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Zu kurz gesprungen

 

Ohne Sicherheit kein Wiederaufbau – auf dieser Einsicht beruht die „neue“ Afghanistan-Strategie der Nato.  Darum wird sie jetzt mehr Soldaten schicken, mehr Ausbilder und mehr Geld. Das ist nicht neu.  Seit Beginn des Einsatzes in Afghanistan im Herbst 2001 wird gesagt : Die Afghanen brauchen vor allem Sicherheit, um ihr Land wieder aufbauen zu können. Und seit Beginn des Einsatzes war die Antwort immer dieselbe: mehr Soldaten, mehr Ausbilder, mehr Geld. Die Nato wird bald 120.000 Soldaten in Afghanistan stationiert haben. Begonnen hat sie mit ein paar tausend. Sicherer ist das Land deshalb nicht geworden. Warum soll also jetzt funktionieren, was acht Jahre lang nicht funktioniert hat?

Weil man, so die Antwort, endlich begriffen habe, dass man nur mit den Afghanen und nicht gegen sie das Ziel erreichen könne. Deshalb soll es keine Luftangriffe mehr geben, deshalb sollen mehr Soldaten engeren Kontakt mit der Bevölkerung garantieren und ihr Vertrauen gewinnen. Das klingt gut, doch fußt die ganze Strategie auf einen zu engen Sicherheitsbegriff.

In den Augen der Nato sind die Afghanen sicher, wenn sie nicht von Nato-Flugzeugen bombardiert oder von Taliban terrorisiert werden.  Das trifft sicherlich zu. Doch die Reaktionen auf den Luftangriff von Kundus haben gezeigt, dass für Afghanen Bomben nicht per se schlecht sind. Die Empörung über die Toten von Kundus war in Deutschland zu Recht groß, doch unter den Afghanen gab es viele, die meinten, solange es die richtigen –nämlich die Taliban – treffe, sei gegen ein Bombardement nichts einzuwenden.

Luftangriffe bei denen Zivilisten ums Leben kommen hat es in den vergangenen Jahren viele gegeben. Sie haben dem Ansehen der Nato enorm geschadet. Keine Frage. Doch für viele Afghanen spielen Nato–Bombardements in ihrem Alltagsleben keine große Rolle. Natürlich fühlen sie sich sicherer, wenn es keine gibt. Doch ihr Gefühl ungeschützt zu sein, speist sich aus einer ganz andern Quelle: der allgegenwärtigen Korruption.  Tatsächlich werden Afghanen auf Schritt und Tritt von den Vertretern ihrer Regierung ausgenommen.  Wann auch immer sie in Kontakt mit dem Staatsapparat treten, müssen sie Schmiergelder zahlen.  Für das, was den Afghanen geschieht, ist Korruption nicht das richtige Wort. Man sollte von systematischer Räuberei reden.  Niemand schützt sie davor. Auch nicht die Nato – im Gegenteil, sie stützt nach Kräften eine korrupte Regierung.  Wie sollen die Afghanen den Beteuerungen aus den Staatskanzleien des Westens glauben?

Natürlich, Korruption kann man nicht über Nacht beseitigen. Es ist eine langwierige, schwierige Aufgabe mit ungewissem Ausgang. Doch es ist eine Sache, diesen Kampf zu verlieren, es ist eine andere Sache, ihn gar nicht geführt zu haben. Die Nato muss sich vorwerfen lassen, es gar  nicht einmal versucht zu haben.