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Das Scheitern der Anderen

Der Boom ist unübersehbar. Weltweit findet WikiLeaks Nachahmer. Zuletzt war es das alt-ehrwürdige Wall Street Journal, das stolz den Start des eigenen Leakingangebots Safe House verkündete. Aber die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Wer dem potentiellen Whistleblower bereits in  den AGBs damit droht, Informationen über ihn an Dritte wie zum Beispiel die Polizei weiterzugeben, sollte sich über ausbleibenden Erfolg nicht all zu sehr wundern. Und ist schließlich zum Scheitern verurteilt. Das jedenfalls sagt Patrick Beuth in einem lesenwerten Artikel im Magazin Cicero über die Bemühungen zahlreicher Medien, den Zwischenhändler WikiLeaks mit eigenen Schnittstellen für Whistleblower zu neutralisieren. Aber es sind nicht nur diese strategischen Irrtümer die etliche der Anbieter scheitern lassen werden.

Es sind vor allem technische und rechtliche Aspekte, die große Zweifel aufkommen lassen, ob das Wall Street Journal seine Quellen wirklich schützen kann. Oder will. Schon in den Nutzungsbedingungen von Safehouse steht, man behalte sich das Recht vor, alle Informationen über die Whistleblower ohne weitere Warnung an die Polizei oder an Dritte zu übergeben, wenn es rechtlich geboten sei – oder wenn es nötig ist, um die Rechte des Verlagshauses Dow Jones, in dem das WSJ erscheint, und die Interessen anderer zu schützen. Damit dürften die allermeisten potenziellen Informanten bereits gründlich abgeschreckt sein. Dass die Datenübertragung aus verschiedenen technischen Gründen keineswegs so sicher ist, wie die Zeitung behauptet, macht den Ansatz dann schließlich wertlos.

Vor allem aber beklagt Beuth in seinem Artikel, dass den meisten Akteuren, die jetzt auf den Leaking-Zug aufspringen wollen, der Idealismus fehle. Denn der war es, der den WikiLeaks-Machern wie Julian Assange oder seinem früheren Mitstreiter die Energie gab, mit begrenzten Mitteln eine Whistleblower-Plattform aufzubauen. Was aber noch weit wichtiger war, ist und auch zukünftig sein wird, ist Glaubwürdigkeit. Eine Art Zwillingsschwester des Idealismus. Und diese Glaubwürdigkeit sieht der Autor durch das ungeschickte Agieren zahlreicher Medienhäuser massiv in Frage gestellt. Denn einer der wichtigsten Grundpfeiler von WikiLeaks ist trotz aller strukturell bedingter Intransparenz die Glaubwürdigkeit. Anders als Zeitungsredaktionen hat WikiLeaks zum Beispiel eingegangenes Whistleblowermaterail nie nur zur Komposition eigener Geschichten benutzt, sondern immer auch das Rohmaterial veröffentlicht. Und zwar vollständig.

 

Kurz und klein (8): Osama, Atomkraft, Urheberrecht

+++Osama+++
Skrupel gibt es keine. Der Erfolg des Tötungskommandos wird bejubelt. Eine Selbstverständlichkeit. Menschenrechte und internationale Gerichtshöfe gehören in manchen Fällen offenbar zur Völkerrechtsfolklore. Mehr nicht. Während wir uns noch etwas verwundert die Augen reiben, mit welcher Kaltschnäuzigkeit Spitzenpolitiker der sogenannten zivilisierten Welt die gezielte Tötung mit einem Gefühl der Erleichterung empfinden oder von einem Tag der Genugtuung sprechen, berichtet der britische Telegraph, dass der meistgesuchte Terrorist offenbar unter dem Schutz pakistanischer Sicherheitskräfte stand. Immer wenn US-Kommandos ihm zu nahe kamen, scheint der US-Staatsfeind Nummer 1 einen Tipp aus pakistanischen Sicherheitskreisen bekommen zu haben. Das jedenfalls legen US-Botschaftsdepeschen nahe, die WikiLeaks veröffentlichte. Wer solche Freunde im Kampf gegen den Terror hat, braucht keine Feinde.

