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Logbuch eines Untergangs

WikiLeaks ist am Ende. Die letzten Tage belegen das. Wer aber das Ende verstehen will, muss sich den Anfang noch einmal vergegenwärtigen. Und der eigentliche Start dieser seltsamen Weltkarriere eines Netzportals ist nicht die Gründung vor Jahren. Der tatsächlich Aufstieg beginnt im Sommer 2010. In kurzer Zeit geht es dann steilstmöglich nach oben. WikiLeaks wird zum Globalplayer in Sachen Weltpolitik. WikiLeaks veröffentlicht gemeinsam mit zahlreichen Medienpartnern die Kriegstagebücher der US-Armee in Afghanistan. Eine nur Insidern bekannte Netzorganisation dominiert plötzlich weltweit die Nachrichtensendungen. Im Herbst 2010 legt die Wistleblowerplattform unerschrocken nach. Die Iraq War Logs erscheinen. Wieder wohl dosiert. Wieder von großen Medienpartnern aufwendig aufbereitet. Das Beben ist gewaltig. Weltweit. Es geht weiter Schlag auf Schlag. Winter 2010. Die Botschaftsdepeschen erscheinen. WikiLeaks ist längst zum Akteur auf der politischen Weltbühne geworden. Alle Prognosen erwarten von jetzt an regelmäßige digitale Beben von WikiLeaks.

Nichts scheint mehr so zu sein wie es war. Journalismus. Staatsgeheimnisse. Die Macht des anonymen Einzelnen. Die Revolution der Öffentlichkeit scheint vollendet. Nicht mehr investigativ arbeitende Redaktionen und Journalisten wühlen in den Geheimnissen der Regierungen und Unternehmen, sondern Insider. Mitarbeiter, Armeeangehörige und Beamte, die sich mit Vorgängen konfrontiert sehen, die sie kaum noch ertragen, von denn sie sich nichts sehnlicher Wünschen, als das die Öffentlichkeit, am besten die Weltöffentlichkeit von ihnen erfährt. Das Comeback des schlechten Gewissens, die asymmertrische Macht des Einzelnen, als Korrektiv bestimmter Degenerationen und Defekte demokratischer Gesellschaften.

Das ideale Werkzeug der vernetzten Gesellschaft für diese Zwecke ist eine Whistleblowerplattform im Internet. Größtmögliche Anonymität, prominente Medienpartner Veröffentlichung und sorgfältige redaktionelle Aufbereitung der Unterlagen. Eine perfekte Strategie. WikiLeaks wird in kurzer Zeit zum Prototypen dieses publizistischen Werkzeugs neuer Art. Aber der Absturz folgt. Umgehend.

Und es geht bei diesem Absturz nur am Rande um die kritische Einordnung der vermeintlichen sexuellen Praktiken Julian Assanges, der Führungsfigur von WikiLeaks. Es geht um die technische Integrität eines publizistischen Angebots, dessen Nutzung Whistleblower in existentielle Gefahr bringen kann. Es geht um die politische Nüchternheit und strategische Klarheit der Entscheider, die ihre Kompetenzen und Kenntnisse im Sinne ihrer Aufgabe einsetzen sollten. Es geht um Reputation und Glaubwürdigkeit, diese wohl kostbarste Währung der Publizistik im Netzzeitalter. Kurz gesagt: Es geht um Reife und Professionalität.

Mit Blick auf diese Faktoren sind die letzten Tage die letzten Belege für den (vorläufigen) Untergang eines grandiosen Konzepts. Wer das Logbuch des Niedergangs liest, fühlt sich an eine unheimlich anmutende Mischung aus Shakespeare, Dallas und Denver-Clan erinnert. Wenige Auszüge und Schlaglichter genügen, um zu sehen, dass dieser Bewegung kein Whistlebower in einem Ministerium, einem Weltkonzern oder einer global agierenden Bank mehr trauen wird.

Dienstag. 30. August. Früher Abend, New York Ortszeit. Nichts geht mehr. Es ist nur ein temporäres Problem. Aber es ist symptomatisch. Und selbstverschuldet. Die Netzseite der Whistleblower-Organisation WikiLeaks ist down. Nach dem tausende Depeschen unredigiert veröffentlicht wurden, sieht sich die Seite massiven Cyberattacken ausgesetzt.

