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Boko Haram ist mehr als ein nigerianisches Problem

 

Nigeria hat auf dem Papier eine starke Armee. Es gelingt ihr aber nicht, die islamistische Sekte Boko Haram zu besiegen. Im Gegenteil. Boko Haram überzieht immer größere Teile Nigerias mit einer gnadenlosen Terrorkampagne. Inzwischen sind nach Angaben der Regierung mehr als eine Million Menschen auf der Flucht.

Das Versagen der nigerianischen Armee hat eine Reihe von Ursachen. Sie ist geschwächt durch Korruption und Misswirtschaft. An Geld mangelt es zwar nicht, auch nicht an Waffen, aber beides kommt bei den Soldaten oft nicht an. Und die wissen nicht, warum sie eigentlich kämpfen sollen. Massendesertionen sind die Folge. Es fehlt eine entschlossene Führung. Die politische Elite des Landes nimmt Boko Haram noch immer nicht als nationale Herausforderung wahr. Sie betrachtet sie eher als ein Problem des nordöstlichen Landesteils.

Es gibt aber noch einen anderen, wichtigen Grund für das Versagen der nigerianischen Armee: Boko Haram ist nicht ausschließlich ein nigerianisches Problem, sie ist ein regionales Phänomen. Es braucht entsprechend eine regionale Zusammenarbeit.

Die Sekte wurde zwar in der nordnigerianischen Stadt Maiduguri gegründet. Doch sie hatte von Anfang an auch Anhänger in den Nachbarländern Niger, Tschad und Kamerun. Boko Haram hat ein Kalifat ausgerufen, das sich nicht nur auf den Nordosten Nigerias beschränkt. Es kam in den vergangenen Wochen zu Kämpfen in Kamerun, und Anhänger der Sekte haben möglicherweise auch bei den antifranzösischen Unruhen der vergangenen Tage in Niger eine Rolle gespielt.

„Abscheuliche, brutale Verbrechen“

Die Erkenntnis, dass Boko Haram kein alleiniges Problem Nigerias ist, hat sich herumgesprochen. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel ist deshalb beunruhigt. Sie sprach von „abscheulichen, brutalen Verbrechen, die dort an der Zivilbevölkerung in Nigeria, aber auch in Kamerun verübt werden“. Doch ob das alles auch in entsprechenden, wirksamen Maßnahmen münden wird, ist äußerst fraglich. Merkel sicherte einer Eingreiftruppe der Afrikanischen Union ihre Unterstützung zu. Eine militärische Beteiligung Deutschlands schloss sie allerdings aus.

Eine afrikanische Truppe müsste allerdings erst gebildet werden. Ob das gelingen wird? Schon vor mehr als einem Jahr haben sich fünf afrikanische Staaten auf Drängen Frankreichs zur Zusammenarbeit im Kampf gegen Boko Haram verpflichtet. Viel ist daraus nicht geworden. Trotzdem ist in diesen Tagen einiges in Bewegung geraten.

Tschad hat seine Armee mobilisiert. Tausende Soldaten und Dutzende Panzer haben sich auf den Weg an die nigerianische Grenze gemacht. Präsident Idriss Déby sagte, seine Truppen würden Boko Haram die Stadt Baga entreißen. Baga liegt auf der nigerianischen Seite des Tschadsees. Kämpfer der Sekte haben die Stadt Anfang Januar erobert und Hunderte Menschen getötet.

So entschlossen die tschadische Armee auch vorgehen mag, so wenig ist zu erkennen, ob sie Teil eines mit anderen Staaten abgestimmten Planes ist. Ja, es ist nicht einmal klar, ob ihre Offensive mit Nigeria besprochen worden ist. Immerhin sollen Tschads Soldaten auf dem Boden Nigerias kämpfen. Das alles sieht nicht nach einem koordinierten Vorgehen aus. Das aber wird nötig sein, wenn Boko Haram besiegt werden soll.

Ob es überhaupt möglich sein wird, das hängt von der Dynamik zwischen den Staaten in der Region ab. Und die ist kompliziert. Allein ein Blick auf Nigeria und Tschad genügt, um das zu begreifen.

Frankreich hat in Nigeria kaum Einfluss, im Tschad schon

Nigeria ist mit 177 Millionen Menschen der bevölkerungsreichste Staat Afrikas. Gleichzeitig ist es die größte Volkswirtschaft. Das Selbstbewusstsein Nigerias ist entsprechend. Der ehemalige US-Botschafter in Abuja, John Campbell, schreibt in seinem Buch Nigeria on the Brink: „Ausländische Freunde können Nigeria vom Rande helfen. Nur die Nigerianer können ihre Probleme lösen.“

Tschad ist im Vergleich zu Nigeria mit knapp 11 Millionen Einwohnern ein Zwerg. Doch sein Militär ist in der Region durchaus eine Macht. Präsident Idriss Déby gibt viel Geld für seine Soldaten aus. Und Tschad ist frankophon. Für Frankreich ist das Land ein strategisch äußerst wichtiger Partner in der Region. Im anglophonen Nigeria hingegen ist Frankreichs Einfluss sehr begrenzt.