+++Atomkraft+++
Während sich das Portal für Leaks im Ökobereich, GreenLeaks.com, noch vor wenigen Wochen mit einem Leak zu den juristischen Fragen rund um den Schwenk der Bundesregierung nach der Atomkatastrophe von Fukushima und dessen Auswirkungen auf das deutsche Wettbewerbsrecht beschränken musste (Stichworte gesetzliche Grundlage, Laufzeitverlängerung), landete die Schweizer WOZ, Die Wochenzeitung, jetzt einen richtigen Coup.
Unter dem Vorwand möglicher Terror- oder Sabotageakte hatten die zuständigen Behörden in der Schweiz, Atomkraftgegnern lange die Einsicht in diverse Akten zu dem umstrittenen Atomkraftwerk Mühleberg verweigert. Nun leakte die WOZ (in etwa die schweizerische Entsprechung der deutschen taz als Wochenzeitung) ihr zugespielte Dokumente (Link zum PDF), die die fragwürdigen Zustände im AKW dokumentieren.

+++Urheberrecht+++
Intellectual Property Action Plan. So nannten einige US-Diplomaten 2007 ein Strategiepapier, mit dem sie die aus ihrer Sicht unhaltbaren Zustände im Nachbarland Kanada ändern wollten. Es ging um das Urheberrecht und dessen vermeintlich zu nachlässige Handhabung beim nördlichen Nachbarn. In ihren Klagen waren die Diplomaten nicht zimperlich und sorgten schon mal dafür, dass Kanada zwischenzeitlich auf der sogenannten Special 301 Liste landete. Eine Art Achse des Bösen in Sachen Copyright. Das berichtet aktuell Ars Technica und verweist auf diverse frisch publizierte Depeschen durch WikiLeaks.

 

Das letzte Lebenszeichen? WikiLeaks und die Guantànamo-Files

Totgesagte leben länger. Angeblich. WikiLeaks jedenfalls hat sich mit einem Lebenszeichen der heftigeren Art zurückgemeldet. Die gerade veröffentlichten Guantànamo-Dokumente sind jedenfalls der berühmte Paukenschlag, mit dem nicht mehr jeder Beobachter der Szene gerechnet hatte. Die Wucht der Veröffentlichung reicht zwar nicht an die Beben heran, die die War-Logs und die US-Botschaftsdepeschen auslösten, aber sie treffen die amerikanische Administration empfindlich. Unschuldige und Kinder sollen im Militärgefängnis gesessen haben. Mit Wissen der Militärs. Der Druck auf Präsident Obama, sein Wahlversprechen, die Schließung Guantànamos doch noch zu halten, wird wieder wachsen. Und das ist wichtig. Sehr wichtig. Und es ist ein Verdienst von WikiLeaks. Auch wenn WikiLeaks offenbar nicht ganz Herr der Lage war in den letzten Tagen. Denn die Veröffentlichung der Guantànamo-Dokumente durch die New York Times und den Guardian war nicht geplant. Jedenfalls beschuldigte WikiLeaks Daniel Domscheit-Berg, den WikiLeaks-Dissidenten und OpenLeaks-Gründer, gestern via Twitter, unbefugterweise Dokumente an die New York Times weitergegeben zu haben.

Aber trotz aller Unfreiwilligkeit, mit der WikiLeaks und Partner jetzt mit ihren Auswertungen der Dokumente an die Öffentlichkeit gehen mussten: WikiLeaks ist wieder in den Medien. Weltweit. Die Washington Post berichtet in ihren Auswertungen über die Strategien der Strategen des 11. September, der Guardian mahnt zur Skepsis und verweist darauf, dass viele Verhörergebnisse unter folterartigen Bedingungen entstanden sind, dass ein Verdächtiger auch schon mal für den britischen MI6 gearbeitet hatte und dass es nur eines verdammt schlechten Timings bedurfte, um schon mal als Terrorverdächtiger in Guantànamo zu landen. The Australian erklärt uns mal ganz nebenbei, dass al-Qaida eigentlich auch einen nuklearen Höllensturm zu entfesseln gedachte. Die New York Times beschäftigt sich mit den Konjunkturverläufen des Terrors nach den Attacken vom 11. September 2001. Alle sind sie wieder da. Und profitieren mit Seite-Eins-Geschichten von der Existenz der Leaking-Plattform.