Freitag letzter Woche. Eine geheimnisumwitterte CD soll seit einiger Zeit im Netz zirkulieren. Cables.csv ist ihr entwaffnent schlichter Titel. Sie ist zwar verschlüsselt. Aber das Passwort soll ebenfalls im Netz zu finden sein, berichtet die Wochenzeitung Der Freitag. WikiLeaks reagiert mit Anschuldigungen Richtung Domscheit-berg. Kurze Zeit später aber publiziert die Leaking-Plattform tausende unbearbeitete Depeschen. Die CD könnte das von Domscheit-Berg mehrfach angesprochene Sicherheitsleck bei WikiLeaks belegen.

Montag, 21. August. Der WikiLeaks-Dissident gibt die endgültige Löschung zahlreicher Datensätze von WikiLeaks bekannt, die er aus Sicherheitsbedenken bei seinem Ausscheiden an sich genommen hatte.

Mittwoch, 31. August. WikiLeaks geht per Anwalt gegen OpenLeaks-Gründer Domscheit-Berg vor und legt ihm zum wiederholten Male „ein gesteigertes Maß an Niedertracht vor“. Unter anderem soll er der Wochenzeitung Der Freitag die Daten auf der omniösen Cables.csv CD zugänglich gemacht haben.

Vorangegangen sind diesen letzten Indizien für eine Agonie der ehedem noch strahlenden Leaking-Bewegung eine Reihen von Konflikten, Dramen und Ablenkungsmanövern, die sich mit allem beschäftigen, zerbrochenen Freundschaften, wettstreitende Alphatiere, Verschwörungstheorien finsterster Sorte, aber nicht mit der adäquaten Pflege der Leaking-Bewegung, dem angemessenen Umgang mit geleakten Dokumenten und ihrer entsprechenden Vermittlung an die Öffentlichkeit.

Vielleicht ist dieser Untergang der WikiLeaks-Idee kein rasanter Absturz, vielleicht ist es eher eine Agonie. Unter dem Strich aber spielt die Art des Siechtums keine Rolle. Unter dem Strich bleibt der Ruin einer anspruchsvollen Idee. Eine innovative Strömung hat sich selbst zu Grunde gerichtet. Historisch betrachtet ist das keine Neuigkeit. Schon immer fielen politische Erneuerer durch Streit, Spaltung und Egomanien auf. Da stellen Julian Assange und Domscheit-Berg keine Einzelfälle dar.

Für die Gegenwart und die nähere Zukunft jedoch ist dieser Untergang ein herber Verlust. Es wird Jahre dauern, bis Whistleblower wieder Vertrauen zum Konzept der anonymen Abgabe brisanter Materialien haben werden.  Und es bleibt abzuwarten, ob die erfolgreichen Leaking-Schnittstellen zwischen Öffentlichkeit und Whistleblower dann wieder auf oder zumindest wenigen Plattformen konzentriert sein werden oder ob sich die Prognosen aus dem Winter 2010 bewahrheiten, dass derartige Angebote zukünftig zum technischen Repertoire jedes größeren journalistischen Angebots im Netz sind. Pilotprojekte gibt es bereits viele. Hoffen wir, dass einige von Ihnen die momentane Krise der Leaking-Idee als Chance nutzen können.

 

Die lieben Verwandten

Die Publikation der WarLogs des Afghanistan-Krieges durch WikiLeaks jährt sich in zwei Wochen zum ersten Mal. Das Beben im Juli 2010 war heftig. Und es sollte nicht das letzte bleiben. In kurzen Abständen veröffentlichte WikiLeaks auch noch die Kriegstagebücher aus dem Irak und die Botschaftsdepeschen weltweiter US-Vertretungen. Die politischen Folgen dauern bis heute an.

