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Ultimatum in Kinshasa

Die gute Nachricht zuerst: Nach Angaben der BBC haben die ersten Mitglieder der Privatarmee von Jean-Pierre Bemba Kinshasa verlassen. Joseph Kabila, Gewinner der Präsidentschaftswahlen und derzeit noch Oberhaupt der Übergangsregierung, hatte gestern ein Ultimatum gesetzt: Bis Freitag müssen Bembas Truppen aus Kinshasa verschwunden sein. Sonst, so Kabila, würde die kongolesische Armee sie mit Gewalt aus der Hauptstadt entfernen. Den Ausgang eines solchen Kampfes können sich die Kinois, die Bewohner von Kinshasa, schon jetzt mit Grauen ausmalen.
Kongolesisches Militär ist inzwischen an mehreren strategisch wichtigen Punkten der Stadt aufmarschiert – unter anderem rund um rauchgeschwärzten Mauern des Obersten Gerichtshofs. Drinnen sollen in diesen Stunden Richter über den Einspruch Bembas gegen das vorläufige Ergebnis der Stichwahl vom 30. Oktober beraten, die Kabila nach Angaben der Wahlkommission mit 58 Prozent der Stimmen gewonnen hat. Am Dienstag hatten sich bewaffnete Anhänger Bembas vor dem Gericht eine Schießerei mit der Polizei geliefert, Teile des Gebäudes geplündert und in Brand gesetzt. Richter flohen mit wehenden Roben aus den Flammen, während UN-Soldaten die Menge mit Schüssen in die Luft auseinandertrieben.
Kabilas Ultimatum ist nicht nur eine massive Drohung gegen Bemba, sondern auch ein klarer Affront gegen die UN-Mission. Denn das Ultimatum war nicht etwa an Bemba direkt adressiert, sondern an den Leiter der UN-Mission, den Amerikaner William Swing. Dem hatte Kabila am Mittwoch erklärt, die UN habe 48 Stunden Zeit, Bembas Truppen aus Kinshasa zu entfernen.
Seit den schweren Kämpfen in Kinshasa im August, die Bemba vermutlich proviziert hat und in deren Verlauf mindestens 23 Menschen getötet wurden, hat sich das Verhältnis zwischen dem Lager Kabilas und der Internationalen Gemeinschaft merklich abgekühlt. Damals waren bei einem Angriff von Kabila-treuen Truppen auf die Residenz Bembas auch UN-Chef Swing und 14 ausländische Botschafter unter Beschuss geraten. Die folgende internationale Kritik und den Umstand, dass Bembas Haus seither von UN-Panzern bewacht wird, nimmt man im Amtssitz des kongolesischen Präsidenten offenbar sehr übel.
Wie es nun weiter geht, vermag niemand zu sagen. Womöglich hat Bemba eingesehen, dass er eine gewalttätige Auseinandersetzung zwar nicht verlieren, aber auch nicht gewinnen kann. Womöglich sind die ersten 50 Kämpfer, die nun aus Kinshasa in das 80 Kilometer entfernte Maluku verlegt worden sind, nicht mehr als ein Täuschungsmanöver. Bemba stehen als Vizepräsidenten der Übergangsregierung, der er nominell immer noch ist, 100 bewaffnete Leibwächter zu. Tatsächlich hat er wohl um die tausend Mann unter Waffen und kann offenbar jederzeit Verstärkung aus Brazzaville, der Hauptstadt des Nachbarlandes mit dem verwirrend ähnlichen Namen Republik Kongo holen.
Auch Kabila hat weiterhin über 10.000 Mann der Präsidentengarde unter seinem direkten Befehl – eine quasi-Privatarmee, an deren Entwaffnung er nicht im Traum denkt.
Abwarten und Lebensmittel horten, heißt jetzt die Devise in Kinshasa. Und hoffen: Vielleicht bleibt es einigermassen ruhig, vielleicht tritt Kabila tatsächlich am 10. Dezember (was, oh Ironie, auch noch der internationale Tag der Menschenrechte ist) sein Amt an und bildet bis Ende des Jahres eine Regierung unter Einbindung des ehemaligen Warlords und mutmasslichen Kriegsverbrecher Jean-Pierre Bemba. Im Kongo nennt man so etwas best case scenario.

 

Fragile Demokratie

Nach einer Siegesfeier sah das nicht aus: Als der Vorsitzende der Unabhängigen Wahlkomission, Apollinaire Malu Malu, am Abend das vorläufige Endergebnis der Präsidentschaftswahlen im Fernsehen verkündete, hatten sich die Einwohner von Kinshasa in ihren Häusern verschanzt und auf den Straßen patrouillierten kongolesische Polizei, UN-Blauhelme, Soldaten der EUFOR. Mit 58 Prozent der Stimmen hat Joseph Kabila die Stichwahl um das Präsidentenamt im Kongo deutlicher als erwartet gewonnen. Doch die Hauptstadt ist noch immer eine Hochburg seines Erzrivalen Jean-Pierre Bemba – und damit für feindliches Territorium den 35jährigen Staatschef. Die Frage ist nun: Akzeptiert Bemba das Ergebnis ? Und welchen „Trostpreis“ wird er verlangen?

Fürs erste hält sich der ehemalige Warlord alle Optionen offen, auch die der Gewalt. Am vergangenen Samstag demonstrierten einige seiner Anhänger bei einer Schießerei mit der Polizei in Kinshasa, dass sie ihr Waffenarsenal weiter aufgestockt haben. Vier Menschen starben, nach offiziellen Angaben.

Bemba selbst ließ inzwischen verlautbaren, dass er das Ergebnis nicht akzeptiere und „mit allen Mitteln“ anfechten werde. Die Wahlkommission muss nun diverse Klagen über Unregelmäßigkeiten und Manipulation prüfen. Sprecher von Bembas Wahlbündnis hatten bereits am Dienstag erklärt, ihr Kandidat habe nach eigenen Zählungen 52 Prozent der Stimmen und damit die Präsidentschaft gewonnen. Sollte die Wahl „gestohlen“ werden, fühle man sich nicht mehr an jene Abmachungen gebunden, in denen sich beide Kandidaten vor der Stichwahl verpflichtet hatten, sowohl das Wahlergebnis als auch die körperliche Unversehrtheit des Gegners zu respektieren. Kabilas Präsidentengarde und Bembas Privatarmee hatten sich im August, wenige Wochen nach dem ersten Wahlgang, im Diplmatenviertel Gombe einen mehrtägigen Minikrieg mit mindestens 23 Toten geliefert.

Internationale Beobachter haben die Stichwahl und die Auszählung der Stimmen bislang gelobt. Das amerikanische Carter Center, das regelmäßig Wahlbeobachter in Krisenregionen entsendet, zeigte sich zuversichtlich, dass die von den Wahlkommission verkündeten Zahlen mit den Auszählungsergebnissen der einzelnen Wahllokale übereinstimmten. Bloß ist damit noch nicht der Vorwurf aus dem Bemba-Lager geklärt, dass in vielen Kabila-treuen Wahlkreisen zusätzliche Wählerlisten aufgetaucht und angeblich verdächtig viele Wahlzettel von Bemba-Anhängern für ungültig erklärt worden waren.
In den Strassen der Hauptstadt bleibt die Stimmung extrem angespannt. Europäische und afrikanische Diplomaten versuchen seit Tagen, Bemba dazu zu bewegen, einen hohen Ministerposten in der neuen Regierung zu übernehmen, die bis Ende des Jahres gebildet werden soll. Nach Berichten des britischen „Guardian“ hat Kabila seinem Gegner den Posten des Premierministers angeboten, was dieser jedoch abgelehnt habe. Offensichtlich ist das Lager Bembas gespalten in eine verhandlungsbereite und eine militante Fraktion, die sich notfalls mit Gewalt holen möchte, was sie durch Wahlen offenbar nicht bekommen hat: die Macht.

