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Grillo und die zähmende Kraft des Parlamentes

 

Beppe Grillo lebt von der permanenten Erregung. Daher verstärkt der Führer des Movimento 5 Stelle (M5S) seine Attacken auf das System — wie er es nennt. Er will seinen Zusammenbruch erreichen. Grillo setzt auf Schnelligkeit. Er muss das tun. Denn die revolutionäre Hochstimmung seiner Anhänger wird bald verfliegen. Revolutionäre sind Kurzstreckenläufer. Die lange Strecke ist ihre Sache nicht. Das ist ihre Schwäche.

Der Marathon ist hingegen die Spezialität der viel gescholtenen repräsentativen Demokratie. Sie ist langsam, mühselig, und doch leistet sie das Entscheidende: Sie stellt über viele Verfahren den Konsens her, den eine Gesellschaft benötigt. Dafür braucht es Zeit. Die aber will ihr Grillo nicht lassen, die darf er ihr nicht lassen, wenn er weiter Erfolg haben will. Darum ist der entscheidende Kampf, der im Moment in Italien stattfindet, der Kampf um die Zeit.

Grillos Problem ist, dass sich seine M5S jetzt durch den Wahlsieg im Herzen der Demokratie befindet, im Parlament. Und je länger die Grillini dort sitzen, desto mehr bekommen sie das Eigengewicht und die Struktur dieser Institution zu spüren. Ein Präsident wird gewählt, Fraktionen werden gebildet, Ausschüsse besetzt und vieles mehr. Strukturen aber fürchtet Grillo. Bei ihm ist alles Bewegung. „Wir haben keine Strukturen, Hierarchien, Chefs, Sekretäre“ — das sagt Grillo über den M5S. Es muss alles im Fluss bleiben. Nur dann kann er sich als autoritärer Führer halten.

Grillo will deshalb möglichst bald wieder aus dem Parlament auf die Straße. Er will Neuwahlen und hofft dann seine Truppen soweit verstärken zu können, dass die M5S dem „morschen System“ den Todesstoß versetzen kann. Im Interview mit Time sagte er: „Wir wollen nicht 25, oder 30 Prozent, sondern 100 Prozent!“ Alles oder nichts.

Doch inzwischen verrichten die Institutionen ihr zähes Werk. Sie stellen qua Verfahren die Abgeordneten der M5S vor die Frage: Wen unterstützt ihr? Wen wählt ihr? Zuletzt mussten der Senat und die Abgeordnetenkammer bestimmt werden. Grillo wollte, dass die M5S niemanden unterstützten. Doch einige Grillini haben die Kandidaten der Sozialdemokraten unterstützt. Diese Abweichler sind dem Gewicht der Institutionen erlegen. Man könnte auch sagen: Sie haben verstanden, dass sie nun, da sie gewählt sind, Verantwortung für das ganze Land haben.