Bundeskanzlerin Angela Merkel wird nicht müde, das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei zu preisen. Sie hat dafür gute Gründe. Immerhin ertrinken seit dem Abschluss des Abkommens kaum mehr Flüchtlinge in der Ägäis, immerhin hat sich der Migrationsdruck auf Deutschland verringert, immerhin haben sich ihre eigenen Aussichten für das Wahljahr 2017 (sofern sie antritt) verbessert.
Doch die Kanzlerin geht zu weit, wenn sie das „Abkommen mit der Türkei als Modell für weitere solche Abkommen“ mit anderen Ländern bezeichnet.
Die Frage ist sicher naheliegend: Warum sollte, was mit der Türkei (sehr) leidlich funktioniert, nicht auch mit afrikanischen Staaten gehen? Mit Mali, Niger oder Äthiopien etwa, den drei Ländern, in denen Angela Merkel auf ihrer Afrikareise Station macht?
Nun, das Abkommen mit der Türkei ist in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall. Der Großteil der Flüchtlinge ist aus Syrien. Diese Menschen fliehen vor einem Krieg, der in ihrem Heimatland wütet. Im Gegensatz dazu sind die Menschen, die via Libyen über das Mittelmeer nach Europa kommen, in ihrer Mehrheit Migranten, die in ihrer eigenen Heimat keine wirtschaftliche Perspektive sehen.
Während die Zahl der Flüchtlinge, die in die Türkei kommen, sich schnell verringern könnte, wenn der Krieg in Syrien zu Ende geht, wird der Migrationsdruck aus den afrikanischen Ländern nicht so schnell abnehmen. Dazu müsste das wirtschaftliche Gefälle zwischen Europa und Afrika kleiner werden. Wenn das überhaupt gelingen sollte, dann wird das gewiss seine Zeit dauern.
Es ist durchaus richtig, dass Länder wie Mali oder Niger Deutschland durch Migration näher gerückt sind. Deshalb ist Merkel nach Afrika aufgebrochen. Und ihre Reise wird hoffentlich dazu beitragen, die Nähe Afrikas im Bewusstsein der Deutschen zu festigen. Aber es kann sehr negative Folgen haben, wenn die Kanzlerin den Eindruck erweckt, man könnte mit diesen Ländern ein Abkommen wie jenes zwischen der EU und der Türkei abschließen.
Die Nachricht, dass die Türkei von der Europäischen Union 6 Milliarden Dollar zugesagt bekam, wird unter den herrschenden Eliten in afrikanischen Ländern nicht auf taube Ohren gestoßen sein. Das Risiko des Türkei-Deals als Vorbild ist deshalb folgendes: Der Flüchtling wird in Zukunft zum Exportgut. Die Migration wird monetarisiert.
Natürlich kann, soll und muss Geld an Herkunfts- und Transitländer fließen. Das ist nichts Verwerfliches. Geld ist allerdings kein Zaubermittel. Entscheidend ist, ob die Staaten und Gesellschaften, die Hilfen empfangen, auch in der Lage sind, sie zu nutzen. Und leider sind die Beispiele nicht ermutigend, wie wir aus einem Land wissen, das im Jahr 2001 Europa plötzlich und unerwartet sehr nahe gekommen ist: Afghanistan. 60 Milliarden an Finanzhilfen sind in den vergangenen 15 Jahren dorthin geflossen, und heute kommen so viele Afghanen nach Europa wie noch nie zuvor.