Umso unverständlicher erscheint es, dass die Mitgliedsländer der Europäische Union, allen voran Deutschland, weiterhin glauben, die Mission der EUFOR wie vorgesehen zum 30. November diesen Jahres „erfolgreich“ abschliessen zu können. Auf Bitten der Vereinten Nationen hatte die EU zur Absicherung der Wahlen Truppen in die Hauptstadt Kinshasa entsandt, darunter auch über 700 Bundeswehr-Soldaten. Hilfsorganisationen wie Oxfam International haben an die EU appelliert, die Mission mindestens bis zum Februar 2007 zu verlängern. Ein voreiliger Abzug, so Oxfam, könnte ein fatales Signal senden, den ohnehin fragilen Wahlprozess gefährden und zu neuer Gewalt führen.

 

„Ihr müsst bleiben“

„Bemba hat gewonnen“, rief der Zeitungsverkäufer durch das Autofenster.
„Sagt wer?“ rief ich zurück, worauf er mir die Schlagzeile „Bemba prends le pouvoir“ entgegenhielt. „Bemba übernimmt die Macht“. „Alerte Plus“ heisst das Revolverblatt, das, wie fast alle kongolesischen Tageszeitungen, einen Dollar kostet. Das war am Mittwoch, drei Tage nach der Stichwahl. Seither lancieren beide Seiten munter vermeintliche Siegesmeldungen in den Medien.

Es ist dasselbe Spiel wie nach dem ersten Wahlgang: Bembas Gefolgsleute lassen in seiner Hochburg Kinshasa „Meldungen“ über einen Erdrutschsieg verbreiten, um dann jedes anderslautende Ergebnis als Wahlfälschung denunzieren und die Stimmung entsprechend anheizen zu können.

Ein vorläufiges Ergebnis mit dem Siegel der Unabhängigen Wahlkommission wird es wohl frühestens Ende nächster Woche geben, spätestens am 19. November. Bis dahin heisst es: Radio Okapi hören, den einzigen Sender im Kongo, der landesweit zu empfangen ist, aus der kongolesischen Gerüchteküche meist verlässliche Nachrichten destilliert – und das in fünf Sprachen: Französisch, Lingala, Suaheli, Kikongo und Tshiluba.

Das Hauptstadtstudio ist auf dem Gelände der UN-Mission (MONUC) einquartiert, was der Redaktion Schutz vor Polizeirazzien und Überfällen bietet. Ein Besuch bei den Kollegen lohnt sich immer, zumal man in diesen Tagen mit grosser Wahrscheinlichkeit grimmig dreinblickende Herren aus schweren Geländewagen aussteigen und in einem der UN-Tagungsräume verschwinden sieht. Die Abordnungen der Herren Kabila und Bemba sind dann mal wieder zu einem Treffen geladen worden, auf dem MONUC die Spielregeln für die nächsten Wochen festlegen, ermahnen, drohen und signalisieren will: einen Gewaltausbruch wie im August lassen wir nicht noch einmal zu. Wobei die UN-Blauhelme allein als Druckmittel kaum ausreichen würden. In den letzten Tagen hat sich gezeigt, dass die Präsenz der EUFOR-Mission, so klein sie auch sein mag, Wirkung zeigt. Vielen Kinois sahen die europäischen Soldaten zeitweise als militärische Wahlhelfer für den vom Westen favorisierten Joseph Kabila. Inzwischen gelten sie als wirkliche Schutztruppe, die auf die Privatarmeen der beiden Kandidaten sehr viel mehr Eindruck macht, als noch vor einigen Wochen. Dafür verzeihen die meisten Bewohner der EUFOR auch die nächtlichen Hubschrauberflüge und den Absturz von zwei Aufklärungsdrohnen auf ihre Wohnviertel. Dass in Deutschland ernsthaft erwogen wird, einer Verlängerung der Mission abzulehnen und die Soldaten am 30. November nach Hause zu holen, versteht hier in Kinshasa kein Mensch. „Ihr müsst bleiben“, sagt der Kollege von Radio Okapi, der auf den schönen Vornamen Innocent hört, der Unschuldige. „Mindestens bis zur Regierungsbildung.“ Womit er sagen will: ‚Lasst uns bitte nicht mit unseren Politikern allein,. Ich weiss nicht genau, wenn er mehr fuerchtet – den vor Testosteron strotzenden Jean-Pierre Bemba, der bislang immer nach der Maxime gehandelt hat: ‚Wenn ich etwas nicht bekomme, was ich will, dann kriegt es auch kein anderer.’

Oder „petit Joseph“, wie viele Kongolesen ihren Präsidenten nennen. Kritischere Beobachter vergleichen ihn mit Baschar al-Assad, dem syrischen Amtskollegen: Überfordert vom Amt und dem Schatten seines Vaters, verachtet von den Generälen, weil er sich trotz Schulung in China militärisch nie bewiesen hat – und deswegen im Zweifelsfall skrupellos.

Sollte das Ergebnis tatsächlich so knapp werden, wie inzwischen viele vorhersagen, dann stellt sich dem Land womöglich ein anderes Problem als das der Gewalt: dann müssen zwei Männer, die sich gerne umbringen würden, einen Deal miteinander abschliessen – eine „Große Koalition“ auf kongolesisch. Innocent, dem Reporter von Radio Okapi, fällt bei diesem Szenario auch nichts anderes ein als ein Stoßseufzer gen Himmel. „Am Ende müssen wir auf Gott vertrauen.“ Die unendliche Geduld der Kongolesen mit dem Herrn und Retter erstaunt mich immer wieder. Denn wenn es wirklich einen Gott gibt, dann ist er diesem Land verdammt viel schuldig.

 