Die Artikel sprechen vom Terror, von der schwer kalkulierbaren Größe al-Qaida, von der kompromittierten amerikanischen Regierung, und immer auch von WikiLeaks. Die Leaking-Plattform hat es wieder in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit geschafft. Trotz defekter Leaking-Infrastruktur (denn der Uploadmechanismus liegt seit Monaten brach), trotz vielfacher Abgesänge, trotz wachsender Konkurrenz. Und sie hat demonstriert, wie wichtig das Leaken kritischer Dokumente ist. Denn jetzt besteht zum Beispiel wieder Hoffnung, dass die amerikanische Administration Guantànamo doch noch schließen wird und in absehbarer Zeit gezwungen ist, diesen finsteren Teil ihrer Geschichte juristisch aufzuarbeiten.

Die Bedeutung des Leakens jedenfalls ist ein weiteres Mal sichtbar geworden. Bleibt zu hoffen, dass es nicht der letzte Coup war.

 

Die Allesfresser

Dass sie skrupulös sind, kann man ihnen nicht vorwerfen. Beim besten Willen nicht. Die Macher des amerikanischen Fernsehphänomens Fox-News nutzen alles, was ihnen und ihrer Mission hilft. Und diese Mission kennt nur ein Ziel. Den Angriff auf die liberale Regierung. Frontal, tendenziös, brutal, ehrlich. Hierzulande gibt es noch keinen Begriff, für diese Art des Informationstransports. Dort nennt man es Nachrichten. Und Fox-News nennt sich Nachrichtenkanal. Ganz ungeniert. Andere sprechen allerdings eher von der dunklen Seite der Comedy.

Im aktuellen Fall geht es um gerade veröffentlichten US-Depeschen der Botschaft in Damaskus. Wie die Washington Post berichtete, wurden ihr von WikiLeaks Botschaftsdepeschen aus Syrien zugespielt, die klar belegen, dass die US-Regierung seit Jahren Oppositionsgruppen in Syrien unterstützt. Das Groteske an dem Vorgang ist nun nicht, dass die US-Regierung die Versuche leugnet, auf diesem Weg die syrische Regierung stürzen zu wollen. Das Groteske ist, dass der vermeintliche Nachrichtensender Fox-News WikiLeaks zum Kronzeugen gegen die Regierung macht. Jenes Portal namens WikiLeaks, dessen Gründer man vor Kurzem noch zum Teufel, oder genauer gesagt zum Henker jagen wollte.

P.S.: Man weiß übrigens nicht ob es Ironie, Sarkasmus oder Naivität ist, aber WikiLeaks selbst macht das Ganze via Twitter auch noch zur eigenen Angelegenheit

 

Daniel Domscheit-Berg und OpenLeaks auf der re:publica – live!

Der Streit ist mittlerweile alt geworden. Aber er ist weiterhin heftig. Welche Rolle hatte Daniel Domscheit-Berg bei WikiLeaks. Bloggen heute live Domscheit-Bergs Vortrag auf der re:publica.

Daniel Domscheit Berg spricht zu Beginn über das enorme Potential des digitalen Whistleblowings. Vor allem betont er, geht es für zukünftige Leakingplattformen nicht um die Majorprojekte, wie beispielsweise Cablegate, sondern um die vielen eher kleinen Themen die geleakt werden könnten/sollten.

Aus DDBs Sicht ist der Kontext von geleaktem Material enorm bedeutsam. Er nennt es das „Exklusivitäts-Dilemma“. Was kann eine Whistleblowingorganisation mit Material anfangen, das sie zwar exklusiv besitzt, aber evtl. nicht in die adäquaten Informationszusammenhänge setzen kann. Eines der zentralen Motive, warum OpenLeaks mit Partnerorganisationen aus den Bereichen Presse und NGO zusammenarbeiten wird.

Eine der größten Gefahren für Leakingplattformen ist die entstehende Macht, wenn brisantes Material eingeht. Macht korrumpiert. Offenbar eine klare Anspielung auf WikiLeaks und Julian Assange. Deshalb planen DDB und die Macher von OpenLeaks ihr neues Angebot als reinen Service. Eine Publikationsplattform, keine hochdotierten Exklusivverträge. Reine Leaking-Dienstleistung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Was ist das Ziel von OpenLeaks? Eine stabile und vor allem absolut sichere Technologie, so DDB weiter. Diese Technologie sollte für alle denkbaren Partner zugänglich sein. Auch wenn man in der öffentlichen Alphaphase demnächst erstmal mit 6 Partnern starten wird.