Auch das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten, schien beschlossene Sache. Doch die vorhergesehenen Großverschiebungen der Plattentektonik der Weltöffentlichkeit blieben aus. Vorerst. Stattdessen geht es seit Monaten um die Popfigur Julian Assange und seine Gerichtsprozesse, um unerfüllte Ankündigungen neuer Großleaks und neuer Plattformen wie OpenLeaks, die bis heute nicht aktiv sind. Auch zahlreiche neue Leakingportale sind entstanden. In der Schweiz, in Schweden, in Deutschland. Natürlich auch in den USA und im arabischen Raum. Die erhoffte oder befürchtete Wirkung jedoch blieb aus. Stattdessen machte die Onlineguerilla Anonymous von sich reden. Man konnte nach ersten Aktionen gegen Visa und Mastercard, die auf Druck der US-amerikanischen Regierung den Geldtransfer an WikiLeaks eingestellt hatten, den Eindruck gewinnen, bei Anonymous handele es sich um den bewaffneten Arm der Leakingszene.

Jetzt aber startete das Hackerkollektiv eine eigene Leakingplattform. Sensationellerweise heißt das Portal HackerLeaks und ist seit Kurzem im Netz erreichbar. Auf den Erfolg darf man gespannt sein. Ist doch HackerLeaks nicht der erste Versuch der Anonymous-Aktivisten ein Leakingportal zu starten. Vor Monaten ging bereits Anon-Leaks ans Netz und ward seit dem nicht mehr gehört.

Der Verdacht erhärtet sich, dass größere Verschiebungen in der Plattentektonik der Weltöffentlichkeit vorerst ausbleiben. Die digitale Revolutionen sind allem Anschein nach langsamer als sie von sich selbst behaupten. Unumkehrbar bleiben sie dennoch.

 

Gezogen, aber nicht inhaliert

Damals ging es um einen Joint, an dem US-Präsident Bill Clinton zwar gezogen, dessen Rauch er aber nicht inhaliert hatte. Gott sei Dank. Denn andernfalls hätte er als Präsident naturgemäß eine schwere Glaubwürdigkeitskrise überstehen müssen. Mit dieser brillianten Argumentation jedoch, die beim adressierten Publikum entweder ein biblisches Maß an Gutgläubigkeit voraussetzte oder ein ebenso biblisches Maß an Dummheit, konnte Clinton nahezu unbeschädigt im Amt bleiben, wo er weitere Krisen meisterte. So stritt er Mitte der Neunziger Jahre zum Beispiel konkreten sexuellen Kontakt mit der berühmt gewordenen Praktikantin Monica Lewinsky lange ab, denn er hatte mit ihr ja keinen Geschlechts-  sondern lediglich Oralverkehr.  Ersterer hätte ihn das Amt gekostet, zweiterer zwang ihn nur zu einer Entschuldigung bei seiner Frau.

Die New York Times berichtet jetzt von einer ähnlich ambitionierten Argumentation im Kontext der sogenannten Gitmo-Files, der streng geheimen Guantanamo-Dokumente, die WikiLeaks vor einigen Wochen veröffentlichte. Danach dürfen Verteidiger der zahlreichen Guantanamo-Insassen, deren Inhaftierungen in vielen Fällen äußerst umstritten sind, da spätestens seit Bekanntwerden der Gitmo-Files klar ist, dass etliche Personen bar jeder Rechtsgrundlage festgehalten werden, nach einer neuen Gerichtsentscheidung die Guantanamo-Dokumente, die seit Ende April 2011 in diversen Zeitungen der Welt nachzulesen sind, jetzt auch sichten. Runterladen und speichern allerdings bleibt strengstens verboten. Man kann ja auch übertreiben.

P.S.: Zwar bleibt einem mit Blick auf derartig groteske Gerichtsentscheidungen die Sprache weg, aber gerechterweise muss man hinzufügen, dass es in Kürze zum Thema Speichern mund vor Gericht verwenden eine weitere Entscheidung geben soll. Immerhin.

 

Der Jesus von Guantànamo

Er hat nur eine entfernte Ähnlichkeit. Vollbart und langes Haar. Mehr nicht. Er ist deutlich kräftiger als Jesus von Nazareth. Als bekennender Moslem hat er ein anderes Glaubensbekenntnis. Und er lebt in Bremen, nicht in Palästina. Aber dennoch könnte auch er zur Symbolfigur werden. Mehr noch als er es bereits heute ist.

