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„Wir lassen Sie nicht alleine!“

 

Der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth ist zu Besuch in Skopje. An der Universität stellt sich der SPD-Politiker der Diskussion mit den Studenten. Der Hörsaal ist gerammelt voll. Viele im Publikum haben an den Protesten gegen die Regierung teilgenommen, die im Frühjahr 2015 für internationales Aufsehen sorgten. Tausende Mazedonier gingen auf die Straße, um gegen Korruption und Misswirtschaft der Regierung zu protestieren. Mazedonien sei, so hieß es, vom ukrainischen Virus erfasst. Man glaubte, dass die Regierung vor dem Sturz stehe. Sie stürzte nicht, musste aber auf Druck der EU neue, sogenannte technische Minister ernennen, sie musste tiefgreifenden Reformen und vorgezogenen Wahlen zustimmen. Sie sollen am 24. April stattfinden.

Das war im Frühjahr 2015. Im Sommer 2015 dann begann die Massenwanderung über die Balkanroute, die mazedonische Demokratiebewegung geriet für die Öffentlichkeit in Vergessenheit – wenn heute von Mazedonien die Rede ist, dann von einem möglichen Bollwerk der Europäischen Union gegen die Migration.

Am Grenzübergang in der mazedonischen Stadt Gevgelija ist in den letzten Wochen der Stacheldrahtzaun länger und länger geworden. Die mazedonische Polizei hat Verstärkung aus Europa bekommen, Beamte der EU-Grenzagentur Frontex, sowie ungarische, tschechische und polnische Polizisten sind vor Ort.

„Stimmt es, dass die EU plant, große Flüchtlingslager in Mazedonien zu errichten?“, fragt einer der Studenten den deutschen Europa-Staatsekretär.

„Ich weiß es nicht … Aber gleich anschließend treffe ich den Vertreter der EU in Skopje, ich werde ihn fragen.“

Das ist die einzige Frage, die Roth ausweichend beantwortet, ansonsten bemüht er sich um eine klare Sprache und eine direkte Ansage. „Ich wiederhole und wiederhole und wiederhole es: Wir werden Sie nicht alleine lassen. Wir werden Sie nicht alleine lassen!“

Unter den jungen Mazedoniern ist die Angst offenbar groß, dass die Europäische Union Mazedonien vergessen könnte. Dagegen redet Roth leidenschaftlich an. Schließlich spricht er aber doch eine Wahrheit aus, vor der sich alle im Saal fürchten: „Die Europäische Union hat derzeit eine Vielzahl von großen Krisen zu bewältigen. Und Mazedonien ist mit seinen zwei Millionen Einwohnern sehr klein!“

Einige Augenblicke ist es so still, als hielten alle Anwesenden vor Schreck die Luft an.

Roth scheint das zu spüren und spricht mit Verve die Studenten an.

„Wir brauchen Sie! Europa braucht Sie! Ihr Engagement ist wichtig!“

Doch so flammend dieser Appell auch ist, so sehr schimmert eine gewisse frustrierte Ratlosigkeit durch.

Roth kommt gerade von Gesprächen mit den führenden Politikern der Regierung und der Opposition. Sie waren nicht ermutigend. Die von der EU verlangten Reformen werden verschleppt und hintertrieben. Roth sagt das unumwunden.

„Meinen Sie, dass die Politiker es ernst meinen?“, fragt ein Student.

„Ich hoffe es!“, antwortet der Staatssekretär. Er macht eine Pause und ruft noch lauter in den Saal hinein: „Ich hoffe es!“

Dann tritt wieder eine kurze Pause ein.

Ein Student hebt die Hand, stellt sich kurz vor, und sagt dann: „Ich studiere Politikwissenschaften. Und Sie sind der erste Minister, den ich zu Gesicht bekomme. Unsere Minister, unsere Politiker bekommen wir nie zu Gesicht. Wir sind so viel Transparenz nicht gewohnt.“

Roth antwortete sehr diplomatisch: „Ich will Sie ermutigen den Kontakt mit Ihren Parlamentariern zu suchen. Sie sind auch normale Menschen, mit ihren guten und ihren schlechten Seiten!“

P.s. Und was Roth zur Massenmigration noch sagt, das sei vermerkt: „Ich bin sehr stolz auf mein Land, sehr, sehr stolz!“