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Die Fehler des Luftkrieges

 

Der Krieg in Nahost ist schmutzig, unübersichtlich und er zeigt sich immer wieder in neuen Konstellationen.

Wie also soll man das Richtige tun?

Das ist die Frage, die sich stellt; die Frage, die US-Präsident Obama sich in höchster Dringlichkeit stellen musste, als vor einigen Wochen die Terrormilizen des Islamischen Staates (IS) mit überraschender Macht und äußerster Brutalität auf der Bildfläche erschienen. Sie vertrieben Zehntausende Menschen, brachten die irakische Millionenstadt Mossul unter ihre Kontrolle, bedrohten die Hauptstadt Bagdad sowie die kurdische Metropole Erbil. Als die Terroristen dann auch noch amerikanische Geiseln köpften, reagierte Obama. Der Präsident, der um fast keinen Preis Krieg führen wollte, begann einen Luftkrieg gegen den IS.

Der IS musste gestoppt werden. Das ist unbestritten.

Und es gelang auch. Die Terroristen haben Bagdad nicht eingenommen, auch nicht Erbil. Die Bombardements haben Zehntausenden mit dem Tod bedrohten Jesiden die Möglichkeit verschafft, zu fliehen. Das kann man als Obamas Erfolge buchen.

Bei aller Entschlossenheit ging Obama mit großer Umsicht vor. Er zimmerte eine Kriegskoalition zusammen. Neben einer Reihe europäischer Staaten haben sich fünf arabische Staaten angeschlossen, darunter das sunnitische Königreich Saudi-Arabien.

Das war die erste Phase des Krieges.

Doch dann versprach Obama, was er nicht hätte versprechen sollen: die Vernichtung des IS, die Ausrottung des Terrors. Vor der UN-Vollversammlung sagte der US-Präsident: „Kein Gott heißt diesen Terror gut. Keine Unzufriedenheit rechtfertigt diese Taten. Es kann keine Verhandlungen mit diesem Bösen geben.“ Es war eine Sprache von manichäischem Zuschnitt, wie sie Obamas Vorgänger, der unselige George W. Bush, gepflegt hatte. Auch die Terroristen des IS sehen die Welt so: Es gibt das Gute, es gibt das Böse und dazwischen gibt es nichts. 

Damit begann die zweite Phase des Krieges – seine inhaltliche und geographische Ausweitung. Der IS sollte nicht mehr nur gestoppt, sondern mit Stumpf und Stil ausgerottet werden. Schon knapp zwei Tage vor Obamas Rede vor der UN-Vollversammlung begannen US-Kampfjets auch Syrien zu bombardieren.

Auch in diesem Punkt folgten die USA der Logik des IS. Die Terroristen hatten auf spektakuläre Weise die Grenzen zwischen Syrien und dem Irak für obsolet erklärt und ihren selbsternannten Islamischen Staat ausgerufen. Doch auch wenn Syrien und der Irak nur mehr zwei Rumpfstaaten sind, so sind die politischen Bedingungen in beiden Ländern völlig verschieden — und sie verlangen jeweils darauf zugeschnittene Antworten.

Der IS konnte sich im Norden des Iraks ausbreiten, weil die schiitisch dominierte Regierung von Premierminister Nuri al-Maliki viele Jahre lang die Sunniten systematisch von der Macht ausschloss. Angesichts dieser Diskriminierung entschlossen sich die sunnitischen Stämme, den IS zu unterstützen. Doch das muss nicht so bleiben. Wenn die Regierung in Bagdad die Sunniten wieder an der Macht beteiligt, dann dürfte diese auch wieder von den Terroristen abrücken. Tatsächlich haben die USA Al-Maliki zum Rücktritt gedrängt, um genau das zu erreichen. Auch Al-Malikis Mentoren, die Mullahs in Teheran, haben ihn fallen lassen, weil sie die Gefahr erkannt haben. Die jetzige Regierung in Bagdad ist unter dieser Vorgabe gebildet worden. Man wird sehen, ob sie ihr Versprechen einhalten kann. Doch es ist klar, dass der Luftkrieg im Nordirak von einer klaren politischen Strategie eingebettet war.

In Syrien herrschen andere politische Bedingungen. Das Land befindet sich seit mehr als drei Jahren im Bürgerkrieg. Bisher starben mehr als 200.000 Menschen. Verantwortlich dafür ist in erster Linie Baschar al-Assad, der sich mit aller Brutalität an der Macht hält. Natürlich müsste er zurücktreten, so wie das Al-Maliki in Bagdad getan hat, um den Weg für eine politische Lösung freizumachen. Aber das wird Assad nicht tun. Die USA haben auf ihn keinen Einfluss. Sie könnten ihren Luftkrieg auf Assads Armee ausweiten, doch dann würde Obama sich mit Russland und dem Iran anlegen. Sie halten seit Ausbruch des Bürgerkrieges eisern zu Assad – das hat sich bis heute nicht geändert.

De facto wird Assad durch den Luftkrieg stabilisiert, auch wenn das die Kriegskoalition gar nicht beabsichtigt. Die USA und ihre Verbündeten erscheinen in den Augen der syrischen Sunniten wie die Luftwaffe des Mannes, der sie seit mehr als drei Jahren auf grausamste Weise bekriegt. Das wird den IS nicht schwächen, sondern stärken.

Viele militärische Interventionen des Westens in den vergangenen zwanzig Jahren sind mit dem Argument begonnen worden, man müsse ein Massenverbrechen verhindern, zuletzt 2011 in Libyen. Als der Aufstand gegen Muammar al-Gaddaffi begann, reagierte dieser mit äußerster Härte. Seine Truppen marschierten auf die aufständische Stadt Bengasi zu. Gadaffi drohte damit, alle Aufständischen umzubringen. Die Nato intervenierte zum Schutz von Bengasi – das war der Anfang. Dann aber wurde die NATO de facto zur Luftwaffe der Rebellen. Gadaffi stürzte und wurde gelyncht. Heute ist Libyen in bedrohlichem Chaos versunken. Und keiner weiß, wie es stabilisieren werden kann.

Kriege haben eine schwer zu kontrollierende Eigendynamik, das ist richtig. Doch das bedeutet nicht, dass man Kriege nicht in die eine oder andere Richtung lenken kann. So nötig es war, den IS im Nordirak zu stoppen, so falsch war es, den Luftkrieg ohne politische Strategie auf Syrien auszuweiten. Verfolgte Jesiden retten, Bagdad und Erbil vor der Eroberung schützen, den IS eindämmen: So weit gab es einen klaren Kompass, so weit konnte und musste man gehen. Danach aber hat die Kriegskoalition die Orientierung verloren. Sie ist der unseligen Eskalationslogik des Krieges erlegen.

Wir sind dabei, in ein Desaster hineinzustolpern, dessen Ausmaß nicht abzuschätzen ist.