Der in Bremen geborene Türke Murat Kurnaz saß jahrelang unschuldig in Guantànamo. Sein Sicherheitsstufe war die höchste. Grundlage der Einkerkerung waren fragwürdige Reisebewegungen und Aufenthalte in Pakistan. Im Jahr der al Qaida-Anschläge auf das World Trade Center. Sonst nichts.

Die von der New York Times hervorragend aufbereiteten Guantànamo-Files liefern einen tiefen Einblick in die brüchigen Einschätzungen der Inhaftierten durch den amerikanischen Verfolgungsapparat. Und sie liefern das Anschauungsmaterial für ein in sich selbst zurückgekrümmtes System, bestehend aus Paranoia, Folter und eines gut funktionierenden Selbstbestätigungsmechanismus. Denn die Akte Kurnaz belegt eines eindeutig: Der Verdächtige war ganz offenbar nie mehr als ein Verdächtiger und selbst der Verdacht scheint konstruiert gewesen zu sein. Beweise gab es nicht. Lediglich die Aussage des Mitinhaftierten Mohammed al-Qahtani hatte kurzzeitig den Anschein eines Belegs. In Verhören hatte der ebenfalls inhaftierte Kombattant bestätigt, Murat Kurnaz in Tora Bora 2001 als al Qaida-Kämpfer gesehen zu haben. Doch der Anschein hielt nicht lang. Die Verhörergebnisse waren unter Folter entstanden. Vermutlich hätte Mohammed al-Qahtani auch Prinz Charles oder Lady Gaga in Tora Bora indentifiziert, um sich selbst von Water-Boarding und anderen in Guantànamo üblichen Freizeitbeschäftigungen zu erlösen.

Dass es keinerlei Beweise für eine Verbindung von Murat Kurnaz zur al Qaida gab, stellte die US-Richterin Joyce Hens Green bereit im Januar 2005 fest. Entlassen wurde Kurnaz im August 2006. Auch alle Verfahren deutscher Behörden sind längst eingestellt.

Zwar gab es mittlerweile zahlreiche Medienberichte über die Willkür, mit der amerikanische Behörden, das amerikanische Militär und die amerikanische Gefängnisleitung in Guantànamo vermeintliche Kombattanten inhaftierten und folterten, doch scheint es, als könne die Debatte noch weitere Symbolfiguren brauchen. Denn die Zustände in Guantànamo sind weiterhin unerträglich. Eine Schließung ist nicht absehbar.

Und jeder weitere Tag unterminiert die Glaubwürdigkeit der USA und des gesamten Westens weiter. Natürlich geht es in erster Linie um die Wiederherstellung der Menschenwürde grundlos Inhaftierter. Aber auch aus politischem Eigennutz müssen sich die Regierungen des Westens endlich noch deutlicher und noch lauter bei Obama für die Schließung des Guantànamos einzusetzen.

Amen.

 

Das letzte Lebenszeichen? WikiLeaks und die Guantànamo-Files

Totgesagte leben länger. Angeblich. WikiLeaks jedenfalls hat sich mit einem Lebenszeichen der heftigeren Art zurückgemeldet. Die gerade veröffentlichten Guantànamo-Dokumente sind jedenfalls der berühmte Paukenschlag, mit dem nicht mehr jeder Beobachter der Szene gerechnet hatte. Die Wucht der Veröffentlichung reicht zwar nicht an die Beben heran, die die War-Logs und die US-Botschaftsdepeschen auslösten, aber sie treffen die amerikanische Administration empfindlich. Unschuldige und Kinder sollen im Militärgefängnis gesessen haben. Mit Wissen der Militärs. Der Druck auf Präsident Obama, sein Wahlversprechen, die Schließung Guantànamos doch noch zu halten, wird wieder wachsen. Und das ist wichtig. Sehr wichtig. Und es ist ein Verdienst von WikiLeaks. Auch wenn WikiLeaks offenbar nicht ganz Herr der Lage war in den letzten Tagen. Denn die Veröffentlichung der Guantànamo-Dokumente durch die New York Times und den Guardian war nicht geplant. Jedenfalls beschuldigte WikiLeaks Daniel Domscheit-Berg, den WikiLeaks-Dissidenten und OpenLeaks-Gründer, gestern via Twitter, unbefugterweise Dokumente an die New York Times weitergegeben zu haben.

