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Ein Präsident vor Gericht

 

Er ist doch erschienen. Uhuru Kenyatta, Kenias Präsident, ist nach Den Haag gefahren und hat sich auf die Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) begeben. Ihm wird vorgeworfen, bei den blutigen Auseinandersetzungen nach der Wahl 2007 in Kenia als Strippenzieher agiert zu haben. Damals wurden mehr als 1.200 Menschen getötet. Angeklagt ist auch sein Stellvertreter, William Ruto. Beide streiten die Vorwürfe ab.

Kenyatta hat vor Gericht geschwiegen. Doch allein sein Erscheinen war schon eine kleine Sensation. Denn er hat in den vergangenen Monaten eine breite politische Front gegen den IStGH aufgebaut. Die Afrikanische Union (AU) etwa forderte vom UN-Sicherheitsrat, das Verfahren gegen Kenyatta nach Kenia zurückzuverlegen. Dafür fand sich im Sicherheitsrat keine Mehrheit. Außerdem verfasste die AU – der 54 Staaten angehören – eine Resolution, wonach kein amtierender afrikanischer Staatschef vor dem IStGH erscheinen müsse.

Kenyatta nutzte die Tatsache, dass der Strafgerichtshof unter afrikanischen Führern nicht besonders populär ist. Man hält das Gericht für einseitig, für eine Art kolonialistisches Instrument mächtiger Staaten, das dazu diene, die Afrikaner zu unterdrücken. Tatsächlich hat der IStGH in den elf Jahren seines Bestehens nur Afrikaner angeklagt, acht an der Zahl. Kenyatta sagte vor einigen Monaten, das Gericht betreibe „Rassenjagd“.

Was er dabei verschweigt: Gegen fünf der acht Afrikaner hat der IStGH ein Verfahren eröffnet, weil afrikanische Regierungen um die Intervention des IStGH gebeten haben. Außerdem haben 33 afrikanische Staaten das Römische Statut unterzeichnet, welches den Strafgerichtshof ins Leben gerufen hat. Das haben sie auch getan, weil der IStGH afrikanischen Opfern Gerechtigkeit zukommen lassen soll. Gerechtigkeit, die ihnen die nationale Justiz nicht verschaffen kann: Der IStGH handelt nur, wenn die rechtlichen Möglichkeiten auf nationaler Ebene ausgeschöpft sind.

Die Haltung der Afrikanischen Union gegen den IStGH hat in Afrika eine ganze Reihe von Prominenten empört. Der südafrikanische Friedensnobelpreisträger, Erzbischof Desmond Tutu, schrieb in einem offenen Brief: „Die Führer, die das Gericht umgehen wollen, wollen eine Lizenz zum Töten. Sie wollen die eigenen Leute unterdrücken, ohne dass sie dafür belangt werden können!“

Das Erscheinen Kenyattas in Den Haag ist deshalb ein Etappensieg für den IStGH, mehr aber nicht. Nun geht es darum, die Schuld des Angeklagten zu beweisen. Das aber wird sehr schwierig sein. Denn die Anklage ist auf die Kooperation kenianischer Behörden angewiesen. Die aber zeigen sich äußerst langzähnig, wenn es darum geht, Unterlagen und Beweismaterial zu liefern. Außerdem benötigt die Anklage Zeugen. Die gibt es zwar, doch eine ganze Reihe von ihnen haben inzwischen ihre Aussagen zurückgezogen — wahrscheinlich aus Angst vor Repressalien.

Es ist durchaus möglich, dass die Anklage gegen Kenyatta und Ruto zusammenfällt. Der IStGH hätte sich dann als ineffektiv erwiesen – zur Freude Kenyattas und zum Schaden derjenigen, die in Afrika auf Gerechtigkeit warten.