Wenige Tage nachdem über 1.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken waren und Europa mit sich selbst rang, was denn nun zu tun sei, meldete sich der australische Ministerpräsident Tony Abbott zu Wort: Er habe die Lösung, Europa müsse nur das australische Modell übernehmen. Auch die australische Außenministerin empfahl gestern in Berlin recht stolz ihre Flüchtlingspolitik.
„Souveräne Grenze“, so heißt das Modell. Demnach soll kein Flüchtling mehr über das Meer nach Australien kommen können. Das sei, so Abbott, die beste Garantie dafür, dass kein Flüchtling mehr ertrinke. Die Zahlen scheinen ihm Recht zu geben. Im Jahr 2013 kamen noch 20.000 Flüchtlinge übers Meer nach Australien, 2014 und 2015 schaffte es angeblich kein einziges Boot mehr. Die australische Marine fängt die Flüchtlinge im Ozean ab und schleppt sie dann nach Indonesien, Vietnam oder Kambodscha. Dort werden sie ausgesetzt. Oder sie werden auf dem vom Festland weit entfernten Inselstaat Nauru in ein Lager gebracht – oder auf die Insel Manus, die zu Papua-Neuguinea gehört.
Ist es also ein für Europa gutes Modell? Die Antwortet lautet eindeutig: Nein.
Die australische Regierung behauptet nämlich, dass ihre Politik dazu geführt habe, dass keine Flüchtlinge mehr ertrinken – doch diese Behauptung lässt sich nur schwer überprüfen. Alle Operationen der australischen Marine unterliegen strengster Geheimhaltung, die eines autoritären Staates würdig sind. Trotzdem dringen manchmal schreckliche Nachrichten an die Öffentlichkeit. Ein ehemaliger Marinesoldat berichtete zum Beispiel von Dutzenden Toten, die er gesehen habe und von der schrecklichen Aufgabe, die aufgedunsenen Leichen fortzuschaffen.
Üble Nachrichten gibt es auch aus den Aufnahmenlagern. In Nauru wurden Flüchtlinge dort gefoltert, vergewaltigt und beraubt. Es wird von Aufständen, Hungerstreiks und Selbstmorden berichtet.
Die australische Regierung ignoriert diese Berichte. Sie hat die Verwaltung des Lagers an eine private Firma abgegeben.
Australiens Programm „Souveräne Grenze“ ist auf die „Kooperation“ anderer Staaten angewiesen. Wobei sich Australien diese mit einer Mischung aus finanziellen Zuwendungen und politischem Druck erkauft. Die australische Regierung tritt gegenüber diesen Staaten wie der klassische Schulhofschläger auf – sie droht, schüchtert ein und schlägt auch zu. Das ist gewiss keine weitreichende Außenpolitik.
Abbots harte Linie ist in Wahrheit äußerst fragil, weil sie von einer Reihe von Staaten abhängig ist, die sich nur unter Zwang fügen.
Was würde zum Beispiel passieren, wenn sich Indonesien plötzlich weigerte, die abgeschleppten Boote in ihre Häfen einlaufen zu lassen? Wohin würde Australien die Flüchtlinge dann abschleppen?
Das australische Modell enthumanisiert Flüchtlinge. Sie werden behandelt wie feindliche Invasoren und nicht wie Hilfesuchende. Und selbst wenn sie nicht mehr im Meer ertrinken sollten, werden sie an Land – wie etwa in Nauru – zerstört. Flüchtlinge haben das Recht auf Asyl. Sie sind Träger von Rechten. Europa ist verpflichtet, diese zu respektieren.
Die EU wird einiges anders machen müssen. Das Hauptproblem ist Europas Unentschlossenheit. Klare Regeln, verlässliche Durchsetzung. Das ist die Formel für unseren Kontinent. Wenn Europa den australischen Weg einschlägt, dann wäre das eine Selbstaufgabe.