Aber trotz aller Unfreiwilligkeit, mit der WikiLeaks und Partner jetzt mit ihren Auswertungen der Dokumente an die Öffentlichkeit gehen mussten: WikiLeaks ist wieder in den Medien. Weltweit. Die Washington Post berichtet in ihren Auswertungen über die Strategien der Strategen des 11. September, der Guardian mahnt zur Skepsis und verweist darauf, dass viele Verhörergebnisse unter folterartigen Bedingungen entstanden sind, dass ein Verdächtiger auch schon mal für den britischen MI6 gearbeitet hatte und dass es nur eines verdammt schlechten Timings bedurfte, um schon mal als Terrorverdächtiger in Guantànamo zu landen. The Australian erklärt uns mal ganz nebenbei, dass al-Qaida eigentlich auch einen nuklearen Höllensturm zu entfesseln gedachte. Die New York Times beschäftigt sich mit den Konjunkturverläufen des Terrors nach den Attacken vom 11. September 2001. Alle sind sie wieder da. Und profitieren mit Seite-Eins-Geschichten von der Existenz der Leaking-Plattform.

Die Artikel sprechen vom Terror, von der schwer kalkulierbaren Größe al-Qaida, von der kompromittierten amerikanischen Regierung, und immer auch von WikiLeaks. Die Leaking-Plattform hat es wieder in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit geschafft. Trotz defekter Leaking-Infrastruktur (denn der Uploadmechanismus liegt seit Monaten brach), trotz vielfacher Abgesänge, trotz wachsender Konkurrenz. Und sie hat demonstriert, wie wichtig das Leaken kritischer Dokumente ist. Denn jetzt besteht zum Beispiel wieder Hoffnung, dass die amerikanische Administration Guantànamo doch noch schließen wird und in absehbarer Zeit gezwungen ist, diesen finsteren Teil ihrer Geschichte juristisch aufzuarbeiten.

Die Bedeutung des Leakens jedenfalls ist ein weiteres Mal sichtbar geworden. Bleibt zu hoffen, dass es nicht der letzte Coup war.

 

Thronfolger, Kronprinzen und Selbstversorger

Die Spekulationen reißen nicht ab. Das Verhältnis zu WikiLeaks-Gründer Julian Assange ist ruiniert und seit Wochen kursieren Gerüchte, der britische Guardian und die New York Times könnten zukünftig mit der neuen Leakingplattform OpenLeaks.org zusammenarbeiten. Guardian Chefredakteur Alan Rusbridger bestätigte nun in einem längeren Interview mit der amerikanischen Nachrichtenseite The Cultline aus dem Yahoo News-Universum, dass man eine Kooperation mit dem Portal des WikiLeaks-Dissidenten Daniel Domscheid-Berg prüfe:

But Rusbridger did confirm that The Guardian has been in talks about a possible collaboration with OpenLeaks, a newer document-leaking platform launched in December by high-ranking WikiLeaks defector Daniel Domscheit-Berg.

Aber ebenso wie die New York Times scheint auch der Guardian ein eigenes Onlineangebot für Whistleblower zu erwägen. In den letzten Monaten sind bereits mehrere Leakingportale größerer Medienhäuser im Netz gestartet. In Deutschland bietet die WAZ-Gruppe mit derwesten-recherche.org ein eigenes Portal, in Schweden startete sogar der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit RadioLeaks.se ein im Hörfunk einmaliges Angebot, auch der amerikanische Fernsehsender MSNBC ist mit Open Channel seit einigen Wochen online und Al Jazeeras Transparency Unit sorgte erst Ende Januar mit der Veröffentlichung der geheimen Palestine Papers für Furore.

Einen Überblick über zahlreiche neue Leakingplattformen gibt es hier. Das Ganze ist übrigens ein Work-in-Progress. Ergänzungen sind natürlich willkommen.

 

Kurz und klein (2): Beleidigte, Gefürchtete, Verhörte, Zaudernde

+++Beleidigte+++

Die Liebe war intensiv, aber schon damals nicht ohne Probleme. Jetzt ist sie erloschen und die Verschmähten schmähen einander.