„Bei Null wieder anfangen“

Monsieur Vicky, mein Taxifahrer, hatte mich gestern zu sich nach Hause eingeladen. Seine beiden Töchter, sagte er, wollten endlich mal eine Weisse sehen.
Monsieur Vicky, der mit vollem Namen Vicky Miondo-Kamalandwa heisst, wohnt in Bumbu, was in Kinshasa nicht das schlechteste Viertel ist. Die Nachbarschaft könnte man als kongolesische untere Mittelschicht beschreiben. Hier wohnen Taxifahrer, Schneiderinnen, Schrotthändler, Friseusinnen und Gefängniswärter in gemauerten, verrußten Zwei-Zimmer-Quadern mit Wellblechdächern, 15 bis 20 Quadratmeter gross, ohne Küche und fließend Wasser, aber manchmal mit Strom, was die Anschaffung eines Fernsehers lohnt.
Mit einer braunen Couchgarnitur, einem Küchenregal, einem kitschigen Wandkalender, einem großen Hochzeitfoto und einer Bibel ist Monsieur Vickys Wohnung auch schon voll. Sowohl die Couch als auch der Fernseher haben die Regenflut vom Sonntag überstanden. Dieses Mal ist auch keine schlammige Kloake durch die Tür gekrochen. Nur die Trampelpfade im Viertel haben sich in schwimmende Müllhalden verwandelt.
Monsieur Vicky und seine Frau, die Schneiderin ist, haben ihr Erspartes in verschiedenen Kistchen und Fotoalben versteckt. Jeder Einbruch würde sie und ihren Traum um Jahre zurückwerfen: Monsieur Vicky möchte irgendwann mit 1000 Dollar in der Tasche zum Grosshafen nach Matadi fahren und sich ein gebrauchtes Auto kaufen. Dann wäre er nicht mehr Taxifahrer für seinen Boss, sondern Taxiunternehmer und könnte 100 statt 30 Prozent seiner Tageseinnahmen behalten. Dann könnte er irgendwann in ein Viertel umziehen, wo das Dach nicht alle paar Wochen leckt und der Strom nicht alle paar Tage ausfällt.
Im Moment stehen die Zeichen nicht günstig. Seit im Kongo der Marathon der Präsidentschaftswahlen begonnen hat, ist das Leben in der Hauptstadt deutlich teurer geworden. Für den Liter Benzin bezahlt man jetzt 490 kongolesiche Francs statt 350, für einen 25-Kilo-Sack Reis 8500 statt 5000 Francs. Die Inflationsrate ist angestiegen: Ein US-Dollar kostet jetzt 520 Francs statt 450. Bei der Verkehrspolizei sind die Preise geradezu explodiert. Seit sie sich „reformiert“ hat, halten die Uniformierten nicht mehr einfach die Hand durchs Fenster und geben sich mit ein paar hundert Francs zufrieden. Nein, jetzt gibt es eine Gebührenordnung, wonach für die „Missachtung eines Verkehrschildes“ bis zu 30 Dollar zu bezahlen sind – natürlich auch dann, wenn sich am Tatort kein Verkehrsschild befindet. Monsieur Vicky hat deshalb vor einigen Wochen zusammen mit tausenden anderer Taxifahrer gestreikt. 30 Dollars, das ist das tägliche Minimum, das Monsieur Vicky beim Besitzer seines schrottreifen Taxis abgeben muss.
Geholfen hat der Streik offenbar nicht. Auf dem Weg nach Bumbu hatten sich die Verkehrspolizisten mit ihren gelben Hemden und Helmen mitten auf der breiten Avenue Kasa Vubu postiert, um Autos herauszuwinken. Der Fahrer eines VW-Bus-Taxis, dessen Heckklappe durch ein Seil ersetzt war, um die geschätzten 20 Passagiere am Herausfallen zu hindern, sah wohl seine Tageseinnahmen verschwinden, drückte auf’s Gaspedal und hielt direkt auf den Polizisten zu. Der machte einen kleinen Schritt zu Seite und schlug dem Bus den ohnehin schon baumelnden Seitenspiegel von der Tür wie einen lockeren Zahn.
Solche Szenen verstören Monsieur Vicky mehr, als die Schiesserei zwischen den Privatarmeen der beiden Präsidentschaftskandidaten im August. Die passierte weit weg von seiner Wohnung im Diplomatenviertel Gombe. Den Strassenkampf mit den Behörden erlebt er jeden Tag. „Madame“, sagte er, „dieses Land muss bei Null wieder anfangen.“
Vor der Stichwahl am Sonntag war er noch einmal in sich gegangen und hatte als Wahlhilfe seine ganz persönliche Völkerkunde zu Rate gezogen. Demnach gibt es im Kongo zwar hunderte von Ethnien aber nur drei relevante Gruppen: „Die Leute aus Katanga“, sagt Monsieur Vicky, „erkennt man daran, dass sie zuviel trinken, den Weibern und dem Geld hinterhersteigen. Die Leute aus Equateur sind geradeheraus, jähzoring und manchmal brutal. Und die Menschen aus Bas Congo gehören zu den ruhigen Typen, beten viel und wollen mit niemandem Problem.“
Monsieur Vicky, der Kirchenchorsänger aus dem Bas Congo, hat am vergangenen Sonntag die Seiten gewechselt, und seine Stimme nicht mehr dem phlegmatischen „Katanga Boy“ Joseph Kabila gegeben, sondern dem ehemaligen Warlord und Mobutu-Zögling Jean-Pierre Bemba aus der Provinz Equateur. „Sehen Sie, Madame, nachdem wir zum zweiten Mal an diesem Tag im Kloakenschlamm von Kinshasa steckengeblieben waren, sehen Sie: Einer muss hier mal richtig aufräumen.“
Joseph Kabila gilt in den Vorhersagen, was immer sie in diesem Land wert sein mögen, immer noch als Favorit. Aber man geht inzwischen von einem knappen Ergebnis aus – Überraschung nicht ausgeschlossen.

 

Präsidentschaftswahlen im Schlamm

Auf die Gefahr hin, in wenigen Stunden eines Schlimmeren belehrt zu werden: Die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen im Kongo ist weitgehend ruhig verlaufen.
In Kinshasa, wo die Einheimische und Ausländer nach den blutigen Feuergefechten im August neue Gewaltausbrüche am Wahltag befürchtet haben, hat strömender Regen offenbar die Gemüter gekühlt. Kinshasa hat sich in den frühen Morgenstunden dieses Sonntag in einen gigantischen Sumpf verwandelt. Und wer zettelt schon gern eine Straßenschlacht an, wenn er knöcheltief im Schlamm steckt.
Andererseits könnte das Wetter in der Hauptstadt die Wahlbeteiligung drücken. Bis mindestens zehn Uhr konnten die meisten Wahlhelfer getrost in Dämmerschlaf verfallen, was ihnen zu gönnen war, weil sie die Nacht zuvor bereits die Urnen und Wahlkabinen aus Pappe zusammengesteckt hatten. Bis Mittags hatten in vielen Wahlbüros gerade einmal ein Fünftel der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben und von denen mussten viele durch hüfthohes Wasser warten, über bröckelnde Mauern klettern oder ihre Sandalen alle paar Schritte aus dem Schlamm fischen. „Und am Ende nuetzt es noch nicht mal was“, murrten drei betagte und beleibte Mamans, die mit gerafften Wickelröcken über ein fussbreites Holzbrett wankten, das jemand über einen gurgelnden Abwasserkanal gelegt hatte. Nur so gelangten sie in ihr Wahlbüro im Lyceé Technique de Kalamu. Nicht einmal der Präsident selbst kam ohne Dreckspritzer ins Wahllokal. Joseph Kabila stieg gegen Mittag aus seinem schwarzen Range Rover in den Schlamm, gab seine Stimme in einem Wahllokal im Stadtteil Gombé ab und verschwand mit dem schläfrig indigniertem Gesichtsausdruck wieder in seinem Wagen. Demokratische Hoffnungsträger sehen anders aus.
Der Regen mag rein polizeitaktisch ein Segen sein. Aber die stinkenden Pfützen, der schwimmende Müll und die überquellende Kloake haben diesem Tag auch jede Würde genommen, was zur aktuellen politischen Stimmung passt. Seit sich die Privatarmeen der beiden Kandidaten Ende August über mehrere Tage aus allen Rohren beschossen haben, weiss jeder, wie trügerisch die Ruhe sein kann.
In der zweiten Runde des Wahlkampfs wagte dann auch keiner der beiden Kandidaten einen einzigen öffentlichen Auftritt. Bei Amstinhaber Joseph Kabila dürfte wohl auch seine inzwischen berüchtigten Gabe, eine Rolle gespielt haben, mangels Charisma Wähler zu verprellen; sein Herausforderer und Todfeind Jean Pierre Bemba musste tatsächlich Angst haben, einen solchen Auftritt nicht zu überleben. An der Basis terrorisierten dafür ihre Anhänger nach Kräften die Parteibüros der jeweils anderen Seite, verhinderten Wahlversammlungen, zerstörten Wahlmaterial, „Vor der Wahl ist während der Wahl ist nach der Wahl“ lautet inzwischen das sarkastische Motto vieler Kongolesen. Und das schliesst mit ein, dass, wer es sich leisten kann, Wasser und Lebensmittel bunkert. Am 18. November soll der Sieger bekannt gegeben werden. Kabila wie Bemba haben beteuert, das Ergebnis zu akzeptieren. Und beide haben ihre Armeen aufgerüstet.

