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Meine Lieblingsfrauenzeitschrift

 

Das Schuljahr ist erst ein paar Wochen alt und schon geht wieder Angst um, die Angst vor der Schulmathematik – und die Unlust bei der Beschäftigung mit ihr. Mädchen sind davon stärker betroffen als Jungen. Das müsste nicht so sein. Vor gut 300 Jahren wurde in Großbritannien eine bemerkenswerte Zeitschrift aus der Taufe gehoben: The Ladies‘ Diary or Woman’s Almanack erschien erstmals 1704. Die Zeitschrift diente nach eigener Aussage der „Erbauung des schönen Geschlechts“ und sie versprach ihren Leserinnen, „dass die Kultivierung Ihres Geistes Ihre Attraktivität erhöhen wird“.

Das wahrhaft Bemerkenswerte an dieser Zeitschrift war, dass sie sich intensiv auch mathematischen, astronomischen und generell naturwissenschaftlichen Themen widmete. Neben Kalenderinformationen wie etwa Feiertagen sowie Küchenrezepten, Ereignissen rund um die Königsfamilie, kosmetischen Fragen, medizinischen Informationen, spielten diese wissenschaftlichen Themen eine bedeutende Rolle und zwar in zunehmendem Maße.

Besonders die in jeder Ausgabe zahlreich enthaltenen mathematischen Probleme erfreuten sich bei der Leserschaft großer Beliebtheit. Diese Aufgaben waren meist als Gedichte gestellt. Auch viele der Lösungen wurden von den Leserinnen und Lesern in Reimform eingeschickt und eine Auswahl davon in der jeweils nächsten Ausgabe veröffentlicht. Die Zeitschrift hatte eine enorme Auflage von rund 30.000 Exemplaren um die Mitte des 18. Jahrhunderts.

Frauen und Mathe? Im vorviktorianischen Zeitalter kein Problem!

Ihr erster Herausgeber, der Mathematiklehrer John Tipper, zeigt in seinen seitenlangen Editorials stets überaus großen Respekt vor der Intelligenz der Frauen in Bezug auf das Lösen auch schwerer mathematischer und naturwissenschaftlicher Probleme. Die große Beliebtheit dieser Zeitschrift und die beachtliche Resonanz bei den weiblichen Lesern sind ein Indikator dafür, dass damals – immerhin im vorviktorianischen Zeitalter Großbritanniens – die Stereotypen und Klischees in Bezug auf Frauen und Mathematik weniger ausgeprägt waren, als sie es gegenwärtig bei uns in Deutschland sind.

The Ladies‘ Diary wurde gegründet als Newton noch lebte. Seine Verehrung hatte in England nahezu kultische Züge angenommen. Die weltbewegenden Erfolge seiner mathematischen Theorien waren damals noch so frisch, dass in vielen englischen Clubs und französischen Salons darüber heiß diskutiert wurde. Es war eine Zeit gesamtgesellschaftlicher Wertschätzung der mathematischen Methode als Erkenntnisinstrument.

Bei uns wird die Mathematik vielfach immer noch als männliche Domäne gesehen. Junge Mädchen werden kaum ermuntert, sich für Mathematik zu interessieren. Das führt dazu, dass selbst jene jungen Mädchen, bei denen früh ein großes Talent für die Mathematik sichtbar wird, ab etwa 13 oder 14 Jahren absichtlich nicht mehr gut im Mathematikunterricht sein wollen, weil das als uncool gilt. Auch in meinem eigenen Bekanntenkreis gibt es Frauen, die mir gesagt haben, sie hätten früher eigentlich gerne Mathematik studiert, waren aber besorgt, dann als unfeminin zu gelten.

Es ist Zeit, die Stereotype zu durchbrechen

Mädchen und Jungs sind gleichermaßen talentiert für die Mathematik, wie eine breit angelegte Studie festgestellt hat, in die Ergebnisse von einigen 100.000 Schulkindern in mehreren Dutzend Ländern eingeflossen sind. Festgestellt wurde aber auch, dass das Selbstbewusstsein der Mädchen im Schnitt in der Mathematik geringer ist und ihre Angst vor diesem Fach größer als bei den Jungen. Auch das kann man als Folge der soziokulturellen Stereotype ansehen.

Es wird wirklich Zeit, dass wir solche Stereotype durchbrechen. Und zwar durch mehr gelebte Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft. Wenn uns da eine Verbesserung gelingt, können wir auch davon ausgehen, dass die Geschlechterunterschiede in den Mathe-Leistungen verschwinden.

Womit wir wieder beim Ladies‘ Diary wären, das es heute leider nicht mehr gibt. Eine ganz repräsentative Aufgabe von damals ist die folgende, die in der Ausgabe von 1711 als Problem XXI aufgeführt ist und dort als 19-zeiliges Gedicht präsentiert wird. Vielleicht haben Sie Lust, sich damit zu befassen. Hier ist das Rechenrätsel in meinen Worten:

Ein Mann begegnet einer Schafherde, die von mehreren Schäferinnen gehütet wird, und fragt, wie viele Schafe es denn sind. Eine der Schäferinnen antwortet ihm: „Wenn wir die Herde zu gleichen Teilen unter uns Schäferinnen aufteilen, dann bekommt jede von uns doppelt so viele Schafe wie wir insgesamt Schäferinnen sind. Und ferner: Wenn Sie für eine von uns Schäferinnen 1 Schaf zählen, für eine andere 2 Schafe, für die dritte 4 Schafe, für die vierte 8 Schafe und so jeweils verdoppeln, dann erhalten Sie bei der letzten Schäferin eine Zahl, die genau gleich der Anzahl von Schafen in der Herde ist.“

Wie groß war die Herde?