So muss man die mittlerweile erkaltete Beziehung zwischen Wikileaks und den ehedem exklusiv berichtenden Medien New York Times und The Guardian beschreiben. Bill Keller, Chefredakteur der New York Times hatte erst vor wenigen Tagen in einem längeren Essay mit Wikileaks-Gründer Assange abgerechnet. Der Guardian brachte am Wochenende den Netzkritiker Evgeny Morozov in Stellung, um die Bedeutung von Wikileaks zu relativieren. Auch Ian Katz, Deputy Editor des Guardian, breitete am Samstag seine Version der beendeten Kooperation aus. Sensationeller Weise verwies er ausführlich auf die Bedeutung der journalistische Kompetenz des Guardian und seiner Partner, ohne die die publizistischen Erdstöße des letzten Jahres nicht denkbar gewesen wären. In ihrem Artikel Übernachtet und unrasiert beschreibt ZEIT-Autorin Khue Pham übrigens ausführlich, wie die Redakteure der ehemals exklusiven Medienpartner nun in Büchern ihre Versionen der Wikileaks-Saga erzählen.

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Kurz und klein: Ägypten, Nobelpreis, schmutzige Bomben und Bill Keller

In Nordafrika bricht eine neue Zeit an. Doch der Westen zaudert. Die Ängste sind groß, dass anstelle verlässlicher Schurken an der Spitze außenpolitisch moderater Regime plötzlich unberechenbare Islamisten die Führung übernehmen. Auch zahlreiche Depeschen der letzten Jahre belegen, dass die USA massive Zweifel an einer erfolgreichen Opposition hatten.

WLCentral.org berichtet von weiteren Depeschen, die sich mit der Einschätzung möglicher Mubarak Nachfolger beschäftigen. Die Einschätzung des neuen Vize-Präsidenten Omar Suleiman steht dabei im Mittelpunkt. Das Wikileaks-Blog der Politseite foreignpolicy.com beschäftigt sich mit diversen Kabeln, in denen es unter anderem um führende Militärs und ihre mutmaßliche Haltung gegenüber Mubarak und seinem Sohn Gamal geht. Gamal galt lange als Erbe des seit dreißig Jahren regierenden Autokraten. Dekadente Exzesse, wie sie die Depeschen der US-Botschaft in Tunis über die dortige Herrscherfamilie vorlegten, sind nicht darunter.

Währenddessen wurde Wikileaks von einem norwegischen Abgeordneten für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Zwar dürfte der Vorschlag nur geringe Aussichten auf Erfolg haben, aber die Vorstellung, Obama und Assange beim Dinner der Preisträger zu sehen, wie sie eine kleine Plauderei abhalten, ist charmant.

Weniger charmant dagegen ist die Vorstellung, dass das Terrornetzwerk Al Quaida angeblich an einer sogenannten schmutzigen Bombe arbeitet, die in Afghanistan gegen dortiges US-Militär eingesetzt werden könnte. Das jedenfalls behauptet der britische Telegraph heute und veröffentlicht gleich eine ganze Serie mit dem Titel  Nuclear Wikileaks Cables.

Schließlich bietet NPR, National Public Radio, einen Talk mit Bill Keller, dem Chefredakteur der New York Times, in dem es um die Bedeutung von Wikileaks für Politik und Journalismus geht. Vor wenigen Tagen hatte Keller einen Essay veröffentlicht, in dem er Assange als äußerst problematischen Partner charakterisiert und die Kooperation von Wikileaks und New York Times nachzeichnet. Der Essay ist das Vorwort eines weiteren Buchs zum Thema Wikileaks, das die New York Times in diesen Tagen veröffentlicht.

Neben der Rekonstruktion der Kooperation bietet das Gespräch bei nach gut sieben Minuten einen interessanten Einblick in die Planungen der New York Times. Keller äußert sich zu der Frage, ob die New York Times selbst eine Whistleblowerstruktur anbieten wird. Das Audio gibt es hier als MP3.

 

Selbstverteidigung

Der Mann hinter Wikileaks. Das ist der Titel der aktuellen 60 Minutes Ausgabe des amerikanischen TV-Senders CBS. Eine Stunde diskutierte Steve Kroft mit Julian Assange.

