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Ein Mathematiker hat den Zweiten Weltkrieg entschieden

 

Diesen Freitag, am 6. Juni, jährt sich zum siebzigsten Mal die Landung der Alliierten in der Normandie, was den Anfang vom Ende des Zweiten Weltkriegs markierte. Auch als Mathematiker kann man etwas über den Zweiten Weltkrieg sagen. Das soll erst am Ende dieses Beitrags geschehen. Den Einstieg bildet etwas völlig Anderes, was mit Weltkrieg zunächst einmal nicht das Geringste zu tun hat: das Wichteln.

Sie wissen schon: Eine Gruppe von Menschen tauscht Geschenke nach dem Zufallsprinzip aus. Jeder steuert etwas bei, anschließend werden die Mitbringsel per Los zugeteilt. Unschön ist es natürlich, wenn jemand sein mitgebrachtes Geschenk selbst wieder zugelost bekommt. Aber wie oft passieren solche Selbstbewichtelungen eigentlich?

Überraschend oft das eigene Geschenk

Betrachten wir eine Familie aus Vater, Mutter und den Kindern Hanna und Felix. Jeder der vier kann das vom Vater beigesteuerte Geschenk zugelost bekommen. Ist das vergeben, gibt es noch drei Möglichkeiten für die Zuteilung des Geschenks der Mutter, zwei für Hannas Geschenk und eine für Felix‘, also 4 x 3 x 2 x 1 = 24 verschiedene Zufalls-Zuordnungen der Geschenke.

Bei wie vielen dieser Zuordnungen erhält keiner sein eigenes Geschenk zurück? Berechnen wir die Anzahl:

Nehmen wir an, Vaters Geschenk geht an die Mutter. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Wenn die Mutter umgekehrt den Vater bewichtelt, dann müssen die beiden Kinder sich ebenfalls wechselweise bewichteln. Dafür gibt es nur eine Möglichkeit. Oder die Mutter bewichtelt den Vater nicht. Dann müssen wir die Aufteilungen betrachten, in denen die Mutter nicht den Vater und keines der beiden Kinder sich selbst bewichtelt. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten, je nachdem, welches Kind von der Mutter bewichtelt wird. Insgesamt sind das drei Möglichkeiten.

Falls der Vater nicht die Mutter bewichtelt, sondern eines der Kinder, erhalten wir mit demselben Argument dieselbe Anzahl. Also gibt es genau neun Zuordnungen ohne Selbstbewichtelungen. Der Anteil ist demnach 9/24, also nur etwa 1/3.

Rechnerisch interessant ist, dass sich ungefähr derselbe Wert von 1/3 für jede Anzahl von Personen ergibt, selbst wenn 1.000 Menschen mitwichteln. Eine noch bessere Approximation ist der Kehrwert der Eulerschen Zahl e = 2,7182.

In der überwiegenden Mehrheit der Fälle kommt es also zu Selbstbewichtelungen. Was für eine Bedeutung hat diese Tatsache?

Keine selbstbewichtelnde Codierung

Nun, sie hat dem Zweiten Weltkrieg eine andere Wendung gegeben. Im Ernst

Die Deutsche Wehrmacht setzte damals die Verschlüsselungsmaschine Enigma zur Übermittlung geheimer Botschaften wie Angriffsziele, Truppenstärken, Gefechtsaufstellungen ein. Um Nachrichten zu chiffrieren, werden die Buchstaben des Alphabets verwürfelt. Dank einer Umkehrwalze musste der Strom in der Enigma den Walzensatz in umgekehrter Richtung erneut durchlaufen. Das führte dazu, dass nie ein Buchstabe durch sich selbst verschlüsselt werden konnte, weil der Strom nicht denselben Weg zurücknehmen kann, auf dem er hingewandert ist. Sozusagen: keine Selbstbewichtelung in der Verschlüsselung

Damit waren –  wie oben gesehen – die Verschlüsselungsmöglichkeiten der Enigma drastisch eingeschränkt. Letztlich schaffte es der britische Mathematiker Alan Turing durch geniale Überlegungen ihre Codes zu knacken. Das vermittelte den Alliierten ein nahezu vollständiges Wissen über den deutschen Nachrichtenverkehr auf allen Ebenen. Der Oberbefehlshaber ihrer Streitkräfte und spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower bezeichnete die Entschlüsselung der Enigma als „entscheidend“ für den Sieg.

Man könnte also sagen: Der Mathematiker Alan Turing hat den Zweiten Weltkrieg entschieden.