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Das vergiftete Dorf

 

Pale2

Das bosnische Dorf Pale war früher einmal weltbekannt. Für einige Jahre tauchte es fast täglich in den Nachrichten auf, sehr oft an erster Stelle. Wahrscheinlich hat kein Bewohner Pales dies je erwartet, noch gewollt. Im Schatten des Berges Jahorina, 20 Kilometer von Sarajevo entfernt, ließ es sich vermutlich recht gut leben. Ein „Luftkurort“ zu sein, das reichte den Einwohnern wahrscheinlich. Doch dann kam 1992 der Krieg, es kam die Belagerung Sarajevos, es  kam der politische Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić. Er machte Pale zu seinem Hauptquartier. Der Name des Dorfes erhielt einen sinistren Klang. Journalisten, Diplomaten und Unterhändler aus aller Welt kamen hierher, um Karadžić zu interviewen oder ihm, dem Herren des Krieges, Zugeständnisse abzuringen. Wenn Pale als Ortszeile in der internationalen Presse zu lesen stand, folgte meist nichts Gutes. Denn Karadžić und die Seinen hatten nur Hass zu verkünden.

Der Krieg ist lange vorbei, Radovan Karadžić steht in Den Haag als angeklagter Kriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof. Pale freilich ist immer noch da, wo es vorher war, umrahmt von grünen Bergen. Die Lage ist dieselbe geblieben, aber ein Ort der Erholung ist Pale nicht mehr. Sein Ruf ist ruiniert.

Das Dorf, das einmal eine Art Welthauptstadt des Kriegsverbrechens war, hat zwei Hauptstraßen. An der Stelle, an der sie sich kreuzen, gibt es ein paar Restaurants und Cafés. Das ist das Zentrum. Gegen Abend füllen sich die Restaurants und Cafés mit Leuten, die lange hier sitzen bleiben und etwas trinken. Das ist das einzige sichtbare öffentliche Vergnügen für Erwachsene, das es in Pale gibt.

Und dann gibt es noch Tomo Dukics Vergnügungspark, aber den nehmen nur Kinder und Jugendliche in Anspruch. Für eine Konvertible Mark (50 Cent) lassen die sich die jugendlichen Besucher von einem ziemlich in die Jahre gekommenen Kettenkarussell in die Luft heben und ein paar Runden drehen. Das ist in Pale eine Attraktion. Dutzende Kinder und Jugendliche stehen auf der Wiese und warten, sofern sie sich das Ticket leisten können, bis sie einen Platz auf dem Karussell bekommen. Tomo Dukic hat auch eine Spielzeugente mit einem Seil an einer langen Eisenstange befestigen lassen. Die Karussellfahrer können versuchen, sie mit den Händen zu fangen. Dafür müssen sie sich vom Boden abstoßen, während das Karussell sich zu drehen beginnt, wofür es einer besonderen Geschicklichkeit und auch ein wenig Mutes bedarf. Die Spielzeugente ist die Attraktion in der Attraktion von Tomo Dukics Vergnügungspark. Außerdem gibt es noch eine kleine Schießbude, ein Trampolin, ein winziges Karussell für Kinder und ein schwer ramponiertes Tischfußballspiel.

Tomo Dukic sitzt in einem kleinen Wohnwagen, auf dem in roten Lettern „Kasa“ steht. Er nimmt das Geld für die Karussellfahrten mit einem Lächeln entgegen, manchmal sagt er etwas Nettes durch das Mikrofon. Seine angenehme Stimme hallt dann via Lautsprecher über die Wiese.

Dukic stammt aus Sarajevo, aus dem Stadtteil Ciglane. Nach dem Friedensvertrag von Dayton im Jahre 1995 zog er nach Pale. „Sarajevo, das ist eine schöne Stadt“, sagt er. Aber dorthin zurück will er nicht.

„Zwischen Serben und Muslimen klappt es nicht gut!“

Mehr sagt er nicht.

Kurz nachdem die Sonne untergegangen ist, ruft Tomo Dukic die letzten Runden auf seinem Karussell aus. Wenig später leert sich die Wiese. In Pale wird es sehr still.