Diese beiden ziemlich verschiedenen Staaten müssen also nun im Kampf gegen Boko Haram zusammenfinden — einfach ist das gewiss nicht.

50 Comments

  1.   Arrian

    „Frankreich hat Einfluss in Nigeria, im Tschad eher nicht“ – diese Zwischenüberschrift ist wohl nicht korrekt, denn im Text heißt es zutreffend: „Und Tschad ist frankophon. Für Frankreich ist das Land ein strategisch äußerst wichtiger Partner in der Region. Im anglophonen Nigeria hingegen ist Frankreichs Einfluss sehr begrenzt“.

    Nur ein Hinweis.


  2. Militärisch ist es eine super Idee von den Tschad Truppen, in Baga einzumarschieren.

    Jeder der jetzt da ist, ist ein Terrorist. Man kann also auf alles schiessen, was sich bewegt.

    Allerdings wäre es vielleicht schlauer gewesen, auf die Vorwarnung zu verzichten.

  3.   Max

    „Frankreich hat Einfluss in Nigeria, im Tschad eher nicht“

    vs

    „Und Tschad ist frankophon. Für Frankreich ist das Land ein strategisch äußerst wichtiger Partner in der Region. Im anglophonen Nigeria hingegen ist Frankreichs Einfluss sehr begrenzt.“

    ?


  4. Es wird spätestens dann zu unserem Problem wenn das Chaos zu neuen Seuchenherden führt. Oder zu überfüllten Booten voller Flüchtlinge auf dem Mittelmeer.

  5.   Stephan

    „Frankreich hat Einfluss in Nigeria, im Tschad eher nicht“
    …und dann: „Im anglophonen Nigeria hingegen ist Frankreichs Einfluss sehr begrenzt.“
    –> was denn nun?

  6.   trkmz

    Diese Aussage „Frankreich hat Einfluss in Nigeria, im Tschad eher nicht“ widerspricht dieser „Und Tschad ist frankophon. Für Frankreich ist das Land ein strategisch äußerst wichtiger Partner in der Region. Im anglophonen Nigeria hingegen ist Frankreichs Einfluss sehr begrenzt.“

    Was ist nun korrekt ?


  7. In der Überschrift zum letzten Absatz haben sie wohl Nigeria und Tschad vertauscht…


  8. Eine Feststellung:
    Terror gibt es überall dort, und nur dort, wo es keine staatlichen Strukturen gibt, weil sie entweder durch einen Bürgerkrieg zerbrochen sind, oder durch eine ausländische militärische Intervention zerstört wurde.

    Das gilt für den Irak, für Syrien, für Nigeria, für Somalia.

    (nebenbei: Wieso wird eigentlich nie über die radikal-christliche LRA in Zentralafrika und Uganda nie berichtet? Seit mehr als 20 Jahren terrorisieren sie die Bevölkerung und wollen einen christlichen Gottesstaat nach den 10 Geboten konstruieren…bisher starben über 100.000 Menschen)

  9.   Max

    @ 2

    was heißt hier nie, haben sie die KONY Kampange nicht mitbekommen?

  10.   ktc961

    Wie soll man sich eigentlich den Kampf gegen Boko Haram vorstellen?
    Offensichtlich handelt es sich um eine Gruppe ohne moralische Hemmungen, die sich der Methoden der Guerillakriegsführung bedient: Zuschlagen und zurückziehen. Der Rückzug kann dabei in den Dschungel erfolgen, aber eben auch zurück in die Zivilisation. Wenn ein Boko Haram Kämpfer seine Waffe ablegt und seine Tarnkleidung auszieht und nach Hause zurückkehrt, kann man ihn nicht von der Zivilbevölkerung unterscheiden. Aber er kann jederzeit wieder in den Einsatz ziehen.
    Der Vorteil der Guerillastrategie ist, dass man überall zuschlagen kann und daher vorzugsweise dort, wo der Gegner am schwächsten aufgestellt ist. Und man hat alle Zeit der Welt, diese Schwachstellen herauszufinden. Angesichts der Korruption ist es nicht mal schwer an strategische Daten zu kommen oder eigene Leute bei der Armee einzuschleusen. Vielleicht gelingt es sogar, Teile der Armee von den Ideen von Boko Haram zu überzeugen.
    Nigeria ist groß und in vielen Bereichen wenig entwickelt. Selbst mit Hubschraubern (falls man denn welche hätte) dauert es einige Zeit, bis man zum Einsatzort kommt. Falls der Überfall überhaupt gemeldet werden kann. Jede Menge Zeit, das geplante Massaker zu begehen und sich geordnet zurückzuziehen.
    Man kann Boko Haram überhaupt nur während eines Angriffs bekämpfen, denn wenn sie nicht angreifen, sind sie von der Zivilbevölkerung nicht zu unterscheiden und wenn man die Zivilbevölkerung angreift und Kollateralschaden in Kauf nimmt, dann treibt man die Betroffenen erst recht in die Arme von Boko Haram.
    Wenn sich da also einer hinstellt und vollmundig erklärt, dass man diese Gruppe bekämpfen müsse, dann sollte er auch dazusagen, wie das denn praktisch gehen soll!

 

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