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Sprachrohr des Systems

 

Die prominente iranische Menschenrechtlerin Nasrin Sotoudeh ist frei. Ein weiteres Dutzend politischer Gefangener wird aus dem Gefängnis entlassen. Der neue iranische Präsident Hassan Ruhani sagt, dass sein Land auf keinen Fall „eine Atombombe bauen will“. Gleichzeitig tauscht er einen Brief mit Barack Obama aus, dem Präsidenten des „Satans“ USA. Und er bietet sich als Vermittler im Syrienkonflikt an. Es vergeht derzeit also kein Tag, an dem nicht erstaunliche Nachrichten aus Teheran zu vernehmen sind.

Ist Ruhani deswegen der Reformer, der den Iran öffnen wird? Ist er der Mann, auf den der Westen seit Jahren schon vergeblich wartet?

Vorsicht ist angebracht. Hassan Ruhani ist ein Mann des Systems, er war es sein Leben lang. Es ist nicht davon auszugehen, dass er dieses System fundamental ändern will. Er ist kein Revolutionär, sondern – wenn überhaupt – ein Reformer. Ruhani will die Islamische Republik Iran den gegenwärtigen Bedingungen anpassen.

Iran steht außen- wie innenpolitisch unter großem Druck. Die UN haben den Iran wegen der Nuklearfrage schmerzhafte Sanktionen auferlegt. Sie sind zumindest zu einem Teil die Ursache für die tiefe wirtschaftliche Krise, in der sich das Land heute befindet. Das iranische Volk sehnt sich nach einer Normalisierung der Verhältnisse. Ruhani hat die Wahlen gewonnen, weil er genau das versprach.

Mehr Dialog mit dem Rest der Welt, mehr Freiheit im Inneren. Das ist die Antwort, die Ruhani gibt. Man muss sie ernst nehmen, gerade weil Ruhani ein Mann des Systems ist. Denn es ist das System, das durch diesen Präsidenten eine Verständigung zu suchen scheint.

Die entscheidende Frage ist: Wie weit kann Ruhani mit der Liberalisierung gehen, ohne dieses System dabei zu gefährden? Wie viel Liberalisierung kann die Islamische Republik Iran überhaupt vertragen?

Die Antwort darauf wird man nur bekommen können, wenn der Westen Ruhanis Avancen nicht rundweg ablehnt. Die Öffnung muss befördert werden. Und dann werden wir sehen, wie viel davon der Iran verträgt.