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Mladić-Prozess ist eine Chance für dauerhaften Frieden

 

Der Prozess gegen den „Schlächter vom Balkan“ beginnt: Ratko Mladić muss sich ab Mittwoch vor dem Jugoslawien-Tribunal in Den Haag verantworten. Mladić war zwischen 1992 und 1996 Oberbefehlshaber der bosnischen Serben. Diese hatten sich von Bosnien-Herzegowina, das sich 1992 für unabhängig erklärte, abgespalten und eine eigene Republik gegründet, die Republik Srpska. Mladić war ihr militärischer Kopf. Zeitweise kontrollierten die bosnischen Serben fast 90 Prozent von Bosnien-Herzegowina. Die muslimischen Bosniaken wurden aus den eroberten Gebieten zu Hunderttausenden vertrieben, zu Zehntausenden ermordet.

Für immer in Verbindung bleiben wird Mladićs Name vor allem mit dem Massaker von Srebrenica. Im Juli 1995 eroberten seine serbischen Milizen die bosnische Enklave Srebrenica. Dort richteten sie systematisch alle Männer hin, derer sie habhaft werden konnten. 8.000 Bosniaken waren es am Ende. Es war das größte Massaker in der europäischen Nachkriegsgeschichte. Ratko Mladić persönlich soll es befohlen haben. Auf Videoaufnahmen, die um die Welt gehen, ist Mladić zu sehen wie er an Frauen und Kindern von Srebrenica vorbeigeht und ihnen versichert, dass ihnen und ihren Männern nichts Schlimmes geschehen wird. Es war der Gipfel des Zynismus.

Wenn der Prozess eröffnet wird, steht also jener Mann vor Gericht, der unter den Kriegsherren dieser Jahre wohl am meisten Blut an den Händen hat. Noch einmal wird das grausigste Kapitel dieses langen Krieges aufgeschlagen. Das ist notwendig. Denn nur wenn Recht gesprochen wird, hat Versöhnung eine Chance — und damit dauerhafter Friede.

In Den Haag soll die strafrechtliche Verantwortung Mladićs für Srebrenica geklärt werden. Doch wie ein dunkler Geist wird auch die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft für Srebrenica die Verhandlung durchziehen. Die bosnische Enklave nämlich stand unter dem Schutz von UN-Soldaten. Ratko Mladić setzte sich darüber einfach hinweg. Niemand hinderte den Militärchef an seinem Tun, obwohl man ahnen konnte, was geschehen würde.

Im Prozess gegen Mladić wird zudem ein Europa sichtbar werden, das in diesen Jahren vollkommen handlungsunfähig war. Das jahrelang tatenlos zugesehen hat, wie Männer vom Schlage Mladićs ihrem blutigen Handwerk nachgingen.

Der Balkan gehört zu Europa, und es kann diesem Europa nicht egal sein, was dort geschieht. Das hatte man damals nicht begreifen wollen. Jugoslawien erschien als etwas Fernes, Exotisches, Wildes – fernab von Europa. „Der Balkan ist nicht der Knochen eines preußischen Grenadiers wert“ — dieser Spruch des deutschen Kanzlers Bismarck wurde regelmäßig zitiert, als 1992 in Jugoslawien die Schlächterei losging. Er diente als Schutzbehauptung für die eigene schuldhafte Tatenlosigkeit.

Man kann zur Verteidigung Europas anführen, dass es nicht auf diesen Krieg vorbereitet war und dass es mit sich selbst beschäftigt gewesen ist. 1989 fiel die Berliner Mauer, 1991 zerbrach die Sowjetunion, die USA führten im selben Jahr ihren ersten Krieg gegen Saddam Hussein. All das ließ Jugoslawien in den Augen Europas klein und unbedeutend erscheinen. Umso größer waren die Verbrechen, die im Schatten dieser „großen“ Geschichten begangen werden konnten.

Heute – nach mehr als 100.000 Kriegstoten – ist man in Europa klüger. Die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Slowenien ist inzwischen Mitglied der Europäischen Union, Kroatien steht kurz davor, Serbien möchte als nächstes beitreten. Eine der Voraussetzungen dafür war die Auslieferung Mladićs gewesen. Tatsächlich wurde dieser in Serbien verhaftet und an Den Haag weitergegeben. Sein Prozess ist daher auch als ein Schritt zur Integration des Balkan in Europa zu sehen.