Besonders wichtig ist DDB der Hinweis auf die geplante Vermeidung jeder finanziellen Diskriminierung zukünftiger Partner. Die Plattform soll für alle denkbaren Partner aus den Bereichen Medien, NGO oder Gewerkschaften offen sein. Es soll definitiv keine Monetarisierung von Leaks geben. OpenLeaks hat kein eigenes Geschäftsmodell.

Whistleblower können auf OpenLeaks zukünftig Dokumente zwei Wochen exklusiv an einen der akkreditierten Partner richten. Danach gehen die Dokumente in jedem Fall als Rohmaterial in die Community. Auch wenn der Partner das Material zwischenzeitlich publiziert hat.

Knowledge soll geteilt werden! Andere Leakingportale wie Greenleaks etc. (siehe Übersicht) sollen von den Erfahrungen profitieren können.

Jeder Partner bekommt zukünftig eine eigene, gebrandete Partnerseite. So kann er auf seiner jeweiligen Seite im Look seiner Marke Leakingschnittstellen einrichten. Diese Schnittstellen funktionieren im weitesten Sinne wie OpenLeaks-Widgets. Auch werden Partnern auf OpenLeaks zukünftig  Werkzeuge zur unmittelbaren Auswertung der geleakten Dokumente zur Verfügung gestellt. Auch Interaktionen zwischen Partnerorganisationen werden möglich sein. So könnte sich eine NGO mit regionalem Tätigkeitsschwerpunkt an ein dort tätiges Medium wenden.

Um eine möglichst große Gruppe von Usern zu erreichen wird es verschiedene „User-Rollen“ geben. Partnerorganisationen werden in der Regel einen Read/Write-Status erhalten. Für weitere User wird es aber auch einen Read-Only-Status geben.

Mittelfristiges Ziel von OpenLeaks ist es, mit mind. 100 Organisation zu kooperieren. Die Partnerorganisation sollen sich 50:50 aus NGOs and Medienpartnern zusammensetzen.

Der aktuelle Status quo ist allerdings etwas bescheidener. In Kürze wird eine öffentliche Alphaversion mit 6 Partnern online gehen.

User sollen zukünftig auch voten können, um der Plattform so weitere vertrauenswürdige Organisationen zu empfehlen.

Die wichtigste News zum Schluss: DDB will sich für die Einrichtung einer Stiftung stark machen, die Whistleblowing in Deutschland stärkt.

Und er will kein Gelübde für einen definitiven Starttermin abgeben. Sie sind sehr beschäftigt, sagt DDB. Wir sind gespannt. Die Erwartungen sind hoch!

 

Israel File – Haaretz legt nach

Weitere Israel Files kommen ans Licht. Vor wenigen Tagen erst machte die israelische Tageszeitung Haaretz mit den ersten Exklusiv-Depeschen Schlagzeilen. WikiLeaks hatte Haaretz exklusiv zahlreiche Cable zur Verfügung gestellt, in denen sich US-Diplomaten zur Lage im Nahen Osten allgemein und zum israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt im Speziellen äußern. In einigen Depeschen ging es um die Zigarren des umstrittenen israelischen Außenministers Liebermann, aber auch um seine Einschätzung des Palästinenserführers Abbas, den er als korrupt und schwach bezeichnete. In anderen Depeschen ging es um die Schlagkraft der Hisbollah. Botschaftsdepeschen aus dem November 2009 zufolge, erwartete der israelische Geheimdienst Mossad, dass die Hisbollah bei der nächsten kriegerischen Auseinandersetzung mehrere hundert Raketen am Tag auf Israel richten könnte.

Heute zitierte Haaretz aus Depeschen, die belegen sollen, dass israelische Militärs trotz bestehender Friedensvereinbarung seit Jahren davon ausgingen, dass das ägyptische Militär Israel weiterhin als Feind betrachte. In einem Artikel von heute wird aus Depeschen zitiert, die Amos Gilad mit den Worten „Der 21. Januar 2006 wird ein schicksalhafter Tag in der israelischen Geschichte sein“ wiedergeben. Gemeint sind die palästinensischen Parlamentswahlen 2006, aus denen die Hamas als Sieger hervorging. Amos Gilad zählt zu den hochrangigsten Sicherheitspolitikern auf israelischer Seite. Gilad beklagt sich bitter darüber, wie sehr die israelische Regierung die Bedeutung der palästinensischen Parlamentswahl unterschätzt habe.