 

150 000 Kämpfer, 30 000 Kindersoldaten

Der Kongo-Blog meldet sich zurück – rechtzeitig zum Countdown für die Stichwahl der Präsidentschaftswahlen am 29. Oktober.
Krisenplanung heisst das Wort der Stunde in Kinshasa: bei der UN-Mission, in den Botschaften, EU-Büros und bei den Hilfsorganisationen bereitet man sich auf alle denkbaren Szenarien vor – auch auf einen neuen Gewaltausbruch nach der Stichwahl zwischen Joseph Kabila und Jean-Pierre Bemba. Zur Erinnerung: Nach Bekanntgabe des vorläufigen Wahlergebnisses am 20. August war es zu schweren Kämpfen zwischen Kabilas Präsidentengarde und Bembas Privatarmee gekommen, in deren Verlauf mindestens 20 Kongolesen getötet wurden und auch ausländische Botschafter sowie der UN-Missionschef William Swing ins Kreuzfeuer gerieten.
Nach wochenlangen Drohgebärden und Hasstiraden in ihren jeweiligen loyalen Medien haben sich die beiden Kampfhähne dann am 13. September endlich zu einem persönlichen Gespräch getroffen, sich die Hand geschüttelt und versichert, dass sie sich nicht gegenseitig umbringen wollen. Einen friedlichen Verlauf der Stichwahl in knapp drei Wochen garantiert das noch nicht. Weder Kabila noch Bemba sind bereit, ihre Milizen in Kinshasa zu reduzieren oder gar zu entwaffnen.
Womit wir bei der Wurzel des Problems wären: Die Reform des Sicherheitssektors samt Demobilisierung von Kriegsparteien und Aufbau einer regulären Armee war die zentrale Aufgabe der kongolesischen Übergangsregierung und der internationalen Geberländer. Doch ausgerechnet in diesem Punkt haben alle Beteiligten kläglich versagt. 150.000 Kämpfer, darunter 30.000 Kindersoldaten, sollten entwaffnet und in das Zivilleben zurückgeführt, weitere 150.000 Kämpfer in eine neue nationale Armee integriert werden – eine gigantische Aufgabe, gewiss. Trotzdem ist das Ergebnis nach drei Jahren kläglich, wie jetzt amnesty international konstatiert hat: die ehemaligen Kriegsherren behielten einen signifikanten Teil ihrer Privatarmeen unter ihrem Kommando. Die Demobilisierungsprogramme versanken im Chaos. Unzählige Kämpfer liessen sich offiziell demobilisiern, kassierten die 110 Dollar Wiedereingliederungshilfe – und schlossen sich postwendend der nächsten Miliz an. Die bislang ausgebildeten Brigaden der kongolesischen Armee sind erbärmlich ausgerüstet, erhalten oft monatelang keinen Sold und terrorisieren in vielen Fällen die Zivilbevölkerung, die sie eigentlich schützen sollen. Von den 30.000 Kindersoldaten sind höchstens 19.000 demobilisiert worden. Mindestens 11.000 marschieren wahrscheinlich immer noch mit Milizen – darunter mehrere tausend Mädchen, die von Kämpfern als „Kriegsbräute“ oder „Kriegsbeute“ mitgeführt werden.
Damit nicht genug: Im Juli 2006 hat die staatliche Demobilisierungsbehörde CONADER, die selbst wahrlich kein Vorbild an Effizienz und Elan ist, aus Geldmangel sämtliche Aufnahmezentren für demobiliserte Soldaten geschlossen. Also just zu jenem Zeitpunkt, als die politischen Spannungen im Kongo durch die Präsidentschaftswahlen wieder spürbar wuchsen.
Inzwischen versuchen UN-Blauhelme und kongolesische Polizei, wenigstens die Hauptstadt Kinshasa zu einer „Stadt ohne Waffen“ zu machen. Aber den paar Kalaschnikows, die sie hin und wieder einsammeln, stehen glaubhafte Gerüchte gegenüber, wonach sich sowohl das Lager von Kabila als auch das von Bemba mit weiteren Schusswaffen eingedeckt haben.
Hilfreich wäre jetzt nicht nur diplomatischer Druck. Den kriegen die beiden Kontrahenten deutliche von allen Seiten zu spüren: Aus Brüssel, aus New York, aus Pretoria. Hilfreich wäre jetzt vor allem eine massive militärische Präsenz von UN und EU. Doch die Blauhelme sind mehrheitlich im Osten des Landes damit beschäftigt, kleinere Rebellengruppen in Schach zu halten. Und ein großer Teil der Kampftruppen der EUFOR hockt immer noch „auf Abruf“ in Gabun, anstatt in Kinshasa Streife zu fahren. Ansonsten spüren die Kinois die Anwesenheit dieser Tage eher auf schmerz- und schreckhafte Weise.
Am Dienstag vergangener Woche stürzte unbemannte Drohne der EUFOR über der Hauptstadt ab, wobei ein Mensch getötet und zwei verletzt wurden. Dann ertönten abends Explosionen aus dem Botschaftsviertel. So mancher Einwohner wähnte sich bereits in der nächsten Runde des Strassenkampfes zwischen Kabila und Bemba. Was war passiert? Dienstag war der 3. Oktober, Tag der deutschen Einheit, den die deutsche Botschaft unbedingt mit einem Feuerwerk feiern musste. Kein Wunder, dass die Kongolesen zunehmend Zweifel an den Absichten und der Kompetenz der Europäer haben.

 

„Ein UN-Protektorat für den Kongo“

Acht Tage lang hatte ich im Juli den parteilosen Parlamentskandidaten Jean-Claude Kibala im kongolesischen Wahlkampf begleitet. Nun, da die unabhängige Wahlkommission endlich auch das Ergebnis der Parlamentswahlen vom 30. Juli veröffentlich hat, steht fest: Kibala hat um rund 2000 Stimmen den Einzug in das Parlament in Kinshasa verfehlt. Über 40 Kandidaten hatten sich in seinem Wahlkreis Mwenga in der Provinz Süd-Kivu um drei Sitze beworben. Kibala ging am Ende auf Platz vier leer aus, was nicht zuletzt seinem Status als Parteiloser geschuldet war. Laut kongolesischem Wahlgesetz können politische Parteien die Wählerstimmen für all ihre Kandidaten auf einen Spitzenreiter vereinen, was Parteilose eindeutig benachteiligt.

Kibala hat die letzten 17 Jahre in Deutschland studiert und als Ingenieur gearbeitet und ist nach den Wahlen wieder nach Troisdorf bei Bonn zurückgekehrt, wo er mit seiner Frau und zwei Kindern lebt. Während seines Wahlkampfs musste er sich mit Hutu-Milizen, korrupten Polizisten, trinkfesten russischen Piloten und am Ende auch noch mit einem schießwütigen Soldaten herumschlagen. Das war, wie das folgende Interview zeigt, offenbar nicht genug, um ihm die Lust an der kongolesischen Politik zu nehmen.

