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Vorsichtig mit Libyen

 

Die EU will gegen Schlepper notfalls mit Gewalt vorgehen, nicht nur auf dem Wasser. Sprich in Libyen, denn von dort kommen derzeit die meisten Flüchtlingsboote. Dass die libysche Regierung eine solche Mission vor ihrer Küste und erst recht an Land abgelehnt hat, lässt bereits erahnen: Eine einfache, überzeugende Lösung ist das nicht. Das Vorhaben würde de facto schnell ein militärischer Einsatz der EU in Libyen – ein Tabubruch, dessen Risiken man sich bewusst machen muss.

Wie groß sie sind, das macht ein Vergleich deutlich: Somalia.

Im Jahre 1992 intervenierte eine internationale Truppe unter Führung der USA in dem vom Bürgerkrieg und Hungersnot geplagten ostafrikanischen Land. Es war eine humanitäre Mission, ausgestattet mit einem klaren Mandat der Vereinten Nationen.

Die US-Armee versuchte im Zuge dieser Operation, den somalischen Milizenführer Mohammed Aideed dingfest zu machen. 18 amerikanische Soldaten bezahlten das mit ihrem Leben. Sie wurden unter dem Jubel von Somaliern durch die Straßen Mogadischus geschleift. Kurz darauf gab der damalige US-Präsident Bill Clinton den Rückzugsbefehl. Die gesamte Mission scheiterte kläglich. Es war ein Fiasko mit weitreichenden Konsequenzen.

Osama bin Laden, Chef von Al-Kaida, sprach in Botschaften an seine Anhänger immer wieder über das somalische Beispiel, um zu beweisen, dass auch die Supermacht USA zu schlagen sei. Aus Somalia zog bin Laden eine wichtige Lehre: Man muss einen militärisch übermächtigen Gegner in ein unübersichtliches, unkontrollierbares Kampffeld fern seiner Heimat locken. Dort kann man ihm mit vielen kleinen und größeren Stichen zusetzen, so lange, bis er sich gedemütigt zurückzieht.

Bin Ladens Strategie ging auf. Nach Somalia kam Afghanistan, nach Afghanistan kam der Irak, nach dem Irak kam Libyen.

Das Libyen von heute ist wie Somalia ein zerfallener Staat. Das Land wird wie das Somalia der neunziger Jahre beherrscht von einer Vielzahl von Milizen, die miteinander in blutigem Streit liegen. Und in Libyen hat die Terrororganisation „Islamischer Staat“ Fuß gefasst. Sie wartet nur darauf, dass ihr Soldaten aus dem Westen vor die Flinte laufen. Ganz so wie bin Laden das in Afghanistan tat.

Trotzdem, ein verstärkter Einsatz der EU gegen die Schlepper ist richtig. Die Netze der Schlepper müssen – so weit es geht – zerschlagen werden.

Doch die EU wird dabei sehr, sehr vorsichtig sein müssen. Sie muss sich der Dimension ihres Handelns bewusst sein – dazu sollte sie nach Somalia blicken, um zu lernen.

Die neue Härte der EU enthält in jedem Fall eine wichtige Botschaft an den Rest der Welt: Europa ist neuerdings bereit, seine Interessen mit Entschiedenheit durchzusetzen, wenn es denn nötig ist.