Wer die Haaretz-Artikel liest und die Depeschen durchgeht, ahnt wie Komplex beladen die Geschichte ist, wie neurotisch die Akteure sind und wie ausweglos die Situation scheint. Hoffnung sucht der Leser vergebens.

 

Uni-Leaks dringend gesucht! Warum der Fall Guttenberg die Notwendigkeit eines Transparenzgebots demonstriert

Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg war und ist ein Mann der klaren Worte. Die ersten Vorwürfe gegen die Individualität seiner Doktorarbeit nannte er abstrus. Das war unmissverständlich. Dann räumte er ein paar wenige handwerkliche Fehler ein, die ihm unter dem Druck der Herkulesaufgaben des Politkerdaseins bei gleichzeitiger Familiengründung unterlaufen sein könnten. Kein Vorsatz, nirgends. Der Glaube an die eigene Integrität war felsenfest. Auch das war unzweideutig. Dann kassierte er seinen Titel freimütig ein (die Kanzlerin hatte ja einen Minister bestellt, keinen Wissenschaftler). Schließlich räumte er mit großer Geste endgültig das Feld (die zuvor gefallenen Soldaten sollten ja noch mit Würde unter die Erde; nur das der Grund für sein langes Zögern). Lückenlose Aufklärung hieß jetzt die Parole. Die Universität Bayreuth sollte sie betrieben. Mitleidlos natürlich. Nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch er selbst hätten das dringende und berechtigte Interesse, den Ausgang der Geschichte zu erfahren. Auch hier gab es also keine zwei Meinungen.

Jede Etappe isoliert betrachtet, zeigt einen Politiker, der nicht lange fackelt, der nicht zu den Zauderern gehört. Ein Mann, ein Wort. Nur der Wirklichkeit war das alles gleichgültig. Was an sich schon ein Frechheit war. Sie mischte sich ein, funkte dazwischen, griff dem größten Inszenator der letzten Jahre unerhörterweise ins Ruder. Und dann widerlegte sie ihn auch noch regelmäßig. Diese Wirklichkeit kompromittierte die klaren Worte und zeigte sie als das, was sie waren: Überwältigungs- und Einschüchterungsversuche.

Jetzt gipfelt das Ganze in den schon abenteuerlich anmutenden Versuchen der Veröffentlichung des Abschlussberichtes der Bayreuther Universität juristisch zuvorzukommen. Nicht nur, dass auch diese Volte von einem erschütternden strategischen Unvermögen und einer grandiosen Überschätzung der eigenen Machtmittel zeugt. Viel mehr verkennt Guttenberg Gegenwart und Gesellschaft mit einer Naivität, die erschaudern lässt. Denn diese Gegenwart ist längst nicht mehr bereit, sich abbügeln zu lassen. Diese Gegenwart fordert von politischen Mandatsträgern echte Klarheit, sie fordert Transparenz im besten Sinne. Sollten Politik und Politiker nicht bereit sein, in angemessener Transparenz zu handeln, dann wird sich die Gesellschaft der Gegenwart Einblicke, die ihr verwehrt werden, selbst verschaffen. Das GuttenPlag-Wiki hat das eindrucksvoll bewiesen. Sollte Guttenberg jetzt tatsächlich juristischen Erfolg haben und die Veröffentlichung des Abschlussberichts der Prüfung „seiner“ Doktorarbeit mit Hinweis auf seine Persönlichkeitsrechte verbieten lassen können, wäre das nicht nur ein herrlich ironischer Kreisschluss, sondern auch von juristischer Tragik, die nur noch eine Forderung zulässt. Es braucht dringend ein Uni-Leaks-Projekt – und zwar schnell.

 

Missing Link – Was verbindet WikiLeaks und die Open Data Bewegung?