Er resümiert seine Erfahrungen, kommentiert die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Privatmilizen von Joseph Kabila und Jean-Pierre Bemba und die Risiken des 29. Oktober, wenn Kabila und Bemba in einer Stichwahl um das Präsidentenamt gegeneinander antreten sollen.

Herr Kibala, am Ende fehlten ungefähr 2000 Stimmen, um einen der drei Parlamentssitze für Ihren Wahlkreis Mwenga zu gewinnen. Einfach nur Pech – oder hätten Sie einen anderen Wahlkampf führen müssen?

Kibala: Ich bereue die Kandidatur nicht, und für einen parteilosen Kandidaten, der wie ich auch noch von außen kommt, ist es ein gutes Ergebnis. Letztlich hatte ich einfach zu wenig Zeit. Meine Familie ist in Deutschland, und ich musste überhaupt erst das Geld verdienen, um Wahlkampf zu führen. Mein Wahlkampf hat nur zwei Wochen gedauert. Dort wo ich aufgetreten bin, Plakate geklebt, Hände geschüttelt und mit den Menschen geredet habe – also in den größeren Städten wie Kamituga, Mwenga und Kitutu – habe ich sehr gut abgeschnitten. Vergessen Sie nicht: Mein Wahlkreis ist etwa so groß wie das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Es gibt keine brauchbaren Straßen, für eine kurze Strecke von 30 Kilometern braucht man manchmal sechs Stunden mit dem Motorrad. Hätte ich die Zeit gehabt, auch mehrere Dörfer zu besuchen, hätte es vielleicht gereicht.

Wie sehr hat die Sicherheitslage Ihren Wahlkampf erschwert? Am letzten Tag des Wahlkampfs sind Sie ja noch beschossen worden – offenbar von einem betrunkenen Soldaten.

Die Sicherheitslage hat den Wahlkampf klar erschwert. Bei Reisen aus Kamituga in die umliegenden Städte mussten wir ständig aufpassen, um nicht in eine Patrouille der Hutu-Milizen zu geraten. So etwas kostet Zeit und Nerven. Ein Sicherheitsproblem ganz anderer Art waren einige meiner Konkurrenten im Wahlkampf. Die Kongolesen wollen zwar Demokratie, sie haben aber noch nicht akzeptiert, dass man einen Wahlkampf mit Argumenten und nicht mit Drohungen führt.

Sind Sie bedroht worden?

Nicht so, wie man sich das in Deutschland vorstellt. Aber einige meiner Konkurrenten haben traditionelle Dorfchefs aufgestachelt, mich zu verhexen …

Und was ist passiert?

(Lacht) Nichts, aber ich bekam Streit mit meinem Bruder, einem Arzt, der auch zu meinem Wahlkampfteam gehörte. Offensichtlich hatte ein Dorfchef von einem meiner Gegenkandidaten den Auftrag erhalten, mich zu verhexen. Ich hatte in Kitutu, einer Stadt in meinem Wahlkreis, den Bau einer Brücke vorgeschlagen, um den Verkehr über den Fluss zu erleichtern. Der läuft bislang über eine Fähre, an der einige Leute gut verdienen. Also hat ihnen die Idee mit der Brücke nicht gepasst. Beim Besuch in Kitutu warnte mich mein Bruder nun eindringlich, dem Dorfchef ja nicht als Erster die Hand zu schütteln, weil der mich sonst verhexen würde. Ich habe gesagt: „Was soll das? Du bist Arzt, du hast gelernt, wissenschaftlich zu denken. So was kannst du doch nicht glauben.“ Aber bei der Ankunft am Fluss hat er sich dann zwischen den Dorfchef und mich geworfen, um ihn als Erster zu begrüßen und jede mögliche Hexerei von mir abzulenken …

… was immerhin von großer Hingabe zeugt …

… Das schon. Und mein Bruder war auch ein paar Stunden ziemlich bedrückt, weil er meinte, es hätte nun ihn erwischt. Passiert ist gar nichts. Nur unsere Motorräder hatten am selben Tag noch zwei Pannen, womit für meine Begleiter natürlich klar war: Der Hexer hatte zugeschlagen, aber eben nur die Maschinen und nicht die Menschen erwischt.

Der gut organisierte und ruhige Ablauf des Wahltags am 30. Juli wurde schnell überschattet von den blutigen Kämpfen zwischen der Präsidentengarde von Joseph Kabila und bewaffneten Anhängern seines Rivalen Jean Pierre Bemba. War das vorauszusehen?

Bemba hatte schon während des Wahlkampfs die Stimmung enorm aufgeheizt. Und Kabilas Fraktion war sich aufgrund ihrer unangefochtenen Popularität im Osten des Landes ihrer Sache offenbar zu sicher. Als die Wahlkommission dann am 20. August das vorläufige Ergebnis der Präsidentschaftswahlen verkündete, hatte Bemba nach meinen Informationen seine Trupps bereits in Stellung gebracht für den Fall, dass Kabila schon nach dem ersten Wahlgang als Sieger feststünde. Hätte Kabila im ersten Wahlgang tatsächlich die absolute Mehrheit bekommen, hätten wir jetzt womöglich wieder Krieg. Weil es aber eine Stichwahl geben wird, ist erst mal wieder Ruhe.

Haben auch die UN und EU die Lage falsch eingeschätzt?

Es war jedenfalls ein Fehler zuzulassen, dass die beiden größten Rivalen so viele bewaffnete Männer an ihrer Seite behalten durften. Man hätte noch vor Wahlkampfbeginn mit einer Demilitarisierung in Kinshasa beginnen und anbieten müssen, dass die Präsidentschaftskandidaten von der UN geschützt werden.

Droht also eine neue Eskalation nach dem zweiten Wahlgang am 29. Oktober, wenn der Verlierer endgültig feststeht?

Schwer zu sagen, denn ich weiß nicht, wie sehr und wie effektiv derzeit von der internationalen Gemeinschaft Druck auf Bemba und Kabila ausgeübt wird. Ich habe auch schon von Vorschlägen gelesen, den Kongo für die nächsten fünf Jahre unter UN-Protektorat zu stellen und in dieser Zeit erste demokratische Strukturen auf dezentraler Ebene, also in den Provinzen, aufzubauen. Angesichts des politischen Personals in Kinshasa glaube ich manchmal, das wäre das Beste, was den Kongolesen passieren könnte. Jedenfalls kommt jetzt auch eine enorme Verantwortung auf das Parlament zu, die bereits geplante Dezentralisierung und Reform der Provinzen voranzutreiben. Denn die Fixierung auf Kinshasa als Zentrum der politischen Macht und der Pfründe ist gefährlich.

Nach dem vorläufigen Ergebnis der Parlamentswahlen wird weder die Parteien-Allianz um Kabila noch jene um Bemba eine absolute Mehrheit haben. Ist das eine Chance oder eine Gefahr für die Entwicklung einer Demokratie im Kongo?