Den hatte in der zurückliegenden Woche Bill Keller, Chefredakteur der New York Times, in einem ausführlichen Portrait massiv kritisiert. Er sei “schwer zu fassen, manipulierend und unberechenbar“. Jetzt hatte Assange Gelegenheit, seine Version dieser und anderer Geschichten zu erzählen.

Update: Und hier noch David Leigh and Luke Harding sowie Alan Rusbridger vom britischen Guardian über ihr Buch Wikileaks – Inside Julian Assange’s War on Secrecy.

 

Einblicke in die Werkstatt der Weltöffentlichkeit

Schwer zu fassen, manipulierend und unberechenbar„. So charmant und warmherzig charakterisiert Bill Keller, Chefredakteur der New York Times, den Wikileaks-Gründer Julian Assange. Beschreibungen wie „arrogant, dünnhäutig, verschwörerisch und seltsam leichtgläubig“ folgen. Es klingt nach dem bitterbösen Ende einer kurzen und intensiven Liebesbeziehung. Immerhin gehörte die New York Times über Monate zu den exklusiven Medienpartnern der Whistleblowingplattform. Auch wenn Verweise auf Assanges brilliantes Technikverständnis und seinen beunruhigend scharf arbeitenden Verstand nicht fehlen.

Das Assange-Bild Kellers ist gerade in einem Artikel des Magazins der New York Times erschienen als vorab publiziertes Vorwort eines in Kürze erscheinenden Buchs, das die New York Times zum Thema Wikileaks veröffentlichen wird.  Der Titel „Open Secrets: Wikileaks, War and American Diplomacy“. Ab Montag kann das Buch als eBook bei zahlreichen Onlinebuchhändlern bestellt werden. Es fügt sich damit ein in die Reihe der aktuellen Wikileaks-Bücher (Übersicht hier „Whistleblowing auf Papier„).

Für den Leser des Artikels wird schnell klar, dass die Arbeiten im Maschinenraum der Weltöffentlichkeit alles andere als einfach gewesen sein dürften. Unterschiedliche Interessen, versteckte Agenden der diversen Parteien, komplexe technische Zusammenhänge und vor allem eine ganz offenbar eher kühle Atmosphäre zwischen Assange und Keller scheinen die Kooperation streckenweise massiv belastet zu haben.

Kein Wunder also, dass Wikileaks sich nach den gewaltigen Coups des letzten Jahres von den Medienpartnern aktuell emanzipieren will und angeblich Kooperationen mit über 60 Medien weltweit anstrebt. Was jedoch eine schwer zu organisierende, geschweige denn zu kontrollierende Größe sein dürfte. Allein was die Botschaftsdepeschen betrifft, hat Wikileaks mit Blick auf Aftenposten und Die Welt bereits die Kontrolle verloren. Dort werden seit Wochen Depeschen ohne jede Abstimmung mit Wikileaks veröffentlicht.

Bleibt die Frage, ob die angestrebten neuen Kooperationen individuell verhandelt werden sollen. Oder ob Wikileaks zukünftig ein Akkreditierungsverfahren für Medienpartner installieren wird, wie es OpenLeaks.org plant. Sollte an Kellers Portrait etwas dran sein, dürften individuelle Verhandlungen mit einem Chefunterhändler Assange jedenfalls kompliziert werden. Soviel gibt das Vorwort Kellers schon einmal her, auch wenn es manchmal wirkt, als würde einfach nur böse nachgetreten. Denn immerhin hatte Wikileaks die Absicht, die New York Times beim Depeschen-Projekt aus dem Verbund der Medienpartner zu verabschieden.

Wikileaks reagierte übrigens umgehend über Twitter auf Bill Kellers Assange-Portrait im Magazin der New York Times und sprach von einem schwarzen Tag für die us-amerikanische Presse.

„NYTimes does another self-serving smear. Facts wrong, top to bottom. Dark day for US journalism.”

Nicht gerade das, was man eine Liebeserklärung nennt.

UPDATE: Hier noch ein Video (Wikileaks: The Back Story) der New York Times mit Statements von Bill Keller und anderen (leider nicht embeddbar)