Es ist leicht einen Krieg zu beginnen und sehr schwer ihn wieder zu beenden. Das gilt auch für Libyen — der Westen wird es noch erfahren. Dieser hat sich dazu entschlossen, die libyschen Rebellen militärisch zu unterstützen. Doch die Interventionisten unter uns lassen eine Reihe von Fragen unbeantwortet. Hier sind fünf davon.
Was ist, wenn die Flugverbotszone nicht funktioniert?
Der gesamte Einsatz beruht offiziell auf dem Gedanken, dass man Diktator Muammar al-Gadhafi in den Arm fallen muss. Deshalb hat die UN eine Flugverbotszone eingerichtet. Sie soll die Rebellen vor Gadhafis Kampfflugzeugen schützen. Doch was geschieht, wenn Gadhafi auch ohne seine Kampfflugzeuge die Rebellenhauptstadt Bengasi erobert? Eine Flugverbotszone allein wird dann ein Massaker nicht verhindern können. Wird man aus der Luft zuschauen? Wird man Bengasi bombardieren, eine dicht bevölkert Stadt? Oder wird man dann nicht doch Bodentruppen schicken müssen?
Auch wenn das von der UN–Resolution ausdrücklich ausgeschlossen wird, läge es in der Logik der Begründung des Militäreinsatzes gegen Libyen — Schutz der Menschen vor einem Diktator. Wenn Kampfflugzeuge es allein nicht schaffen, dann müssen es eben Infanteristen tun. Libyen könnte so zu einem neuen Afghanistan werden.
Was geschieht, wenn die Rebellen gewinnen und ein Massaker anrichten?
Die Aufständischen sind gegen Muammar al-Gadhafi. Viel mehr wissen wir über sie nicht. Das liegt zum Teil in der Natur der Sache, doch wird diese Unübersichtlichkeit in dem Moment, da man militärisch interveniert, zu einem großen Problem. Sicher ist, dass der Aufstand in Libyen – im Gegensatz zu den Rebellionen in Tunesien und Ägypten – von Beginn an kriegerisch war. Das ist gewiss Gadhafis Schuld. Doch ändert es nichts daran, dass wir es mit einem Bürgerkrieg oder vielleicht einem Stammeskrieg zu tun haben. Genau wissen wir es nicht. Doch ist es denkbar, dass die Rebellen bei einem Sieg an Gadhafis Anhängern blutig Rache nehmen werden.
Niemand kann garantieren, dass es nicht zu Massakern in Tripolis kommen wird, wenn die Rebellen die Stadt einnehmen. Wie wird sich die UN dann verhalten? Eine Resolution verabschieden, die diese Libyer schützt? Was wird die Nato tun? Zugunsten von Gadhafis Anhängern intervenieren?
Das klingt wie eine Denunziation. Aber es soll daran erinnert werden, dass wir ein solches Szenario bereits einmal erlebt haben: im Kosovo 1999. Damals intervenierte die Nato, um die Kosovaren vor dem serbischen Autokraten Milosevic zu schützen. Kaum waren die Serben geschlagen, gingen die Kosovaren unter der Führung der Kosovarischen Befreiungsarmee (UCK) daran, die Serben aus dem Land zu vertreiben. Die Nato, die als Beschützer der Menschenrechte gekommen war, schaute tatenlos zu. Nebenbei gesagt: Es stellte sich bald heraus, dass die UCK eine von der Mafia durchsetzte Organisation war.
Und es soll auch daran erinnert werden, dass der Westen schon einmal im Namen der Freiheit recht hässliche Figuren unterstützt hatte: Die Mudschahedin in Afghanistan. Sie wurden als Helden der Freiheit mit Geld und Waffen unterstützt, solange sie gegen die Sowjets kämpften. Nachdem die Sowjets geschlagen abzogen, dauerte es nicht lang und die Mudschahedin stürzten das Land in einen fürchterlichen Bürgerkrieg.
Was geschieht bei einem militärischen Patt?
Wenn der Einsatz des Westens zu einem militärischen Patt führt, dann könnte das Land sich in zwei Hälften teilen. Gadhafi würde Tripolis und den Westen des Landes kontrollieren, die Rebellen Bengasi und den Osten. Aber wird ein Diktator Gadhafi tolerierbar, wenn er nur die Hälfte des Landes kontrolliert und sich ansonsten „ruhig“ verhält? Wird man ihn nicht dauernd „überwachen“ müssen? Oder wird man nicht doch versuchen müssen, ihn endgültig zu vertreiben? Und wenn die Rebellen das nicht allein schaffen, wer dann? Der Westen und seine militärischen Fähigkeiten wären wieder gefragt. Er würde tiefer in den libyschen Konflikt hineingezogen
Was ist, wenn Libyen in Anarchie zerfällt?
Libyen könnte zerfallen wie Afghanistan zwischen 1992 und 1996. Die Folge wäre ein schwarzes Loch, in dem sich extremistische Kräfte frei bewegen können, so wie das in Afghanistan der Fall war. Wird Europa mit einem solchen Land in seiner unmittelbaren Nachbarschaft leben können? Wahrscheinlich nicht. Sehr bald wird sich die Frage stellen, wer denn Libyen wieder aufbaut. Der Westen, der heute nur eine Flugverbotszone durchsetzen will, könnte schnell zum Nationbuilder werden müssen. Was das bedeutet und wie gut er das kann, zeigt ein Blick auf Afghanistan, wo der Westen 140.000 Soldaten stehen hat.
Wer ist eigentlich für diesen Krieg?
Nicht einmal auf diese Frage gibt es eine klare Antwort. Die 28 Mitglieder der Nato streiten. Die USA sagen ausdrücklich, dass sie keine Führungsrolle übernehmen wollen. Die Deutschen halten sich ganz raus. Das Nato Mitglied Türkei ist gegen eine Flugverbotszone. Von den Mitgliedern der arabischen Liga hat sich die „Großmacht“ Katar entschlossen, vier Flugzeuge zu schicken — sie sind aber noch nicht aufgetaucht. Die Arabische Liga, die angeblich eine „Feuer Frei“ gegeben hat, kritisiert schon am ersten Tag des Bombardements den gesamten Einsatz als „falsch“. Nur der französische Präsidenten Nicolas Sarkozy und der britische Premier David Cameron wollen diesen Krieg unbedingt führen. Eine wahrlich schmalbrüstige Kriegskoalition.
Da es bislang auf diese fünf Fragen keine befriedigenden, klaren Antworten gibt, könnte der Westen seinen Einsatz in Libyen noch bitter bereuen.