Einerseits ist es gut, weil damit klar ist, dass kein „starker Präsident“ die kongolesische Politik dominieren kann. Andererseits werden wir damit auch keine stabile Regierung haben, sondern wahrscheinlich eine Serie von Regierungsumbildungen.
Was das Risiko erneuter Gewalt nach dem zweiten Wahlgang betrifft, so liegt hier aber auch eine Chance: Sollte es einem der beiden Kandidaten noch vor dem 29. Oktober gelingen, unter den Parlamentariern eine Mehrheit für einen Premierminister zusammenzubringen, dann könnte man die Spannungen und das Gewaltpotenzial dieser Stichwahl womöglich deutlich reduzieren. Dann wäre vorab schon klar, wer zunächst einmal regieren wird – und die Stichwahl würde unter sehr viel weniger Druck stattfinden.

Langfristig hängt die politische Entwicklung im Kongo davon ab, ob sich die politische Klasse im Land ändert oder nicht. Wenn unter Politik weiterhin nur die Beteiligung an Pfründen, das Verschachern von Rohstoffen und die Nähe zur Macht verstanden wird, dann bleibt eh alles, wie es ist. Wenn sich langsam eine Politikergeneration heranbildet, die zum Beispiel begreift, wie wichtig die Rolle einer Opposition ist, dann kann sich etwas ändern.

Was sollte Ihrer Meinung nun die Internationale Staatengemeinschaft tun?

Ich sage Ihnen, was sie nicht tun soll: In der kongolesischen Presse werden angebliche Vorschläge westlicher Diplomaten kolportiert, wonach der Gewinner der Stichwahl dem Verlierer eine Regierungsbeteiligung zusichern soll. Gewissermaßen zur Befriedung. Was soll das? Wozu dann nochmal 46 Millionen Dollar für eine Stichwahl ausgeben? Ein solcher Kuhhandel würde bei den Kongolesen große Enttäuschung und Verbitterung auslösen.

Planen Sie einen neuen Anlauf in die Politik?

Ich möchte in den Kongo zurück. Und ich möchte politisch eingreifen. Wahrscheinlich werde ich mich in meiner Heimatprovinz Süd-Kivu um ein politisches Amt bewerben.

Was sagt Ihre Familie dazu?

Uhhhh … (längere Pause) Da ich ja nicht ins Parlament gewählt wurde, werde ich auch nicht gezwungen sein, zwischen Süd-Kivu und Kinshasa zu pendeln. Das macht die Aussicht auf einen Umzug leichter, weil wir uns als Familie dann gemeinsam in Süd-Kivu niederlassen würden.

 

Eisige Ruhe

Es wird – bis auf weiteres – nicht mehr geschossen in Kinshasa. Sagt Monsieur Vicky, mein Taxifahrer, am Telefon. Letzterer hat aufgehört zu beten, was er in unruhigen Zeiten in Kinshasa immer tut, „weil alles andere ja nicht hilft“. Drei Tage hat er sich wie fast alle unbewafffneten Bewohner Kinshasas zuhause eingeschlossen. “Madame“, sagt er, „sowas kann sich unsereins nicht leisten.“ Also fährt er wieder durch Gombe, dem Diplomaten-und Regierungsviertel, wo von Sonntag bis Montag die Kämpfe tobten. Inzwischen hat man die Leichen von den Strassen geholt, die Anwohner bessern zerschossene Scheiben aus, inspizieren die Einschusslöcher und in böser Vorahnung das Aufgebot an Feuerkraft, das jetzt überall herumsteht. Der am Dienstag vereinbarte Waffenstillstand zwischen den Herren Kabila und Bemba hält zwar vorerst an, doch in Kinshasas Strassen patrouillieren nicht nur EUFOR, UN-Blauhelme und kongolesische Polizei, sondern auch, in voller Montur, die Kampfparteien: Kabilas Präsidentengarde (zu erkennen an roten Mützen) und Bembas Truppe (zu erkennen an roten Halstüchern). Nach Deeskalation und „Normalisierung“ sieht das nicht aus.

Wer den ersten Schuss abgegeben hat, wird sich womöglich nie rekonstruieren lassen. Fest steht nur soviel: Die Sympathiebekundungen westlicher Diplomaten für Joseph Kabila haben sich als böse Fehleinschätzung erwiesen. Erstens hat man seine Unbeliebtheit im Westen des Landes unterschätzt. Im kriegszerrütteten Osten mag er als der Mann gelten, der den Frieden gebracht hat. In Kinshasa gilt er als Gallionsfigur der „Katanga Boys“, einer Machtclique aus der rohstoffreichsten Provinz, die Millionen in die eigene Taschen gewirtschaftet hat, während die Hauptstadt weiter vor sich hinrottet.

Aber so wurde Kabila in den Augen der Kinois zum „Mann des Auslands“ – und damit auch zur Zielscheibe seiner Propaganda, wonach Kabila von UN und EU samt ihrer Soldaten ins Amt gehoben werden soll. Mit dieser Kampagne hat er im ersten Durchgang 20 Prozent erhalten und, wichtiger noch, Kabila um die absolute Mehrheit gebracht.

Der wiederum wollte anfang der Woche in Kinshasa offenbar ein Exempel statuieren und Bembas Truppen entwaffnen. Das eskalierte am vorigen Montag zu jener Schlacht, in deren Verlauf Bembas Residenz unter Artilleriebeschuss geriet – just in dem Moment, als sich dort 14 Botschafter und der Chef der UN-Mission aufhielten, um die Kämpfe zu stoppen. Kofi Annan musste in New York zum Telefon greifen und Kabila auffordern, seine Präsidentengarde zurückzupfeifen.

Die Folge: ausgerechnet Bemba, dem der Ruch des Kriegsverbrechers anhängt, wird nun von Blauhelmen geschützt; Kabila wiederum dürfte seine Siegeschancen im zweiten Wahlgang drastisch reduziert haben. Schon seit Monaten kursiert im Kongo ein Kürzel für die Koalition, die sich vor dem zweiten Wahlgang gegen den amtierenden Präsidenten bilden soll: TSK – „Tous sauf Kabila, alle außer Kabila“. Das wird vermutlich der Schlachtruf der nächsten Wochen.

Bloß mag man sich die Stichwahl, so sie denn stattfindet, lieber gar nicht vorstellen. Beide Seiten haben ihre Gewaltbereitschaft hinreichend demonstriert und sind offenbar nicht gewillt, eine Niederlage zu akzeptieren. Kabila, kann auf 10.000 bis 15.000 Gardisten zurückgreifen, Bemba auf eine zur Privatarmee hochgerüstete „Leibwache“ – und auf tausende von jungen, männlichen Anhängern in den Armenvierteln von Kinshasa, die er per Flugzettel, Radio und Fernsehen in den letzten Wochen gehörig aufgeheizt hat.

Wie immer im Kongo läuft auch dieser Konflikt natürlich nicht ohne ausländische Hintermänner ab: Bemba, dessen Rebellengruppe einst von Uganda finanziert und hochgerüstet wurde, dürfte immer noch gute Drähte nach Kampala haben. Kabila wiederum ist der erklärte Favorit Angolas, das sich in der Gegend als Regionalmacht versteht, Militärausbilder in den Kongo geschickt hat und einigen Einfluss in der Präsidentengarde besitzt. Für die Petro-Kleptokraten in Luanda ist Joseph Kabila Garant für ungehinderten Zugang zu den reichen Rohstoffvorkommen des Kongo.

