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Ohne Diktator geht es nicht

 

In Gruppen Entscheidungen zu treffen, ist oft nicht leicht. Zudem geht es dabei selten gerecht zu. Warum? Der Satz vom Diktator macht es deutlich.

Betrachten wir eine Reisegruppe, die gemeinsam einige Attraktionen in einer Stadt besichtigen will. Es bestehen Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Reihenfolge. Deshalb wird abgestimmt.

Jeder notiert dafür seine Lieblingsrangliste. Aus diesen soll die Gruppenrangliste so erstellt werden: Jene Sehenswürdigkeit, die bei den meisten an erster Stelle steht, wird zuerst besucht. Die Attraktion, die am häufigsten an zweiter Stelle auftritt, wird anschließend besucht, und so weiter. Falls irgendwann Gleichstand herrscht, schaut man, welche Alternative am häufigsten vor der anderen platziert ist. So entsteht mit diesem Wahlsystem nach dem Mehrheitsprinzip aus vielen individuellen Präferenzen eine Präferenz der Gruppe.

Man muss sich darüber klar sein, dass das Ergebnis keine Kompromissentscheidung ist. Das hier angewandte, verbreitete Wahlsystem ist nämlich diktatorisch. Und zwar in dem Sinne, dass immer der Wille einer einzigen Person zu 100 Prozent zum Gruppenwillen wird.

Prüfen wir es an einem Beispiel mit fünf Reisenden und vier Zielen: Hier sind die Ranglisten der fünf Reisenden bezüglich der Sehenswürdigkeiten A, B, C, D:

 

Person 1 Person 2 Person 3 Person 4 Person 5 Gruppen-Präferenz
C D C B A C
D A A C B A
A C D D D D
B B B A C B

Person 3 ist der Diktator. Er bestimmt, in welcher Reihenfolge es gemacht wird. Das ist kein Zufall, sondern allgemeingültig. Ganz egal, wie abgestimmt wird, immer gibt es eine Person, deren Präferenz zur Gruppenpräferenz wird. Und auch über das hier gewählte Wahlsystem hinaus ist das Ergebnis verallgemeinerungsfähig: Verlangt man von einem Wahlsystem einige wünschenswerte Eigenschaften, so gibt es zwingend einen Diktator.

Dabei sind die wünschenswerten Eigenschaften eigentlich ziemlich vernünftig, ja geradezu selbstverständlich, wie etwa diese:

  • Wenn alle Wähler eine Alternative gegenüber einer anderen bevorzugen, dann sollte das auch die Gruppen-Rangliste tun.
  • Die Rangordnung zweier Alternativen auf der Gruppen-Rangliste hängt nur von der Reihung dieser beiden Alternativen bei den einzelnen Personen ab und nicht davon, wie die Personen andere Alternativen bewerten (Bedingung der Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen)

Man kann also sagen: Jedes Wahlsystem (egal ob personalisiertes Verhältniswahlrecht oder Borda-Verfahren wie beim Eurovision Song Contest) ist entweder teilweise irrational oder aber es gibt einen Diktator. Das ist der mathematische Satz vom Diktator. Er wurde 1951 vom späteren Nobelpreisträger Kenneth Arrow bewiesen und war eine sozialwissenschaftliche Sensation. Was sagt er nur aus über die Möglichkeiten von Demokratie?