsausbrüche. Derweil bekocht uns seine Schwester, die früher in Asmara bei einer italienischen Familie den Haushalt geführt hat, mit Spaghetti Bolognese. Zur Entspannung beschallt Samuel die gesamte Gästeschar mit Kampfliedern aus dem eritreischen Befreiungskrieg. Seine Art, Heimweh zu lindern. In Eritrea, 1993 nach einem langen Bürgerkrieg unabhängig geworden, mutierte die Befreiungsbewegung ziemlich schnell zu einem diktatorischen Staatsapparat.
Und hier?
Samuel zuckt mit den Schultern und dreht sich Spagetti auf die Gabel. Sie bleiben in Bor. Dort sieht die Zukunft besser aus als zuhause. Für’s erste.

Multikulti im Südsudan (III)
Der Informationsminister der südsudanesischen Regierung, Barnaba Marial Benjamin, hat vor einigen Tagen allen „somalischen und anderen afrikanischen Geschäftsleuten“ versichert, dass sie unabhängig vom Ausgang des Referendums nichts zu fürchten hätten. Die somalischen Händler in Juba sind sich inzwischen nicht mehr so sicher. Sie argwöhnen, dass nach dem großen Jubel über die Unabhängigkeit die große Ernüchterung folgt. Und das sind immer schlechte Zeiten für Ausländer. Aber vielleicht wendet sich auch alles zum Besseren. Allahu Akbar! Allah ist groß – und alle anderen Götter neben ihm auch.

 

Strategien, Studien, Prognosen – kleine Leseliste zum Südsudan

Der Sudan und der Südsudan werden die Welt eine Weile beschäftigen – und damit auch die think tanks und Experten. Hier eine Auswahl lesenswerter aktueller Studien und Strategiepapiere:

Eine kompakte, aber umfassende Analyse der Probleme für den Südsudan nach der Sezession – von der umstrittenen Grenzziehung über Fragen der Staatsbürgerschaft, der Aufteilung der Öleinnahmen bis zum Umgang mit Auslandsschulden – liefert Sudan-Experte Wolfgang Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in seinem Paper „Auf dem Weg zur Unabhängigkeit des Südsudan“.

Wie die Nachbarn des neuen Staates (und des alten Sudan) auf die bevorstehende Sezession reagieren, behandelt unter dem Titel „Sudan:Regional Perspectives on the Prospect of Southern Independence“ eine ausführliche Studie der International Crisis Group: Welche Rolle hat Äthiopien in der Geschichte des sudanesischen Bürgerkriegs gespielt? Warum zählen Uganda und Kenia zu erklärten Unterstützern eines unabhängigen Südsudan? Warum fürchtet Ägypten die Sezession?

Mit der Angst vieler afrikanischer Regierungen vor einem Dominoeffekt, also weiteren Sezessionsbestrebungen auf dem Kontinent, befasst sich ein Paper des United States Institute for Peace (USIP) unter dem Titel „Secession and Precedent in Sudan and Africa“.

Der Small Arms Survey, ein renommiertes Forschungsprojekt über Kriegsgewalt und die Verbreitung von Kleinwaffen, hat im September 2010 eine Studie über den Zustand der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) ins Netz gestellt. Die Umwandlung der SPLA von einer Rebellentruppe, die sich im Verlauf des Bürgerkriegs selbst schwere Kriegsverbrechen hat zuschulden kommen lassen, in eine professionelle Armee ist eine zentralen Voraussetzungen für einen funktionierenden Staat.

Und schließlich noch zwei Buchtipps:

„What is the What“ von Dave Eggers, in den USA ein Bestseller, ist die Biografie von Valentino Achak Deng, einem der über 200.000 sogenannten Lost Boys. So bezeichnet man jene jungen Männer, die im Kindesalter vor dem Bürgerkrieg flohen, über Monate und hunderte von Kilometern in Flüchtlingslager nach Äthiopien oder Kenia marschierten. Durch Minenfelder, niedergebrannte Dörfer, gejagt von arabischen Reitermilizen.
Achak Deng überlebte diesen Trek und bekam schließlich ein Visum für die USA. Dass man sich auch dort sehr verloren fühlen kann, beschreibt das Buch auf wunderbar lakonische und ironische Weise.
Inzwischen betreibt Valentino Achak Deng im Südsudan eine Stiftung zum Bau von Schulen.

„Emma’s War“ von Deborah Scroggins ist ein Klassiker unter Sudan-Reisenden und Soli-Bewegten aller Art. Das Buch erzählt die Geschichte der britischen Entwicklungshelferin Emma McCune, die sich während des Bürgerkriegs in den Rebellenführer (und heutigen Vize-Präsidenten des Südsudan) Riek Machar verliebt und ihn heiratet. Klingt nach fürchterlichem Kitsch, ist tatsächlich aber eine sehr gut geschriebene Biografie einr Frau, deren naiver Idealismus und Überidentifikation mit vermeintlich „edlen Rebellen“ zu politischer Blindheit führte. Machar ist für einige der schlimmsten Kriegsverbrechen und blutigsten Fraktionskämpfe innerhalb der SPLA verantwortlich.
Nebenbei lernt man einiges über die Hintergründe des Bürgerkriegs. „Emma’s War“ soll in diesem Jahr als Hollywood-Film in die Kinos kommen.