Wie es jetzt weitergehen wird, weiss niemand so recht. Die UN versucht bislang ohne Erfolg, Kabila und Bemba an den Verhandlungstisch zu zwingen. Ihre Kampftruppen zu entwaffnen, ist vermutlich ein aussichtloses, weil zu gefährliches Unterfangen. Vielleicht kann man ihnen zumindest einen Teilabzug ihrer Kämpfer aus der Hauptstadt abhandeln. MONUC wird Einheiten aus dem Osten nach Kinshasa verlegen, EUFOR wohl bis nächstes Jahr bleiben müssen – und zwar mit Verstärkung und robusterem Mandat. Und den beiden Präsidentschaftsanwärtern, die sich anschicken, die Zukunft ihres Landes in Grund und Boden zu schießen, könnte man wenigstens mit Sanktionen drohen, mit Sperrung ihrer Konten, Einreiseverbot in Europa und den USA.
„Das sind ganz miese Zeiten“, hat Freddy Tsimba in einer e-mail geschrieben. Freddy Tsimba, das ist der Bildhauer aus Kinshasa, der Skulpturen aus Munitionsresten zusammenschweißt. Um Patronenhülsen zu sammeln, muss er jetzt nicht mehr nach Kisangani ins ehemalige Kriegsgebiet fahren. Die findet er seit dieser Woche auch in den Strassen von Kinshasa. „Ich habe einen ganzen Sack gesammelt. Es hört einfach nie auf.“

 

Bemba, Kabila und Jesus

Es ist nicht klar, wie viele Parlamente es in Kinshasa gibt. Da ist natürlich das offizielle Parlamant, in dem, wenn alles gut geht, demnächst 500 gewählte Abgeordnete Platz nehmen werden. Aber noch wird gezählt und gerechnet und bis dahin tagen umso lauter die „parlements debouts“, die „Parlamente ohne Sitze“. Das sind Debattier- und Streitclubs unter freiem Himmel, wo die Kinois zwischen Schlammpfützen und kokelnden Abfallhaufen in dichten Menschentrauben die neusten politischen Ereignisse diskutieren. Wie zum Beispiel im Stadtteil Matonge am Place de la Victoire, gleich neben einer schrottreifen Tankstelle.
Genauer gesagt: die Männer diskutieren. Sie beschwören mit theatralischen Gesten und anschwellenden Halsadern abwechselnd Untergang und Auferstehung ihres Landes, beschimpfen mal den kongolesischen Präsidenten, mal die Vereinten Nationen, mal die Stadtverwaltung, weil diese weder etwas gegen den Straßenmüll unternehme noch gegen die nigerianischen Immigranten, die in Matonge den Handel mit Autoreifen monopolisiert haben. „Wir sind die Stimme des Volkes“ sagen die „Parlamentarier ohne Sitze“.
„Wo sind dann die Frauen“, möchte ich wissen und ernte verblüffte Blicke. Welch dumme Frage. Wo sollen sie schon sein:
„Auf dem Markt, Maniok verkaufen.“
„Daheim mit den Kindern. Sie näht für die Nachbarn.“
„Auf dem Feld, Essen organisieren“ (Es gibt auf dem Brachland der Stadt kommunale Gärten, in denen Obst und Gemüse angebaut wird)
„Ihre Frauen verdienen also Geld und Sie reden den ganzen Tag über Politik?“
Jetzt werden die Blicke empört. „Aber Madame, es gibt doch keine Arbeit in dieser Stadt…“ Und schon sind sie mitten in der nächsten Tirade gegen die korrupte Regierung, die satten, faulen internationalen Helfer, den unfähigen Bürgermeister.
Das „parlement debout“ in Matonge am Place de la Victoire ist fest in der Hand von Anhängern des Präsidentschaftskandidaten Jean-Pierre Bemba. Sympathisanten von Etienne Tshisekedi, dem ewigen Oppositionellen der kongolesischen Politik, sind ebenfalls willkommen. Anhänger des amtierenden Präsidenten Kabila sollten sich besser nicht blicken lassen. Was ausländische Journalisten betrifft, so schätzt die „Stimme des Volkes“ in Matonge weder Belgier noch Franzosen, deren Regierungen als Kabila-freundlich verschrieen sind. Die Auskunft, aus Deutschland zu kommen, wirkt hingegen deeskalierend. „Kein Problem, Madame, wir haben ja nichts gegen Weiße. Aber Sie müssen folgendes schreiben: Wir wissen längst, dass Bemba gesiegt hat“, sagt ihr Wortführer und reicht mir einen Zettel mit den handgeschriebenen Ergebnissen aus den Wahllokalen von Matonge, in denen Bemba angeblich mit zwei Dritteln aller Stimmen gewonnen hat. Nur besteht der Kongo eben nicht nur aus Matonge. „Und wenn Kabila die Wahl stiehlt und Europa ihm dabei hilft, dann erobern wir die Straße, dann gibt es wieder Gewalt. Und Europa ist dann schuld. Das müssen Sie schreiben, Madame. Und dann dürfen Sie es zuhause nicht wegwerfen, sondern müssen es auch veröffentlichen.“ Was hiermit geschehen ist.
Im Kongo hat sich nun wirklich keiner der aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten als Lichtgestalt präsentiert. Entweder haben sie als ehemalige Kriegsherren Blut an den Händen, oder als Teil des „Großgemüses“, wie die Kinois die Elite des Landes nennen, die Arme bis zu den Ellbogen in der Staatskasse. Oder auch beides.
Jean-Pierre Bemba, Sohn eines Mobutu-Ministers, Vize-Präsident der Übergangsregierung und ehemaliger Kriegsherr, dessen Truppen alle möglichen Verbrechen bis hin zu Kannibalismus vorgeworfen werden, wirft aber besonders finstere Schatten, weshalb mich seine Popularität in Kinshasa wundert. Also wage ich in der Menge verschwitzter Möchtegern-Politiker einen zaghaften Einwand:
„Man sagt, Bembas Kämpfer hätten während des Krieges besonders schlimme Verbrechen begangen…“
„Krieg ist Krieg,“ antwortet „die Stimme des Volkes“. „Da muss man Härte zeigen. Alle anderen waren genauso schlimm.“
Also ein zweiter Versuch:
„Manche sagen auch, Bemba habe sich in der Übergangzeit bereichert und das Volk bestohlen…“
Jetzt reagiert die „Stimme des Volkes“ eher nachsichtig als aggressiv: „Madame, da hat man Sie belogen. Bemba ist für die kleinen Leute. Er arbeitet hart, er ist ein echter Kongolese, ein richtiger Kerl….“ Von allen Seiten prasseln jetzt die Vorzüge dieses Mannes auf mich ein, die ganz offenbar viel mit seiner Körpergröße, seinem massigen Körper und seinem Jähzorn zu tun haben. In den Augen der „Parlamentarier“ von Matonge ist Bemba ein „echter Kerl“ und Führer – im Gegensatz zu dem kleineren, ewig schläfrig dreinblickenden Kabila, der hier als tumber Handlanger ausländischer Mächte verachtet wird.
„Sehen Sie Madame, das ist unser Zeichen,“ sagt einer und deutet auf das Wahlkampf-T-Shirt seines Nachbarn. „Mit Gott werden wir siegen“, heisst es da über einer schwarzen Ameise. „Ameisen können Armeen bilden. Sie können Gigantisches leisten…“ Mir reicht diese Kostprobe des kongolesischen Freiluft-Parlamentarismus. Ich bedanke mich für das Gespräch. Die „Parlamentarier ohne Sitze“ bahnen mir mit formvollendeter Höflichkeit einen Weg durch Schlamm und Müll. Hinter mir schwillt sofort wieder das dramatisches Geschrei der Redner an – jetzt nicht mehr auf Französisch, sondern auf Lingala. Ich kann nur drei Worte heraushören: „Bemba“, „Kabila“ und „Jesus“.

