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Legida und die falsche Zahl

 

Zur Legida-Demonstration am Mittwoch vergangener Woche gibt es erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Nicht nur über die inhaltlichen Thesen der Demonstranten. Sondern schon darüber, wie viele Demonstranten es denn überhaupt waren. Die Leipziger Polizei sprach nach der Demo von 15.000 Legida-Anhängern. Soziologen der Universität Leipzig bezifferten die Teilnehmerzahl dagegen auf höchstens 5.000. Was ist von diesen Angaben zu halten?

Holen wir dazu etwas weiter aus: Seit es Menschen gibt, gibt es Menschenansammlungen. In der Bibel ist an einigen Stellen von größeren Massen die Rede, so etwa in Matthäus 14:21, wo berichtet wird, dass Jesus allein mit drei Broten und zwei Fischen 5.000 Männer speiste, Frauen und Kinder nicht mitgerechnet. Auch Matthäus ging es also darum, die Größe der Menge zu beziffern.

Wenn Menschen sich versammeln, um ein politisches Statement zu machen, ist die Größe der Versammlung ein Politikum. Und deshalb auch die Bezifferung dieser Größe. Waren es 100 oder 1.000 oder gar 100.000? Die Organisatoren sind daran interessiert, dass die angegebene Zahl so groß wie möglich ist. Mit zunehmender Größe gewinnt ihre Bewegung an zusätzlicher Dynamik, weil Unentschlossene ermutigt werden, sich ihr anzuschließen, Medien intensiver darüber berichten und die Politik gezwungen wird, sie ernst zu nehmen.

Nach Augenschein schätzen ist notorisch fehlerbehaftet

Ihre Gegner sind naturgemäß daran interessiert, die Bewegung zahlenmäßig klein zu reden. Auch die Polizei gibt in der Regel eine Schätzung ab und ist daran interessiert aufzuzeigen, dass ihr Einsatz von Personal und Planung der Größe der Veranstaltung genau angemessen war. Bei der letzten Legida-Demonstration ergab sich nun ein großes Auseinanderklaffen zweier, so ist zu hoffen, um Seriosität bemühter Schätzwerte.

Menschenmassen nach dem Augenschein abzuschätzen ist notorisch fehlerbehaftet. Doch es gibt eine einfache, nach Herbert Jacobs benannte mathematische Methode. Jacobs war Professor für Publizistik an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Aus seinem Büro in einem höher gelegenen Stock konnte er in den 1960er Jahren des Öfteren sehen, wie sich Studenten auf einem größeren Platz versammelten, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. Der Platz war in etwa ein quadratmetergroße Platten eingeteilt.

Um die Zahl der Studenten zu ermitteln zählte Jacobs einfach die Zahl der Studenten auf einigen der gleich großen quadratischen Platten, bildete davon den Durchschnitt und multiplizierte diesen Durchschnitt mit der Anzahl der Platten, die mit Studenten besetzt waren. Mit zunehmender Erfahrung konnte Jacobs ein paar allgemeine Regeln aufstellen: Bei einer geringen Dichte, bei der zwischen den Versammelten ein Abstand von ungefähr einer Armlänge besteht, sollte man im Schnitt mit 1 Person pro 9000 (vom Autor  14:40 korrigiert) Quadratzentimetern rechnen, bei einer halbwegs engen Aufstellung der Menschen mit 1 Person pro 4000 (korrigiert) Quadratzentimetern und bei dicht gedrängter Menschenmenge mit 1 Person pro 2300 (korrigiert) Quadratzentimetern.

Wenn die Menschen nicht gleichmäßig dicht stehen, muss man gegebenenfalls das von ihnen bedeckte Terrain grob in mehrere Bereiche gleicher Dichte einteilen. Tut man dies, kann man nach den Erfahrungen von Jacobs mit einer recht präzisen Schätzung der Zahl der Versammelten auf plus/minus 10 Prozent genau rechnen.

Von der Legida-Versammlung liegt ein hochauflösendes Bild vor. Legt man über dieses Bild ein auf einer durchsichtigen Folie aufgemaltes quadratisches Gitter und wendet darauf die Methode von Jacobs für den Fall mittlerer Dichte der Personen-Aufstellung an, ergibt sich in etwa eine Bestätigung des Schätzwertes der Leipziger Soziologen. Mit großer Wahrscheinlichkeit waren nicht mehr als 5.000 Demonstranten am Ort.