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Belgrad muss die Integrität Bosniens sichern

 

Serbien will in die EU. Dazu muss es sich mit seinen Nachbarn aussöhnen. Das ist nicht einfach. Denn Serbien hat während des Jugoslawienkrieges beträchtliche Schuld auf sich geladen. Serbische Milizen haben 1995 im bosnischen Srebrenica 8.000 bosnische Männer massakriert. Es war das schlimmste Massenverbrechen auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag stuft das Massaker von Srebrenica als Völkermord ein. Er hat dem serbischen Staat bereits 2007 eine Mitverantwortung an den Gräueltaten im Bosnien-Krieg zugewiesen.

Nun hat der serbische Staatspräsident Tomislav Nikolić in einem Fernsehinterview gesagt: „Ich bitte auf Knien darum, dass Serbien für dieses in Srebrenica begangene Verbrechen verziehen wird“ – das Wort Völkermord wollte er nicht aussprechen. Im Jahr 2010 hatte das serbische Parlament den Hinterbliebenen des Massakers zum ersten Mal sein Mitleid ausgesprochen. Boris Tadić, Nikolićs Vorgänger, hat bei den Trauerfeierlichkeiten teilgenommen, die jedes Jahr in Srebrenica stattfinden. Nikolićs jetzt geäußerte Bitte um Vergebung ist also ein weiterer Schritt in Richtung. Nikolić ist im Mai 2012 zum Präsidenten Serbiens gewählt worden.

Bis dahin hatte er als strammer serbischer Nationalist die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag abgelehnt. In Den Haag sitzen Ratko Mladić und Radovan Karadžić — ihnen wird die Hauptverantwortung für das Massaker in Srebrenica gegeben. Sie hielten sich bis zu ihren Festnahmen in Serbien versteckt. Nikolić hat also als Staatspräsident eine Wende vollzogen. Der Grund dafür ist die Anziehungskraft der EU. Nikolić weiß, dass die Zukunft Serbiens in der EU liegt. Alle ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken wollen Mitglied in der EU werden. Slowenien ist es bereits, im Juli wird Kroatien beitreten. Serbien möchte nun diesen Zug nicht verpassen. Darum das öffentliche Schuldeingeständnis Nikolićs.

In diesem Kontext ist auch das Abkommen zu sehen, dass Serbien mit dem Kosovo geschlossen hat. Bisher hatte Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkannt. Das nun geschlossene Abkommen ist zwar keine formelle Anerkennung, aber de facto ein Eingeständnis, dass das Kosovo nicht mehr Teil des serbischen Staatsgebietes ist. Auch das Verhältnis zum Kosovo war ein entscheidender Stolperstein auf dem Weg zur EU. Alles auf gutem Wege also?

Nein, denn das zentrale Thema ist noch nicht berührt worden: die Zukunft des bosnischen Staates. Die Bosnier haben während des Krieges am meisten gelitten. 83 Prozent aller zivilen Opfer waren Bosnier. Während des Krieges haben Serbien wie auch Kroatien versucht, Bosnien unter sich aufzuteilen. Das ist nicht gelungen. 1995 intervenierte die Nato im Bosnienkrieg und erzwang einen Frieden. Heute ist Bosnien ein fragiles Staatsgebilde, das aus zwei Entitäten besteht, der serbischen Republika Srpska und der bosnischen Föderation. Doch die Integrität des bosnischen Staates ist nicht gesichert.

Es besteht der begründete Verdacht, dass Serbien den bosnischen Staat in seiner jetzigen Form immer noch nicht akzeptiert. Nikolić selbst nährt diese Furcht. Jüngst bezeichnet er sich und den Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, als die Führer „der beiden serbischen Staaten“. Damit stellte der den bosnischen Gesamtstaat infrage. Wenn Nikolić Serbien aber in die EU führen möchte, muss er Bosnien unmissverständlich und glaubwürdig akzeptieren.