 

Alles ist möglich

Endlich der Morgen der Wahlen: so ruhig und entspannt habe ich die Strassen von Kinshasa noch nie erlebt. Es herrscht kaum Autoverkehr, die Menschen sind meist zu Fuß in die Wahllokale gekommen. Erster Stopp auf meiner Route durch die Stadt ist an diesem Morgen das „Institute Georges Simenon“ im Bezirk Kasa Vubu, eine für kongolesische Verhältnisse recht intakte Schule mit Asterix-Bildern statt Schimmel an den Wänden. 15 Wahllokale hat man hier aufgebaut: je vier große Kabinen aus Pappe, eine orangefarbene Urne für die Stimmzettel mit den Präsidentschaftskandidaten, eine weiße Urne für die Stimmzettel zur Parlamentswahl. Alles läuft geordnet und ruhig. Die Polizisten am Eingang müssen Höflichkeitspillen geschluckt haben. Keiner brüllt, droht, schubst oder schlägt. Im Gegenteil: sie regeln den Zustrom der Menschen ausgesprochen freundlich.

Das gleiche Bild in Matonge im „Lycee Technique de Kalamu“, wo elf Wahllokale untergebracht sind. Büro 1132/G befindet sich in einem Klassenzimmer mit eingeschlagenen Fensterscheiben und schimmeligen Wänden. An der Tafel stehen noch die Fragen der letzten Unterrichtsstunde: „Was ist das wichtigste Buch des Islam?“ „Wie heißt der Gott der Muslime?“

Heute amtiert hier in der orangenen Weste der „Unabhängigen Wahlkommission“ Joseph Muhindo als „Präsident des Wahllokals“ und erklärt jedem einzelnen Wähler die gesamte Prozedur, um ihn dann mit den tapetenschweren Wahlzetteln in die Pappkabine zu schicken. Sein „Wahlbüro-Sekretär“ Yvon Kassaka mahnt freundlich all jene zur Eile, die etwas hilflos über den fünf plakatgroßen Seiten mit den Namen und Passfotos von 719 Parlamentskandidaten grübeln oder ihr mühsam zusammengefaltetes Wahlzettelpaket nicht allein in die Urne stopfen können. Dann nimmt Madame Dada Kalata, „zweite Assessorin des Wahllokals“, noch den Fingerabdruck des Wählers und taucht den Daumen in nicht abwaschbare Tinte.

Gleich neben dem „Lycee Technique“ befindet sich die Kirche des Erweckungspredigers und Kabila-Freundes „General Sony Kafuto Rockman“, die bei den Unruhen am letzten Donnerstag wahrscheinlich von Anhängern Jean-Pierre Bembas geplündert worden ist. Angeblich hätten diese in der Kirche Waffen und jede Menge Wählerkarten gefunden. Wie immer im Kongo gilt auch für dieses Gerücht: Nichts glauben und alles für möglich halten.

Jedenfalls ist heute nichts, absolut nichts, von der gespannten Atmosphäre jenes Donnerstages zu merken. Fast alle Geschäfte haben geschlossen, der Zentralmarkt ist verwaist, nur die „Ghaddafis“, die fliegenden Benzinhändler, die Verkäufer von Handykarten, ein paar Kneipen und Imbissbuden haben geöffnet. Wer gewählt hat, flaniert mit Freunden zwischen den kokelnden Müllhaufen und Straßenständen, gönnt sich ein Primus-Bier, Fleischspieße oder Maniok.

Jeder Wahlbeobachter, jeder Journalist – egal ob aus Sambia, Deutschland oder Südafrika – wird freundlichst begrüßt, selbst in Massina und Ndjili, den größten Slums der Stadt, wo man auf Fremde nicht immer freundlich reagiert. „Madame, wir zählen auf Euch“, sagt ein Wähler, nachdem er meinen Presseausweis entziffert hat. „Ihr müsst aufpassen, dass sie uns nicht wieder bescheißen.“ Sie- das sind fast alle Köpfe auf der Liste der Präsidentschaftskandidaten. So begeistert die Kongolesen an dieser Wahl teilnehmen, so nüchtern ist ihre Meinung über das politische Personal, das ihnen zur Auswahl steht.

Nächste Station: ein Wahlbüro, in Kisambeke am Rande von Kinshasa. „Madame Commissaire“, Nene Luamba, eine 45-jährige Polizistin, leitet hier den Polizeieinsatz, der für sie in einen gemütlichen Nachmittag mündet, „weil das hier ein anständiges Viertel ist und niemand Ärger macht.“ Polizisten dürfen ebenso wie Soldaten nicht wählen, was angesichts der unrühmlichen Geschichte dieser beiden Institutionen im Kongo eine weise Beschränkung ist. Ihre Freundin Maman Zola, arbeitslos und sechsfache Mutter, darf hingegen abstimmen und kümmert sich wenig um das Wahlgeheimnis: „Kabila, wer sonst. Ich hoffe, der schafft Arbeit. Mein Mann verdient nichts und tut nichts. Ich organisiere von morgens bis abends, verkaufe hier ein paar Getränke und nähe da ein paar Kleider. Es reicht hinten und vorne nicht. Also: Arbeit für die Männer. Die Frauen brauchen mal eine Pause. Wissen Sie überhaupt, wie müde ich bin?“

17 Uhr, die Wahllokale schließen. Ich hatte Schlangen von ungeduldigen Menschen erwartet, die noch eingelassen werden wollen: nichts da. Alles ruhig. Die Wahlhelfer haben sich mitsamt Beobachtern eingeschlossen und mit dem Auszählen der Stimmen begonnen. Das große Warten auf das Ergebnis beginnt.

Zwischendurch ruft Jean Claude Kibala an und meldet den letzten Stand der Dinge aus Kamituga: ein Besoffener, so die Polizei, soll am Freitag auf der Kundgebung geschossen haben. Wenn das stimmt, muss er die Schüsse wenigstens nicht persönlich nehmen. Inzwischen wirkt er eher wütend als ängstlich oder besorgt. Er fürchtet, dass die vielen Analphabeten in seinem Wahlbezirk von nicht-autorisierten „Helfern“ bei der Stimmabgabe manipuliert worden sind.

Anderswo werden größere Probleme gemeldet: In Mbuji-Mayi, einer Hochburg des Oppositionsführers Etienne Tshisekedi, der die Wahlen boykottiert hat, wurden sieben Wahllokale angezündet, aber das kann bis zum frühen Abend die Feierstimmung in Kinshasa nicht trüben. Und es erscheint ja tatsächlich wie ein Wunder: Keines der worst-case-Szenarien ist bislang eingetreten – auch nicht im Osten des Landes, wo immer noch Milizen operieren.

Es reicht für heute, ich fahre auf dem Boulevard Lumumba zurück Richtung Innenstadt, bin selbst in Feierlaune. Auf der Gegenfahrbahn kommen Lastwagen mit Polizisten in Kampfausrüstung und Gasmasken entgegen. Es soll Straßenschlachten in einem der Armenviertel geben – ein Kabila-Anhänger soll versucht haben, Wähler zu bestechen, worauf diese sein Haus in Brand gesetzt haben sollen. So schnell bricht der reine Friede eben doch nicht aus.