Die Amerikaner drohen ihre Beteiligung am Libyen-Krieg „nicht in Wochen, sondern in Tagen“ zu beenden. Warum? Barack Obama wollte diesen Einsatz nicht, aus guten Gründen. Er steckt mitten im Afghanistan-Krieg, im Irak stehen noch US-Soldaten, und auch wegen dieser beiden Kriege hat sein Land in den vergangenen Jahrzehnten den unglaublichen Schuldenberg von 14 Billionen Dollar angehäuft. Nationbuilding will Obama zu Hause betreiben, nicht auch noch in Libyen. Hinzu kommt die Warnung seiner Militärs: „Wir wissen nicht, wie diese Sache enden wird!“, sagte Generalstabschef Mike Mullen über Libyen.
Frankreich gibt sich entschlossen, weil Nicolas Sarkozy auf dem Tiefpunkt seiner Popularität (25 Prozent) versucht, sich als Kriegsherr zu profilieren. Wer schneller schießt, der wird auch wieder gewählt — das glaubt Sarkozy offensichtlich. 2012 will er es wieder schaffen.
Deutschland hält sich raus. Dafür wird die Regierung viel gescholten. Ihr werden bei der Entscheidung, sich nicht an der Intervention zu beteiligen, vor allem innenpolitischen Motive unterstellt. Ein richtiger Vorwurf? Mag sein, doch trifft er alle anderen auch, Frankreichs Regierung vorneweg. Außerdem: Deutschland ist mit seiner Abstinenz nicht allein, Brasilien — allseits gefeierte und gelobte Demokratie und aufsteigenden Supermacht – enthielt sich der Stimme.
Doch auch Nato-Bündnispartner Italien, dessen Premier Silvio Berlusconi ein intimer Gadhafi-Freund ist, will nicht richtig mitziehen. Es schickt zwar Bomber, aber bombardieren tun sie nicht. Diese Gesellschaft – und die Chinas, Indiens und Russlands — macht die deutsche Position weder richtiger noch falscher, doch nimmt sie Deutschland etwas von seiner Einsamkeit.
Warum gibt es eine Intervention in Libyen – aber Zustimmung zur Repression in Bahrain?
Im kleinen Scheichtum am Persischen Golf gab es in den letzten Wochen massive Demonstrationen. Die Protestler forderten dasselbe wie Millionen Menschen in den arabischen Staaten: Reformen und Demokratie. Der Scheich reagierte mit harter Repression. Der saudische König schickte 1000 Soldaten zur Unterstützung. Und was macht der Westen? Wenn er nicht schweigt, dann findet er zustimmende Worte. Der engste außenpolitische Berater der EU–Außenbeauftragen Catherine Ashton, Robert Cooper, signalisierte sogar Verständnis für die blutige Niederschlagung der Demonstrationen, die 21 Menschen das Leben kostete.
Das ist nur dadurch zu erklären, dass der Westen mit doppelten Standards misst. Freilich, es ist eine Doppelmoral mit Gründen: In Bahrain befindet sich das Hauptquartier der Fünften Amerikanischen Flotte, der wichtigste Militärstützpunkt der USA im Nahen Osten. Die Bevölkerungsmehrheit Bahrains sind Schiiten, die Mehrheit der Demonstranten sind Schiiten. Auch wenn sie Demokratie und Reformen fordern, werden sie verdächtigt, die Sache des schiitischen Iran zu vertreten. Und Iran ist für den Westen DER Gegner in der Region. Gleichzeitig ist Saudi Arabien DER Verbündete des Westens gegenüber Teheran. Deswegen schwieg man auch, als die Saudis ihre Soldaten nach Bahrain schickten. Und wegen der Feindschaft zu Iran kauft Riad so viele Waffen wie nie zuvor — das Geschäftsvolumen für 2011: 70 Milliarden Dollar. Auch dazu gibt es keine Kritik, nicht einmal jetzt, da man im Zuge des Krieges in Libyen sieht, wohin es führt, wenn der Westen nahezu bedenken- und rücksichtslos Waffen exportiert.
Warum stimmt die Arabische Liga dem Einsatz zu und lässt gleichzeitig Zweifel über ihre Zustimmung aufkommen?
Die Mitglieder der Arabischen Liga hassen Muammar al-Gadhafi. Er hat sie über Jahre genarrt und verspottet, manchem Staatsoberhaupt sogar nach dem Leben getrachtet. Jetzt können sie ihn loswerden. Doch gleichzeitig sehen sie die Intervention des Westens mit großer Sorge. Je länger die Intervention dauert, desto mehr könnte sie in den Augen vieler Araber als kolonialistischer Feldzug des Westens erscheinen. Doch je kürzer sie ist, desto größer die Gefahr, dass eine Intervention dieser Art als Modell für den Sturz autokratischer Regime dienen könnte. Und solche Regime gibt es in der Arabischen Liga noch genug.
Hat Gadhafi eine Strategie oder ist er wirklich verrückt?
Muammar al-Gadhafi hat die seltene Ehre, dass ihn ein deutscher Bundespräsident öffentlich als Psychopathen abgestempelt hat. Doch selbst wenn die Ferndiagnose von Christian Wulff stimmt, verhält sich Gadhafi im jetzigen Krieg durchaus rational. Er läuft nicht weg (wer sollte ihm auch Asyl bieten?), sondern kämpft hart und gnadenlos um die Macht. Dabei setzt er auf Zeit. Je länger die Intervention dauert, desto schwächer und uneiniger könnte die westliche Kriegskoalition werden, desto unruhiger die „arabische Straße“.
Niemand im Nahen Osten hat Sympathien für Gadhafi. Doch er spekuliert darauf, dass die militärische Intervention des Westens früher oder später zu vielen zivilen Opfern führt — grausame Bilder wären die Folge. Bilder, die den Diktator Gadhafi etwas weniger grausam erscheinen ließen.