Wieder ein Buch. Gefühlt ist es in etwa das 1267 Buch zum Thema WikiLeaks, das innerhalb der letzten drei Monate erschien. Und es ist vermutlich nicht das letzte. Im Gegensatz jedoch zu den persönlichen Innenansichten der Leakingplattform, die WikiLeaks-Dissident Daniel Domscheit-Berg lieferte oder den Making-Of Texten der Spiegel-Autoren Marcel Rosenbach und Holger Stark, wählt WikiLeaks and the Age of Transparency von Micah L. Sifry einen anderen Ansatz. Es erzählt die Geschichte der digitalen Transparenzbewegung und sucht nach dem Missing Link zwischen Open-Data und WikiLeaks. In der Berliner Gazette veröffentlichte der Politikwissenschaftler Christoph Bieber gerade eine lesenswerte Rezension des Bandes. Im Gespräch mit dem Leaks-Blog erläutert er die Qualitäten des Buchs und seine Unzulänglichkeiten.

Die Eingangsfrage, ob nicht längst alle WikiLeaks-Bücher geschrieben sind, verneint Bieber, der bisher an der Universität Giessen arbeitete und in Kürze an die Universität Duisburg-Essen wechseln wird. Anders als die Berichte der diversen Mitwirkenden, gelinge es Micah L. Sifry aus größerer Distanz das Phänomen WikiLeaks zu analysieren, so Bieber weiter. Es handele sich bei WikiLeaks and the Age of Transparency eben nicht um die Erlebnisberichte derer, die auf der Seite der Akteure standen, ganz gleich ob als Mitarbeiter von WikiLeaks wie bei Domscheit-Berg oder als Journalisten, wie bei den Autoren des Spiegel.

Eher profitiere Sifrys Buch davon, sich nicht zu sehr mit den Details der WikiLeaks-Story und dessen umstrittenen Führungspersönlichkeit Julian Assange zu beschäftigen, sondern nach dem größeren Rahmen zu suchen. Und dieser größere Rahmen sei, folge man den Ausführungen Sifrys, die globale Open Data Bewegung.

Und das Buch wage eben, so Bieber, die Suche dem Missing Link zwischen Open-Data-Bewegung und WikiLeaks. Zwar gelinge diese Suche nicht immer, aber das Einrücken von WikiLeaks in diesen größeren Betrachtungsrahmen, sei der entscheidende Pluspunkt des Buchs. Es werde klar, das Leakingkultur und Transparenzbewegung, zwei Seiten einer Medaille sein könnten.

Was die Zukunft von Assange aber auch die Weiterentwicklung der Leakingkultur angeht, ist aus Sicht Biebers das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Assange sei für das Gelingen von WikiLeaks von enormer Bedeutung gewesen. Laut Bieber ist Assange geradezu die Idealausprägung eines Bewegungsintellektuellen. Hartnäckig, von großer Präsenz, streitbar, polarisierend, aber auch mobilisierend. Ob Leakingplattform zukünftig aber weiterhin auf herausragende Bewegungsintellektuelle angewiesen sein, ist laut Bieber nicht entschieden. Plattformen wie das Guttenplag-Wiki hätten bewiesen, dass Communitys auch ohne exponierte Führungspersönlichkeiten effektiv sein können. Auch sei es durchaus naheliegend, dass Leakingplattformen nicht nur global operieren, sondern regional oder themenspezifisch arbeiten. Und dann brauche es weder Führungsfigur, noch ein Netz weltweiter Medienpartner, sondern einfach nur relevante Materialien.

 

Die WarLeaks – Im Jahr eins nach Collateral Murder

In dieser Woche jährte sich die Publikation des Videos Collateral Murder. Vor einem Jahr ging WikiLeaks mit dem bis dahin brisantesten Leak an die Weltöffentlichkeit. Das Video warf einen Blick in die Abgründe des Krieges. Es zeigt, wie Soldaten zu Mördern werden.

Für das WikiLeaks-Nachrichtenportal WL Central war der Jahrestag Anlass eine Übersicht unter dem Titel WarLeaks zusammenzustellen. Die Übersicht bietet zwar keine Neuigkeiten, aggregiert aber alle wichtigen Quellen rund um das Video Collateral Murder und die Afghanistan Dokumente beziehungsweise die Iraq-Logs. Was auf der Übersichtsseite fehlt, ist das Thema Bradley Manning. Der ehemalige Obergefreite der US-Army und mutmaßliche Quelle des Videos sitzt seit Monaten in strengster Isolationshaft, während die Hubschrauberpiloten aus dem Video auf freiem Fuß sind. An anderer Stelle jedoch biete WL Central ersatzweise eine separate Übersicht mit allen wichtigen News zum Fall Manning. Auch Greg Mitchell vom Netzmagazin The Nation liefert einen in seinem aktuellen Artikel  Dan Ellsberg and ‚Saving Private Manning‘ eine umfangreiche Einschätzung des Falls Manning. Greg Mitchell ist übrigens auch Autor des sehr empfehlenswerten Blogs Media Fix auf The Nation.

 

Kurz und klein (8): Nebenkläger, Nebeneinkünfte, Nebenberufe

+++Nebenkläger+++

In der Wunde wird weiter gewühlt. Die USA kommen nicht zur Ruhe. Vor wenigen Tagen erst hatte ein früherer Sprecher des US-Außenministeriums im britischen Guardian kopfschüttelnd kommentiert, der Umgang der USA mit dem vermutlichen Whistleblower Bradley Manning schade dem Ansehen Amerikas massiv.

Jetzt veröffentlichte die New York Book Review einen offenen Brief an die US-Regierung, den über 250 Intellektuelle in kürzester Zeit unterzeichneten. Ihr Plädoyer ist eindeutig. Die Haftbedingungen Mannings, der in strengster Isolationshaft auf seinen Prozess wartet, sind unmenschlich und schaden den USA (Siehe auch Asymmetrische Rache über die schweren Irrtümer der USA im Fall Manning).

+++Nebeneinkünfte+++

Der Weltgeist ist gerade in Nordafrika unterwegs. Ägypten und Tunesien dominierten zu Beginn des Jahres den Nachrichtenfluss (siehe auch Das Drehbuch der Revolution über die Bedeutung der Depeschen für die arabischen Revolutionen). Vor Wochen folgten dann der öffentliche Irrsinn Gadhafis, gepaart mit seiner brutalen Rücksichtslosigkeit beim Versuch der Niederschlagung der Revolution im eigenen Land. Jetzt ist es der Krieg westlicher Flugzeuge und libyscher Freiheitskämpfer gegen den Despoten.

Für Länder südlich des Maghrebs ist es da alles andere als leicht, das Interesse des Weltgeists zu wecken. Dabei sind die Vorgänge skandalös. In Nigeria, Afrikas bevölkerungsreichstem Land, wurden die am Wochenende geplanten Wahlen kurzfristig um wenige Tage verschoben. Als Grund wurden Lieferschwierigkeiten der Druckerei für Wahlerfassungsbögen benannt. Das WikiLeaks-News-Portal WL Central und die nigerianische Infoseite NEXT gehen auf Grundlage zahlreicher US-Depeschen, die WikiLeaks veröffentlicht hatte, jedoch eher davon aus, dass Verzögerungen bei den Manipulationsvorbereitungen Grund der Verschiebung waren. Denn aus den Depeschen geht eines hervor, anstelle des Wohles ihres Landes sehen zahlreiche nigerianische Politiker vor allem ihre eigenen Nebeneinkünfte an erster Stelle. Und die stammen in großen Umfängen aus der grassierenden Korruption.

+++Nebenberufe+++

Es gibt etliche Nebenberufe. Manche sind Teilzeitlandwirte, andere gehen abends putzen oder kellnern bis drei Uhr früh in einer schäbigen Bar, um die Familie durchzubringen. Bei Julian Assange wird man das Gefühl nicht los, dass er im Nebenberuf Interviewter ist. Die Zahl der Interviews jedenfalls ist mittlerweile astronomisch. Ein Exklusivinterview jagt das nächste. Der indische TV-Sender NDTV, das norwegische Aftonbladet, die italienische L’Espresso und jetzt auch noch das ZDF-Magazin aspekte. Assange würde wohl argumentieren, dass er sich nur in den Dienst der Sache stellt. Bleibt nur zu hoffen, dass es die Sache noch gibt. Und es nicht mehr ausschließlich um die Vermarktung der Person Julian Assange geht.

Im Aspekte-Interview jedenfalls äußerte sich Assange vor einigen Tagen vor allem zu einem wiederaufgelegten Buch, an dessen Entstehung er mitwirkte: Underground – Die Geschichte der frühen Hackerelite. Es geht um die Hackerszene der 1980er und frühen 1990er Jahre. Spannend ist es allemal. In der Süddeutschen Zeitung gibt es dazu noch ein Interview mit der Autorin Suelette Dreyfuss.